Aufführung
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18. 1. 2004 (Première)
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Musikalische Leitung: Vladimir Fedoseyev
Inszenierung: Grischa Asagaroff Bühnenbild: Bernhard Kleber
Kostüme: Reinhard von der Thannen
Lichtgestaltung: Jürgen Hoffmann Chor: Jürg Hämmerli
Choreographie: Stefano Gianetti
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Larina: Stefania Kaluza
Tatjana: Maya Dashuk
Olga: Liliana Nikiteanu / Judith Schmid
Filipjewna: Cornelia Kallisch
Eugen Onegin: Michael Volle / Dmitri Hvorostovsky
Lenski: Piotr Beczala Fürst Gremin: László Polgár / Pavel Daniluk
Hauptmann Sarezki: Valeriy Murga
Triquet: Martin Zysset Vorsänger: Vesselin Tchakov Gillot: Thomas von Grüningen
SYNOPSIS - HIGHLIGHTS - LIBRETTO
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Rezensionen
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20. 1. 2004
Schön misslungen
Von Roger Cahn
Was «Aida» für Italien, ist «Eugen Onegin» für Russland. Die Herz-und- Schmerz-Oper von Peter Tschaikowski hatte am Samstag Premiere: kurzer, herzlicher Applaus.
Tatjana, eine melancholische Schönheit vom Lande, gesteht ihrem Angebeteten in einem Brief ihre Liebe. Erfolglos. Jahre später - sie hat in eine Adelsfamilie in St. Petersburg eingeheiratet - taucht der angebetete Eugen Onegin auf und wirbt mit allen Mitteln um ihre Liebe. Zu spät. Am Ende triumphiert die Frau - die Oper könnte auch «Tatjana» heissen.
Tschaikowski hat zu Alexander Puschkins Versroman eine zu Herzen gehende Musik geschrieben. Arien und Duette als Spiegel des Innenlebens einzelner Figuren, Volksfeste und Bälle als Charakterisierung für die ländlich-naive wie auch für die nobel-steife St. Petersburger Gesellschaft. Oper vom Feinsten.
Die neue Zürcher Produktion wird diesen Superlativen nicht ganz gerecht. Dirigent Vladimir Fedoseyev sucht im ersten Teil Intimität, dämpft Sänger wie Orchester und erntet so Teilnahmslosigkeit. Nach der Pause setzt er auf Dramatik und schon funkt es.
Regisseur Grischa Asagaroff inszeniert weitgehend ab Blatt. Das ist gut so. Wo er eigene Interpretationen versucht - beispielsweise beim Tanz des Totenvogels als symbolische Begleitfigur Eugen Onegins -, begibt er sich aufs Glatteis und rutscht aus. Ihm galten die vereinzelten Buhrufe beim Schlussapplaus.
«Eugen Onegin» ist Oper fürs Auge. Leider genügt die neue Zürcher Produktion auch hier nur teilweise. Die junge Russin Maya Dashuk und der deutsche Hüne Michael Volle sind vom Typ her die Idealbesetzung für Tatjana und Eugen. Stimmlich wäre ihr etwas mehr Dramatik und ihm etwas mehr russisches Timbre zu wünschen.
Fazit: Lauwarm.
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20. 1. 2004
Ein Wiedergänger als Verführer
Ziemlich uneinheitlich: Tschaikowskis «Jewgeni Onegin» am Opernhaus Zürich
Tschaikowskis Oper für einmal bei ihrer Bezeichnung «lyrische Szenen» genommen - keine grosse Oper, sondern beinahe ein Kammerspiel. Doch vor allem die Regie vermag diesen Ansatz nicht durchzuhalten.
tobias gerosa
«Dann führten sie schliesslich den wattierten Schlafrock und die Haube wieder ein», singen die beiden Alten Larina und Filipjewna (mit Stefania Kaluza und Cornelia Kallisch luxuriös besetzt) in Erinnerungen schwelgend am Anfang von Tschaikowskis «Jewgeni Onegin». In übertragenem Sinne führt auch die Inszenierung den Schlafrock wieder ein und hält sich im ersten Akt ganz an ein Bilderbuchrussland.
Unübersehbar wird Onegin darin als Fremdkörper eingeführt: Ganz in Schwarz und mit düsterem Blick verfinstert er das helle Bild. Er ist eine Figur mit einer gewissen nonchalanten Dämonie, die in der Musik allerdings kaum Entsprechung hat. Trotzdem macht ihn Michael Volle damit zur bühnenbeherrschenden Figur. Dass er die ruhige Tatjana beeindruckt, ist nachvollziehbar. Mit Maya Dashuk hat das Opernhaus eine junge Sängerin für die Rolle verpflichtet. Ihre Stimme ist für die Partie ungewohnt lyrisch, und ohne die Rücksichtnahme des Dirigenten könnte sie untergehen. Sie tut es nicht, und wie verletzlich Tatjana wird, ist faszinierend zu sehen.
Dirigent Vladimir Fedoseyev nimmt Tschaikowskis Gattungsbezeichnung «lyrische Szenen» ernst. Sehr zurückgenommen und fein klingt da vieles und bietet neben den Sängern auch den Bläsern oft die Möglichkeit, solistisch hervorzutreten. Farblich dunkel grundiert übernimmt das Orchester einen wichtigen Anteil darin, die Zustände der Figuren zu schildern. Dass es immer lauter wird, wenn auf der Bühne niemand singt, wirkt allerdings unorganisch.
Nach der ersten Szene beginnt sich der Naturalismus immer mehr aufzulösen. In der zentralen Briefszene hebt Tatjanas Schlafzimmer ein paar Zentimeter in die Luft ab, die Kerze brennt rückwärts, und wenn sie nicht weiss, ob sie Onegin als Schutzengel oder Verführer sehen soll, erscheint neben Onegin im Hintergrund jene geflügelte Gestalt (Tänzer Daniel Chait), die als symbolschwangere Chiffre fortan immer wieder auftauchen wird.
Fehlende emotionale Tiefe
Zusammenpassen mag das genauso wenig wie die weiss geschminkten Leichen im Ball des zweiten oder die uniformierten Zombies im dritten Akt. Dass sich mit der Verunsicherung und dem Abstieg Onegins auch in den Räumen (Bernhard Kleber) und den Kostümen (Reinhard von der Thannen) die vermeintliche Sicherheit auflöst, wäre ein interessanter Gedanke. Onegin in diesem Konzept als einen getriebenen Wiedergänger, als Verwandten des fliegenden Holländers zu zeigen, macht darin durchaus Sinn. Nur reicht es nicht, dafür verschiedene Stile und Stilmittel aneinander zu hängen, die Interpretation müsste anhand der Figuren entwickelt werden. Dies gelingt nur bei Fürst Gremin. Im Rollstuhl wird er zum Gegenentwurf, gerade durch Laszlo Polgars noble, gleichsam in sich ruhende Interpretation.
