Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Richard Strauss: Ariadne auf Naxos
16. Dezember 2006 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Lichtgestaltung


Primadonna (Ariadne)
Zerbinetta

Komponist
Najade
Dryade
Echo
Tenor (Bacchus)
Musiklehrer
Tanzlehrer
Harlekin
Scaramuccio
Truffaldin
Brighella
Ein Lakai
Haushofmeister
Christoph von Dohnányi
Claus Guth
Christian Schmid
Jürgen Hoffmann

Emily Magee
Elena Mosuc
Michelle Breedt
Eva Liebau
Irène Friedli
Sandra Trattnigg
Roberto Saccà
Michael Volle
Andreas Winkler
Gabriel Bermúdez
Martin Zysset
Reinhard Mayr
Blagoj Nacoski
Ruben Drole
Alexander Pereira

Rezensionen
    Aargauer Zeitung:
Blick:
Basler Zeitung:
Der Landbote:

Neue Luzerner Zeitung:
Neue Zürcher Zeitung:

Die Südostschweiz

St. Galler Tagblatt:
Tages-Anzeiger:
Zürichsee-Zeitung
DrehPunktKultur:
Glas um Glas dem Totenreich entgegen
Ariadne in der Kronenhalle
Mythos
Kronenhalle
Zürich zwischen Mythos und Lokalposse
Blind Date in der «Kronenhalle»

Wahrheiten, Gewissheiten - und ihre Aufhebung
Glanzvolle «Ariadne» im Zürcher Opernhaus
Depression im Nobelrestaurant
Schein und Sein in der Kronenhalle
Auf der Suche nach der Identität
Hommage an die Schweizer Bankenmetropole
   

Aargauer Zeitung

18. 12. 2006 / Christian Berzins

Glas um Glas dem Totenreich entgegen

Opernhaus Zürich Richard Strauss’ «Ariadne auf Naxos» wird vor allem wegen des Bühnenbildes von Christian Schmidt lange in Erinnerung bleiben. Aber auch musikalisch ist die Produktion grandios.

«Die Tiefen des Daseins sind unendlich», lässt Zerbinetta in Richard Strauss’ «Ariadne auf Naxos» den Komponisten wissen. Die Tiefen der Regisseure sind erahnbar, wollen wir behaupten. Wie sehr sich Claus Guth in die Stoffe vertieft und die Sänger zu einem grossen Schauspielerensemble vereint, hat er in Salzburg, Bayreuth oder Basel bewiesen. In Zürich belässt er es bei Andeutungen, zeitweise sogar beim schönen Ausstatten. Das aber beherrscht sein Kompagnon Christian Schmidt so gut, dass von dieser Produktion noch in dreissig Jahren gesprochen werden wird.

Schmidt schafft es nämlich, ein heiss geliebtes Stück Zürich auf die Opernhausbühne zu zaubern: Anstatt auf einer öden Insel wartet Ariadne in der Brasserie des Restaurants «Kronenhalle» auf Bacchus - Glas um Glas. Der von Zerbinetta angeführten Komikertruppe gelingt es hier nicht, die Mundwinkel der Todessehnsüchtigen wenigstens um zwei Millimeter zu bewegen. Kein Wunder, ihre Spässe sind für einmal weder lustig noch haben sie Charme. Erst als der von den Serviertöchtern (ehemals Najaden) aufgrund ihrer «20 Minuten»-Lektüre erwartete Star Bacchus auftritt, beginnt Ariadne wieder Kraft zu schöpfen - gerade so viel, dass es reicht, (Schlaf-?)Tabletten mit Wein hinunterzuspülen.

Flüchtige Andeutungen, kleine Irritationen, Tat gewordene Gedanken - Guth spielt damit, ja er spinnt mit seinen Fantasien erst die grossen Zusammenhänge. In Zürich verrätselt er seine Ideen bisweilen aber stark. Das «Vorspiel» lässt er in einem Niemandsland vor weissem Vorhang spielen. Alles bleibt in einer von Nebel umflossenen Schwebe, in der allerdings die Todesthematik der Oper in der Oper bereits vorweggenommen wird. Als Kontrast folgt Guth der «korrekten» Handlung, da der Haushofmeister alias Alexander Pereira überrealistisch von der Direktions-Loge aus agiert.

Die einen können in dieser Bilderabfolge viel erkennen, die anderen - kräftige Buhrufer - offenbar weniger. Egal: Man muss diese Bühne gesehen und vor allem das Ensemble samt Orchester und Dirigent gehört haben! Von der Rolle des Komponisten (Michelle Breedt) bis zu den Nebenrollen sind alle grossartig besetzt. Elena Mosuc macht die Szene der Zerbinetta nicht nur zu einem rasend-tollen Koloratur-Hochseilakt, sondern gibt der oft kalten Figur durch ihre ausgefeilte Stimmkunst warme Gefühle. Emily Magee spielt die Primadonna nicht, sie ist eine: Wer sonst kann mit einer so ausladenden Stimme so himmlisch zart-schöne Piani singen? Für die Überraschung sorgt Roberto Saccà (Bacchus). Der Mozart-Tenor hat schon Puccini gesungen, aber nun zum ers ten Mal den kurios-schweren Bacchus. Wo sonst tenorale Schwergewichte übers Meer brüllen, steht jetzt ein eleganter Mann, der alles überaus differenziert gestaltet: Saccàs Timbre bleibt selbst im Fortissimo bestehen, die Verständlichkeit ist gewährt.

Dirigent Christoph von Dohnányi beginnt mit einem fein ausgehorchten Kammerspiel und macht dann geradezu theatralisch grotesk grosse Oper daraus. Gewiss geht er auch an Dezibel-Grenzen. Aber er beschwört damit den dramatischen Lauf geradezu, verbindet Gesang und Orchester aufs Idealste. - Die Anweisungen des Hausherrn alias Haushofmeisters alias Pereira nahmen sich offenbar alle zu Herzen: «Seine Gnaden sind gewohnt, anzuordnen und seine Anordnungen befolgt zu sehen.» Seine Gnaden waren bestimmt begeistert.

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Blick

18. 12. 2006 / Roger Cahn

Ariadne in der Kronenhalle

Die Inszenierung ist überraschend, die Musik auf hohem Niveau interpretiert: Dem Opernhaus-Publikum gefiel am Samstag die Premiere von «Ariadne auf Naxos».

Die Schwierigkeit dieses philosophisch konzipierten Werkes: Wie bringt man erhabene Oper und simples Singspiel, Mythos und Banalität, Schein und Sein auf einen gemeinsamen Nenner?

Auf Kommando des Haushofmeisters - Alexander Pereira lässt es sich nicht nehmen, diese Sprechrolle persönlich auf der Bühne zu verkörpern - müssen die bestellte edle Oper «Ariadne auf Naxos» und die derbe Posse mit Harlekin und Zerbinetta gleichzeitig gespielt werden, weil das Feuerwerk als Höhepunkt des Abends nicht warten darf. Autor und Komponist wollen mit diesem Konzept demonstrieren, dass sich in der Kunst auch gegensätzliche Welten miteinander verschmelzen lassen.

Der deutsche Regisseur Claus Guth verlegt die Oper aus dem Wiener Palais ins Zürcher Nobelrestaurant Kronenhalle: Dort erwartet die von ihrem Geliebten verlassene edle Ariadne den Tod. Personal und Gäste - die Hauptfiguren von Oper und Komödie - kümmern sich aufopfernd um die melancholische Schönheit. Nach langem Warten steht er schliesslich in der Tür: nicht der ersehnte Todesbote Hermes, sondern Bacchus, der lebensbejahende Gott des Weines. Verwirrt sinken sich beide in die Arme.

