Johann Strauss:
Wiener Blut

 

Aufführung


(Theater Winterthur)
6. 9. 2002
(Première)

Musikalische Leitung: Theodor Guschlbauer
Inszenierung: Michael Sturminger
Ausstattung: Renate Martin / Andreas Donhauser
Choreographie: Lukas Gaudernak
Lichtgestaltung: Franz Orban
Chor: Ernst Raffelsberger
*
Fürst Ypsheim-Gindelbach: Rolf Haunstein
Balduin, Graf Zedlau: Christoph Strehl
Gabriele, seine Frau: Noëmi Nadelmann
Graf Bitowski: Ulrich Bodamer
Franziska Cagliari: Tänzerin: Christiane Kohl
Kagler, ihr Vater: Herbert Prikopa
Pepi, Probiermamsell: Ute Gfrerer
Josef, Kammerdiener: Volker Vogel
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Orchester Musikkollegium Winterthur
Zusatzchor Opernhaus Zürich
Heinz Spoerlis Junior Ballett

Rezensionen


9 .9. 2002

«Walzersang, ach, dein Klang»

Opernhaus-Premiere in Winterthur: «Wiener Blut»

Zum ersten Mal hat das Zürcher Opernhaus für seine traditionelle Koproduktion mit dem Winterthurer Theater am Stadtgarten und dem Musikkollegium Winterthur auf das Genre Operette gesetzt. Und obwohl «Wiener Blut» von Johann Strauss Sohn ein ganz und gar synthetisches Werk ist, herrscht echte Operettenstimmung.

Vor zwei Jahren Paers «Leonora», dann Nicolais «Lustige Weiber von Windsor», jetzt «Wiener Blut» von Johann Strauss Sohn: Es scheint, als bewegten sich die Winterthurer Produktionen des Zürcher Opernhauses allmählich in eine neue Richtung, weg vom Exklusiven und hin zum Populären. Die ursprüngliche Devise «Raritäten» gilt dabei allerdings weiterhin: «Wiener Blut» ist im Opernhaus seit 1973/74 nicht mehr gespielt worden. Und offensichtlich entspricht die Wiederbelebung einem Bedürfnis. Alle sechs Winterthurer Vorstellungen sind bereits ausverkauft (eine weitere findet am 17. September im Théâtre du Jorat im waadtländischen Mézières statt). Ein Saisonbeginn nach Mass also für den Winterthurer Theaterdirektor Gian Gianotti, doch nicht allein besuchermässig. Das bewährte Wiener Team Michael Sturminger (Regie), Renate Martin und Andreas Donhauser (Ausstattung), dem sich als Dirigent Theodor Guschlbauer beigesellt hat, beweist auch hier eine glückliche Hand.

Indem die Inszenierung das Operettenhafte ins Revuehafte steigert - mit glitzernden Kostümen, knalligen Farben und effektvollen Kunststoffmaterialien -, trifft sie den Kern des Werkes, das ja eigentlich ein Machwerk ist. Aus teilweise unveröffentlichten oder vergessenen Tanzstücken von Johann Strauss hat der Kapellmeister Adolf Müller mit Einwilligung des Komponisten ein Pasticcio arrangiert, zu dem das Duo Léon/Stein eine Handlung erfand und ein Libretto verfasste. Es ist eine Verwechslungskomödie nach konventionellstem Schema, in Gang gebracht durch den Grafen Balduin Zedlau, den Gesandten eines deutschen Duodezfürstentums, der in Wien zum flotten Lebemann wird, aber deutlich überfordert ist, als es gilt, eine temperamentvolle Ehefrau und zwei Geliebte aneinander vorbei zu manövrieren. Das Erscheinen des Premierministers Fürst Ypsheim-Gindelbach, der die Gräfin für die Tänzerin und die Tänzerin für die Gräfin hält, macht die Situation nicht einfacher, und zu guter Letzt entdeckt der Kammerdiener Josef auch noch, dass die neueste Flamme seines Herrn seine Pepi ist. Wie in Mozarts «Figaro» sind es schliesslich die Frauen, die den Verführer in die Falle tappen lassen, ebenfalls in einem nächtlichen Park mit lauschigen Verstecken. Die Versöhnung kommt schnell zustande: Das Wiener Blut - «eigner Saft, voller Kraft, voller Glut» - war an allem schuld.