Das zweite Paar Olga und Lenski rückt sehr aus dem Fokus, obwohl Liliana Nikiteanu und Zürichs Tenorstar Piotr Beczala ihnen vokal eigenständiges Profil verleihen. Doch bei allen Piani, die Beczala nicht nur in seiner Arie aufbieten kann, fehlt seiner Figur wie dem ganzen Abend noch die emotionale Tiefe. Eher lau (durchsetzt mit Buhs für die Regie) fiel dann auch der Applaus aus.
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20. 1. 2004
Lyrische Szenen und Schicksalsdramatik
Ein schwarz gefiederter Dämon herrscht auf der Bühne. Die neue Inszenierung zeigt den Komponisten der «Lyrischen Szenen» als Schicksalsdramatiker grossen Stils - eine eindrückliche Ensembleleistung.
Herbert Büttiker
«Als er 1823 mit der Niederschrift des "Eugen Onegin" begann, hatte Puschkin etwas im Stile von Byrons "Don Juan" im Sinn. Aber bei dessen Vollendung 1831 waren seine Lehr- und Initiationsjahre längst zu Ende, und zur Welt kam etwas gänzlich anderes: der erste russische realistische Roman, von dem aus ein direkter Weg zu Tolstois "Krieg und Frieden" führt» (Michail Schischkin im Programmheft). Etwas gänzlich anderes bedeutete die Beschäftigung mit «Eugen Onegin auch für Tschaikowsky. Ihm schien eines klar: Der Puschkin-Text, den er 1877 für seine Zwecke zu bearbeiten und zu komponieren begann Tolstoi war unterdessen schon bei «Anna Karenina» , sollte keine «Oper» im herkömmlichen Sinn werden, kein Bühnenspektakel für wirkungsbewusste Sänger, sondern Tschaikowsky suchte nach einer Bezeichnung eine Folge «Lyrischer Szenen». Mit der undramatischen Form glaubte er ganz zu sich selber gekommen zu sein, wie viele Äusserungen zeigen. Einem Freund, dem Komponisten Sergei Tanejev schrieb er. «Es kann durchaus sein, dass Sie Recht haben, wenn Sie sagen, meine Oper sei nicht bühnenwirksam. Aber ich antworte Ihnen darauf, dass ich auf eine Bühnenwirksamkeit pfeife. Die Tatsache, dass ich keine szenische Ader habe, ist längst anerkannt, und ich gräme mich darüber recht wenig.»
Zurück zu Byron
Vielleicht hat sich Tschaikowsky geirrt. Jedenfalls scheint es die neue Zürcher Inszenierung darauf angelegt zu haben, dies nachzuweisen, und sie tut es mit wachsendem Erfolg im Laufe der drei Akte. Das Team Grischa Asagaroff (Inszenierung), Bernhard Kleber (Bühnenbild), Reinhard von der Thannen (Kostüme) und Stefano Giannetti (Choreografie) hinterlegt die Charaktere und ihre Geschichte mit einer Bühnenimagination, die das Werk zurückführt vom «realistischen Roman» zu seinen Anfängen im Geiste Byrons, von den «Lyrischen Szenen» zurück in die romantische Opernwelt und Schicksalsdramatik. Symbol dafür ist der schwarz gefiederte Dämon, der die romantische Aura des Titelhelden in den dunklen metaphysischen Zusammenhang rückt.
Wie die Inszenierung dieses Motiv aus der Genreszene des ersten Bildes (ein bäuerischer Tanz von Krähen und Garbenpuppen) heraus entwickelt, wie dann die Erscheinung des jenseitigen Tänzers meist im Hintergrund der Bühne mit dem Klanggeschehen korrespondiert, hat etwas Bezwingendes und wirkt als starkes Signal zu einer Musik, die eben nicht nur grossartige Seelenschilderung ist, sondern auch das Pathos bestürzender Fatalität besitzt. In den Bühnenbildern man mag ihre Überinstrumentierung zumal im ersten Akt kritisieren findet die Irrationalität ihre wirkungsvolle Ausweitung ins Atmosphärische und ins Spektakuläre. Zum grandiosen Höhepunkt der Bühnenraumtheatralik wird das Finale der Festszene. Im Strudel der unsinnigen beziehungsweise aus den hintersten Seelenklammern gesteuerten Konfrontation Lenskis und Onegins zerstiebt schliesslich im kalten Licht der Festsaal im Larinschen Haus, und die Verwandlung ins Winterbild der Duellszene geschieht fast im gleichen Atemzug.
Ideale Rollengestaltung
Die Fatalität des Geschehens als Beschleunigung: Dieser Coup ist von nachhaltiger Wirkung. Die Spannung, die man im ersten Akt vermissen mochte, lässt nun nicht mehr nach, gerade auch, wenn der Raum frei ist für lyrische Entgrenzung. Piotr Beczala bietet sie nach dem mit famosem Griff gestalteten Eklat im Festsaal mit ergreifend konzentrierter Verinnerlichung im Monolog vor dem Duelltod: eine Verkörperung des Lenski, die keine Wünsche offen lässt. Geradezu ideal auch der Kontrapunkt, den LaszloPolgar mit der Arie des Fürsten Gremin zur stillen Verlorenheit Lenskis setzt: eine humane Kraft und Ruhe, die alle Fatalität aufheben zu können scheint, gewinnt im gelassenen Strömen dieses kraftvollen und sensibel austarierten Basses ihr ganzes Gewicht.
Gremins Arie ist mehr als eine erhabene Episode, und es ist ein schöner Einfall der Regie, dass Gremins Rollstuhl auf der Bühne steht, wenn sich Tatjana und Onegin zum letzten Stelldichein treffen, und der Tumult der Emotionen zwischen Resignation und Leidenschaft, Liebesgeständnis und Abschied ist im Umfeld dieser Wahrheit um so verstörender. Sängerisch wird er bravourös gemeistert. Für die haltlose Verzweiflung hat Michael Volle sowohl darstellerische wie stimmliche Entfaltungsmöglichkeiten (ein zusätzlicher Funke Brillanz wären dieser Baritonstimme für die Höhepunkte zu wünschen), und Maya Dashuk hat alles, um Tatjana im Zwiespalt der Gefühle wie in der Grösse und im Stolz der verletzten Seele glaubhaft zu machen: eine Stimme von expansiver Kraft, aber schlank und flexibel geführt, und eine Bühnenpräsenz von gewinnender Ausstrahlung.
