Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Giuseppe Verdi: Aida
28. Mai 2006 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreographie
Lichtgestaltung
Chorein
studierung

Aida
Amneris

Sacerdotessa
Radamès
Amonasro
Ramfis
Il Re
Messagero
Adam Fischer
Nicolas Joel
Ezio Frigerio
Franca Squarciapino
Stefano Giannetti
Hans-Rudolf Kunz
Ernst Raffelsberger

Nina Stemme
Luciana d'Intino
Christiane Kohl
Salvatore Licitra
Juan Pons
Matti Salminen
Günther Groissböck
Miroslav Christoff

Rezensionen
     Vox spectatricis:
(Persönlicher Eindruck
Aargauer Zeitung:
Der Landbote:
Neue Zürcher Zeitung:
Neue Luzerner Zeitung:
St. Galler Tagblatt:
Tages-Anzeiger:
Zürcher Oberländer:
Zürichsee-Zeitung:
Rückfall in die Entstehungsgeschichte
einer Premieren-Besucherin)
Am Werk vorbei i
ns Nichts
Aida im Reich der Tiffany
s
Glaspalast und Palmenhain
Dekorativ, aber ein wenig altmodi
sch
Ohne Idee: Die neue Zürcher «Aida»
Aida, die Aufmä
rsche und das Pianissimo
«Aida» im französischen Plüschdekor
Sandkastenspiele in Ägypten
    

Vox spectatricis

29. 5. 2006 / Chantal Steiner

Rückfall in die Entstehungsgeschichte

Wenn es an der Premiere „Aida“ einen Preis für lautes Singen und lautes Musizieren gegeben hätte, wären alle Protagonisten und das Orchester damit ausgezeichnet worden.

Schade, denn eigentlich bietet Aida weit mehr als nur Stentorhaftes. Sicher, es gibt Massenszenen, es gibt heldische Passagen, aber es gibt auch sehr viel Lyrisches und Intimes. Diese beiden Facetten wurden allerdings in der neuen Produktion gänzlich ausser Acht gelassen.

Es war schon beachtlich, mit welcher Verve und Kraft gesungen wurde - aber mir reichte dies bei weitem nicht aus, um mich zu begeistern. Der „Startenor“ Salvatore Licitra verkörperte einen Radames der „alten Schule“, breitbeinig stehend, mit den Händen fuchtelnd und (pardon): mehr brüllend als singend. Er besitzt zwar eine gut geführte Stimme und hat weder in der Höhe noch in der Tiefe Probleme; allerdings ist die Stimme eher monochrom und von Differenziertheit ist sie meilenweit entfernt. Einige Töne klangen gequetscht und ein lang gehaltener Spitzenton endete meist tiefer oder höher als begonnen. Die Leistung war an und für sich in Ordnung; doch irgendwelche Gefühle konnte mir der Sänger nicht vermitteln.

Nina Stemmes Aida war auch eher dramatisch angelegt. Leider musste sie sich - wie alle anderen auch - gegen das fast übermächtige Orchester behaupten, so dass sie mehr Kraft aufwenden musste als normal. Dadurch wurde ein ziemliches Vibrato hörbar, das sie als Marschallin z.B. noch nicht hatte. Sie hat eine grosse Ausstrahlung und die Stimme sitzt gut, sie weiss sie gescheit einzusetzen. Doch auch hier fehlte es mir an Innigkeit und Wärme.

Luciana d’Intinos Bruststimme ist gewaltig und eindrucksvoll, doch „röhrt“ sie mir in dieser Rolle zu undifferenziert und zu brachial. Amneris ist sicher eine herrschsüchtige, starke Frau - aber auch sie ist eine liebende Person, die feinfühlig sein kann. Dies kam in der Stimme von Frau d’Intino leider nicht zum Ausdruck.

Gewohnt souverän sang Matti Salminen den Ramphis, auch wenn man bisweilen das Gefühl bekam, dass er sich in seinen Kleidern / der Regie absolut nicht wohl fühlte.

Juan Pons’ (Amonasro) Stimme mag vielleicht etwas abgesungen sein, er vermochte jedoch als einziger stimmlich Gefühle zu produzieren, selbst wenn auch er zu laut singen musste.

Dies war in erster Linie auf das Dirigat von Adam Fischer zurückzuführen. Was den Mann bewog, „Aida“ so undifferenziert und ohrenbetäubend aufzuführen, bleibt wohl sein Geheimnis. Vor allem ist dies nicht nachzuvollziehen, wenn im Opernhausmagazin steht:
„... es wird insgesamt eine „leise“ Aida werden, was freilich nicht einen tiefen Lautstärkenpegel meint - das kleinförmige, zaghafte Aufblühen all dieser vielfarbigen Gefühlswelten wird zu pflegen, eine Art Kultur des Flüsterns zu öffnen sein.“ (!?!?). Nach der „Turandot“ nun also wieder ein Werk, das einen Tinnitus verursachen kann - in Zukunft nehme ich vorsichtshalber Oropax mit...

Nun zur Regie (Nicolas Joel, in Zürich bekannt durch seine „La forza del destino“-Produktion - man hätte also gewarnt sein können...): Waren Sie auch schon mal in einer Oper und haben nach 15 Minuten gedacht, Sie sässen bereits eine Stunde drin? So ist es mir gestern ergangen. Der Regisseur hat die Handlung aus „ästhetischen Gründen“ (so das Magazin) in die Entstehungszeit, also 1871, verlegt. Wozu das gut sein soll, ist wohl keinem wirklich aufgegangen - ganz abgesehen davon, dass hinter einer zeitlichen Transponierung einer Opernhandlung doch so etwas Ähnliches wie konzeptionelle Überlegungen und nicht nur der persönliche Geschmack eines Regisseurs stehen sollte... Das Bühnenbild (Ezio Frigerio) verschaffte einem den Eindruck, in einer Halle der Pariser Weltausstellung zu sein (was schon die Entstehungszeit nicht ganz trifft). Die Kostüme (Franca Squarciapino) mögen aus der Zeit stammen; ob sie dadurch aber nun viel ästhetischer wirkten als zur Zeit der Pharaonen??? Die Männer trugen Fes und Operettenuniformen. Es geisterten Howard-Carter-Gestalten herum mit obligatem Tropenhelm, die vor der Schwertübergabe an Radames eine Götterfigur „ausgruben“ und bewunderten; beim Triumphmarsch wurde dann wacker mit Union-Jack-Fähnchen gewedelt (2 französische Fähnchen waren allerdings auch dabei - hatte sich da die Requisite vertan oder wollte der Regisseur uns damit etwas Bestimmtes sagen?). Die Damen änderten ihre Kostüme bei jedem Auftritt - der „Kassensturz“ hätte seine helle Freude an dieser ausgesprochen produktiven Verwendung der von ihnen monierten Subventionen für das Opernhaus gehabt...