Kraft und Glut, das darf man auch dem Ensemble attestieren: der energischen, stimmlich etwas schweren Gräfin von Noëmi Nadelmann, dem in amourösen und vokalen Belangen gleichermassen wendigen, im dritten Akt allerdings leicht ermatteten Grafen von Christoph Strehl, dem original sächsischen Premierminister von Rolf Haunstein, dem beflissenen Kammerdiener von Volker Vogel und der etwas scharfzüngigen Tänzerin Cagliari von Christiane Kohl. Echtes Wiener Blut aber pulsiert in den Adern der Pepi von Ute Gfrerer und des Karussellbesitzers Kagler von Herbert Prikopa.

Dass die Figuren einschliesslich der Tänzerinnen und Tänzer von Heinz Spoerlis Junior-Ballett (Choreographie Lukas Gaudernak) konsequent überzeichnet werden, verdeutlicht nicht nur die Künstlichkeit des Stücks, es verleiht dem Spiel auch einen bekömmlichen Schuss Ironie. Und wenn die Drehbühnen Paravents und Kugelbüsche kreisen lassen, wird uns zugleich das leere In-sich-Kreisen der Handlung vor Augen geführt. Was diese in Gang hält, ist die Musik, diese opulente Abfolge tänzerisch beschwingter Melodien. Das Orchester Musikkollegium Winterthur spielt sie unter Theodor Guschlbauers Leitung animiert, spritzig und gelöst, ohne es an Präzision und Feinschliff fehlen zu lassen.

Marianne Zelger-Vogt



9. 9. 2002

THEATER WINTERTHUR: SAISONERÖFFNUNG MIT DEM «WIENER BLUT» DES ZÜRCHER OPERNHAUSES

Theatermechanik und Walzerblut

Wie viel Strauss die letzte Strauss-Operette enthält, ist eine Frage für Musikologen. Das Publikum der Opernhaus-Premiere in Winterthur freute sich am Walzerblut, das auch durch dieses Kunstwerk wallt.

HERBERT BÜTTIKER

Blut? Dass die «wienerischste Operette» nicht wie ein Wesen aus Fleisch und Blut gewachsen ist, sondern wie eine Puppe aus lauter einzelnen Teilen zusammengesetzt wurde, ist eines der erstaunlichen Phänomene der Theatergeschichte. Der altersmüde Johann Strauss – er starb vier Monate vor der Uraufführung am 26. Oktober 1899 – stellte die Kiste seiner Walzer-, Marsch- und Polka-Manuskripte zur Verfügung. Der Komponist Adolf Müller wählte mit ihm aus, setzte zusammen und verteilte de Melodiensegen auf die Partien und den Text der Librettisten Victor Léon und Leo Stein, deren Geschichte selber eher ein perfekt funktionierendes Räderwerk als ein Griff ins pralle Leben war. Mit erstaunlichem Resultat: Aus der Tanzmusik ist echte dialogische Operettenmusik geworden, die den Figuren melodisches Leben einhaucht, und das Stück ist wie für diese Musik geschaffen, das Ganze eine Apotheose des Wiener Walzers, die zwar nicht in den Himmel führt, sondern nur in die zwielichtige Gartenlaube, vor allem aber in einen vergnüglichen Theaterabend.