Hervorragendes Zürcher Ensemble
Die junge Russin, die sich mit diesem Rollendebüt in Zürich vorstellt, ist im Ensemble des Opernhauses bestens aufgehoben, umgeben von prägnanten Stimmen und Figuren: Liliana Nikiteanu ist ihre Schwester Olga, Stefania Kaluza ihre Mutter und Cornelia Kallisch ihre Njanja, und Martin Zysset gibt pointiert Triquets parfümiertes und gepudertes Kabinettstück. Für sie alle gilt freilich, dass ihre Partien dort enden, wo das Drama seinen verhängnisvollen Lauf nimmt und die Aufführung in Fahrt kommt. Das lenkt den Blick zurück auf den ersten Akt, der nicht nur szenisch etwas schwerfällig wirkt, sondern auch musikalisch noch wenig Profil zeigt. Vladimir Fedoseyev lässt da die Zügel locker, ohne dass damit für die Atmosphäre des Eröffnungsbildes und auch der Briefszene allzu viel gewonnen ist. Mit den festeren Konturen des Chortableaus der Opernchor hat es sicher im Griff, in der Kostümierung zwar bleich, im Klang aber farbig und den dramatischen Steigerung stellt sich dann die Konzentration ein, die Tschaikowskys, man möchte sagen: albtraumwandlerische musikalische Inspiriertheit, mit der er die seelischen Katastrophen gestaltet, ins hellste Licht rückt.
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20. 1. 2004
Naturalismus mit Brüchen
sda. Als erste Neuinszenierung des Jahres ist am Sonntagabend am Opernhaus Zürich Tschaikowskis «Eugen Onegin» zur Premiere gekommen. In die Inszenierungsgeschichte der Oper wird die Aufführung nicht eingehen. Grischa Asagaroff zeigt sich zwar als sensibler Schauspielführer, lässt aber eine Gesamtsicht, eine künstlerische Vision auf die «Lyrischen Szenen» von Peter Tschaikowski vermissen. Asagaroff inszeniert getreu nach Libretto, und auch das Bühnenbild von Bernhard Kleber entspricht mit seinem Naturalismus den Intentionen des Komponisten. Einzig Kostümdesigner Reinhard von der Thannen erlaubt sich einige Freiheiten, indem er Solisten und Chöre in weisse, schwarze oder schwarz-weisse Einheitsroben kleidet.
Die russische Entdeckung
Auch wenn die Produktion nach dem gleichnamigen Roman von Alexander Puschkin von 1830 nicht zur Zeit der Entstehung der Vorlage angesiedelt ist, sondern gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wirkt das szenische Ambiente etwas verstaubt. Zusätzlich zu dem bieder anmutenden Naturalismus auf der Bühne umgibt Asagaroff die Spielfläche mit Wandprospekten, die mit leuchtenden Farben bemalt sind und eine irreale oder gar surreale Welt suggerieren. Das Regieteam erhielt denn auch einige Buhs vom sonst begeistert applaudierenden Premierenpublikum. Uneingeschränkt bejubelt wurden hingegen die musikalischen Leistungen. Das Ensemble ist bis auf die kleinen Rollen ideal besetzt, und die junge Russin Maya Dashuk, welche die Rolle erstmals singt, ist als Tatjana gar eine Entdeckung.
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20. 1. 2004
Der Flügelschlag des Todesengels
Tschaikowskys «Eugen Onegin» im Opernhaus Zürich
Ist das Einfache denn so schwierig? Wirkliche, natürlich empfindende Menschen in einer alltäglichen Umgebung wollte Peter I. Tschaikowsky in seiner Adaptation von Puschkins Versroman darstellen. Deshalb bezeichnete er diese als Lyrische Szenen und vertraute die Uraufführung (1879) Studierenden des Moskauer Konservatoriums an. Bloss keine grosse Oper, das ist in der Zürcher Neuproduktion auch die Devise des Dirigenten Vladimir Fedoseyev, der als berufener Sachwalter des Komponisten über ein untrügliches Sensorium für den lyrischen, stimmungshaften Charakter des Werks verfügt. Wie Tschaikowsky mit den ersten Klängen eine unverwechselbare Atmosphäre schafft, wie er mit wenigen Strichen die Idylle des spätsommerlichen Landlebens auf dem Gut der Larina zeichnet, wie er die Liebe Tatjanas zu Onegin in der Briefszene zu einem ekstatischen Gefühlsausbruch steigert, wie er mit der schlichten Form des Kanons vor dem Duell anzeigt, dass die Freunde Onegin und Lenski gleich empfinden, aber nicht mehr zusammenfinden können, wie er schliesslich mit ähnlich knappem Gestus das ländliche Fest und den mondänen Ball schildert - das alles verhilft «Eugen Onegin» zu seinem ganz eigenen musikalischen Klima.
Szenische Überinterpretation Hätten sich doch Grischa Asagaroff (Regie) und Bernhard Kleber (Bühne) von diesem impressionistischen Gestaltungsprinzip leiten lassen! In ihrer Inszenierung meint Alltagsleben minuziösen Realismus und Gefühl penetrante Symbolik. Das erste Bild ist von diesem Kontrast geprägt. Einerseits das goldgelbe Kornfeld, in dem auch die Mohnblumen nicht fehlen, die Möbel und Requisiten «aus der Zeit», die häuslichen Verrichtungen - es fehlt nur noch der Duft der eingemachten Konfitüre -, anderseits die expressionistische Himmelsszenerie auf dem Rundhorizont, der wie das gesamte Raumkonzept dieses Bildes sehr an die letzte Zürcher «Onegin»-Inszenierung von 1990/91 erinnert. Da droht Unheil! Und es tritt denn auch alsbald ein, in Gestalt des neuen Gutsnachbarn Onegin, der hier, ausstaffiert mit einer scheusslichen Langhaar-Perücke, langem schwarzem Mantel und Zylinder (Kostüme: Reinhard von der Thannen), zum zerstörerischen Dämon wird.
Nun kippen die Bilder immer mehr ins Surreale. Die Briefszene spielt in einer Traumwelt. Weit in der Ferne, hinter einer Reihe von fensterartigen Lichtfeldern, scheint der Fluchtpunkt von Tatjanas schwärmerischen Liebeshoffnungen zu liegen. Bevor sie den Brief an Onegin zu schreiben beginnt, hebt ihr Bett vom Boden ab. Und dann, nachdem sie sich, entgegen jeder Konvention, zu ihrem Liebesgeständnis entschlossen hat, passiert es, erscheint - zuerst mit Onegins Zügen - jene geflügelte Gestalt, die als Todesengel zum pathetischen Leitmotiv dieser Inszenierung wird. Das Unheil nimmt seinen Lauf.
Fortan gilt die Perspektive Onegins, und in dieser erscheinen die Gäste bei Tatjanas Namenstagsfest als weisse Clowns und die Ballbesucher im Palast des Fürsten Gremin als grünliche Lemuren (Choreografie: Stefano Giannetti). Einzig die Duellszene, vor dem Prospekt eines Winterwaldes, setzt einen Ruhepunkt. Doch gerade hier, wo es nur inneres Geschehen gibt, zeigt sich, wie dürftig Asagaroffs Personenregie ist. Sie beschränkt sich weitgehend darauf, die Figuren irgendwie zu beschäftigen. Was würde Onegin eigentlich tun, wenn er sich nicht die Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen oder unsichtbare Staubkörnchen vom Mantel wischen könnte? Und so genügt es denn nicht, dass Musik und Text Tatjanas Briefszene in Erinnerung rufen, wenn Onegin im dritten Akt in Liebe zu ihr entbrennt. Um die Parallelität der Situation zu verdeutlichen, zeigt ihn Asagaroff schreibend in einer Glaskabine, gespiegelt vom Todesengel.