Die Rechnung geht auf: In der Kronenhalle lassen sich Schein und Sein hervorragend verschmelzen. Wo nicht nur der Gast, sondern auch der Chef de Service König ist, wo sich Klassik (Ariadne, Bacchus und ihre Nymphen) und Pop (Zerbinetta und ihre Männertruppe) die Klinke in die Hand geben, wirkt das Aufeinanderprallen verschiedener Welten dem Zürcher Opernpublikum vertraut.

Unter Christoph von Dohnányis Leitung musiziert das Orchester der Oper Zürich kammermusikalisch differenziert. Die Sänger auf der Bühne können ihre extrem schwierigen Arien optimal singen. Emily Magee als Ariadne geht unter die Haut, Elena Mosuc als Zerbinetta brilliert, und Roberto Saccà als Tenor (Bacchus) zelebriert Schöngesang.

Fazit: Eine kunstvoll konstruierte Oper, von hervorragenden Künstlern präsentiert, findet in einem Zürcher Kunsttempel eine adäquate künstlerische Umsetzung.

Ein «Zückerli» für die Sponsoren
Während der Premiere von «Ariadne auf Naxos» führt Hausherr Alexander Pereira in der Rolle des Haushofmeisters den «Edelstatisten» Hans Bär in Begleitung von Lady Valerie Solti, Witwe des verstorbenen Star-Dirigenten Sir Georg Solti, auf die Bühne. Dort lädt er sie zu einem Glas Rotwein (Himbeersirup) ein. Eine neue kreative Idee des cleveren Direktors, um Sponsoren «einzuseifen»: Nicht nur zu Gast sein in der Direktionsloge, sondern einmal Edelstatist spielen «auf den Brettern, die die Welt bedeuten»?

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Basler Zeitung

18. 12. 2006 / Tobias Gerosa

Mythos Kronenhalle

Zürcher Opernhaus mit «Ariadne auf Naxos»

Die Neuproduktion von Richard Strauss’ Oper «Ariadne auf Naxos» ist Oper, wie man sie sich wünscht: mit einer eigenwilligen und schlüssigen Interpretation und mit einer Besetzung wie aus einem Guss.

«Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, ursprünglich lediglich als Vorspiel für eine Molière-Komödie gedacht, ist ein eigenartiges Werk: Einem dreiviertelstündigen Vorspiel folgt die knapp anderthalbstündige Oper, das eine verweist aufs andere.

An dieser Struktur rüttelt Regisseur Claus Guth nicht - und doch stellt er fast alles um. Wo das parlandosatte Vorspiel üblicherweise naturalistisch gezeigt wird, ist Guths Inszenierung ernst und vor allem stilisiert. Ausgenommen davon ist nur der Komponist, mit dem Michelle Breedt einen fulminanten Zürcher Einstieg feiert. Er hat in seiner Oper in der Oper die eigene Beziehung zur Primadonna nachgeformt. Der gänzlich unterschiedliche Lebensentwurf Zerbinettas, der Hauptfigur des Singspiels, die von einem Mann zum nächsten hüpft, stürzt den Komponisten in eine Krise, aus der er nur noch den Ausweg der Selbsttötung sieht.

TOTENGOTT. Doch Guth belässt es nicht bei diesem Knalleffekt, sondern verschränkt Vorspiel und Oper eng. In Ariadnes Monolog (von Emily Magee mit wohlklingendem Sopran und differenziert gestaltet), in dem sie auf den Totengott wartet, weil nach der einzigen Liebe nichts anderes mehr kommen kann, erscheint geisterhaft der Komponist und wandelt durch die Nachbildung des Zürcher Nobelrestaurants Kronenhalle, das Ausstatter Christian Schmidt mit grösstmöglichem Kontrast zum abstrakten Vorspiel gebaut hat und in der Ariadne depressiv und todessüchtig vor einer Flasche Wein wartet.

Zerbinetta kann sie nicht aufheitern, auch wenn Elena Mosucs die technischen Schwierigkeiten der Partie locker vergessen lässt, so selbstverständlich ertönen sie, dazu agiert Mosuc bemerkenswert selbstverständlich und fernab von blosser Naivität.

Bacchus. Bacchus als Alter Ego des Komponisten nimmt Ariadnes Deutungsangebot, er sei der Totengott, an, weil er ebenfalls ein Suchender ist. Roberto Saccas unüblich lyrischer, aber strahlkräftiger Tenor passt dafür hervorragend.

In der ekstatischen Schlussmusik schlägt Guth den Bogen in brillant einleuchtender Weise zurück zum Vorspiel und nimmt den ironisch-heroischen Unterton auf, ohne die Oper in der Oper zu unterlaufen: Brillant, wie die immanente Doppelgesichtigkeit des Stücks aus Musik und Wort des Stücks nochmals herausgearbeitet ist.

Christoph von Dohnanyi setzt dem musikalisch ein unerhört fein gewobenes Netz gegenüber. Lustvoll werden die naturalistischen Effekte im Vorspiel gesetzt und Dohnanyi sorgt für eine perfekte Balance zwischen operettenhafter Leichtigkeit und tragischem Opernton und bestätigt seinen hervorragenden Ruf als Strauss-Dirigent. So verbinden sich Musik und Szene in nahezu idealer, sinnlicher und intelligenter Weise.

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Der Landbote

18. 12. 2006 / Herbert Büttiker

Zürich zwischen Mythos und Lokalposse

Opernhaus und Kronenhalle sind ineinander verschachtelt, und der Intendant empfängt den Bankier auf der Bühne: «Ariadne auf Naxos» in einer Zürcher Version, die ihre eigene Mythologie kreiert und Lokalpossen feiert.

Wo sind wir? Natürlich, in Zürich. Die Antwort, die immer gilt, wenn wir im Opernhaus sitzen, erhält diesmal ziemlich viel Nachdruck, die Antwort des Librettos dagegen scheint weggeblendet: beim reichsten Herrn von Wien, auf dessen Hausbühne zur Unterhaltung der Gäste ein ernstes und ein heiteres Stück gegeben werden sollen und wo nun grosse Verwirrung unter den rivalisierenden Theaterleuten entsteht, weil der Hausherr aus Angst vor Langeweile befiehlt, beide Stück zugleich aufzuführen.
Die dritte gemeinsame Oper von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss (Urauführung in der endgültigen Form 1916) ist dieser Vorgabe entsprechend zweiteilig: Nach dem turbulenten Vorspiel folgt als Stück im Stück auch der turbulente Mix aus «Ariadne auf Naxos» und «Zerbinetta und ihre vier Liebhaber». Das Ganze ist ein raffiniertes, verspiegeltes Ineinander von Kunst und Leben, Mythos und Gegenwart, Sein und Schein - bis zur grossen Verwandlung am Ende, wo alles Spiel im Spiel ein Ende haben soll, wenn die verlassene Ariadne in Bacchus statt den Todesboten den Mann für ein neues Leben findet.

