Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS
Johann Christian Bach: Lucio Silla
7. September 2005 (Première)
[Theater am Stadtgarten Winterthur]
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Chor

Lucio Silla

Giunia
Cecilio
Celia
Lucio Cinna
Aufidio
Theodor Guschlbauer
Dieter Kaegi
Bruno Schwengl
Jorge Jara
Franz Orban
Jürg Hämmerli

Bernard Richter
Julia Kleiter
Sen Guo
Sandra Trattnigg
Ruben Drole
Boguslaw Bidzinski
Verzeichnis

Rezensionen
    Am Ende siegt die Milde …
Das zwiespältige Comeback des «Lucio Silla»
Wenn die Schwäche zur Stärke wird
Die Vermenschlichung eines Tyrannen
Winterthurer Staustufen am jungen Bach
Der Silberflor des modernen Geschmacks
Mehr Ausgrabung denn Entdeckung
      

Aargauer Zeitung

9. 9. 2005 / Torbjörn Bergflödt

Am Ende siegt die Milde und der Tyrann verdünnisiert sich straffrei

Opernhaus Zürich: J. C. Bachs «Lucio Silla» in Winterthur

Er war der Behende, Weltgewandte, Anpassungsbegabte unter den komponierenden Söhnen des grossen Johann Sebastian. Vielleicht auch deshalb hat sich Johann Christian Bach, der «Mailänder» und «Londoner Bach», weniger prägekräftig in unser Bewusstsein eingeschrieben als sein älterer Halbbruder und Lehrer Carl Philipp Emanuel.

In schweizerischer Erstaufführung haben jetzt Opernhaus Zürich, Orches-ter Musikkollegium Winterthur und Theater Winterthur die für das einstige Elitetheater in Mannheim geschriebene Seria «Lucio Silla» herausgebracht. Eine verdienstvolle Tat. Und auch ein spezieller Beitrag zum anstehenden Mozart-Jahr 2006: Mozart wurde schon als Knabe vom «singenden Allegro» des älteren Komponistenfreundes geprägt und schuf zwei Jahre vor Johann Christian einen eigenen «Lucio Silla».

Leichter Zugang
Die szenische Lesart von Dieter Kaegi (Regie) und Bruno Schwengl (Ausstattung) in Winterthur beschwert einem nicht den Magen, und doch wird das Werk noch nicht an einen Römer-Comic oder Operettenabend verraten. Zu Beginn nehmen die Darstellerinnen und Darsteller in lockerer Folge Aufstellung unter ihrem jeweiligen Rollennamen vor einem (blut)roten Tuch an der Rampe, wohin sie auch später periodisch zurückkehren.

In der Folge gibt es etwa die patente Seitentür zu sehen, die, wenn sie geöffnet ist, dem Schriftzug «Rom» ein finales «a» anhängt, oder eine Replik jener Wölfin, die das ungleiche Brüderpaar Romulus und Remus gesäugt hatte und nun aus den Zitzen, statt altrömischer Milch für wackere Stadtgründer, einen Drink entlässt für eine mondän-frivole Hofgesellschaft. Die Kostüme finden einen Spagat zwischen antik und jetztzeitlich.

Mord und Liebe
Die Oper bezieht sich auf Sulla, der hier Silla heisst. Der römische Diktator hat im Libretto den Regenten Marius gemordet und buhlt um die Gunst von dessen Tochter Giunia. Es werden Attentatspläne geschmiedet, aber das alles mündet, gattungskonform, ins «lieto fine», also ein Happy End. Bei Kaegi-Schwengl hat dieses eine politkritisch-eskapistische Note - Motto: Tyrann verdünnisiert sich straffrei -, wenn die Titelfigur eine «Showtreppe» hochsteigt zu einer Flugmaschine hin.