Blendend gesungen
Solch simple Veräusserlichung erscheint umso weniger angebracht, als das Sängerensemble und der exzellente Chor über grosse vokale Ausdruckskraft verfügen. Getragen von Fedoseyev, den man mit dem Orchester der Oper Zürich noch selten derart subtil und kontrolliert musizieren gehört hat, vermag sich auch eine so helle, leichte Stimme wie die von Maya Dashuk in der Partie der Tatjana durchzusetzen, wobei allerdings das Vibrato der Spitzentöne verrät, dass ihr lyrischer Sopran hier an Grenzen gerät. Als Darstellerin profitiert die junge russische Sängerin bei ihrem Rollendébut zudem von ihrer Vertrautheit mit dem Text (der in Einblendungen fragmentarisch übersetzt wird). Ergreifend zart und verinnerlicht, im letzten Teil, nach einigen nicht ganz makellosen Tönen, auch mit dem ihm eigenen Glanz und Schmelz macht Piotr Beczala die Arie des Lenski zu einem Kabinettstück differenzierter Gestaltung. Nobel und voller Wärme László Polgárs Fürst Gremin, empfindsam und immer noch jung Stefania Kaluzas Larina, die man schon bei der letzten Zürcher «Onegin»-Premiere erleben konnte, etwas überdreht in ihrer Heiterkeit und wohl deshalb auch stimmlich nicht ganz gefestigt Liliana Nikiteanus Olga, diskret, aber intensiv präsent Cornelia Kallisch als Filipjewna, erfrischend jung Martin Zyssets Monsieur Triquet.
Doch das Zentrum bildet die Titelfigur, Onegin. Zum Glück färbt das degoutante Erscheinungsbild, das ihm hier verpasst wird, nicht auf Michael Volles Stimme ab. Sie klingt satt und rund wie stets, elegant und geschmeidig, auch wenn sie noch nicht alle Farben, die auf der reichen Palette dieser Partie bereitliegen, einzusetzen vermag. Sie hat den Atem für weite Legatobögen, und sie spart die allerstärksten, intensivsten Töne für den Schluss auf, wenn Onegin, völlig zerrüttet, erkennt, dass er das Glück verpasst und Tatjana unwiderruflich verloren hat.
Marianne Zelger-Vogt
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Verführerischer Widergänger
Tschaikowskis «Jewgeni Onegin» am Opernhaus Zürich
Tschaikowskis berühmteste Oper wird beim Wort genommen: Ein Kammerspiel in «Lyrischen Szenen» wird aufgeführt. Die Regie vermag diesen Ansatz jedoch nicht durchzuhalten.
20. 1. 2004
Tobias Gerosa
«Dann führten sie schliesslich den wattierten Schlafrock und die Haube wieder ein», singen die beiden Alten Larina und Filipjewna (mit Stefania Kaluza und Cornelia Kallisch luxuriös besetzt) in Erinnerungen schwelgend am Anfang von Tschaikowskis «Jewgeni Onegin». Die Zürcher Inszenierung von Grischa Asagaroff führt sozusagen den Schlafrock wieder ein und hält sich im ersten Akt ganz an die Aufführungstradition eines Bilderbuchrussland.
Onegin ist darin ein Fremdkörper: Ganz in Schwarz und mit düsterem Blick verfinstert er das helle Bild. Er ist eine Figur von nonchalanter Dämonie, die in der Musik allerdings kaum Entsprechung hat. Trotzdem macht ihn Michael Volle zur bühnenbeherrschenden Figur, neben der alle andern stimmlich wie szenisch verblassen.
Dass Onegin die ruhige Tatjana beeindruckt, ist also nachvollziehbar. Mit Maya Dashuk hat das Opernhaus eine junge Sängerin für die Rolle verpflichtet. Ihre Stimme ist für die Partie ungewohnt lyrisch und ohne die konsequente Rücksichtnahme des Dirigenten würde sie untergehen. Sie tut es nicht und wie verletzlich Tatjana dann wird, ist faszinierend zu sehen.
Dunkel grundiert
Dirigent Vladimir Fedoseyev nimmt Tschaikowskis Gattungsbezeichnung «lyrische Szenen» ernst. Sehr zurückgenommen und fein klingt da vieles und bietet neben den Sängern auch den Bläsern oft die Möglichkeit, solistisch hervorzutreten. Farblich dunkel grundiert übernimmt das Orchester einen wichtigen Anteil an der Schilderung von Befindlichkeiten. Dass es immer sofort lauter wird, wenn auf der Bühne niemand singt, wirkt allerdings noch etwas unorganisch.
Ideen ohne Konzept
Nach der ersten Szene beginnt sich der Naturalismus immer mehr aufzulösen. In der zentralen Briefszene hebt Tatjanas Schlafzimmer ein paar Zentimeter in die Luft ab. Und als sie nicht weiss, ob sie Onegin als Schutzengel oder Verführer sehen soll, erscheint im Hintergrund jene geflügelte Gestalt (Tänzer Daniel Chait), die als Chiffre fortan immer wieder auftauchen wird.
Zusammenpassen mögen derartige Ideen genauso wenig, wie die weiss geschminkten Leichen im Ball des zweiten oder die uniformierten Zombies im dritten Akt. Dass sich mit dem Abstieg Onegins die vermeintliche Sicherheit auch als Auflösung in den Räumen (Bernhard Kleber) und Kostümen (Reinhard von der Thannen) manifestiert, wäre ein interessanter Gedanke. Onegin wird gezeigt als einen suchenden, getriebenen Widergänger, als Verwandten des fliegenden Holländers. Ein schlüssiges Konzept wird aus dieser Idee nicht, weil nur verschiedene Stile und Stilmittel aneinandergehängt, nicht aber die Figuren entwickelt werden. Dies gelingt einzig bei Fürst Gremin: Im Rollstuhl wird er zum stabilen Gegenentwurf, gerade durch Laszlo Polgars noble, gleichsam in sich ruhende Interpretation.
Das zweite Paar, Olga und Lenski, rückt sehr aus dem Fokus, obwohl Liliana Nikiteanu und Zürichs Tenorstar Piotr Beczala ihnen vokal eigenständiges Profil verleihen können. Doch bei allen Piani, die Beczala nicht nur in seiner Arie aufbieten kann, fehlt seiner Figur wie dem ganzen Abend noch die emotionale Tiefe. Eher lau (durchsetzt mit Buhs für die Regie) fiel denn auch der Applaus aus.
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20. 1. 2004
Arkadisches Landleben auf der Bühne
Tschaikowskys «Eugen Onegin» feierte am Sonntag im Zürcher Opernhaus Premiere. Die Inszenierung mochte sich nicht recht für einen plumpen Naturalismus, aber auch nicht recht dagegen entscheiden.