Mit und um Pereira
Dass sich am Ende auch die gattungssprengende Idee des Hausherrn als von höherer Weisheit erweist, fällt nicht auf ihn zurück. Im Stück bleibt er ohnehin unfassbar, im Gegensatz zum Überbringer der künstlerischen Hiobsbotschaft: dem Haushofmeister. Ihn spielt, wie schon in der letzten «Ariadne», vor dreizehn Jahren, der Intendant Alexander Pereira - durchaus mit einiger mimischer Begabung, die den blasierten und arroganten Diener glaubhaft macht. Diesmal gesteht ihm die Regie sogar mehr zu. Wenn er die «Anordnungen seines Herrn» gleich von der Direktionsloge herunter verkündigt, erscheint er natürlich zugleich als dieser Herr selber, im zweiten Teil des Abends dann ohnehin: Auf der «wüsten Insel» Naxos, die hier ein getreues Abbild der Zürcher Kronenhalle ist, tritt er als Gast zusammen mit einem stadtbekannten Bankier auf, und zu den Schlusstakten der Musik erscheint er wieder mit Blumen für die Primadonna. Das Haus des reichsten Mannes von Wien, das ist nun also das Opernhaus Zürich, der Mythos der Ariadne und die Commedia der Zerbinetta sind nun die Legende und die Lokalpossen der Limmatstadt.

Claus Guth (Inszenierung) und Christian Schmidt (Bühnenbild) haben mit dieser Huldigung dem Zürcher Publikum - zumal im Parkett - Freude gemacht. Das Vorspiel vor einem riesigen Vorhang, die Oper in der perfekt nachgebauten, stimmungsvollen Kronenhalle lassen auch ein schauspielerisch üppiges Treiben in gleichsam kalligrafischer Sorgfalt blühen, und überhöht wird es durch viele musikalisch glänzende Leistungen an diesem Abend. Wenn dennoch auch die negativen Reaktionen - zumal vom zweiten Rang herunter - nachvollziehbar sind, so deshalb, weil diese Inszenierung nicht leisten will, was sich Hofmannsthal und Strauss gedacht haben: mit dem Spiel im Spiel über das Spiel hinauszukommen zu wirklicher Erfüllung. Hier mündet sie nun im Gegenteil ins höchst Artifizielle, in eine Ironie, von der nur nicht recht klar wird, ob mit dem im Zeitlupentempo heranschwebenden Intendanten der Zürcher Operngeist entlarvt oder verklärt werden soll, aber als zürcherisch selbstgefälliges Kunsttreiben darf diese «Ariadne auf Naxos» eben auch empfunden werden.

Eine Sängeroper
Christoph von Dohnanyis Dirigat setzt Kontrapunkte. Ungemein zwar die spielerische Eleganz, die durchsichtige Balance, die präzisen Zuspitzungen, insgesamt die Nüchternheit, ungemein aber auch die Wärme des Seelentons, das feine Ohr für die harmonsichen Hintergründe, das Mass, das auch die wagnerschen Aufwallungen nicht breitdrückt. Und dann versteht es Dohnanyi. den Ball der Bühne zuzuspielen, und «Ariadne auf Naxos» ist ja vor allem auch eine Sängeroper: Im Vorspiel dominiert der Komponist, den Michelle Breedt mit viel Verve und stimmlicher Intensität verkörpert. Aber die virtuose Herausforderung in Spiel und Gesang verteilt sich auf viele. Michael Volle als Musiklehrer, Guy de Mey als Tanzmeister, Gabriel Bermudez als Harlekin, das Ensemble der Buffonisten mit Martin Zysset, Reinhard Mayr und Blagoj Nocoski und jenes der Nymphen mit Eva Liebau, Irene Friedli und Sandra Trattnig - sie alle und einige mehr gestalten ihre Rollen mit pointiertem Können: Hut ab vor dem Kronenhallenpersonal, wie es serviert und singt.

Geradezu die Apotheose des Koloraturengesangs liefert Strauss mit Zerbinetta und ihrer grossen Arie. Elena Mosuc bewältigt das ausufernde Tirilieren auch jenseits des hohen C mit einer Nonchalance, die auch dem witzig-charmanten Spiel noch allen Raum lässt, und sorgt so mit einem Stimmspektakel voller Leben für den Eklat des Abends. Für Ariadne geht der Weg vom tiefen As des «Totenreichs» zu den strahlenden Höhen nicht über Girlanden, sondern über weite melodische Bögen: auch dies eine Sache virtuoser Gesangskunst, wie sie Emily Magee mit grosser Ausdrucksfülle und konzentriertem Klang beherrscht. Darstellerische Strahlkraft kommt hinzu: die Frau vor ihrem Glas Wein, in Erinnerung versunken, Freude und Schmerz wechselnd im Gesicht: Da entsteht im musikalischen «Lamento» ein Urbild von Liebesschicksal auch ohne mythologische Überhöhung - und darin hat dieser Abend dann wieder alle Gültigkeit.

Tote im Kunstrahmen
Aber es kommt dann gar dick mit der geisterhaften Erscheinung des Komponisten als Theseus. Gluth hat am Stoff weitergedichtet: Das künstlerische Massaker an seinem Werk hat den Komponisten - Ariadnes Geliebter, bis dieser sich in Zerbinetta verliebt - in den Selbstmord getrieben. Und es bleibt Bacchus: Roberto Sacca führt ihn stämmig im Ton mit Glanz über alle Klippen, aber dann schwebt eben die Decke der Kronenhalle nicht auf, keine Sterne funkeln von oben herein, wie es Hofmannsthal wollte. Nein, da stirbt auch Ariadne, die Tabletten genommen hat, steht dann aber auf, um die Blumen des Intendanten engegenzunehmen: Alles zieht sich ernüchternd in den ironischen Kunstrahmen zurück.

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Neue Luzerner Zeitung

18. 12. 2006 / Urs Mattenberger

Blind Date in der «Kronenhalle»

Am Samstag hatte am Opernhaus Zürich «Ariadne auf Naxos» Premiere.
Die Inszenierung macht daraus existenzielles Spiel mitten in der Gegenwart.
Auch sängerisch und musikalisch ist der Abend ein Sinnenschmaus.
Trotz einzelner Buhs für das irritierend nüchterne Vorspiel ist diese «Ariadne» bis in kleine Details ein grosser Wurf.

Opernmythologie als Wirtshaus-Weisheit: Bei Regisseur Claus Guth ist der Geniestreich von Strauss und Hofmannsthal direkt aus dem heutigen Leben gegriffen.

Das legendäre Restaurant Kronenhalle in Zürich, Samstagabend um halb neun. Die junge Frau sitzt allein am Sechser-Tisch, als würde sie schon eine Ewigkeit warten. Allein mit einem Glas Wein, das der Kellner diskret nachfüllt. Ein missglücktes Blind Date, zu dem der erwartete Traummann nicht erschienen ist?

Allmählich füllt sich der Raum mit Tischgesellschaften, wie sie zur Adventszeit üblich sind. Bis eine Dame mit hochgeschlitztem Kleid für Turbulenzen sorgt: Das erotische Spiel, das sie den Männern abguckt und ihrerseits mit ihren Begleitern treibt, wird plötzlich ernst: Jetzt sind es die lüsternen Männer, die sich nicht mehr abweisen lassen und ihr, in einer Jagd zwischen den Tischen der «Kronenhalle»-Brasserie hindurch, bedrohlich auflauern und nachstellen.

Bevor sie mit ihrem Liebhaber ausreisst, sucht die kokette Dame Zuflucht bei der einsamen Frau am Sechser-Tisch und spendet ihr von Frau zu Frau Trost. Wieso verzagen, wenn man von untreuen Männern sitzen gelassen wird? Fühlen nicht auch Frauen schon die Verlockungen einer «neuen verstohlenen Liebe», während sie sich der alten noch ganz sicher sind?