Die Nilszene fand unter einem mit Sphinx und Pyramiden - ja, wir sind in Ägypten -geschmückten gläsernen Tiffany-Hotelvordach statt (da versteht man schon, dass das Treibhausklima einem die äthiopischen Temperaturen schmackhaft macht!). Interessant war auch, dass die Protagonisten offensichtlich Augen am Hinterkopf hatten - denn sie erkannten beim Singen zum Publikum immer, was gerade hinter ihnen passierte. Und das Grab von Radames und Aida war bautechnisch so ausgefeilt - wieder eine Pyramide, allerdings vorne NICHT geschlossen, auch wenn Radames singt „La fatal pietra sopra me si chiuse“ -, dass man nicht verstehen konnte, warum die beiden nicht einfach nach vorne in die Freiheit gingen, anstatt sich nach hinten zu begeben und zu warten, bis sich nach ihrem letzten Ton eine Steinplatte vor ihnen nach unten senkt. Kurz und gut: Für mich war die ganze „Inszenierung“ ärgerlich und höchstens als Parodie ernst zu nehmen. Die Personenführung war inexistent (von einer aussagekräftigen Behandlung des Chors - der sich gesanglich allerdings hervorragend aus der Affäre zog - in den Massenszenen ganz zu schweigen), so dass lediglich gepflegtes Rampensingen präsentiert wurde.

Sie merken selbst: Ich bin ziemlich frustriert aus der Ausführung gegangen. Meine Ohren schmerzten und neue Erkenntnisse über das Stück habe ich keine gewonnen, oder vielleicht nur diese: Wie lange haben wir jetzt schon keine stringente Verdi-Premiere mehr erlebt? Zu lange... So dachten offensichtlich auch die Zuschauer. Die Sänger wurden freundlich beklatscht, dem Regisseur wurden einige heftige Buhs verpasst (die - erstaunlich für Zürich - keine Gegenreaktion mit „Bravo“ hervorriefen).

top

   

Aargauer Zeitung

30. 5. 2006 / Christian Berzins

Am Werk vorbei ins Nichts

Giuseppe Verdis «Aïda» enttäuscht in der Regie wie im Dirigat. Die Erwartungen ans teure Sängeraufgebot erfüllt nur Luciana D’Intino.

«Vergogna!» («Schande!»), rief die Dame mit dem Spitzentaschentuch in Reihe 2 nach einem Abend des Kopfschüttelns. Zu Recht, denn Zürichs neue «Aïda» ist harmlos wie eine Blindschleiche und so schlecht beziehungsweise uninszeniert, dass jeder Sängerstar in Zukunft ohne eine Probeminute einspringen kann. Singen kann man auch, wie einem der Schnabel gewachsen ist, ist doch Adam Fischer nicht mehr als ein Platzhalter am Dirigentenpult. Oder hat man ihm zu wenig Probentage gegeben? Jedenfalls erreicht Fischer weder Geschmeidigkeit im Lyrischen noch Klarheit in den grossen Tableaus. Eine Verbindung von Orchester und Sängern, eine Linearität im Ausdruck, bleibt Wunschdenken.

Das Hauptärgernis ist die Regie eines gewissen Nicolas Joel. Sein vermeintlich kühner Griff ist es, das Geschehen aus dem alten Ägypten in die Zeit der Entstehung der Oper, in die Ära Napoleons III., in den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland im Jahr 1870, zu versetzen - optisch jedenfalls: Die Ägypter spielen die Franzosen, die Äthiopier die Deutschen. Joel will damit zeigen, dass das Geschehen zeitlos ist. Mit Verlaub: Selbst wenn in Verona Pyramiden und Elefanten auf der Bühne standen, hatten wir schon einmal den Verdacht, dass die «Aïda»-Thematik (Liebe, Eifersucht und Ruhmeswunsch) zeitlos sein könnte. In Zürich tappen die Protagonisten in einen schicken Salon (Bühne Ezio Frigerio), singen sich an und gehen wieder ab. Wenn nicht mehr gesungen wird, ist die Oper aus.

Da nun Aïda offenbar eine deutsche Sklavin ist, hat man konsequenterweise eine im deutschen Fach bewährte Sängerin dafür ausgewählt. Nina Stemme gibt ihr Aïda-Debüt - und scheitert. Klug singt sie zwar, formt überaus edel, schwingt sich spielend unter einem achttaktigen Bogen von einem Piano ins Forte und wieder zurück. Aber jede Regung ist berechenbar. Die «Parola Scenica», diese so wichtigen halb gesprochenen, halb gesungenen Passagen, verliert ihre Kraft, ist ohne Effekt. Kommt hinzu, dass Stemmes Sopran die Geschmeidigkeit fehlt. Im Schlussduett mit Radamès (Salvatore Licitra) zeigt sich das eklatant, wenn der Tenor nektarsüsse Legati singt, Stemme hingegen knochentrockene Phrasen formt.

Aïdas Gegenspielerin Amneris zeigt noch viel besser, wie anders italienische Oper klingen muss: Bei Luciana D’Intino lebt jede Silbe. Ist sie zornig, schleudert sie ihre Töne ins Opernrund; schmeichelt sie, vergiesst sie Honig. Jeder Blick, jede Geste ist kraftvoll. Auch Licitra könnte stimmlich genauso viel, doch müsste ihm ein Dirigent den Weg deuten: Vor fünf Jahren, als er Riccardo Muti - und Muti ihm - durchs Verdi-Jahr 2001 verhalf, war er bestens aufgehoben. Jetzt meint er, es genüge, mit seiner schönen Stimme zu bluffen und mal etwas lauter, mal etwas leiser zu singen. Das ist Wunschkonzert, aber nicht Verdi. Von der einst so schönen Baritonstimme des Juan Pons (Amonasro) ist nicht mehr viel übrig, Veteran Matti Salminen (Ramfis) kann immerhin noch gut Italienisch.