«Lucio Silla» erfüllt die Konventionen einer Opera seria mit ihrer Abfolge von Rezitativen und Arien und reichert die Gattung doch auch an durch weiternde formale Gestaltungsmittel und manche Instrumentalfarben. Die junge Besetzung - in der Titelrolle der Schweizer Tenor Bernard Richter - sang und spielte an der Premiere agil, mit Sinn für die ironischen Implikationen der Regie. Aber auch ausdrucksreich, ohne die zwischen brillant und galant vermittelnde Oper auf ein Vir tuosenstück für geläufige bis schmachtende Gurgeln zu reduzieren.

Der Dirigent Theodor Guschlbauer verlieh dem Spiel des Musikkollegiums Winterthur Relief und Eloquenz und koordinierte sauber auch den Einsatz des von Jürg Hämmerli vorbereiteten Chors.

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Blick

9. 9. 2005 / Roger Cahn

Das zwiespältige Comeback des «Lucio Silla»

Eindrucksvolle Musik, gute Sänger und eine unverständliche Regie wecken Johann Christian Bachs «Lucio Silla» aus einem 200-jährigen Dornröschenschlaf. Premiere war am Mittwochabend in Winterthur.

Das Libretto zeigt deutlich die Schwäche der pompösen Barockoper. Durch die Liebe zur Tochter des von ihm ermordeten Rivalen Marius wird der römische Tyrann Lucio Silla dank Verzicht zum gefeierten Helden und verzeiht jenen, die ihm nach dem Leben trachteten - Happy End oder «lieto fine» in der damaligen Opernsprache.

Johann Christian (1735 -1785), jüngster Sohn des grossen Johann Sebastian Bach, war zu Lebzeiten erfolgreich in Deutschland, Italien und England. Nach seinem Tod verschwand er im Schatten seines übergrossen Vaters wie seines Freunds und Bewunderers Mozart.

Johann Christians Musik zeugt von Genie und Tiefgang. Sie klingt spannungsvoll und beschreibt die Seelenzustände der Figuren für die damalige Zeit erstaunlich genau. Theodor Guschelbauer und das feinfühlig musizierende Orchester Musikkollegium Winterthur erweisen ihr die verdiente Ehre.

Dagegen wirkt die Regie Dieter Kaegis einfalls- und lieblos. Die sechs jungen Sängerinnen und Sänger dürfen in beliebig wirkenden, ständig wechselnden Kostümen und schwer verständlichen Bühnenbildern von Bruno Schwengl gefühlvoll herumstehen, sitzen oder liegen. Aber sie singen sehr schön.

Fazit: Die Musik geht ans Herz, die Regie ist unsensibel.

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Der Landbote

9. 9. 2005 / Herbert Büttiker

Wenn die Schwäche zur Stärke wird

Ein Mozart-Titel, Mozart-Nähe, aber ein kaum bekanntes Werk. Die Saisoneröffnung im Theater Winterthur führt in die gärende Opernwelt der Vorklassik und - nicht ganz ohne Probleme - auch in die Bühnengegenwart.

Für Opern- und Operettenraritäten nutzt das Opernhaus Zürich seinen Nebenschauplatz in Winterthur auf immer wieder anregende Weise. Das 18. Jahrhundert rückte dabei schon mehrfach ins Blickfeld, zuletzt vor zwei Jahren mit «Axur, Re d'Ormus» des Mozart-Konkurrenten Antonio Salieri. Jetzt mit Johann Christian Bachs «Lucio Silla» gibt es das Werk eines berühmten Unbekannten, der für Mozart eine Autorität und ein väterlicher Freund war. Produziert wird die Inszenierung in Winterthur vom selben Team wie die Salieri-Oper, von Dieter Kaegi (Regie), Bruno Schwengl (Ausstattung) und Theodor Guschlbauer am Dirigentenpult; im Orchestergraben (allzu) tief versenkt das Orchester des Musikkollegiums, die Basis der Opernpartnerschaft mit Zürich und der zuverlässige Motor auch dieser Aufführung.