Wirtshaus-Kumpanei
Die Wirtshaus-Kumpanei zwischen der Komödiantin Zerbinetta und der Prinzessin Ariadne ist exemplarisch für die Neuinszenierung der «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, die am Samstag im Opernhaus Zürich Premiere hatte. Denn da gelingt es auf frappante Weise, mythologisch aufgeladenes Musiktheater auf das Alltagsniveau von Wirtshaus-Weisheiten herunter zu brechen und das, ohne dass vom Tiefsinn der Vorlage etwas verloren geht.

Dazu gehört in Zürich auch das pointierte Spiel mit dem Theater im Theater, das Strauss und sein kongenialer Librettist in diesem Werk treiben. In der Vorlage gibt das Vorspiel einen quasi-realistischen Einblick in den Theateralltag: Ein Hausherr wünscht, dass die bestellte tragische Ariadne-Oper gleichzeitig mit einer Buffo-Komödie aufgeführt wird und sorgt damit für Eifersüchteleien zwischen den beiden Operntruppen. Die Aufführung der Oper selbst, vom Vorspiel durch die reale Pause getrennt, montiert dann auf witzige und hintergründige Weise beide Sphären zusammen.

Realistisches Vorspiel und komödiantisch aufgemischte Opernmythologie: Regisseur Claus Guth kehrt dieses Verhältnis radikal um. Das Vorspiel findet in Zürich auf scheinbar einfallslos leerer Bühne statt in einer Art künstlicher Laborsituation.

Kein billiger Klamauk
Umso frappanter ist danach die realistische Umdeutung des Ariadne-Stoffs in der täuschend echt nachgebauten «Kronenhalle» (Bühne: Christian Schmidt). Es ist erstaunlich, wie sinnvoll sich die Metaphorik des Werks bis hin zum Schluss auf diese Alltagsszenerie übertragen lässt. Die Vereinsamung am leeren Tisch inmitten geselligen Wirtshaustreibens etwa setzt Zerbinettas Bild von den «wüsten Inseln mitten unter uns Menschen» suggestiv um. Dass die Buffo-Episode mit Zerbinetta nicht für Klamauk verwendet wird, sondern auf die Gefahr einer Vergewaltigung durch eine Männermeute anspielt, zeigt aktuell die Doppelbödigkeit dieser Spassgesellschaft. Und dass der (von Theseus verlassenen) Ariadne der erwartete Mann am Schluss nicht den hier eindringlich beschworenen Tod bringt, sondern eine neue Liebe, fügt sich ganz zwanglos in diese Szenerie ein.

Prädikat vorzüglich
Dies alles wird bis in die Nebenrollen hinein frisch gespielt und vorzüglich gesungen (u.a mit Opernintendant Alexander Pereira in der Sprechrolle des Haushofmeisters und «Kronenhalle»-Gast). Elena Mosuc als koloraturwendige Zerbinetta überrascht durch fluoreszierend aufleuchtende Spitzentöne. Emily Magee macht die Ariadne mit kraftvoll und frei strömendem Sopran zum emotionalen Kraftzentrum des Abends, dem der Tenor Roberto Saccà (Bacchus) zum Schluss zu dramatisch drängender Spannung verhilft. Unter der Leitung von Christoph von Dohnányi spielt das Opernorchester den verschwenderischen Reichtum von Strauss' Partitur in allen Finessen bis hin zum grossen Sinnesrausch aus. Trotz einzelner Buhs vom Premierenpublikum, das nach der irritierenden Nüchternheit des Vorspiels der «Kronenhalle»-Imitation spontanen Applaus zollte, ist diese «Ariadne» bis in kleine Details ein grosser Wurf.

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Neue Zürcher Zeitung

18. 12. 2006 / Peter Hagmann

Wahrheiten, Gewissheiten - und ihre Aufhebung

«Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss im Opernhaus Zürich

Was wohl Hulda Zumsteg zu diesem beispiellosen Vorfall gesagt hätte? Wir wissen es nicht; sie blickt stumm durch ihr Lorgnon, so wie es das vertraute Bild unter der Reihe der Zunftwappen zeigt. Zu sehen bekommen hätte sie nämlich einen nicht ganz üblichen Abend in der Zürcher «Kronenhalle». Anfangs läuft alles wie gewohnt; es fehlt nicht an Gästen und nicht an prominenten Gesichtern - unter ihnen etwa der Senior einer bekannten Familie von Zürcher Bankiers, der sich zusammen mit dem Direktor des hiesigen Opernhauses an einem der Tische mit ihren Lampen niederlässt.

Nach einigen Zwischenfällen, die an diesem Ort zur Not noch denkbar wären, erscheint dann aber jene schlimme Viererbande mit ihrem Girl, die alles mächtig durcheinanderbringt. Herr Senn ist nicht im Dienst, aber seinem Stellvertreter und den tüchtigen Kellnern gelingt es schliesslich, die Langhaarigen in ihren Smokings aus dem Lokal zu befördern. Das Weite gesucht haben derweil freilich auch die Gäste; wie es an diesem Abend in der Kasse aussieht, wollen wir uns hier lieber nicht ausmalen.

Brechungen, Übersetzungen
In der Tat, der Regisseur Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt, die am Ende dieses wunderbaren Abends im Opernhaus Zürich dafür einige Missfallenskundgebungen entgegenzunehmen hatten (was sie ehrt), haben sich erlaubt, die «wüste Insel», die Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss für den zweiten Teil ihrer Oper «Ariadne auf Naxos» vorgesehen haben, in die Zürcher «Kronenhalle» zu verlegen. Schon wieder dieses Regietheater. Nun, man darf sich ereifern, am Ende erbringt der Einfall aber doch mehr, als man vielleicht denkt. Er bricht den hohen Ton, den Textdichter und Komponist anschlagen und den sie selbst - vor allem im ausführlichen Vorspiel vor der eigentlichen Oper - mit aller Kunst aus den Fugen heben. Und er übersetzt die aus den Fernen des Mythos stammende Geschichte Ariadnes, Verlust und Neubeginn im Zeichen der Veränderung, in eine konkret fassbare, wenn auch ebenfalls mit Zeichen des Mythos verbundene Gegenwart. Die «Kronenhalle» ist ja bekanntlich nicht einfach ein Speiselokal.

Liebevoll ist dieser Raum ausgestaltet und (von Jürgen Hoffmann) beleuchtet; auch wenn er alles andere als trist wirkt, erinnert er in seiner starken atmosphärischen Ausstrahlung ein wenig an die genialen Abstellkammern, die Anna Viebrock für Christoph Marthaler schafft. So wüst, wie es der gnädige Herr Auftraggeber im Vorspiel bemängelt, ist diese Insel also nicht; sie passt vielmehr ganz und gar in das «wohlbestallte Haus», das seit dem zwar knappen, aber doch günstigen Kantonsratsbeschluss seine Übertitelungsanlage eifrig benutzt - auch in diesem deutsch gedichteten Stück, was nicht zu einem Pleonasmus führt, vielmehr zu erhöhtem Erkenntnisgewinn.

So lässt sich sehr genau mitbedenken, dass es in dieser Oper gewiss um die Oper geht, um eine Selbstreflexion der Gattung über die Möglichkeiten ihrer weiteren Existenz, aber vielleicht doch auch um mehr. Claus Guth, ein brillanter Denker und ein phantasievoller Interpret, deutet an, dass «Ariadne auf Naxos» auch von seelischer Erstarrung spricht, die sich aus Herkunft und Selbstverständnis ergeben mag, und von deren Überwindung. Nicht von ungefähr ist der neue Gott, den Ariadne als den Boten ihres Todes sieht, der Gott des Rausches, der voll in die Trauben greift und die Becher füllt. Dass das durch die Wahl des Spielorts ins Gesellschaftliche geweitet wird, mindert die im Text angelegte Verherrlichung des Mannes und damit den restaurativen Zug, der bei diesem Stück so gerne geortet wird.