Erst neun Jahre ist es her, da gab es von einer neuen, ebenfalls gescheiterten Zürcher «Aïda» zu berichten. Allerdings zeigte das damalige Leitungsteam Nikolaus Harnoncourt/Johannes Schaaf eine radikale «Aïda». Da Intendant Alexander Pereira nun schon fünfzehn Jahre am Haus ist und, die Sponsoren befriedigend, Neuproduktion an Neuproduktion reiht, muss er sich öfters wiederholen, zeigt dabei aber immer weniger Mut und geht kein künstlerisches Risiko mehr ein. Das ist eine Bankrotterklärung für die Opernkunst.

top

   

Der Landbote

30. 5. 2006 / Herbert Büttiker

Aida im Reich der Tiffanys

Eindrückliche Stimme, kompaktes Musizieren und eine Inszenierung, die den schönen Bilderbogen abseits der alt ägyptischen Formeln sucht, aber nicht mehr: Die neue «Aida» im Opernhaus Zürich lässt szenisch Wünsche offen.

«Aida» ist immer auch eine Verführung zum Dekorativen. Die Faszination des alten Ägypten gehörte zwar wesentlich zur Inspiration dieser Oper, betraf aber nicht den dramatischen Kern. Dieser hat viel mehr mit Verdis Sicht auf die Gegenwart und mit unmittelbaren Zeiterfahrungen zu tun, mit dem Deutsch-Französischen Krieg, dem Erstarken des deutschen Militarismus etwa. Von daher gesehen ist die monumentale Präsenz der Staatsmacht in der «Aida», sind kultische Rituale und Siegesparaden, die sich der Breitleinwand-Inszenierung anbieten, wiederum viel mehr als blosse Dekoration.

Im Opernhaus Zürich haben Nicolas Joel (Regie), Ezio Frigerio (Bühnenbild) und Franca Squarciapino (Kostüme) «Aida» aus dem alten ins Ägypten um 1870 verlegt und damit in die Entstehungszeit der Oper: Damenkostüme der Belle Epoque, die Eisen- und Glasarchitektur der Gründerzeit, ein Kriegsschiff mit schwerem Geschütz, bunte Uniformen des kolonialen Militärs, der Union Jack im Orient, das Tiffany-Glasdach und hinter dem Pavillon der Palmenhain und das Blau des ägyptischen Nachthimmels. Das alles ist schön gemacht und im Ansatz richtig, treffend als das gemischte Kolorit des Imperialen und Exotischen der Verdi-Zeit. Und da die Tempel- zur Museumsszene mutiert, ist mit dem kolossalen archäologischen Fundstück wenigstens als Zitat auch das Pharaonenreich mit im Spiel.

Hang zum Dekorativen
Nichts fehlt somit, um «Aida» als eine Oper über Verdis aktuellen Konfliktstoff zu entfalten, aber dann geschieht auf der Bühne nichts, was den realistischen Anspruch einlöst, und alles bleibt Ausstattung: Aida findet auf der Flucht ein wunderschönes Kostüm und das Grab, in dem sie mit Radames stirbt, ist eine schwarze Pyramide, die im Museum steht, aber wohl eher ein Designer- als ein antikes Fundstück ist. Kurz: Der Hang zum Dekorativen erhält Oberhand, und die neoägyptische Ausstattung erscheint einfach als die falsche.

Statt einer neuen Sicht stellt sich der Eindruck ein, die konventionelle Ausstattung hätte der Klärung des Geschehens besser gedient. Denn da zeigen sich jetzt Verlegenheiten (das Zeremoniell der Weiheszene, die Tänze), Protagonisten fallen ins Altägyptische zurück (der Kniefall der Sklavin Aida) oder spielen unpassend monumental. Amneris fuchtelt mit einem Fächer, was der Glaubwürdigkeit der mit imponierendem Furioso, aber auch etlichen Drückern agierenden Luciana D'Intino in den beiden ersten Akten schadet. Vielleicht würde auch Radames an Ausstrahlung gewinnen, wenn er sich in hieratischem Prunk statt im Outfit der Operettenpolitik bewegen würde. Denn Salvatore Licitra, der im Legato vielleicht nicht mit sehr viel Fundament aufwartet, besitzt genügend Schmelz und in starken Momenten (Finale 3. Akt) die Strahlkraft, für die Partie dieses unglücklichen Helden.

Darstellerisch allerdings lockt die Regie den ein wenig ungelenken Tenor kaum aus der Reserve, ebenso wenig Matti Salminen als Oberpriester und Günther Groissböck als König, beide harmlose Staatsmänner mit Fes und grossen Stimmen, deren Macht und Herrscherwillen nicht über die Grösse der Kopfbedeckung hinauszugehen scheint.

Alles geklärt
Bis in alle Fasern die Figur, in der Einheit von Spiel und Gesang, Emotion und Musik, sticht die Schwedin Nina Stemme im Ensemble heraus. Die Inszenierung zeigt diese Aida schon zum Vorspiel allein auf der Bühne, und die Sängerin gibt dann mit jedem Ton ihrer Verlorenheit, aber auch Klarheit in sich selbst beredten Ausdruck, nicht nur in den beiden Arien, die sie gesanglich auch in den heikelsten Momenten (der Aufstieg zum c in der Soloszene im Nil-Akt) wunderbar meistert, sondern auch dramatisch dezidiert in den Duetten. Im Ton und als Figur richtig: Das gilt auch für Amonasro. Mit angerautem, aber griffig akzentuierendem Bariton gestaltet Juan Pons packend diese Kämpfer- und Vaterfigur. Wo Vater und Tochter aufeinander treffen im dritten Akt erhält die Aufführung denn auch ihren wuchtigsten dramatischen Schub.

Irritation
Wach, beweglich, nuancenreich in Tempo und Dynamik: das Orchester der Oper unter der Leitung von Adam Fischer ist mit auf der Höhe der szenischen Aktion. Der straffe Zug, der diese «Aida» in Spannung hält, geht nicht auf Kosten des Lyrischen, eher ist es – das mag auch eine Frage der Sitzplatz-Akustik sein – durch hochgetriebene Dynamik gefährdet. Die Chöre behaupten sich aber mit sattem Klang, während die Bühnenmusik manchmal durchaus präsenter wirken könnte. Insgesamt aber zeigt das Opernhaus ein musikalisches Niveau, zu dem sich das Publikum, wie der Applaus am Ende zeigte, eine szenisch profiliertere Auseinandersetzung wünschte.

top

     

Neue Luzerner Zeitung

30. 5. 2006 / Fritz Schaub

Dekorativ, aber ein wenig altmodisch

Nach dem Musical von Elton John nun das Original: die Oper «Aida» von Giuseppe Verdi, vom Zürcher Opernhaus brav in Szene gesetzt.