Von Reinmar Wagner
Das wäre vor fünf Jahren nicht möglich gewesen: Dass ein Zürcher Premierenpublikum eine Produktion ausbuht (Bravos gab es auch einige, das sei der Gerechtigkeit halber vermerkt), die eine hübsche, schöne, heile Opernwelt präsentiert mit prächtigen Kostümen und üppigen Bühnenbildern, mit schönen Sängerinnen und hübschen Tänzern.
Kein Zweifel, Intendant Alexander Pereira hat in den letzten Jahren auch auf dem Fach der Inszenierung und Ausstattung zur internationalen Spitze aufgeschlossen, wo das Haus bei den Sängern und vor allem bei den Dirigenten schon länger steht. Fazit: Mittelmässige Kostümorgien werden nicht mehr goutiert. Dabei war es gar nicht so schlimm, was Regisseur Grischa Asagaroff, Bühnenbildner Bernhard Kleber und Kostümbildner Reinhard von der Thannen mit Tschaikowskys berühmtestem von über zehn Bühnenwerken angerichtet haben.
Bibliophile Traumwelten
Bloss am Anfang, da war es wirklich schlimm: Auf dem Bauernhof sind wir, mit properen Knechten und feschen Mägden, mit üppigem Korn und glänzenden Äpfeln, in einer heilen Welt ohne Agrarsubventionen und Rinderwahn: arkadisches Landleben wie aus dem Bilderbuch. Erst nach und nach kommen verfremdende Elemente hinzu, die uns teilhaben lassen an den Emotionen und Sehnsüchten der Menschen, die uns ins Innere blicken lassen und nachvollziehbar machen, was Tschaikowsky in seiner Musik schon von Anfang an erzählt.
Tatjanas bibliophile Traumwelten sehen zwar eher nach aufgeklappten Notebooks aus, aber nach und nach finden auch die Ausstatter bühnentaugliche Mittel, Seelenlandschaften sichtbar werden zu lassen. Zunächst winterlich zugefrorene Zweige und Bäume, dann vor allem eine geflügelte Tänzergestalt, die bildschön in Bewegung umsetzt, wie die Schicksalssterne für Onegin und Lenski gerade stehen. In Lenskis grosser Szene wird dieser Traumtänzer zum Sinnbild für all das Verpasste, was hätte sein können, ähnlich im verzweifelten Ende von Eugen Onegin, als der Geflügelte nur noch leblos darniederliegt, Sinnbild für die entschwundene Hoffnung auf die einst verschmähte Liebeserfüllung mit Tatjana, die sich selbst die Flügel beschnitten hat zugunsten von Reichtum und Einfluss an der Seite des Fürsten.
Suggestiv und mitreissend
Es gibt heute kaum einen Dirigenten, der Tschaikowskys Musik so gut kennt wie Vladimir Fedoseyev. Seinen «Eugen Onegin» hat er detailliert musiziert, sehr beweglich auch in den agogischen Feinheiten, was aber mitunter auch zu schleppenden Tempi und gar häufig zu schleichenden Einsätzen und unentschiedenen Momenten im Orchester führte. Die grosse Emphase sparte sich Fedoseyev für den zweiten und dritten Akt auf, musizierte dann aber suggestiv und mitreissend.
Sängerisch hat das Opernhaus in Zürich wieder einmal mit erstklassigen Kräften aufgetrumpft: Wer kann es sich schon leisten, mit hochkarätigen Hauptrollensängern sein Tableau aufzufüllen? Etwa die Kinderfrau Filipjewna mit Cornelia Kallisch, Mutter Larina mit Stefania Kaluza, die Olga mit Liliana Nikiteanu oder den Fürsten Gremin mit Lászlê Polgár zu besetzen. Polgár gestaltete seine Arie dann auch umwerfend schön, angereichert mit aller Gelassenheit und Wehmut des alternden Mannes, der in der jungen Frau noch einmal Lebenslust findet.
Himmlischer Moment
Die Tatjana sang Maya Dashuk, eine so junge wie hübsche Russin. Die Briefszene geriet ihr noch wenig überzeugend, ihre Stimme verfügt noch nicht über sehr viele Möglichkeiten und in der Höhe irritiert ein schnelles, flirrendes Vibrato, das auch in der wesentlich besser gesungenen Schlussszene nicht verschwand.
Michael Volle gelang ein imposantes Rollenporträt als Eugen Onegin, indem er intelligent gestaltete und vom prächtigen Bariton bis zum verzweifelten Stöhnen und Flüstern alle Nuancen der stimmlichen Ausdrucksbereiche ausforschte und ausnutzte. Die schönste Szene des Abends aber gehörte Piotr Beczala als Lenski, der aus der wunderbaren Szene vor dem Duell nicht minder vielseitig in seinen stimmlichen Mitteln einen himmlischen Moment Opernkunst machte.
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20. 1. 2004
Melancholie in der Materialschlacht
Peter Tschaikowskys «Eugen Onegin» entfaltet im Zürcher Opernhaus musikalische Wärme. Die Inszenierung aber pflegt angestrengten Naturalismus.
Von Michael Eidenbenz Alles geht schief im Leben des lebenshungrigen, eigensinnigen Eugen Onegin. Die einzige Chance zum Glück verpasst der bindungsunwillige Lebemann, indem er die mädchenhafte Liebeserklärung der jungen Tatjana herablassend abtut. Die dümmste aller Leidenschaften, die Eifersucht nämlich, ist schuld, dass er im dümmsten aller Ehrenhändel, in einem Duell nämlich, seinen besten Freund erschiesst. Und die Einsicht, dass jene Tatjana sein Lebensglück bedeutet hätte, kommt zu spät, die nun von ihm Umworbene ist inzwischen fürstlich verheiratet und denkt nicht mehr daran, ihre solide Existenz der Leidenschaft zuliebe aufs Spiel zu setzen.
Es sind Katastrophen des Alltäglichen, denen Alexander Puschkins Verserzählung und Tschaikowskys Adaption ihre ganze Kunst des evozierten Gefühls widmen, die fatalistische Melancholie der schief gegangenen Geschichten: Beiläufig und ohne Ankündigung tritt das Glück ins kurze Menschenleben, unbemerkt verschwindet es wieder und dann erst lodern die Leidenschaften auf.
Aus dem Inneren der Figuren
Tschaikowsky hatte Bedenken, dass die Monumentalität der Opernkonventionen das Unpathetische der puschkinschen Lebenswahrheit zerstören könnte. Als « Lyrische Szenen » bezeichnete er deshalb seine Oper, die Uraufführung vertraute er einem jungen Ensemble des Moskauer Konservatoriums an. Und mit seiner Musik suchte er den geschmeidigen Ton, die schlüssige melodische Erfindung, die unmittelbar sinnlich evidente Symbolik der Motive. Ganz aus dem Inneren der Figuren ist diese Musik gedacht, in ihrem emotionalen Überschwang klingt immer der Fatalismus mit, selbst in den tableauhaften Chorsätzen und den grossen Gesten der Soloarien.