Ausgezeichnet kann man diese Auslegung nachvollziehen, und man tut es mit umso mehr Vergnügen, als sie auf denkbar hohem Niveau erfolgt. Blendend die Bühnenaktion im Ganzen, brillant die Ausformung der Figuren im Einzelnen. Äusserst agil bringen sich die vier Komödianten (Gabriel Bermúdez, Martin Zysset, Reinhard Mayr, Blagoj Nacoski) und die drei Rheintöchter ein (Eva Liebau, Irène Friedli, Sandra Trattnigg). Wenn Elena Mouc als Zerbinetta ihre unglaublichen Höhen erklimmt und ins Tirilieren gerät, übertrifft sie sich selbst. Während Emily Magee (Ariadne) und Roberto Saccà (Bacchus), was die vokale Ausstrahlung und technische Sorgfalt betrifft, ein ideales Paar bilden. Und getragen wird das musikalische Geschehen von einem instrumentalen Fluss, der durch den Dirigenten Christoph von Dohnányi aus grosser Erfahrung heraus belebt und zugleich zu höchster Differenzierung getrieben wird - das Orchester der Oper Zürich, hier eher solistisch gefordert, durch Harmonium und Klavier unterstützt, meistert das bravourös.

Vor dem Vorhang
Das grosse Vorspiel zu «Ariadne auf Naxos», das einen immer wieder erheiternden Blick hinter die Kulissen ermöglicht, das die Zuschauer am Wettstreit zwischen dem versteinert Tragischen und dem bodenständig Komischen teilnehmen und die überaus vitale, um nicht zu sagen: lebensnotwendige Ichbezogenheit der Künstler verfolgen lässt - das quirlige Vorspiel ereignet sich zwar auch auf der Bühne, aber vor dem Vorhang. Scharf werden hier die Figuren beleuchtet, überlebensgross sind die Schatten, die sie an den Vorhang werfen.

Für die Partie des überheblichen Haushofmeisters hat sich Alexander Pereira der Mitwirkung von Alexander Pereira versichert, weshalb es wie schon 1993, bei der letzten Inszenierung von «Ariadne» unter seiner Intendanz, einiges zu schmunzeln gibt. Michael Volle ist ein stimmlich opulenter Musiklehrer, der als Blinder mehr sieht als alle anderen, Guy de Mey ein herrlich aufgeblasener Tanzmeister und Michelle Breedt ein berührender Komponist, der sich am Ende doch tatsächlich die Kugel gibt und im zweiten Teil der Primadonna anhaltende Schmerzen bereitet. Klugheit, Witz und Kunstsinn verbinden sich in dieser Produktion zu einem Abend, der das Opernhaus Zürich wieder einmal von seiner besten Seite zeigt.

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St. Galler Tagblatt

18. 12. 2006 / Tobias Gerosa

Depression im Nobelrestaurant

Strauss' «Ariadne auf Naxos» im Zürcher Opernhaus

Die Neuproduktion von Richard Strauss' Oper «Ariadne auf Naxos» am Opernhaus Zürich ist Oper, wie man sie sich wünscht. Die Regie findet eine überzeugende Interpretation des eigenwilligen Stücks, und die Besetzung ist aus einem Guss.

Eigentlich wollten Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal 1911/12 ja nur ein Vorspiel zu Molières «Der Bürger als Edelmann» schreiben, die Max Reinhard als Widmungsträger inszenieren sollte. Diese Kombination hat nicht funktioniert, bei der Überarbeitung haben die Autoren die doppelte Struktur aber beibehalten. Einem dreiviertelstündigen Vorspiel folgt die knapp anderthalbstündige Oper.

Stilisierte Inszenierung
An der Struktur rüttelt Regisseur Claus Guth nicht – und doch stellt er fast alles um. Wo im Vorspiel mit seinen ausgedehnten Parlando-Passagen die Vorbereitungen zur Festoper «im Haus des reichsten Manns von Wien» üblicherweise mit Augenzwinkern gezeigt werden, ist Guths Inszenierung ernst und vor allem stilisiert. Ausgenommen davon ist nur der Komponist, mit dem Michelle Breedt einen fulminanten Zürcher Einstieg feiert. Dass sein tragischer Erstling «Ariadne auf Naxos» auf Geheiss des Auftraggebers zusammen mit einem heiteren Singspiel aufgeführt werden müsse, ist für ihn ein existenzieller Schock, hat er mit dem Paar Bacchus und Ariadne doch hochtrabend seine eigene Beziehung zur Primadonna nachgeformt. Der gänzlich andere Lebensentwurf Zerbinettas stürzt den Komponisten, im Schattenwurf zwingend gezeigt, in eine Krise, aus der er nur noch den Ausweg der Selbsttötung sieht.

Doch Guth belässt es keineswegs bei diesem Knalleffekt, sondern verschränkt Vorspiel und Oper eng. Wenn Ariadne, von Emily Magee mit wohlklingendem Sopran und differenziert gestaltet, die drei Teile ihres grossen Monologs ansetzt, in dem sie auf den Totengott wartet, erscheint geisterhaft der Komponist und wandelt durch die Nachbildung des Zürcher Nobelrestaurants Kronenhalle, das Ausstatter Christian Schmidt mit grösstmöglichem Kontrast zum abstrakten Vorspiel gebaut hat und in der Ariadne depressiv vor einer Flasche Wein sitzt.

Hier wird die Umkehrstrategie der Regie deutlich. Statt Clowns und mythische Griechen bevölkern heutige Menschen die Bühne: Virtuos übernimmt das Komödiantenquartett um Zerbinetta wechselnde Rollen, die als Rocker oder Betrunkene hier immer fehl am Platz sind. Bei Elena Mosucs Zerbinetta lassen sich die technischen Schwierigkeiten der Partie locker vergessen, so selbstverständlich ertönen sie, dazu agiert sie fernab von blosser Naivität.

Zwei Suchende
Wenn Bacchus als Alter Ego des Komponisten auftaucht und ihn Ariadne für den erwarteten Totengott hält, nimmt er dieses Deutungsangebot an: Zwei Suchende halten sich fest. Dass Roberto Sacca als Bacchus deutlich weniger heldisch besetzt ist als üblich, passt sehr gut zur Figur. Doch er lässt auch an Strahlkraft und Wortdeutlichkeit keine Wünsche offen.

Mit einem Kunstgriff schlägt Guth in der ekstatischen Schlussmusik den Bogen zurück zum Vorspiel und ironisiert damit die grosse, tragische Oper, stellt ihre musikalisch als wahrhaft dargestellten Gefühle in Frage, ohne sie lächerlich zu machen. Eine brillant einleuchtende, genau aus Musik und Wort des Stücks erarbeitete Deutung der immanenten Doppelgesichtigkeit.

Christoph von Dohnanyi setzt dem musikalisch ein unerhört fein gewobenes Netz gegenüber. Kammermusikalisch wird im 37-köpfigen Opernhausorchester aufeinander gehört, wird aufeinander reagiert. Dohnanyi sorgt für eine perfekte Balance zwischen operettenhafter Leichtigkeit und tragischem, aber nie dickem Opernton und bestätigt seinen hervorragenden Ruf als Strauss-Dirigent. So verbinden sich Musik und Szene in nahezu idealer, sinnlicher und intelligenter Weise.