Die Geschichte der nubischen Prinzessin Aida und ihrer tragischen Liebe zu Radames ist allgemein bekannt. Kürzlich konnte man sie, etwas abgewandelt und zeitgemäss als Show aufgepeppt, in Basel beim Broadway-Gastspiel des Elton-John-Musicals erleben. Unzählige Opernliebhaber haben die meistgespielte Verdi-Oper in aufwändigen Massenspektakeln in Verona oder auf anderen Freilichtbühnen gesehen. Denn «Aida» eignet sich wie kaum eine andere Oper für spektakuläre Massenauftritte. Als Reaktion darauf haben etablierte Bühnen in der letzten Zeit eher versucht, das Intime und Kammermusikalische der Oper in den Vordergrund zu rücken, in Zürich zuletzt in der Saison 1996/97 unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, allerdings mit mässigem Erfolg.

Mächtige Fonstärken
Würden es Nicolas Joel (Inszenierung), Ezio Frigerio (Bühnenbild), Franca Squarciapino (Kostüme) besser machen? Dass auch sie dem fatal an faschistische Aufmärsche erinnernden Massenauftritt misstrauen, zeigt exemplarisch der von ihnen inszenierte Triumphmarsch, vom gelegentlich überbordenden musikalischen Leiter Adam Fischer freilich umso heftiger auf mächtige Fonstärken getrieben: Der König (Günter Groissböck), Ramfis (Matti Salminen) und der siegreiche Feldherr Radames (Salvatore Licitra, kraftvoll, aber zu grobkörnig) entsteigen unspektakulär dem Bug eines gepanzerten Kriegsschiffs, die Gefangenen in ihrem Schlepptau. Da die Handlung vom antiken Ägypten in die Zeit der Entstehung der Oper um 1870 verlegt wurde, sind die Protagonisten in der Mode der militärischen und gesellschaftlichen Oberschicht des späten 19. Jahrhunderts gekleidet. Die Szene wirkt so dekorativ wie die vorher in fahrbare Käfige gezwängten Tänzerinnen, die eine munter-konventionelle Balletteinlage bieten. Oder Aida: Nach der Flucht kehrt sie in einem blütenweissen Gewand zu Radames zurück, um gemeinsam mit ihm zu sterben.

Auf diese Aida freilich konzentrierte sich insofern das Interesse, als Nina Stemme, die gefeierte Isolde der letztjährigen Bayreuther Festspiele, in der Titelrolle debütierte. Das grosse stimmliche Kaliber kommt der Schwedin bei den dramatischen Attacken, etwa im Duett mit ihrem Vater Amonasro (mit fülligem Bariton: Juan Pons), zustatten; dabei bleibt ihr jugendlich-frischer Sopran immer flexibel, phrasiert auch die Lyrismen mit kontrolliertem Vibrato und feiner Piano-Kultur. Allerdings heimste ihre routinierte Gegenspielerin Amneris, die souverän ihre Register ziehende Italienerin Luciana d'Intino, nicht zu Unrecht den stärksten Applaus ein. Einige Buhs setzte es dagegen für das Leitungsteam ab.

top

   

Neue Zürcher Zeitung

30. 5. 2006 / Marianne Zelger-Vogt

Glaspalast und Palmenhain

Giuseppe Verdis «Aida» im Zürcher Opernhaus

Schön sind diese Bilder anzusehen: eine Halle in einem Glaspalast, dahinter eine Palmenallee, Offiziere in eleganten Uniformen und Würdenträger in orientalischer Tracht, die Damen des Hofstaats in üppigen Krinolinen - Belle Epoque in Reinkultur. Wie bei ihrer letzten Zürcher Inszenierung, «La Forza del Destino», haben sich Nicolas Joel (Regie), Ezio Frigerio (Bühne) und Franca Squarciapino (Kostüme) auf die Devise «Entstehungszeit» festgelegt. So wird Giuseppe Verdis «Aida» aus dem alten Ägypten ins mittlere 19. Jahrhundert transferiert. Der ästhetische Gewinn ist eklatant: delikate Farben, fliessende Linien, stimmungsvolles Licht, vor allem aber Weite. Schade nur, dass monumentale Ausstattungsstücke die Bühne dann doch immer wieder überfüllt erscheinen lassen, im ersten Akt das Vogelmosaik, vor dem der Gott Phtha angebetet wird, im zweiten der Bug des Kanonenbootes, das den siegreichen Feldherrn Radamès zurückbringt, am Schluss die schwarze Marmorpyramide, in der Radamès und Aida eingemauert werden.

Dekoration statt Psychologie
Auch die Durchmischung der zwei Kriegsparteien - hier die triumphierenden Ägypter, dort die erniedrigten Äthiopier - mit britischen und französischen Kolonialherren und promenierenden Paaren, die das Geschehen als Zuschauer verfolgen, hat ihren optischen Reiz. Doch mit dem Inhalt der Oper hat sie wenig bis nichts zu tun. Umso mehr sagt sie aus über den Stil von Joels Inszenierung. Da geht es wie in längst vergangen geglaubten «Aida»-Zeiten, nur unter veränderten stilistischen Vorzeichen, um Ausstattungstheater und dekorativ gestellte oder getanzte Gruppenbilder (Choreographie: Stefano Giannetti), nicht um Psychologie, um komplexe zwischenmenschliche Beziehungen und um Machtstrukturen.

Bezeichnend schon die erste Szene von Radamès. Salvatore Licitra trägt die gefürchtete Auftrittsarie «Celeste Aida» mit bemerkenswerter Lockerheit, leichtem Ansatz und einem Höhenglanz vor, der im Verlauf der Aufführung dann etwas verblasst. Wie schizophren jedoch sein Plan ist, die Äthiopier zu besiegen und dann Aida, die gefangen gehaltene äthiopische Königstochter, zu gewinnen, davon vermittelt seine schablonenhaft plumpe Darstellung nicht einmal eine Ahnung. Auch Amneris, die stolze, machtbewusste Tochter des schwachen ägyptischen Königs (Günther Groissböck), wird als Charakter nicht ausgeformt. Luciana D'Intinos Mezzosopran verfügt zwar zwischen der dunklen Tiefe, der wohlklingenden Mittellage und der oft forcierten Höhe über manche Facetten, aber sie werden zu unkontrolliert eingesetzt, zeichnen nicht die innere Entwicklung der Figur nach. Der besiegte äthiopische König Amonasro, der seine Tochter Aida mit psychischem Terror dazu bringt, von Radamès den Kriegsplan der Ägypter zu erfragen, setzt hier, in Gestalt von Juan Pons, zu sehr nur auf körperliche und (wenig differenzierte) stimmliche Kraft. Und wie viel mehr liesse sich - gerade mit Matti Salminen - aus dem Oberpriester Ramfis machen, wenn er nicht bloss Träger eines imposanten Basses wäre, sondern die Ideologie der Gewalt verkörperte.