Wohl liessen sich Kontraste in Tempo und Dynamik steigern, aber Guschlbauers Dirigat zielt auf ein flüssiges und elastisches Spiel voller Energie, aber ohne Überdruck. Vor allem die langen Arieneinleitungen sind ein Hinweis, dass Bach das berühmte Mannheimer Orchester gebührend zu bedienen gedachte, einzelne grössere solistische Aufgaben wie das schöne Oboensolo im Mittelteil der Ouvertüre oder die obligate Flöte zur grossen Sopranarie im zweiten Akt eingeschlossen. Das alles hört sich, zusammen mit dem engagierten jungen Sängerteam, als musikalisches Plädoyer für einen alles andere als zopfigen Komponisten an. Aber ist dieser auch ein Fall für die moderne Bühnenpraxis?

Eine Freiheitsoper
Rezitativ, Arie, Rezitativ, Arie – die «Opera seria» ist eine sperrige Bühnengattung. Aber radikale Striche bergen die Gefahr, das dramaturgische Skelett noch stärker hervortreten zu lassen. Und was heisst im Falle von «Lucio Silla» schon Opera seria? Der Librettist Giovanni de Gamerra verfolgte durchaus avantgardistische Ideen, in der Kernaussage des Stücks wie in dramaturgischen Einzelheiten. Es sind diese Züge, die diese Oper auch auf der heutigen Bühne spannend machen könnten. Es gälte die Kühnheit verständlich zu machen, am absolutistischen Hoftheater einen Herrscher freiwillig abdanken und die Macht dem Volk zurückgeben zu lassen. Es gälte die Brisanz des Chors zu vermitteln, der im ersten Akt mit dem Sturz des Tyrannen droht und die «Romana liberta» einfordert, die er am Ende dank der Einsicht Sullas als dessen Geschenk preisen kann. Mit diesem Chor – in seinem an Gluck gemahnenden pathetischen Duktus – zeigt sich auch in Ansätzen die dramaturgische Verabschiedung der Opera seria in einem übergreifenden Szenenverlauf: Rezitativ, Accompagnato, Chor mit Arioso und Duett – alles im düster-grossartigen «Tableau» der Grabstätte und Monumente der römischen Helden.

Lähmendes Bewegungsspiel
Wie für eine halb so grosse Bühne konzipiert wirken die Bauten der Inszenierung, zumal der rot ausgeschlagene Innenraum, der Nachtklubatmosphäre suggeriert. Als wirklich stark und klärend für die musikalische Stimmung erweist sich einzig die Gefängnisszenerie im dritten Akt, auch wenn hier die jeweilige Anwesenheit des Partners die beiden Arien des Protagonistenpaars in ihrer Aussage verunklärt. Im Ganzen wirkt die Ausstattung in ihrem Mix aus römischen Versatzstücken, barocken Zitaten und heutiger Garderobe eher beliebig als ästhetisch bezwingend. Wenn im ersten Auftritt der heimlich aus der Verbannung zurückgekehrte Cecilio seinen Freund Cinna zum Picknick einlädt (statt wenn schon umgekehrt), wenn die beiden dann Zeit und Lust haben, mit dem Bild von Celios Geliebter Giunia herumzualbern, dann zeigt auch die Regie wenig Neigung zur Konzentration auf Situation und Figur, dafür allenthalben die Angst vor Bewegungsstillstand. Eine Gruppe von Tänzern und Tänzerinnen ist dazu da, die Szenerie zu beleben, und erreicht in lähmender Zeitlupen-Choreografie (Liz Roche) das Gegenteil.