Dies zu verstehen, ist schwieriger, als es die Eingängigkeit der Musik vermuten liesse. Ein Glück für die Zürcher Opernhaus- Produktion bedeutet daher Dirigent Vladimir Fedoseyev, der als Tschaikowsky- Kenner für einmal den leisen Tönen, den elastischen Tempi und den lyrischen Farben seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Nicht als Präzisionsfanatiker, doch mit subtilem Gespür für die Temperaturen lenkt er das Orchester der Oper und das Ensemble durch den Abend und transportiert dabei übers pure Geniessen hinaus einiges von Tschaikowskys künstlerischen Visionen in die Gegenwart.
Davon profitiert das Ensemble. In den Pausengesprächen gingen zwar unter männlichen wie weiblichen Kennern die Meinungen darüber auseinander, ob dieser Onegin mit seiner schmierigen Langhaarperücke nun virile Attraktivität ausstrahle oder nur einfach ein Scheusal sei. Tatsache bleibt aber, dass ihm Michael Volle souveräne vokale Präsenz und insgesamt die stärkste Rollencharakterisierung des Abends verleiht. Maya Dashuk als Tatjana ist eine Schneewittchen- Schönheit aus St. Petersburg, jung, wie es die Rolle erfordert, charmant selbst noch in ihrer Liebesverzweiflung in der zentralen Briefszene.
Das Zürcher Publikum wird sie lieben, wenn sie erst mal eine gewisse, vielleicht der Premieren- Nervosität geschuldete Zurückhaltung aufgibt. Piotr Beczala liebt es längst schon, seiner von Tschaikowsky mit wenig Konturen bedachten Rolle des Onegin- Freunds Lenski wird der strahlende Tenor blendend und in seiner Todesahnungs- Arie auch aufrichtig anrührend innig gerecht. Von gewohnter stimmlicher Intensität sind auch die Darstellungen der Mutter Larina und der obligaten Kinderfrau durch Stefania Kaluza und Cornelia Kallisch. Einen betörenden Kurzauftritt als alter Fürst Gremin hat Laszlo Polgar, vogelleicht singt Liliana Nikiteanu die flatterhafte Olga.
Auch Martin Zysset als Triquet mit einem französischen Couplet und die Duell- Sekundanten Valeriy Murga und der bassstarke Thomas von Grünigen tragen entscheidend zur geschlossenen Wirkung des Ensembles bei. Keine vokalen Sternstunden, doch dem Ruf des Hauses angemessene hohe musikalische Leistungen sind also einmal mehr zu vermelden.
Und einmal mehr eine Inszenierung, die fehlgeht. Grischa Asagaroffs Regie, Bernhard Klebers Bühnenbild und Reinhard von der Thannens Kostüme schlagen genau jene Materialschlacht, vor der Tschaikowsky sich fürchtete. Mit hundert Einfällen, aber ohne Idee wird ein naiver Realismus verfolgt, der vom künstlichen Kornfeld über bombastisch- kitschige Sonnenuntergänge bis zu rein illustrativen komplizierten Saalbauten, vom tändelnden Schultheater in den Chorszenen bis zu aufwändigen dekorativen Kostümen an der Oberfläche der Geschichte nicht einmal zu kratzen vermag.
So viel handwerkliches Können, so viel bühnentechnische und personenführende Erfahrung versammeln sich in einer solchen Produktion. Es wird hervorgeholt, was nur an Erfahrungsschatz eben an Lager ist, Effekte mit halb transparenten Vorhängen, räumliche Scheinperspektiven, gar Bildsymbolisches wie der Unheil verkündende schwarze Vogeltänzer. So viel Aufwand, so viel unübersehbar detaillierte Probenarbeit und eine derart gedankenfreie regressive Ästhetik ist das Ergebnis.
Der Opernapparat hat sich verselbstständigt und erschlägt mit seiner Wucht den fragilen Kern der Geschichte. Auch dies kann Melancholie auslösen, freilich eine andere als die von Tschaikowsky gesuchte.
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20. 1. 2004
Musikalisch ergreifendes Seelendrama
Premiere von «Eugen Onegin» im Opernhaus Zürich
unter der musikalischen Leitung von Vladimir Fedoseyev
Vladimir Fedoseyev und die russische Seele, das ist eine innige Liebe. Im Opernhaus Zürich dirigiert der Tschaikowsky-Spezialist nun den «Eugen Onegin», die der Komponist nicht als Oper, sondern als lyrische Szenen bezeichnete. Die vorwiegend mit Ensemblemitgliedern besetzte «Hausproduktion» wurde an der Premiere vom Sonntag zu einem musikalisch ergreifenden Seelendrama, dem das Rollendebüt der jungen Russin Maya Dashuk als Tatjana eine Krone aufsetzte. Etwas übertrieben «russisch» wirkte jedoch die Regie von Grischa Asagaroff in den üppigen Kostümen von Reinhard von der Thannen.
Tödliche Eifersuchtsgeschichte
Musikalisch die echten Gefühle zu treffen, das ist in dieser stark überdrehten Eifersuchtsgeschichte samt Duell-Tod nicht einfach. Da sind die Freunde Lenski und Onegin, und da sind die heiratsfähigen Töchter Olga und Tatjana. Olga ist seit ihrer Jugendzeit mit Lenski verbunden, den sie demnächst heiraten soll. Doch Onegin will am Ball, der ihn langweilt, seinen Freund ärgern und beginnt mit Olga zu tanzen und zu schäkern. Und als Lenski die Eifersucht hochkommt, verspottet ihn Onegin auch noch. Das geht zu weit: Lenski fordert mit kochenden Gefühlen das Duell und wird von Onegin niedergestreckt.
Onegin, die haltlose Figur, der reiche gelangweilte Dandy, der keine Aufgabe und keine Beschäftigung hat. Er ist ein Prototyp der vorrevolutionären Gesellschaft, wie er nicht nur in Russland anzutreffen war. Der überhebliche Spötter weist auch die Liebe der jungen Tatjana zurück, weil er sich nicht binden will. Und als er nach seiner ziellosen Wanderschaft zurückkehrt, verliebt er sich heftig in sie, die Gräfin, die mittlerweile verheiratet ist. Tatjana weist ihn jedoch entschieden zurück, obwohl sie ihn liebt, und stösst ihn damit in die Einsamkeit.
Es fällt heute schwer, diese romantische Gefühlswelt und weibliche Idylle, diese tödliche Eifersucht und männliche Tragödie nachzuvollziehen. Doch die Dichtung Puschkins findet in einer schlichten und doch singenden Sprache zum Echten, während auch Tschaikowsky bei allem Schmachtenden immer wieder zu ergreifenden Arien und zwingenden Momenten vorstösst.