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Die Südostschweiz

18. 12. 2006 / Reinmar Wagner

Glanzvolle «Ariadne» im Zürcher Opernhaus

Christoph von Dohnányi und Claus Guth haben «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss am Samstag in Zürich zum heftig bejubelten Opernereignis gemacht.

Eine einsame wüste Insel soll es laut Textbuch sein, wo Ariadne ausgesetzt und verlassen auf nichts anderes wartet als den Tod. Der Bühnenbildner Christian Schmidt fand für diesen unwirtlichen Ort eine wunderschöne Chiffre: die Zürcher In-Beiz «Kronenhalle» - und erhielt dafür Szenenapplaus, obwohl der allergrösste Teil des Premierenpublikums inklusive Intendant Pereira mit Sicherheit zu den regelmässigen Gästen dort zählt.

Existenzen statt Stereotypen
Aber ein Bühnenbild allein macht noch längst keine stimmige Inszenierung. Das besorgte Claus Guth mit der ihm eigenen handwerklichen Genauigkeit, seiner Lust an kleinen Choreografien und gestischen Details. Mit leicht surrealistisch angehauchten, manchmal auch handfest komödiantisch interpretierten Szenenfolgen und Erzähldetails füllte Guth die «Kronenhalle» nicht mit Stereotypen, sondern mit Existenzen, wie sie tatsächlich an diesen Tischen sitzen könnten. Zerbinetta zum Beispiel ist keine künstliche Bühnenfigur, keine bloss quirlige Chiffre aus der Commedia dell'arte, sondern eine Lebedame, wie sie durchaus samt bewunderndem Anhang hier verkehren könnte.

Auch der Ariadne versteht Guth gleichermassen Tiefe wie eine quasi psychologische Realität zu geben. Bacchus hingegen schwebt seltsam irreal durch diese Szenerie, ein Bruder des unglücklichen Komponisten, der sich am Ende des Vorspiels aus Frust über den künstlerischen Frevel, der seinem Werk angetan wird, und trotz Zerbinettas Verführungsversprechen erschoss und nun als Zombie durch die Szenen oder Köpfe der Anwesenden irrlichtert.

Hervorragende Sänger
Das ganze Ensemble, von den Protagonisten bis zu den Statisten, führt Guth dank seiner unverbrauchten und oft frappierenden Einfälle virtuos durch das Stück. Hintersinnig manchmal ist sein Humor, lustvoll spielt er mit Opernkalauern, etwa wenn die Najaden ihr Haar lösen und als Nornen über das Schicksal Ariadnes orakeln. Das Trio löste auch sängerisch seine Aufgaben mit Bravour, genauso wie alle im hervorragenden, teils luxuriös besetzten Ensemble (Michael Volle als Musiklehrer).

Elena Mosuc als Zerbinetta glänzte wie gewohnt mit den glitzernden Koloraturketten ihrer Partie, aber gab der Figur ungewohnte Tiefe und Dramatik. Sensationell sang auch Emily Magee als Ariadne mit unermüdlicher, klar geführter Stimme in den brandenden Wellen der Schlussszenen, die auch Roberto Saccà mit bewundernswürdig strahlendem Tenor meisterte. Am wenigsten überzeugte Komponist Michelle Breedt: Da waren zwar viel Dramatik und gestaltete Unruhe im Gesang, aber auch eine wenig souverän geführte, über ihre Limiten stolpernde Stimme - immer dann, wenn es laut und hoch werden sollte. Seinen besonderen Auftritt hatte der Intendant Alexander Pereira, der als Haushofmeister seine Sprechrolle sichtlich genoss und es sich auch als Statist nicht nehmen liess, neben Zerbinetta zu speisen. Allerdings vertrieb der intensiv und mit allen Finten und Finessen geführte Kampf um die Schöne bald den Rest des gesetzteren Publikums.

Dohnányis Meisterleistung
Einen nicht minder, wenn nicht gar wichtigeren Beitrag zum Status des Opern-Ereignisses als Guths kurzweilige Inszenierung trugen Christoph von Dohnányi und das Ensemble des Opernorchesters bei. Strauss' Partitur sieht nur eine kleine Besetzung vor, womit jeder Instrumentalist zum Solisten mit anspruchsvollen Aufgaben wird. Erweiterte Kammermusik auf höchstem Niveau ist das, und genauso spielte es das Orchester: mit Delikatesse und Können, Stilgefühl und beweglicher Lebendigkeit. Nicht ohne in den grossen dramatischen Szenen nach Kräften aufzudrehen und die süffigen Klangwogen ausgiebig zu geniessen. Dohnányi behielt auch hier souverän die Übersicht: schlicht eine Meisterleistung des verdienten Dirigenten.

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Tages-Anzeiger

18. 12. 2006 / Michael Eidenbenz

Schein und Sein in der Kronenhalle

Richard Straussq «Ariadne auf Naxos» ist Musiktheater der intelligenten Art. Die neue Inszenierung am Zürcher Opernhaus lässt daran keinen Zweifel offen.

Missmutigen Kritikern pflegt das Libretto das Einstiegszitat gleich selber zu liefern: «Die Oper enthält Längen - gefährliche Längen. Man lässt sie weg», erkennt ein «Tanzmeister» schon im Vorspiel, noch bevor es eigentlich zur Sache geht. Es ist nicht der einzige Moment, in dem auf der Bühne über die Bühne geredet wird, denn im Grunde ist «Ariadne auf Naxos» nichts anderes als ein virtuos verschachteltes Nachdenken über die Künstlichkeit von Musiktheater bei gleichzeitiger Herstellung desselben.

Und somit ist das Stück auch in der Lage, sämtliche Kritik sogleich aufzuheben. Zum Beispiel jene am Komponisten Richard Strauss: Seine Musik sei nicht «echt», wurde ihm vorgeworfen. Sie sei bloss Illustration, Filmmusik gewissermassen, raffiniertes Handwerk, das jederzeit den richtigen Effekt parat hat. Es ist von «Tiefe» die Rede - ein tiefer Klarinettenton ist zur Stelle; Geigen werden erwähnt - einige leere Quinten erklingen; und schliesslich auch: Ergreifende Todessehnsucht soll dargestellt werden - die Musik liefert sie zuverlässig. So ist es, und das Stück behauptet auch gar nichts anderes. «Gemacht» ist hier alles, «echt» jedoch sind die Gefühle, die dadurch ausgelöst werden.

«Realität» kontra «Theaterschein»
Ist es real? Ist es künstlich? Um diese Fragen dreht sich alles, und die Zürcher Neuproduktion des modernsten Gemeinschaftswerks von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal treibt sie in hinreissender Weise auf die paradoxe Spitze.

Worum geht es? Im Hause des reichsten Mannes von Wien soll die ernste Oper «Ariadne auf Naxos» aufgeführt werden. Gleichzeitig wurde auch eine Commedia-dell-arte-Truppe eingeladen; grosse Verwirrung, Konkurrenzängste, die hehre Kunst steht auf dem Spiel. Der reiche Mäzen verfügt, dass beide Stücke gleichzeitig gespielt werden, die Verzweiflung der ernsten Musiker ist perfekt. So weit das Vorspiel, das sozusagen den realistischen Teil des Abends ausmacht, während die anschliessend tatsächlich gespielte Oper dann für die Theater-Scheinwelt steht.