Mozart-Nähe
Komödiantische Einsprengsel sind da, wenn auch stilistisch fragwürdig, schon erfolgversprechender – und ausdrucksvoller Gesang ist immer noch das beste Rezept, um dem steifen Korsett der Opera seria zu entgehen. Buffoneskes gibt es beim Paar Celia und Lucio Cinna (sie will ihn, er sie eher nicht). Sandra Trattnigg hat dazu den Schalk, aber auch das Format für grosse Arien, Ruben Drole vollklingend quirlige Rezitative, aber dann auch viel Grobkörniges in den Arien. Das Paar spiegelt die Verhältnisse im Zentrum der Handlung: Lucio Silla, der Diktator, liebt Giunia, diese aber den in die Verbannung geschickten und für tot erklärten Cecilio. Dass der Tyrann nur gegen inneren Widerstand und unter dem Druck seines Beraters Aufidio (Boguslaw Bidzinski) den Weg der Gewalt geht, macht die Figur interessant. Der Tenor Bernard Richter wirkte allerdings eher unsicher als zwiespältig, eher aufgeregt als tragisch: noch nicht ganz eins mit der Partie, aber mit Verve und in vielen Arienmomenten auch imponierend.

Als sein Gegenspieler hat Celio den doppelten Nachteil der Hosenrolle und der kleinen Statur. Aber Sen Guo machte ihn zunehmend wett mit dem Glanz eines stabilen Soprans. Den stärksten Eindruck machte mit schönem Timbre und geschmeidiger Phrasierung Julia Kleiter als Giunia: In der Einheit von Figur und Musikalität, in der Beseeltheit des Gesangs war bei ihr die Mozart-Nähe des Londoner Bachs am greifbarsten.

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Neue Zürcher Zeitung

9. 9. 2005 / Marianne Zelger-Vogt

Die Vermenschlichung eines Tyrannen

«Lucio Silla» von Johann Christian Bach in Winterthur

Einmal mehr ist der Zusammenarbeit zwischen dem Zürcher Opernhaus, dem Winterthurer Theater am Stadtgarten und dem Musikkollegium Winterthur eine Entdeckung zu verdanken: Zur Saisoneröffnung haben die drei Institute die Opera seria «Lucio Silla» von Johann Christian Bach zur schweizerischen Erstaufführung gebracht.

Selbst in der Version von Mozart steht «Lucio Silla» nur selten auf den Spielplänen. Vollends unbekannt aber ist die zwei Jahre später, 1774, als Auftragswerk des Mannheimer Hofes entstandene Fassung des jüngsten Bach-Sohnes Johann Christian. In freier Adaption der römischen Geschichte handelt auch sie vom Diktator Sulla, der als Opernfigur Silla heisst und mit erpresserischen Mitteln um Giunia, die Braut seines Feindes Cecilio und Tochter des von ihm ermordeten Marius, wirbt. Den verbannten Cecilio hat er für tot erklären lassen, Giunia soll ihm vom Senat zum Dank für seine Siege zugesprochen werden. Doch Giunia bleibt standhaft, lieber will sie sterben als Cecilio untreu werden. Ihre Treue wird belohnt. In einer erstaunlichen Wendung verzichtet Silla auf Giunia, versöhnt sich mit seinen Feinden und legt seine Herrscherinsignien ab, um seine militärischen Triumphe mit einem moralischen Sieg zu krönen - die Opera seria hat ihr obligatorisches Happy End gefunden.

Der Weg dahin ist nicht nur für die handelnden Figuren, sondern auch für die ausführenden Künstler schwierig. Denn bei allem melodischen Erfindungsreichtum und instrumentalen Raffinement findet Johann Christian Bachs musikalische Sprache nicht den individuellen Seelenton von Mozarts «Silla», vieles bleibt in der Anlage schematisch. Dem wirkt das Winterthurer Leading Team - Theodor Guschlbauer als musikalischer Leiter, Dieter Kaegi als Regisseur und Bruno Schwengl als Bühnen- und Kostümbildner - entgegen mit einer Fassung, die die Länge der Oper auf bekömmliche zweieinhalb Stunden reduziert und die musikalischen Nummern zu einer schlüssigen Szenenfolge fügt. Das Sängerensemble versammelt sich während der Ouverture vor dem mit den Namen der Figuren beschrifteten Vorhang und macht so von Anfang an klar, dass hier nicht Menschen, sondern Rollen auf die Bühne kommen, und die Handlung selbst wird als ein Reigen von typischen Situationen mit szenischen Mitteln erzählt, die ihrerseits wie Versatzstücke wirken: Drinks und Champagner für die römische Haute volé, eine Pistole in der Hand des verhinderten Attentäters Cecilio und eine Zigarette in der des wütenden Silla, befohlener Applaus eines exzellenten Chores für den Diktator; und für die wahrhaft ergreifenden Trauerszenen drei Tänzerpaare (Choreographie Liz Roche).