Balance und Glaubwürdigkeit
Vladimir Fedoseyev gelingt es in Zürich, die richtige Balance von Intensität und Schlichtheit zu finden. Er vermag Tschaikowskys dräuende Bässe zu zelebrieren, ohne die Glaubwürdigkeit des Ausdrucks zu gefährden, und er weiss die lyrischsten Momente zu verzaubern. Mit Ausnahme der Blechbläser, die einige exponierte Einsätze hörbar verpatzten, wirkte das Opernorchester engagiert ausdrucksstark, agil in den Tempi und gefühlsintensiv in den Streichern. Die Sängerinnen und Sänger jedenfalls wirkten wie getragen vom Orchester, niemand musste forcieren. Als Idealbesetzung erwiesen sich dabei die Freunde und Kontrahenten, Piotr Beczala als Lenski und Michael Volle als Onegin. Beczala vollzog den Wechsel vom glücklich Verlobten zum Rasenden mit überzeugender stimmlicher Kraft, um in seiner Sehnsuchtsarie kurz vor dem Duell-Tod zu einer ungemein verinnerlichten, subtil schattierten Lyrik zu finden - das ganze Publikum hielt ergriffen den Atem an.
Ländliche Idylle
Und daneben der souveräne Michael Volle, der die Liebe und die Freundschaft mit seiner Überheblichkeit verspielt. In dem Moment aber, in dem er seinen Freund niederstreckt, wird er ein anderer. Volle zieht alle Register, um diesen Wechsel vom echt, aber distanziert wirkenden Dandy zum leidenden Gefühlsmenschen umzusetzen. Der Ausbruch seiner Gefühle und sein Zusammenbruch vermag dieser Sänger mit seiner hohen Musikalität und mit technischer Bravour wie einen Sog zu dramatisieren. Und er hat zum Schluss noch die Kraft, die in die Höhe getriebene Tessitura seiner Partie makellos sicher und mit voller Stimmkraft zu meistern.
Und auf der anderen Seite die russischen Frauen in der ländlichen Idylle, alle in weiss. Im Hintergrund das Kornfeld und der rötliche Himmelshorizont. Grischa Asagaroff inszeniert die Naivität dieser Weiblichkeit eins zu eins. Doch sowohl Stefania Kaluza als Mutter Larina als auch Liliana Nikiteanu in der Rolle der lebenslustigen Olga, sie beide wirken in ihrer Darstellung ziemlich gestelzt. Von dunkler Macht zeugt das Duett von Kaluza und Cornelia Kallisch, der Amme, die das russische Kolorit mit bäuerischer Rauheit in der Stimme vermittelt.
Überzeugendes Rollendebüt
Aus dieser selbstzufriedenen Weiblichkeit entwickelt Maya Dashuk eine Tatjana, die in ihrer Vielschichtigkeit und Tragik ohne Pathos Grösse gewinnt. Die junge russische Sängerin debütierte in dieser Rolle mit unerhört weicher, schlank geführter und doch strahlender Stimme. Die Briefszene - vom Bühnenbildner Bernhard Kleber mit einem surreal ins Universum abgehobenen Schlafzimmer eindrücklich bebildert - bringt sie dann erstmals in Rage. Diese Erregung, diese Scham, die Gefühle zu offenbaren, dieses Hin- und Hergerissensein spielt sie mit packendem Tempo. Und dann die zurückweisenden Worte Onegins, die sie mitten ins Herz treffen - auch das spielt sie ungekünstelt echt.
30 Jahre später findet dann eine erneute Begegnung statt: Maya Dashuk spielt die reiche Gattin des kriegsverletzten Fürsten Gremin, gesungen von Laszlo Polgar, mit sanfter Grandezza, das Glück jedoch wagt sie nicht mehr. Und sie singt diese Entscheidung mit solcher Vehemenz und selbstbewusster Kraft, dass man bei dieser schlanken Stimme seinen Ohren nicht traut. Ein in allen Facetten der Partie überzeugendes Rollendebüt.
Hang zum Lächerlichen
Was die Regie betrifft, so spielen vor allem die Bühnenprospekte mit den Naturstimmungen und weiten Dimensionen eine tragende Rolle. Sie passen auch im intensiven Licht von Jürgen Hoffmann zu Tschaikowskys immer wieder an den Kitsch grenzender Musik.
Was jedoch der von Vladimir Fedoseyev intendierten Echtheit des Gefühls und des schlichten Gesangs zuwiderläuft, ist die Ausstattung und Personenführung von Asagaroff. Vor allem die überzeichneten Chor-Auftritte grenzen durch die eigenartigen Kostüme, Masken und Bewegungen ans Lächerliche. Aber auch die immer wieder auftauchenden symbolträchtigen Vogelschwingen der Tänzer wirken mit der Zeit ziemlich bemühend. Die eindrücklichsten Momente des Abends sind auch von der Bühne her die dunklen Stimmungen: Tatjanas Schlafzimmer und die nächtliche, schneebedeckte Baumlandschaft für das Duell.
Sibylle Ehrismann
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20. 1. 2004
«Ein jeder Engel ist schrecklich»
Geteilte Reaktionen auf die Neuinszenierung von Tschaikowskys «Eugen Onegin» am Opernhaus
Immer noch schreibt Tatjana mit Federkiel und Tinte: Grischa Asagaroff setzt in seiner Inszenierung ganz auf historische Volkstümlichkeit und russisches Kolorit. Oberflächlich gesehen ist das auch alles schön und adrett und genau. Ob damit aber auch der Kern des Werks getroffen wird, bleibt zu hinterfragen - wie auch die paar Buhrufe zum Schluss der Aufführung.
WERNER PFISTER
Prächtiger war seit langem kein Sommerabend auf der Bühne des Opernhauses zu bewundern. Der Himmel rot gefärbt, ein paar Masten für elektrische Leitungen, allerdings noch ohne Drähte (was auf Tschaikowskys Zeitalter, und nicht auf Puschkin zurück verweist). Das Korn steht rundum in schwerer Reife - man möchte fast um jene Zuschauer fürchten, die an einer Getreideallergie leiden. Im Vordergrund wird aufgeräumt und emsig frisch eingekochte Himbeermarmelade in Gläser abgefüllt, dass man den süssen Geruch förmlich im Parkett zu riechen meint. Landleben pur, allerdings wie drin in einer Puppenstube nachgespielt statt draussen auf dem Feld: die Bauernmägde in blütenweissen Kostümen knitterfrei gekleidet, als wären sie noch nie mit dem Land (und dem Leben) in Berührung gekommen.
Mechanische Überhöhung
Das alles ist gut gemacht und liebevoll inszeniert. Aber es bleibt (vorläufig) an der Oberfläche - wie auch die Personen, die auftreten und abgehe. Lenski: Prototyp eines schwärmerischen Dichterjünglings; er könnte dem Göttinger Hain ehtstammen, Goethe-Zeit also (Lenskis gelber Mantel würde dann Werthers gelben Frack zitieren). Onegin: ein eingebildeter Nihilist, wie er im Buche steht, unproduktiv und überflüssig, wenn es um gesellschaftlichen Fortschritt geht, zudem einer, der vom Leben nichts lernt: In dieser Inszenierung jedenfalls tritt er mit sehr langem, angegrautem Haar bereits so alt auf, wie er am Schluss des Werks sein sollte: also viel zu alt.