Die Titelfigur als Zentrum
Aida ist zwar eine der anspruchsvollsten Sopranpartien des Verdi-Repertoires, aber in Joels Inszenierung hat sie es leichter als die übrigen Figuren, weil sie passiver ist, in sich ruht trotz der Zerrissenheit zwischen Liebe und Vaterlandstreue, vor allem aber, weil Nina Stemme über eine natürliche Ausstrahlung verfügt, die sich auch ohne Personenregie behauptet. Zart und ohne Druck setzt sie die Töne an, um in der Höhe strahlenden Glanz zu gewinnen, selbst im Forte verliert ihr Sopran seinen charakteristischen warmen Klang nicht. In der Nil-Arie allerdings scheint ihr Vibrato nicht mehr nur seelische Erregtheit, sondern auch die Anspannung eines grossen Rollendébuts anzuzeigen.

Nina Stemmes Aida wird aber auch deshalb zum Zentrum der Aufführung, weil ihr Gesangsstil der Werkauffassung des Dirigenten Adam Fischer am nächsten kommt. Nicht von der bombastischen, in der Triumph-Szene kulminierenden Seite her geht er Verdis Oper an, sondern von der intimen, lyrischen. Das korrespondiert zwar - auch rhythmisch - nicht immer mit den Solisten und dem Chor, bringt aber die klanglichen Qualitäten des Orchesters schön zur Geltung. Nur fehlt es Fischer in der Detailgestaltung immer wieder an Durchsetzungskraft, so dass sein Interpretationsansatz sich nicht konsequent genug entwickeln kann. Aber vielleicht wächst die Aufführung noch zusammen. Anders als die von Nikolaus Harnoncourt und Johannes Schaaf verantwortete letzte Zürcher «Aida» von 1997 dürfte diese Neuproduktion jedenfalls mehr als bloss sieben Aufführungen erleben.

top

    

St. Galler Tagblatt

30. 5. 2005 / Tobias Gerosa

Ohne Idee: Die neue Zürcher «Aida»

Nicolas Joël inszeniert «Aida» am Opernhaus Zürich plan- und ideenlos. So produziert man das Ärgernis der Saison – trotz guter Besetzung.

Wer eine Oper inszeniert, müsse sich überlegen, was er damit erzählen wolle: So hiess es schon letzten Oktober an dieser Stelle beim Bericht über Nicolas Joëls «Forza del destino»-Regie am Opernhaus Zürich. Jetzt war für «Aida» derselbe Regisseur am Werk, und man ist konsterniert: Kein Anflug von Deutungs- oder nur Verdeutlichungswille dringt über die Rampe. Auf der Strecke bleibt alles, was den genialen Musikdramatiker Verdi ausmacht.

Kolonialfolklore
Zwei Beispiele: Da besingt ein grosses Ensemble mit Chor den bevorstehenden Krieg: «Guerra, guerra – morte allo stranier» (Tod dem Fremden). Im Opernhaus singt ihn ein putziges Heer von Kolonialisten in Roben und Uniformen fähnchenschwingend affirmativ in den Saal. Dass Verdi diese Stelle wie auch den Triumphmarsch, mit doppeltem Boden komponiert hat, interessiert die Inszenierung nicht: Hauptsache das Tableau steht.

Ähnlich unbedarft geht die Regie mit dem Ballett um, das in die ägyptische Siegesfeier eingebaut ist. Zerlumpte Gestalten bieten ironiefrei ein pittoresk exotisches, klassisches Ballett. Mehr Gedankenlosigkeit, in welcher Situation sich die Handlung befindet, ist kaum denkbar – gerne erinnert man sich da an Philipp Eglis perfekt in die Handlung integrierte Choreografie der letzten, neun Jahre zurückliegenden Zürcher Inszenierung zurück.

Dass auch die Verlegung der Handlung aus dem Altertum in die Entstehungszeit um 1870 nicht einleuchtet, wird darob zur Nebensache. Immerhin gibt es im intimeren dritten und vierten Akt keine solchen Massen-Peinlichkeiten mehr, dafür fällt die Abwesenheit jeder Personenführung umso stärker auf.

Schwedische Entdeckung
Aus dem Graben kommt wenig Unterstützung. Unter Adam Fischer spielt das Orchester oft laut und hart. Die Piani, um die sich Fischer durchaus bemüht, wirken wie isolierte Inseln. Zum existenziellen Musikdrama wird diese «Aida» in keinem Moment, trotz beachtlicher Besetzung. Aber Salvatore Licitra verlässt sich als Radamès zu sehr auf sein Stimmmaterial und verzichtet auf weitere Gestaltung. Immerhin haben die souveränen Matti Salminen (Ramfis), Juan Pons (Amonasro) und Luciana D'Intino (Amneris) ihre Rollen so oft gesungen, dass sie selber wissen, wie sie die bestmögliche Wirkung erzielen.

Bleibt ein starker Lichtblick: Nina Stemme, die Zürcher Marschallin und Bayreuther Isolde, singt zum ersten Mal Aida. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie feinste Bögen zu gestalten weiss und trotzdem jederzeit mühelos über die nötige kontrollierte Dramatik verfügt. Wie würde ihre Aida erst in einem günstigeren Kontext wirken?

top

    

Tages-Anzeiger

30. 5. 2006 / Thomas Meyer

Aida, die Aufmärsche und das Pianissimo

Schaustück und Psychodrama: Giuseppe Verdis «Aida» ist beides - und gerade darum heikel, wie die Neuinszenierung am Zürcher Opernhaus zeigt.

Es gibt Kenner, die «Aida» als Pianissimo-Oper bezeichnen. Bei vielen Liebhabern aber erfreut sich die Verdi-Oper wegen der effektvollen Massenauftritte grosser Wertschätzung, gerade bei den weitläufigen Arena- oder Hallenstadion-Aufführungen. Tatsächlich spielt beides hinein. Giuseppe Verdi schuf das Werk aus Anlass der Eröffnung des Suezkanals. 1871 fand die Uraufführung in Kairo statt, aber er wollte keineswegs nur ein offizielles Prunkstück schaffen, sondern auch ein Psychodrama.