Die Lust für das Publikum
Dieses Vergnügen hatte nun auch in der Aufführung des Opernhauses auf der Winterthurer Bühne gleich mehrere Seiten. Natürlich ist da die befreiende Beobachtung, dass erotische Eskapaden – im Mittelpunkt Graf Zedlau, seine Ehefrau, die Tänzerin Franziska Cagliari als sein «Gschpusi» und die Probiermamsell Pepi für ein Kurzabenteuer – mit grausamen Mühen und Peinlichkeiten verbunden sind und selbst die Wiener und Wienerinnen als offenbar absolute Experten in dieser weltbewegenden Angelegenheit, sich am Ende doch nur um die Restauration der alten Verhältnisse bemühen. Schlägt sich also die Lust schon in dieser Hinsicht ganz auf die Seite des Publikums, so erhält es obendrein noch den Segen der schönen und witzigen Arbeit, die im Orchestergraben und auf der Bühne verrichtet wird. Und witzig und schön war an diesem Abend, was da unter Theodor Guschelbauers umsichtigem Dirigat in guter Koordination geleistet wurde – vom Orchester des Musikkollegiums, das ohne sehr in den Vordergrund treten zu können mit duftigem und schmiegsamen Klängen den Ohren schmeichelte und die anspruchsvolle begleiterische Aufgabe mit vifem Spiel löste, und von den Protagonisten, die mit treffendem Wortwitz und ansprechenden Tönen farbig agierten.
Einzelne erreichten dabei eine darstellerische Virtuosität, die auch einer Nestroy-Aufführung (ein Hintergrund, der an diesem Abend umso deutlicher wurde) gerecht geworden wäre: Volker Vogel als stimmlich gut geölter und lackierter Kammerdiener Josef, Ute Gfrerer als seine (und nicht nur seine) mit Lust- und Herztönen willfährige Probiermamsell Pepi, Christiane Kohls strahlend souveräne Cagliari. Eine gewisse Opernschwere bei aller mondänen Erscheinung mochte im Auftritt Noëmi Nadelmanns als Frau Gräfin ein wenig irritieren, während Rolf Haunstein mit hölzernem Wesen die Rolle des Fürsten bedienen konnte, der mit dem spröden Charme des schwäbischen Akzents und der Schillerschen Moral als Fremdkörper im Wiener Blut schwimmt. Den Grafen Zedlau, der ausser seinem Titel als Gesandter von Reuss-Greiz-Schleiz in Wien alle provinzlerische Umständlichkeit abgelegt hat, versorgt Christoph Strehl hingegen mit allem, was den Operetten-Don Juan ausmacht: mit einem beweglich-leichten und höhensicheren Tenor, der sein auf einen erotischen Triathlon angelegtes Liebestoben mit Verve und Schmelz über die Rampe trägt, und mit einem darstellerischen Charme und einer Wendigkeit von poppig-salopper Statur, die dem Fernsehzeitalter näher steht als dem überkommenen Opernplüsch.

Es dreht sich
Das entspricht natürlich auch dem Geist der Inszenierung, für die das in Winterthur bestens bekannte Team Michael Sturminger, Renate Martin und Andreas Donhauser verantwortlich zeichnet. Wie in den «Lustigen Weibern» prägt auch im «Wiener Blut» die ästhetische Perfektion des Kitsches die Bühne, diesmal vielleicht noch einmal um eine gehörige Spanne aufgedrehter und aufwendiger und mit raffinierten Materialien für Dekoration und Lichteffekte. Die Mechanik der Drehbühnen auf der sich drei kleine Drehbühnen drehen (Schlaf-, Bad- und Ankleidezimmer im ersten, die drei dringend benötigten Lauben im dritten Akt) korrespondiert sinnreich mit der Mechanik des Stücks, und die Kostümierung (vor allem auch für das wackere Ensemble aus Zusatzchor und Junior-Ballett des Opernhauses) holt das Geschehen aus jeder historischen Anlehnung heraus in eine Künstlichkeit, an deren Comic-Phantastik man sich vielleicht satt sehen kann, die einem aber auch nicht vormachen will, das «Wiener Blut» sei mehr als eine Konstruktion für den Augenblick eines vergnüglichen Theaterabends und eines durchschnittlichen Seelenhaushalts. Wobei es manchmal wenig braucht, um auch die so genannte Aktualität einzubringen.
So brauchte Herbert Prikopa, der auf Fledermaus-Frosch spezialisiert ist und auch hier als Kogler nuschelnd seine Lachnummernrolle findet, nur einen Buchstaben auszuwechseln, wenn er dem Gesandten von Reuss, Greiz und vor allem Schleiz , der in Wien doch so schön aufblüht, die Rückversetzung in die biedere Heimat androht.



9. 9. 2002

Selbst die Bühne tanzt Wiener Walzer

Das Zürcher Opernhaus eröffnete seine Saison traditionsgemäss in Winterthur. Mit einer schön kitschigen Version von Johann Strauss' Operette «Wiener Blut».

Von Susanne Kübler

Hier pulsiert das «Wiener Blut» für einmal rosarot. Rosa ist der Stoff, der sich über die Wände der Villa fältelt. Rosa sind auch die Kissen, auf denen sich der Graf mit seinen Liebschaften oder seiner Frau zu räkeln pflegt. Und rosa sind selbst die Haare seines Gspusi, der Franzi, wenn auf dem Ball die ganze komplizierte Liebes- und Verwechslungs- und Versöhnungsgeschichte ihren Höhepunkt erreicht.