Sie bleiben sich alle gleich, diese Menschen. Einen Blick in ihr Inneres offenbaren sie uns nicht. Selbst nicht Tatjana in ihrer grossen Briefszene. Mal sitzt sie sittsam am Tisch, dann kniet sie auf dem Fussboden, später auf dem Bett; taucht, den Federkiel ins Tintenfass und schreibt. Um dieser (zentralen) Szene vielleicht doch zusätzliches Gewicht zu verleihen, wird der Bühnenboden (es handelt sich um Tatjanas Schlafzimmer) mit blütenweissem Bett samt Tisch und Schrank) um gut einen halben Meter in die Höhe gefahren, als liesse sich dadurch eine Überhöhung des Bühnengeschehens erreichen.
Schwarzer Schwan
Andeutungen auch anderweitig - wenn Tatjana ihren Brief an Onegin schreibt: Ist er ihr «Schutzengel» oder oder ein «hinterlistiger Verführer»? Wie zur Antwort auf diese Frage taucht im Hintergrund ein schwarzes, grossgeflülgeltes, nacktes männliches Wesen auf. Einer «aus der Engel Ordnungen», wie es bei Rilke heisst? Oder doch eher ein Doppelgänger des schwarzen Schwans aus Tschaikowskys «Schwanensee»-Ballett? Wir wissen es nicht. Eindrücklich indes und unmittelbar packend der Schluss dieser Briefszene, wenn sich Tatjana ins Bett verkriecht und die Decke über den Kopf zieht. Hier beben existentielle Ängste.
Der grosse Ball zu Beginn des zweiten Aktes in Larinas Haus, ein Ball der Landsleute, wird als Maskenball inszeniert: alle weissgewandet (ausser Onegin, der in teuflisch schwarzem Frack sich langweilt, damit wir auch merken, dass er ein Aussenseiter ist ), alle mit rotgefärbten Pausbacken und aufgebundenen Perückenmonturen. Ob Lenski wirklich Grund zur Eifersucht hat, weil sein Freund Onegin wiederholt mit seiner Erwählten Olga tanzt, das scheint offenbar nicht wirklich klar zu sein. Jedenfalls sprechen die beiden unverhältnismässig dem Wodka zu, auf dass diese Eifersucht ersichtlich zu hitziger Glut komme. Wogegen die anderen Ballgäste derart ostentativ dem Wodka fernbleiben (wir sind in Russland!), als wären es sämtliche Abstinenzler.
Klanglicher Feinsinn
Wie gesagt: Das alles ist sorgfältig und mit ersichtlicher Liebe inszeniert. Aber es bleibt (für mich) an der Oberfläche, trifft nicht in tiefer liegende Schichten, lässt den Zuschauer in distanziert geniessender Beschaulichkeit, berührt ihn aber, kaum - insofern er vom Musiktheater, von Beschäftigung mit Kunst überhaupt erwartet, dass sie einen berührt, dass sie einen (und das wiederum mit Rilke formuliert) fort hebt, und dies stärker als alles andere, dass sie einen aber nicht wieder dort ablegt, wo sie ihn gefunden hat, sondern irgendwo tiefer, ganz im Unfertigen. Hier nun müsste er sich neu orientieren und positionieren, und das wäre letztlich der Erkenntnisgewinn, den Kunst zu vermitteln im Stande ist.
Musikalisch wird diese Neuinszenierung ganz von der kundigen Dirigentenhand Vladimir Fedoseyevs bestimmt. Das heisst: kammermusikalische Intimität im Orchester, die ausnehmend gut zu den «lyrischen Szenen», wie Tschaikowsky seine Oper im Untertitel nannte, passt. Aus den einzelnen Instrumentalsoli des hervorragend disponierten Orchesters der Oper Zürich klingt immer wieder Verletzlichkeit; zuweilen ist es, als würde diese Musik (ganz ohne interpretatorisches «Dazutun») pur aus sich und ganz zu sich selber sprechen. Klanglicher Feinsinn, exakt durchdachte Phrasierungen und ein emphatischer Spannungsreichtum halten sich stimmig die Waag: brillant, episch, ausladend und gleichzeitig dramatisch straff.
Souveräne Sänger
Den Sängern wird dadurch viel abverlangt - vor allem viel Verhaltenheit im Piano-Gesang . Das meistern sie allesamt beachtlich. Michael Volle verleiht dem Onegin Züge des Dezidierten wie des Blasierten, wirkt entschieden und ist dennoch voller brodelnder Unruhe. Dadurch gelangt sein lyrisches Timbre, vor allem in den Aufschwüngen des dritten Akts, oftmals unter unangenehmen Druck; sonst aber ein imposanter Onegin. Piotr Beczala, als Lenski bereits ein Habitué, macht sich seine Aufgabe dennoch nicht zu leicht, setzt jedenfalls nicht voreilig verschwenderisch nur auf grosse Töne, sondern fasziniert mit seiner betont sprachimmanenten Legato-Kultur im Piano ebenso sehr.
Olga und Tatjana, die beiden Schwestern, könnten gegensätzlicher kaum sein. Liliana Nikiteanu eine quirlig lebenslustige Olga mit einem fast bübisch verschmitzten, satten, ja lebensprallen Mezzosopran, Maya Dashuk eine mädchenhaft scheue, ruhige Tatjana, die erst im letzten Akt und spätestens dort dann stimmlich restlos beeindruckend zu fraulicher Reife aufblüht. Fürst Gremin, ihr Gatte, wird im Rollstuhl hereingeschoben, was den Altersunterschied zweifellos verdeutlicht. Dennoch, in seiner Arie kann Laszlo Polgar fast beneidenswert aus demVollbesitz seiner prächigen Stimme schöpfen: ein vorbildlicher Basso Cantate.
Zurücklehnen
Auch den kleineren Rollen wird viel behutsame Aufmerksamkeit gegeben: Stefania Kaluza als durchaus liebevolle Gutsherrin Larina, Comelia Kallisch als geschäftig umtriebige, dann auch mal begriffsstutzige Amme, und Martin Zysset als Triquet mit einem vielleicht allzu eindimensional auf (weibische?) Lächerlichkeit angelegten, aber hervorragend gesungenen französischen Couplet. Gewiss, insgesamt eine Inszenierung, wo man sich bequem zurücklehnen darf und geniessen kann. Nicht unbedingt Begeisterungsstürme zum Schluss, aber doch viel zustimmender Applaus, und es wäre unrecht zu verschweigen, dass ,es einigen, vielleicht vielen, ausgesprochen gefallen hat.
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