In sich gewinnen die Bilder durchaus atmosphärische Dichte: die Gruft als riesige Betonröhre, die Herrscherräume von imperialer Architektur und Einrichtung, wobei Kostüme und Requisiten deutlich machen, dass der Blick zurück auf das antike Rom - der Name steht in Grossbuchstaben an den Wänden - aus der Gegenwart über das späte 18. Jahrhundert führt. Zusammenhalt stiftet vor allem der Dirigent, der das Orchester Musikkollegium Winterthur zu einem im Detail kammermusikalisch verfeinerten, im Duktus aber musikantisch gelösten Spiel animiert. Glanzlichter setzen der Flötist Dimitri Vecchi und die Oboistin Silvia Zabarella, für eine lebendige Begleitung der Rezitative sorgt der Cembalist Jeffrey Smith. Das Solistensextett ist ausnahmslos jung besetzt, die Titelrolle vielleicht sogar zu jung - die elegante, attraktive Erscheinung Bernard Richters macht Sillas unerwarteten Machtverzicht und Edelmut erst recht unwahrscheinlich. Doch seine wohlklingende Tenorstimme entspricht mit ihrer grossen Expressivität und Beweglichkeit allen Facetten der Partie. Eine Entdeckung ist auch die Sopranistin Julia Kleiter, die als Giunia Kraft und Wärme harmonisch vereint. Sen Guo in der Kastratenrolle des Cecilio beeindruckt mit ihrer vokalen Reichweite, wirkt aber im vokalen wie im darstellerischen Ausdruck zu starr. Das zweite Brautpaar, Sandra Trattnigg als Sillas Schwester Celia und Ruben Drole als sein verräterischer Freund Cinna, setzt auflockernde heitere Akzente, ohne es an musikalischer Ernsthaftigkeit und Kompetenz fehlen zu lassen, während Boguslaw Bidzinski als Aufidio dem Tyrannen mit tenoralem Nachdruck, doch glücklicherweise erfolglos zu unerbittlicher Härte rät. - Ein origineller, lohnender Beitrag zum bevorstehenden 250. Geburtstag Mozarts, der dem Komponisten dieses anderen «Silla» freundschaftlich verbunden war.

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Die Südostschweiz

9. 9. 2005 / Reinmar Wagner

Winterthurer Staustufen im jungen Bach

Der römische Diktator Sulla ist als «Lucio Silla» bekannt in der Opernwelt. Aber nicht nur Mozart hat seine Geschichte vertont. Das Zürcher Opernhaus brachte in der traditionell in Winterthur stattfindenden Saisoneröffnung am Mittwoch die Version von Johann Christian Bach aus dem Jahr 1774 als Schweizer Erstaufführung heraus. Nicht nur Handlung und Libretto, auch die Musik Bachs hat mit derjenigen Mozarts viel gemeinsam. Kein Wunder, schliesslich galt es, die Formen und Floskeln der Opera seria zu erfüllen. Beide aber suchten Auswege aus den starren Abläufen, und fanden ihre eigenen Wege. Es gibt Arien und Chöre in diesem Bach-Werk, die man ohne weiteres dem jungen Mozart unterschieben könnte. Es gibt aber auch Stücke, bei denen man kaum an Mozart denken würde. Denn Johann Christian ist ganz Kind seiner Zeit. Schematisch jedoch bleibt Bach in den Rezitativen, seien sie nun secco allein vom Cembalo oder accompagnato vom Orchester begleitet.