Umso gewaltiger ist darin die Fallhöhe vom Prunk der öffentlichen Auftritte zum tragischen Schicksal der einzelnen Personen. Diese sind in der Politik gefangen: der ägyptische Feldherr Radames, der die Sklavin Aida aus dem Feindesland liebt; Aida, die ihres Vaters wegen den Geliebten zum Verrat treibt; die Pharaonentochter Amneris, die Radames liebt und aus Eifersucht intrigiert. Es sind innere Konflikte, die diese Menschen bewegen; das Hofgepränge zwingt sie in einen statischen Rahmen.

Tourismusboom erhofft
Das Werk zerfällt so in zwei Teile, und während das Offizielle in den ersten beiden Akten fast erdrückend präsent ist, tritt es in den kürzeren Akten 3 und 4 zurück, gerade auch in dieser neuen Zürcher Inszenierung. Mit Paraden und Balletteinlagen bedient Verdi im ersten Teil das Auge. Es hat meist etwas Grausliges, wenn altägyptische Soldaten da in preussischer Manier defilieren. In Zürich fällt das glücklicherweise weg, denn Regisseur Nicolas Joel verlegt die Handlung in die Entstehungszeit der Oper. Wir befinden uns in einem hohen Palais, von dem aus der Blick auf einen Garten geht (Bühnenbild: Ezio Frigerio). Die Kostüme (Franca Squarciapino) deuten auf das Osmanische Reich hin, freilich tauchen auch westliche Kolonialmächte mit Touristen auf - gleichsam eine Hommage an den Tourismusboom, den sich Ägypten damals schon von einer Oper erwartete.

Die Genrebilder - bis hin zum Salon der Amneris - sind schön ausgestaltet. Das habe, mag man einwenden, doch reichlich wenig mit einer Handlung zu tun, die im pharaonischen Ägypten spielt; um so besser trifft es sich mit der Musik Verdis, den aufblasbaren Märschen, der locker exotischen Ballettmusik.

Diese Aufmärsche werden im Opernhaus nicht allzu aufdringlich choreografiert, auch die Ballette, würden sie noch sicherer dargeboten, könnten gefallen. Scheusslich pittoresk ist nur die Gruppe äthiopischer Gefangener, die sich um eine Jesusgestalt schart: kitschige Armseligkeit. Und wenn diese Crew auf dem Höhepunkt des Fortissimo nochmals im Takt in den Vordergrund latscht, wirkt die Personenführung hochpeinlich. Das ist sie sonst über weite Strecken eben nicht. Gerade die ersten Szenen überzeugen dank einfühlsamer Gestik.

Ist das Zürcher Opernhaus zu klein?
So entstehen grosse Tableaus, die nicht einfach nur pompös wirken und die vor allem durch den von Ernst Raffelsberger einstudierten, kraftvollen Chor an Eindringlichkeit gewinnen. Dem müsste nun auf der anderen Seite eine Innigkeit der Empfindung entsprechen: Und da gerade bleibt diese Aufführung stecken, denn nun geht es ums Feine, um Pianissimo.

Dirigent Adam Fischer versteht es zwar, die Musik effektvoll anzutreiben, er kann sie zuweilen auch absacken lassen, und manchmal gelingen ihm farbige Stimmungen, aber ihren Nerv trifft er mit dem Opernhausorchester schliesslich doch nicht. Das Erregende darin tritt nur momentweise zu Tage. Und das überträgt sich aufs Vokalensemble. Dieses ist zwar insgesamt - gerade auch in den Nebenrollen wie Matti Salminen als Ramfis, Günther Groissböck als König, Juan Pons als Amonasro - ein sicherer Wert, aber es dringt kaum über Grenzen hinaus.

Luciana D'Intino als Amneris - ihre Rolle ist freilich auch die dankbarste - vermag die Extreme der Partie am ehesten charaktervoll zu artikulieren, zwischen Eifersucht und Verzweiflung, zwischen Ausbrüchen, kurzen, heftigen Seitenhieben und leisen Nebentönen.

Unbeweglich wirkt daneben der Radames von Salvatore Licitra. Er wird als Mensch gezeigt, der vor jedem Problem kehrtmachen möchte, als ein schwacher Held, ein Zauderer, dem man ständig einen Schupf geben möchte, Aber diese an sich überzeugende Personenführung bringt ihn stimmlich in einen Zwiespalt. So schön und sicher sein Tenor in der Höhe klingt, die Linien dorthin - etwa im «Celeste Aida» - fliessen nicht immer, und vor allem droht er seine Partnerin zu übertönen.

Diese Partnerin - Nina Stemme (wir kennen sie in Zürich zum Beispiel als Marschallin aus dem «Rosenkavalier» als subtile Darstellerin) - bleibt bei all ihrer Stimmgewalt und ihrer souveränen Linienführung doch eine erstaunlich blasse Aida. Ihr geht letztlich die Innigkeit ab, die diese Figur entwickeln sollte, jene Verhaltenheit, aus der die Gefühle hervorbrechen. Ihre Darstellung gelangt allzu bald an eine Grenze.

Oder ist das Zürcher Opernhaus schlicht zu klein für so grosse Stimmen? Gerade in der Schlussszene, einem eigentlichen Liebestod, fern von aller Schaustellung, vermisst man so die Feinheiten. Denn Pianissimo notiert Verdi über dieses Duett von Aida und Radames, in das sich noch die Stimme der Amneris fein einmischt. «Sempre dolcissimo» heisst es zu den letzten Tönen der Aida in der Höhe; im vierfachen Piano sollte das Orchester enden. Zu solch sublimer Darstellung gelangt die Zürcher Aufführung nicht; sie bleibt im Offiziellen hängen.

top

    

Zürcher Oberländer

30. 5. 2006 / Sibylle Ehrismann

«Aida» im französischen Plüschdekor

Die «Aida», nicht im Hallenstadion oder in der Arena von Verona, sondern im intimen Opernhaus Zürich ist voll musikalischer Konzentration und stimmlicher Finessen bis in kleinste Nuancen.