Viel Zuckerguss

Operetten, auch jene von Johann Strauss, haben in den letzten Jahren ganz neue Interpretationen erfahren: böse, entlarvende, auf Brüche hinzielende. Die Winterthurer Produktion des Zürcher Opernhauses gehört ganz entschieden nicht in diese Linie, sie setzt dem Stück im Gegenteil noch eine dicke Schicht Zuckerguss auf. Mit offensichtlichem Vergnügen hat das Ausstatterduo Andreas Donhauser und Renate Martin kitschige Requisiten angehäuft und bonbonbunte Kostüme geschneidert. Der Choreograf Lukas Gaudernak lässt das Zürcher junior Ballett aus dem Dreivierteltakt kaum mehr herauskommen, und der Wiener Regisseur Michael Sturminger zeigt den Schwank als Schwank. Nur dass hier keine Türen im rechten respektive falschen Moment aufgehen, sondern sich stattdessen die mit zierlichen Paravents versehenen Drehbühnchen auf der Drehbühne drehen. Immer wieder, immer rundherum, selbst die Bühne schwelgt in Walzerseligkeit.
Das ist hingebungsvoll gemacht, wenn auch nicht gerade frech. Nur wenn sich der Graf und sein Kammerdiener von all dem Rosa zeitweise ein bisschen anstecken lassen, kommt ein spitzerer Ton ins Spiel. Aber darum geht es ja nicht, diese Aufführung will unterhalten und gefallen und keine Konventionen hinterfragen - und insofern passt alles zusammen. Auch die Sängerinnen und Sänger und ihre Rollen: Noëmi Nadelmann zeigt als Gräfin viel Bein und einen geradezu mondänen Sopran. Leichter, girliehafter ist die Stimme der Christiane Kohl, die als Franzi ihren Einstand als Ensemblemitglied am Zürcher Opernhaus gibt. Noch ein bisschen greller und mit einer gezielten Dosis Vulgarität wickelt schliesslich Ute Gfrerer als Probiermamsell Pepi die Männer um den Finger.
Prototypen sind auch diese: Während Christoph Stehl den Grafen als Dandy und mit geschmeidigem, gelegentlich etwas leisem Tenor gibt, bewährt sich Volker Vogel in der Rolle des Kammerdieners als Vollblutwiener, obwohl er gar keiner ist. Die grossartig beschränkte Leutseligkeit des Vater Kagler (Herbert Prikopa) prallt auf die preussische Hölzigkeit und den gekonnt biederen Bass des Premierministers von Reuss-Greiz-Schleiz (Rolf Haunstein). Und alle zusammen bemühen sich um Komik, Wiener Charme und Textverständ lichkeit - Letzteres mit mehr Erfolg in den Dialogen als in den gesungenen Partien.
Prägnant spielt auch das Orchester Musikkollegium. Winterthur. Theodor Guschlbauer, ebenfalls ein Wiener, sorgte bei der Premiere am Freitag schon in der zunächst betont schmissigen, dann ebenso betont kantablen Ouvertüre für Kontraste. Leuchtende Farben waren das Resultat, aber gelegentlich auch eine gewisse Steifheit: So funktionierten zwar die Beschleunigungen, aber sie rissen kaum wirklich mit. Vor allem aber unterstrich die auf Sorgfalt bedachte Interpretation den Potpourri-Charakter des Werks: «Wiener Blut» wurde ja bekanntlich erst nach Johann Strauss' Tod von den Librettisten Victor Léon und Leo Stein und dem Kapellmeister und Theatermusiker Adolf Müller aus beliebten Tanzmelodien zusammengestellt. Geschickt zwar, schon die Wiener Uraufführung 1899 war ein Erfolg und scheint nur Karl Kraus aus Pietätsgründen missfallen zu haben; aber in einigen Momenten bricht das Stück eben doch auseinander, wenn der musikalische Kitt es nicht genügend zusammenhält.

Wenig Verrücktheit

So stockte dieses rosarote Wiener Blut gelegentlich, der Wirbel auf der Bühne reichte nicht immer bis in den Saal. Vielleicht hätten die Drehbühnen wirklich mal durchdrehen müssen. Oder vielleicht hätte der Champagner, der in Strömen floss, echt sein sollen. Ein bisschen mehr Verrücktheit hätte der Inszenierung und der Musik gut getan - und die prächtige Ausstattung hätte sich bestens dafür geeignet. Wenn sich am Ende vor glitzerndem Grün die Lauben drehen, wenn die Protagonisten in allen möglichen und unmöglichen Kombinationen darin verschwinden, dann hätte man sich eine fantasievollere Neuauflage der alten Schwank-Mechanismen tatsächlich nicht vorstellen können.


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