Das Orchester des Winterthurer Musikkollegiums, traditioneller Partner in dieser Landpartie des Zürcher Opernhauses, brauchte sich nicht zu verstecken. Unter der Leitung von Theodor Guschlbauer musizierte es mit Energie und Spannung. Die Klangsprache war angemessen mit geschärften Akzenten und griffigen Phrasierungen ausgefüllt. Bloss dynamisch und agogisch wäre noch etwas mehr Beweglichkeit dringelegen. Nicht minder gute Figur machte der Zusatzchor des Opernhauses, und unter den Sängern stachen zwei junge Schweizer heraus: In der Titelrolle der formidable Tenor Bernhard Richter mit schönen Farben und vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, und der in Winterthur geborene Bariton Ruben Drole als Cinna mit beeindruckenden stimmlichen Möglichkeiten, die teilweise noch etwas unkultiviert eingesetzt wurden, aber grosses Potenzial verrieten. Die Damen blieben blasser, vor allem Julia Kleiter als Giunia und Sen Guo in der Hosenrolle des Cecilio kamen kaum über etwas kraftlosen Schöngesang hinaus. Sandra Trattnigg als Celia immerhin gewann mindestens in emotional grossen Momenten an Profil und Ausstrahlung.

Die Regie hingegen blieb konturlos. Dieter Kaegi hatte viele Ideen, auch witzige, auch funktionierende, aber er hat sich verzettelt, hat kein Gesamtbild schaffen können, kein Konzept erkennen lassen. Die Bühnenbilder von Bruno Schwengl sind mal abstrakt (wie der an sich viel versprechende Tunnel für den Friedhof), mal konkret mit Möbeln und Interieur, aber weder verraten sie etwas über das Aussen- noch das Innenleben der Protagonisten. Der Grund für Kaegis Einsatz des Balletts blieb schleierhaft (ausser, dass die Tänzerinnen alle ausgesucht hübsch aussahen). Dazu kamen Mängel in der Personenführung: Die Szene der Entwaffnung der Verschwörer im römischen Senat als Tiefpunkt diesbezüglich war von erschreckender Hilflosigkeit.

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Tages-Anzeiger

9. 9. 2005 / Thomas Meyer

Der Silberflor des modernen Geschmacks

Begegnung mit einem lange verschollenen Werk: Das Opernhaus eröffnete am Mittwoch die Saison in Winterthur mit Johann Christian Bachs «Lucio Silla».

«Dieser Mann konnte sein, was er wollte», schrieb der Schriftsteller Christian Daniel Friedrich Schubart über den Wandlungsfähigen, und: «Die hohe Theorie, die er aus den Rippen seines grossen Vaters zog, umgab er mit dem Silberflor des modernen Geschmacks.» Johann Christian Bach (1735-1782), jüngster und damals hochgerühmter Sohn «des unsterblichen Sebastian Bach» ist genau jene ambivalente Mittlerfigur, die uns jetzt auch in seiner Oper, genauer: dem Musikdrama «Lucio Silla» entgegenstarrt. Einerseits hängt er noch an Konventionen der Barockoper, gleichzeitig weist er mit seiner expressiven, doch auch schlichten Melodik, eben mit dem Silberflor, voraus, gerade in Richtung Mozart, der ihn so sehr bewunderte wie sonst ausser Haydn keinen. «Lucio Silla» entstand 1774, knappe zwei Jahre übrigens nach Mozarts Vertonung des fast gleichen Librettos, für das Hoftheater Mannheim, wo das seinerzeit beste und modernste Orchester residierte. Ein Werk also der Avantgarde?