Adam Fischer kostet in der Neuproduktion des Opernhauses Zürich die Vorteile einer «geschlossenen Aufführung» mit eher schlankem Ton und vielschichtiger Transparenz im Orchesterklang voll aus. Bei den Sängerstars war man neben der Begegnung mit Salvatore Licitra als Radamès und Luciana D'Intino in der Rolle der Amneris vor allem auf das Rollendebut von Nina Stemme als Aida gespannt.

Adels-Plüsch und Hieroglyphen
Leider gelingt es Regisseur Nicolas Joel in dieser «intimen» Neuproduktion nicht, Verdis Figuren aufleben zu lassen. Joel löst die Geschichte aus der ägyptischen Antike und setzt sie in der Entstehungszeit der Oper an: Es herrscht der deutsch-französische Krieg, es ist die Zeit von Napoleon III. Und so mischen sich vor allem in den Kostümen von Franca Squarciapino französischer Adels-Plüsch mit ägyptischer Hochkultur, es werden britische Fähnchen geschwungen und die Äthiopier sind in Lumpen gekleidete, halb nackte «Barbaren».

Die Bühne repräsentiert dazu Pariser Grossräumigkeit und Jugendstil-Sujets, und einzelne Ausgrabungs-Requisiten lassen die versunkene Hochkultur nur erahnen. Die Pyramide, in welche das Liebespaar lebendig eingeschlossen wird, das passt dann einfach nicht mehr ins 19. Jahrhundert.

Damit verliert die «Aida» nicht nur eine grundlegende Archaik, die mit den Pharaonen und der Antike überhaupt verbunden wird. Dieses Ausstattungsgemisch lenkt auch vom an sich einfachen Geschehen ab. Die einzelnen Figuren werden darin dann sehr allein gelassen: sie verlieren sich in dem grossen leeren Raum, stehen verloren herum, knien hin und wieder.

Blutleere Szenenbilder
So wird es auch schwierig, die Spannkraft in den emotional aufgeladenen Begegnungen der Figuren aufzubauen, zwischen den Kontrahentinnen Amneris und Aida, aber auch zwischen Radamès und den beiden Frauen. Die einzelnen Bilder wirken sehr statisch, altmodisch und blutleer.

Zum Beispiel die Verführungsszene, in welcher Aida Radamès zur gemeinsamen Flucht überredet und ihm schliesslich das Kriegsgeheimnis entlockt. Verdi lädt hier die Musik mit einer Erotik auf, die ihresgleichen sucht. Doch die Figuren, die beide am Boden sitzen und liegen, sie wirken eigenartig fade. Es mag an dieser konzeptlosen Personenführung liegen, dass Nina Stemme in ihrem «Aida»-Debüt trotz stimmlicher Grösse und eindrücklicher Ausdrucksdifferenzierung nicht die angemessene Ausstrahlung gewinnt. Ihre Aida ist ganz auf die Stimme konzentriert, sie weiss zwischen Lyrik und dramatischer Schärfe viele Zwischenwerte auszuloten, doch ihre Bühnenpräsenz lässt zu wünschen übrig.

Der Höhepunkt des Abends
Anders bei der Amneris der Mezzo-Sopranistin Luciana D'Intino. Sie steigert sich trotz französischer Pomp-Robe im Laufe des Abends von der schlangenhaften Eifersucht in eine grossartige Selbst-Einsicht. Ihr Duett mit Radamès, in welchem sie ihm Rettung verspricht, wenn er von Aida ablässt, das war im Hin und Her der Gefühle ein Höhepunkt dieses Abends. Luciana D'Intino singt mit Hingabe und Leidenschaft, ihre erdiges Timbre und üppiges Stimmvolumen lassen zudem Nina Stemmes Aida um so mädchenhafter erscheinen.

Salvatore Licitra ist die Rolle des Radamès wie auf den Leib geschnitten. Er weiss im Heldischen zu strahlen, sein Schwanken zwischen den beiden Frauen wird zum glaubhaften Spiessrutenlauf. Die naive Schlichtheit, mit welcher er in den Tod geht, entfaltet neben der aufgebrachten Amneris, welche die Priester eines Fehlurteils anklagt, eine unerhörte emotionale Ruhe. Diesen musikalischen Facettenreichtum weiss der Dirigent Adam Fischer mit transparentem Orchesterklang und einer grossen Aufmerksamkeit für Verdis Instrumentationskünste in den grossen Tableaus eindrücklich aufzuzeigen. Bei dieser Sensibilität fürs Detail und für die herrlichen Melodien verliert sich ab und zu jedoch der grosse dramatische Zug. Stillstand und Intimität werden dementsprechend nicht zwingend genug in die stringente Zuspitzung der Tragödie überführt.

Lauer Applaus
Der Chor jedoch, von Ernst Raffelsberger vorbereitet, vermag diesem Verdi eine glühende Klangnote zu verleihen. Ausgesprochen homogen und rhythmisch sicher vermag der Chor verdische Intensität zu verbreiten. Die Tänzerinnen und Tänzer des Junior Balletts wirken hingegen in der gar «klassischen» Choreografie von Stefano Giannetti für die «Barbaren» ziemlich aufgesetzt. So verbleiben noch die Nebenrollen. Günther Groissböck vermochte in seinem Debüt als König eine prägende Note zu setzen, während Juan Pons als Amonsaro ein gar starkes Vibrato einsetzte. Als Priester Ramfis wusste Matti Salminen bis in die tiefsten Tiefen hinab zu steigen. Das Publikum spendete diesem Premierenabend eher lauen Applaus.

top

Impressum
Kontakt

Zürichsee-Zeitung

30. 5. 2006 / Werner Pfister

Sandkastenspiele in Ägypten

Statt im 19. Jahrhundert vor der Zeitrechnung siedelt Regisseur Nicolas Joel Verdis «Aida» im 19. Jahrhundert Napoleons III. an. Europäische Kolonialisten kostümieren sich als Verdi-Zeitgenossen - ein Missverständnis auf der ganzen Linie.

So viele schöne Kostüme. Franca Squarciapino hat ganze Arbeit geleistet. Und genau so, wie der Cul de Paris einen «falschen Steiss» vorspielt, spielen sie uns hier eine falsche «Aida» vor, zeitlich «verrutscht» in die Entstehungsjahre der Oper, nämlich in die Endzeit des Deuxième Empire, als ginge es um Jacques Offenbachs «Grossherzogin von Gerolstein» (von 1867).