Die Inszenierung durch Claus Guth und Ausstatter Christian Schmidt kehrt nun diese Verhältnisse um. Die realistische Vorspiel-Szenerie wird zum schmucklosen Raum vor grauem Vorhang, in dem einzig gezielte Lichteffekte so etwas wie lenkende Bebilderung liefern. Die Scheinwelt danach hingegen ist frontaler Realismus: Statt auf eine einsame griechische Insel blicken wir - Szenenapplaus! - in eine exakt kopierte Zürcher Kronenhalle. Auch Varlins Hulda-Zumsteg-Porträt fehlt nicht, und unter den Lokalgästen lassen sich in Realerscheinung Zürcher Honoratioren wie Bankier Hans J. Bär in Begleitung von Alexander Pereira ausmachen.

Hier leidet also Ariadne als verlassene Dame der Gesellschaft vor ihrer Weinflasche, in diese Noblesse wird die Commedia-Truppe als Ansammlung vulgär angeheiterter Nachtschwärmer einfallen, während das Trio der Nixen als adrettes Servierpersonal agiert.

Mehr als gefälliges Lokalkolorit
Der Einfall ist brillant, und er ist weit mehr als nur gefälliges Lokalkolorit. Denn Claus Guth dreht das Spiel um Schein und Sein noch eine Stufe weiter, indem er Ariadne am Ende, entgegen dem Libretto, tatsächlich mittels Tablettenüberdosis sterben lässt. Der Schönling Bacchus, der ihr gemäss Textvorgabe als Gott die Gelegenheit zu neuer Liebe bei gleichzeitig ewiger Treue ihrem geflohenen irdischen Liebhaber gegenüber bieten sollte, ist tatsächlich ein Bote des Jenseits (mit strahlender Vokalpotenz von Roberto Saccà gesungen). Der Bote ist nämlich das Spiegelbild des Komponisten aus dem Vorspiel, der sich seinerseits aus Verzweiflung über die Niederlage der ernsten Kunst tatsächlich erschossen hat und seither als stummes, die Atmosphäre verwandelndes Gespenst gelegentlich durch die Kronenhalle geistert.

Doch was heisst hier immer «tatsächlich»? Noch während Ariadne den Atem aushaucht, noch während das Publikum in Gänsehaut erschauert, steht schon wieder Pereira in seiner Doppelfunktion als Haushofmeister des Stücks und realer Hausherr des Opernhauses mit Blumenstrauss zur Gratulation da. Es war ja eben alles - leider? - nur Theater.

Brillante Elena Mosuc als Zerbinetta
In der präzisen Art, wie sie den Ernst der Kunst (und des Lebens) gewichtet, liegt vielleicht die grösste Qualität der Inszenierung. Ernst ist nicht nur das Leid der Ariadne, der Emily Magee eine Darstellung von phänomenaler stimmlicher Schönheit und würdevoller Präsenz verleiht. Ernst ist nicht nur das Schicksal des Komponisten aus dem Vorspiel, den Michelle Breedt im Einklang mit der Musik und mit grosser Stimme durchaus nicht als eitle Künstlerkarikatur vermittelt. Ernst ist letztlich sogar die Existenz der flatterhaften Komödiantin Zerbinetta, die zwar den emsigen Männerwechsel propagiert, ihre Sehnsucht nach der treuen Gefühlswelt Ariadnes aber nicht verbergen kann. Elena Mosuc brilliert einmal mehr atemberaubend im Wahnwitz ihrer grossen Koloraturenszene, die Strauss als Parodie barocker Operngesangskunst geschaffen hat - zweiter Szenenapplaus des Abends!

Die vielen weiteren Rollen müssen pauschal gewürdigt sein, sie sind alle erstklassig besetzt. Und alle sind sie getragen von einer Musik, die im Orchester der Oper und seinem Dirigenten Christoph von Dohnányi hervorragende Interpreten findet.

Der profunde Strauss-Kenner Dohnányi weiss nicht nur Transparenz und Farbigkeit des mit Klavier und Harmonium vaudevillehaft angereicherten Orchesterklangs zu wahren, er weiss auch die minutiösen schnellen Stimmungswechsel mit agilster Virtuosität zu steuern und ist so dafür verantwortlich, dass Strauss’ Partitur ihre kommentierende Funktion trotz grösster emotionaler Nähe aufs Erhellendste ausüben kann. Von Längen keine Spur, stattdessen ein Abend grossen, klugen Musizierens und exemplarischer Opernregie. Riesiger Schlussapplaus.

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Zürichsee-Zeitung

18. 12. 2006 / Werner Pfister

Auf der Suche nach der Identität

Kräftige Buh-Rufe, aber noch viel kräftigere Bravo-Orkane zum Schluss: Die neue Zürcher «Ariadne» verzichtet auf gräzisierende Mythologie, sondern befragt den Mythos auf seinen Realitätsgehalt.

«Antinomie von Sein und Werden» nannte Hugo von Hofmannsthal das Grundthema in seiner «Ariadne auf Naxos», der dritten gemeinsamen Oper mit Richard Strauss. Um zwei gegensätzliche Daseinsformen geht es, und personifiziert werden sie im Gegensatzpaar Ariadne und Zerbinetta. Ariadne liebt nur ein einziges Mal, und sie bleibt dieser Liebe auch treu, nachdem sie verlassen wurde, hält an dieser Treue, «die der Halt von allem Leben ist», fest bis zum Erstarren in Leblosigkeit und wünscht sich letztlich Erlösung durch den Tod.

Situationen sind symbolisch
Zerbinetta ist das Gegenteil: In stetem Wandel begriffen, von einer Verliebtheit zur nächsten flatternd. Sie gibt sich jedes Mal ganz und erlebt sich dabei jedes Mal neu. Aber auch in diesem Preisgeben und Verwandeln liegt so etwas wie Treue sich selber gegenüber beschlossen. Sind es also wirklich gegenseitig sich ausschliessende Lebensprinzipien? Diese Frage steht über der ganzen Inszenierung von Claus Guth. Denn alles, was in dieser Oper unvereinbar scheint - die handgreifliche Realität des Vorspiels im Unterschied zum mythologisch überhöhten Rahmen der Oper, das Gegenüber von Buffa und Seria, von ernst und heiter, Leben und Kunst, Sein und Schein -, ist so eindeutig unvereinbar nicht.

Jedenfalls nicht, wenn Claus Guth inszeniert. Das «handfest» theatralische Vorspiel lässt vor geschlossenem Vorhang - gleichsam bevor das Spiel beginnt - spielen. Die auftretenden Personen sind zur Hälfte schon in ihrer Rolle drin, zur andern Hälfte aber noch Privatperson. Und es zeigt sich, dass beides, Rolle und Privatperson, nicht übereinstimmen muss. Ariadne, die einzig Treue, hat ein Verhältnis mit dem jungen Komponisten, was übrigens an den «Rosenkavalier» erinnert, an die Marschallin mit ihrem Octavian. Und Zerbinetta, die so genannt Flatterhafte, mimt auf der Bühne die Kokette, aber wer sagt, dass ihr Herz dabei im Spiele ist?

Tatsächlich schaut es auch in ihrem Innern ganz anders aus. Und so deckt Claus Guth unter der theatralisch-realistischen Oberfläche des Vorspiels tiefere Schichten des Ahnens und Bedeutens auf, die an Hofmannsthals Wort erinnern, dass Situationen stets symbolisch seien und es «die Schwäche der jetzigen Menschen» sei, «dass sie sie analytisch behandeln und dadurch das Zauberische auflösen». Genau dieser Schwäche verfallen Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt nicht - und genau das macht die unvergleichliche Stärke dieser Inszenierung aus.