Für uns freilich ist jene Modernität, jene Schlichtheit des Ausdrucks durch die Vermittlung Mozarts vertrauter als der nachbarocke Formelschatz - und das wird bei dieser schweizerischen Erstaufführung in Winterthur besonders bei den Sängern und Sängerinnen spürbar. Die Verzierungen Bachs sind noch nicht so geläufig, sie kullern noch nicht so wie bei Mozart die Kehle herunter, in ihnen steckt noch etwas von der artifiziellen Virtuosität des frühen 18. Jahrhunderts, und deshalb geraten die Gesangslinien in der Winterthurer Aufführung doch stellenweise ins Harzen (wo die schwierigsten Koloraturen nicht ohnehin gestrichen sind). Dafür sind die Stimmen dieses jungen Ensembles zu wenig agil, wie vor allem vor der Pause spürbar wurde.

Im zweiten Teil hingegen, wo es nicht mehr so um das repräsentative Exponieren der Personen und ihrer Darsteller geht, wo das Drama seinen Gang nimmt und die Partien inniger und nachdenklicher werden, können die Sängerinnen und Sänger auch viel schöner ihre Qualitäten herausstreichen.

Wandlungsprozesse
Silla, Lucius Sulla, der Diktator von Rom, will Giunia ehelichen, die Tochter seines ermordeten Vorgängers Marius, doch diese liebt immer noch Cecilio, den geächteten und für tot erklärten Senator. Und damit beginnt ein Spiel um Macht und Liebe, denn Cecilio ist mittlerweile zurückgekehrt und trachtet dem Tyrannen nach dem Leben. Bis Silla von seinem Hass und seinem Eheplan ablässt und der Versöhnung stattgibt, macht er einen bemerkenswerten Wandlungsprozess durch, den Bach fein nachzeichnet. Der Schweizer Tenor Bernard Richter, eigentlich etwas zu jung für diese Rolle, macht das auf unaufdringliche Weise glaubhaft. Die Liebenden, Sen Guo als Cecilio und vor allem Julia Kleiter als Giunia, können ihre Gefühle in einer Kerkerszene zu einem fast schon tragischen Höhepunkt führen.

Hinzu kommen interessante Nebenfiguren. Celia, Sillas Schwester (Sandra Trattnigg), sowie Cinna, in den sie verliebt ist (der Winterthurer Ruben Drole) als das zweite, weniger leidenschaftliche Liebespaar. Den Höfling Aufidio singt Boguslaw Bidzinski. Ein junges hoffnungsvolles Team also ist da am Werk, das noch an Differenziertheit gewinnen könnte, etwa in der Artikulation der Phrasen (gerade auch der Rezitative), denn von der so genannten «authentischen Aufführungspraxis», die ja einst mit Harnoncourt in Zürich so fulminant zum Bühnenleben erwachte, sind diesmal allenfalls Ansätze zu vernehmen.

Der Diktator im Nightclub
Verstärkt wird diese Tendenz zu einem eher konventionellen Klangbild durch die Tradition, dass die Zürcher Opernsaison Anfang September in Winterthur eröffnet wird, jeweils mit einer Rarität erfreulicherweise. Das Orchester Musikkollegium Winterthur spielt dabei unter der bewährten Leitung von Theodor Guschlbauer, und es macht seine Aufgabe mehr als ordentlich, ebenso wie der Zusatzchor Opernhaus Zürich. Das überzeugt also oberflächlich durchaus. Freilich erscheint uns dieser Bach-Sohn hier zuweilen so, wie ein Mozart vor 25 Jahren klang. Zuweilen dramatisch frisch und hurtig, aber doch immer eine Spur zu gediegen. Wie viel Zündstoff in dieser Musik steckt, bleibt also noch zu entdecken.

Dieser Zündstoff lässt sich nur in der Musik und der Übertragung ihrer Energie in die Aktion finden. Aktualisierungen helfen da wenig. Regisseur Dieter Kaegi forciert in seiner Inszenierung denn auch nichts, er tut hier das Übliche mit semimodernen Kostümen, Requisiten und einem Bühnenbild (alles von Bruno Schwengl gestaltet) sowie mit choreografischen Einlagen (Liz Roche). Silla geht gern in Nightclubs und in seinem Arbeitszimmer steht neben den Heroenbüsten auch eine Brancusi-artige Skulptur. Das gibt dem Auge gerade etwas zu tun und stört nicht. Ein paar hübsche Gags sind darunter, die nicht verraten seien. Insgesamt eine angenehme Sache, die uns der so wandlungsfähige Johann Christian da serviert. Konnte er aber nicht noch viel mehr?