Was nur, fragt man sich einen langen Opernabend lang, suchen diese aufgeblasenen Franzosen (und Engländer) mit ihren Damen und Bediensteten in der ägyptischen Wüste? Warum nur stellen sie dort einen pompösen Glaspalast hin (Bühnenbild: Ezio Frigerio), der an repräsentative Weltausstellungs-Architektur (Paris 1867) erinnert, und spielen Verdis Populäroper «Aida» nach, als wäre es ein Stück aus ihrer Jetztzeit? Schwingen die französische Trikolore und den britischen Union Jack, wenn Radamès, der ägyptische Feldherr, siegreich von seiner Schlacht gegen die Äthiopier zu den Klängen des berühmten Triumphmarsches heimkehrt?

Lendenlahm
Wer kämpft hier gegen wen? Europäische Kolonialisten gegen ägyptische (resp. äthiopische) Eingeborene? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Denn Amonasro, der geschlagene König der Äthiopier, trägt ebenso jenen modischen Dress, den man als Europäer damals anzog, um unter Schweissperlen auf Expedition in die weite Welt der Wüsten und Tropen zu gehen. Und seine Tochter Aida erst recht - keine Sklavin, sondern eine luxuriös gewandete Tochter aus noblem Hause. Was sie im Palast des ägyptischen Pharaos zu suchen hat, das wissen vielleicht die Götter.

Im Ernst, die Marotte, Opern in der Zeit ihrer aktuellen Entstehung zu inszenieren, nur weil die längst ferne Zeit, in der sie spielen, für ein heutiges, aufgeklärtes Publikum nicht mehr glaubwürdig zu sein scheint, entpuppt sich hier als reine Marotte. Denn das historische Ägypten, das Verdis «Aida» zugrunde liegt, war bereits für Verdi und seine Zeitgenossen pseudohistorisch. Und genau darin, vermute ich, lag der Grund für die unvergleichliche Beliebtheit der «Aida» (die bis heute unvermindert anhält): dass man sich nicht auf Realitäten einzulassen hat oder auf feuerköpfige Ideen, wie sie Don Carlo in Verdis unmittelbar zuvor entstandener Oper vertritt (und mit dem Tode büsst).

Edle Wilde
Hier, in «Aida», tritt kein aussenseiterischer Revoluzzer auf, kein kämpferischer Verkünder humaner Menschenrechte. Hier stehen sie von Anfang an alle gleichsam auf verlorenem Posten: Das Individuum hat keinerlei Chance gegen das Kollektiv politischer und religiöser Macht. Bezeichnenderweise ist Aida, die Protagonistin, bereits in ihrer allerersten Arie bereit zu sterben. Todessehnsucht, im Falle von Radamès auch lendenlahme Schicksalsergebenheit, durchzieht diese Oper.

Immerhin, das hätte man inszenieren können. Dieses individuelle Ausgesetztsein der Staats- und Kirchengewalt gegenüber. Dieses seelische Eingemauertsein in einer Welt, wo die Herrschenden nur mehr Marionetten eines Machtbetriebs sind. Doch zu solchem Ernst schwingt sich die Inszenierung nicht ansatzweise auf. Es bleibt bei Sandkastenspielen einer verwöhnten gesellschaftlichen Elite, die sich an edlen Wilden (im Ballett der Mohren) delektiert. Oder gefangene Äthiopierinnen und Äthiopier bestaunt, die aus einem Schiffsbauch (Fingerzeig, der Suez-Kanal wurde ja soeben eröffnet) herausgekarrt werden und, entkräftet und am Verdursten, kaum aus ihren eisernen Käfigen entlassen schwungvoll Ballett tanzen, allerdings in einer einfallslosen Choreografie von Stefano Giannetti. (Dass die erste Ballettnummer, «danza sacra delle sacerdotesse», ausfällt, ist unter solchen Voraussetzungen wohl zu verschmerzen.)

Fulminantes Debüt
Szenisch wurde diese «Aida» ziemlich in den Sand gesetzt. Musikalisch indes hat sie durchaus ihre Qualitäten - ihre schönsten in der Protagonistin: Nina Stemme gab als Aida ein wahrhaft fulminantes Rollendebüt. Mit dramatischer und gleichzeitig weich und breit flutender Stimme, höhensicher und entschieden strahlkräftig, dabei von wunderbar berührender Innigkeit im Piano. Ein Prachtorgan - und eine prächtige Schauspielerin, die mit glutvoller Dramatik und unerschöpflicher physischer Kraft alles gibt, ohne sich zu verausgaben.

Dagegen hatte Luciana d'Intino als Amneris keinen leichten Stand. In den ersten drei Akten hörte man das auch: fahle (und zu tief intonierte) hohe Töne im Piano und Registerbrüche, die einer feineren vokalen Differenzierung im Wege standen. Den vierten Akt indes, «ihren» Akt, meisterte die Sängerin mit hinreissendem Aplomb und elektrisierendem vokalem Drive. Salvatore Licitra ist vom Typus her kein Radamès mit schwermetallener Feldherrenstimme, sondern wirkt (was der Inszenierung durchaus entspricht) in dieser Partie eher zurechtkostümiert, weiss aber dennoch die dramatischen Höhepunkte wirkungssicher aufzubauen und beeindruckt nicht zuletzt durch die sprachliche Immanenz seines Gesanges. Davon ist sonst nicht eben viel zu hören. Matti Salminen gibt zwar einen noblen, aber mitunter vokal etwas unsteten Ramfis, Günther Groissböck einen angestrengt wirkenden König. Juan Pons scheint als Amonasro mit hohler, zuweilen auch heiserer Kraftmeierei gleichsam einen Ausweg aus seiner Partie zu suchen. Kaum ein Legato, keinerlei Belcanto-Schmelz, wo ihm doch - mit «rivedrai le foreste imbalsamate» - eine der schönsten Melodien der ganzen Oper zugedacht ist.

Adam Fischer dirigiert mit Umsicht, heizt Verdis Musik durchaus ein, wo Feuer lodern soll, hält aber in den martialischen Chören und im Triumphmarsch stets so viel Mass, dass es nicht lärmig und leer wird. Für die resignativen Momente dieser Musik, auch für ihr nachempfundenes folkloristisches Kolorit, findet das Orchester der Oper Zürich fein abgetönte Zwischenfarben, allerdings ohne die lukullischen Nuancen eines klanglichen Verwöhnaromas.

Zum Schluss viel Applaus für alle Beteiligten und hörbar einige Buh-Rufe für den Regisseur, die dieser mit der Hand an der Ohrmuschel entgegennahm - als wäre er schwerhörig.

top