Realistischer gehts nimmer
Zumal sich in der eigentlichen Oper (nach dem Vorspiel) die Dinge kehren: Der Kunstcharakter dieses mythologisch-artifiziellen Gebildes wird auf seinen Realitätsgehalt überprüft. Christian Schmidt hat dafür die Zürcher «Kronenhalle» auf der Opernhaus-Bühne nachgebaut; Ariadne gibt sich dem Wein (und damit dem Vergessen) hin; die drei Nymphen sowie Zerbinetta und ihre vier Commedia-dell'Arte-Mitspieler übernehmen verschiedene Rollen, mimen mal das Servierpersonal, mal Gäste des renommierten Speiselokals.

Realistischer gehts nimmer - unter den «Kronenhalle»-Gästen ist sogar der Zürcher Opernhaus-Intendant auszumachen, der sich mit einem stadtbekannten Bankier samt Gattin zum Sponsoring-Essen trifft. Spätestens wenn Zerbinetta zu ihrer grossen Arie ansetzt, wird es evident: Auch sie definiert sich über ihre Männer, wie sich Ariadne über ihren einzigen Mann definiert. Beide sind sie auf der Suche nach der eigenen Identität.

Ganz die grosse Tragödie
Gespielt wird das famos, und gesungen erst recht. Emily Magee ist in Stimme und Haltung ganz die grosse Tragödin - ein Rollendebüt der Sonderklasse. Roberto Saccà legt den Bacchus lyrisch an, verfügt gleichzeitig über eine beneidenswert strahlende Höhe - auch das überzeugt auf Anhieb. Elena Mosuc kokettiert als Zerbinetta verführerisch mit ihrer stupenden stimmlichen Virtuosität und erfüllt selbst die unsäglichsten Triller, Michelle Breedt debütiert als Komponist, wobei das Vorspiel beinahe ganz ihrer dramatischen Energie, ihrer blühenden Stimme und ihrem sängerischen Temperament gehört.

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DrehPunktKultur

18. 12. 2006 / Oliver Schneider

Hommage an die Schweizer Bankenmetropole

Regisseur Claus Guth machte den Zürchern mit seiner Neuinszenierung von Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos" ein wahrhaftiges Weihnachtsgeschenk.

"Ariadne auf Naxos" stellt höchste Anforderungen an die Ausführenden, gilt es doch die reale Handlung, die Mythenoper mit ihrer homophonen Tonsprache und die polyphone der Buffonerie für heutige Augen und Ohren glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Der deutsche Regisseur hat sich entschieden, die realen Auseinandersetzungen im Vorspiel und das Gleichnishafte der Oper zu vermischen.

Theater im Theater ist bereits seine Devise für das Vorspiel. Die Vorbereitungen für die gleichzeitige Aufführung der Opera seria und der Opera buffa ereignen sich auf einer von weissen Vorhängen umgebenen Spielfläche. Dabei symbolisieren die Vorhänge das Theater, aber nicht irgendein Theater, sondern das Opernhaus Zürich. Statt den Haushofmeister darf Intendant Alexander Pereira sich selbst spielen. Im Mittelpunkt des Vorspiels steht aber der Komponist, ein idealer Künstler, dessen Leben sich fern der Realität abspielt. Durch Michelle Breedts Rollengestaltung wird dieser Komponist zum Ereignis dieser Neuinszenierung. Breedt weiss die facettenreiche Bandbreite ihrer warmen und fülligen Stimme zu nutzen. Mit bedeutungsvoller Emphase verteidigt dieser junge Mann die seiner Meinung nach wahre Kunst gegen die läppische Komödie und verliebt sich in seiner Weltfremdheit gerade in eine Komödiantin, die nur ihr Spiel mit ihm treibt. Ihm bleibt als Ausweg nur der Selbstmord.

Über den Komponisten stellt Guth auch die Verbindung zwischen dem Vorspiel und der illusionistischen Oper dar. In einem mit dunklem Holz getäfelten, eleganten Restaurant im Art déco-Stil sitzt eine trauernde Dame bei einer Flasche Rotwein an einem Tisch am Fenster: Ariadne. Noch ist sie der einzige Gast, und das Personal trifft die letzten Vorbereitungen vor dem Ansturm zum Business-Lunch. Doch ist es nicht irgendein Restaurant, das Ausstatter Christian Schmidt auf die Bühne gezaubert hat. Es ist die Kronenhalle, der traditionelle Zürcher Gastrotempel, in dem sich nicht nur Bankdirektoren und der Direktor des nah gelegenen Opernhauses wohl fühlen - für Claus Guth treten sie sogar auf der Bühne auf -, sondern vor ihnen schon James Joyce, Thomas Mann und Richard Strauss selbst.

Während sich das Restaurant langsam füllt, verfällt die exzentrische, allein sitzende Dame immer wieder in Träume an ihren toten Geliebten. In Zürich ist dies nicht Theseus, sondern der Komponist. Zerbinetta und ihre Entourage nehmen verschiedene Rollen in diesem Restaurant an; gehören sie zunächst zum Personal, so werden sie später zu ungehobelten Gästen. Zerbinetta ist eine Kokette im grünseidenen Kleid, keine wirkliche Dame. Ihre vier Begleiter bitten Ariadne an den Tisch, reichen ihr ihre Visitenkarten. So gehört es sich heute. Doch bei Ariadne ist das zwecklos. Später schlüpfen sie in die Rolle von Halbstarken, die für eine Prügelei sorgen, so dass sich das Lokal leert.

Während Ariadne ihrem Leben mit Tabletten ein Ende setzt, tritt Bacchus als neuer Gast ein. Doch die bis hierhin spannende psychologische Deutung erfährt an dieser Stelle einen Bruch. Denn warum muss durch Weintrauben und Feuer im letzten Moment noch die griechische Mythologie ins Spiel gebracht werden? Ganz am Ende beglückwünschen Hausherr Pereira, der aus welchem Grund auch immer blinde Musiklehrer und der Tanzmeister dann noch Ariadne und Bacchus mit Rosen und Küsschen zu ihrem Erfolg. Also ist auch das Restaurant nur ein Ort der Illusion? Claus Guth entlässt den Zuschauer mit einigen offenen Fragen.

Musikalisch bietet diese Neuinszenierung Kulinarisches vom Feinsten. Emily Magee verleiht der Ariadne mit ihrem leuchtenden Sopran, dem breiten Fundament und vor allem der hervorragenden Diktion ein ausdrucksstarkes Profil. Roberto Saccà debütiert als Bacchus und schlägt sich achtbar in der undankbaren Partie. Den nötigen metallischen Glanz besitzt seine Stimme heute, leider gibt er häufig zu viel Druck. Michael Volle bietet als Musiklehrer noblen Schöngesang. Und die Zerbinetta von Elena Mosuc? Sie singt die Rolle ohne Fehl und Tadel, zelebriert in ihrer Arie barocken Bravourgesang mit blitzblanken Koloraturen. Jedoch fehlt ihr (noch) das letzte Quäntchen für eine wirklich herausragende Zerbinetta. Darstellerisch überzeugt sie nur im Vorspiel, wenn sie im Gespräch mit dem Komponisten Ernsthaftigkeit an den Tag legen darf. Für den zweiten Teil fehlt ihr das komische Talent.

Am Pult des konzentriert agierenden Orchesters steht Christoph von Dohnányi. Er geht das Werk mit einem energischen Zugriff - wenn auch einer gewissen norddeutschen Kühle an - und sorgt für einen ausbalancierten Orchesterklang. Kapellmeisterlich im besten Sinne des Wortes.

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