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Zürcher Oberländer

9. 9. 2005 / Tobias Gerosa

Mehr Ausgrabung denn Entdeckung

Saisonauftakt der Oper Zürich

Traditionell eröffnet das Opernhaus seine Saison in Winterthur mit einer Ausgrabung und mit einer jungen, noch wenig bekannten Besetzung. Den Saisonauftakt macht das Orchester Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Theodor Guschlbaur mit «Lucio Silla» von Johann Christian Bach.

Als Johann Christian Bach 1774 eine Oper namens «Lucio Silla» komponierte und in Wiesbaden auf die Bühne brachte, war Mozarts gleichnamige Oper bereits zwei Jahre zuvor in Mailand uraufgeführt worden. Obwohl der als «Londoner Bach» bekannte Sohn Johann Sebastians seinen «Silla» als gestandener Komponist von 39 Jahren schrieb, hält er dem Vergleich kaum stand. Bach bleibt konventionell in den Schemen der Opera Seria und lässt den Sinn für dramatische Entwicklung und Wirkung vermissen.

Arie stoppt Handlung im Ansatz
Hörbar wird das weniger in den Arien als in den Rezitativen. Die Accompagnati wirken langfädig, trocken die Secco-Rezitative, was aber auch an der Ausführung liegt. Denn Theodor Guschlbaur und das mit Stilsicherheit aufspielende Orchester Musikkollegium Winterthur tun nicht mehr, als in der Partitur Liebreiz zu entdecken.

Problematisch sind auch die langen Vor- und Nachspiele praktisch aller Arien, welche jeden Ansatz zur Handlung sofort wieder stoppen. Noch die effektvollste Arie wird sogleich abgetönt, jeder Auftritt kündet sich an, bevor jemand singt - das kann den Regisseur zur Verzweiflung bringen. Dieter Kägis Personenführung wirkt wenig ausgearbeitet, man kommt und geht eben von der Bühne, wenn es Musik und Text verlangen, das muss als Motivation genügen. Sonst verlässt sich Kägi stark auf die Bühnenbilder Bruno Schwengls.

So treffen sich zur Ouvertüre alle sechs Figuren vor einem roten Vorhang, auf dem sie fein säuberlich angeschrieben sind und begrüssen sich, als wäre es die Kantine. Dem Zuschauer hilft's, auch wenn sich hier eigentlich Todfeinde begegnen, die nichts lieber wollen, als sich umzubringen. Immer wieder treten die Figuren vor diesen Zwischenvorhang und versichern sich ihrer Rolle, während dahinter - eine geschickte Lösung - umgebaut wird, ohne die Musik zu unterbrechen.

Schmachten und weise verzichten
Das Rom des Diktators Silla ist gestylt auf 1970er Jahre, mit sich laszive räkelnden Tänzerinnen und feschen Legionären als Personal. Die ernsthafte Giunia, als wirkliche Entdeckung von der ausdrucksstark lyrisch gestaltenden Julia Kleiter gesungen, mit ihrer standhaften Liebe für den verbannten Cinna (sehr schön harmonierend: Sen Guo) passt nicht hierher. Silla will sie für sich gewinnen - wütend, drohend, schmachtend und am Schluss weise verzichtend - eine dankbare und brillant ausgeführte Aufgabe für den Schweizer Tenor Bernard Richter als zweiter Höhepunkt eines ausgewogenen, frischen Ensembles (zu den Genannten kommen noch Sandra Trattnigg und Ruben Drole). Allerdings werden die oft wechselnden Bilder nicht nur zur Materialschlacht, sondern wirken auch immer auswechselbarer. Weniger wäre hier, anders als bei der Musik, mehr gewesen.

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