Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS
Dmitri Schostakowitsch: Katerina Ismailowa
25. September 2005 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Regiemitarbeit
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Chor

Katerina Ismailowa

Axinja
Sonetka
Zwangsarbeiterin
Boris
Sinowi
Sergej
alter Zwangsarbeiter
ein zerlumptes Bäuerlein
Pope
Chef der Kreispolizei
Polizist
Unteroffizier/Wachhabender
Nihilist
Hausknecht/Mühlenarbeiter
Handlungsgehilfe
Kutscher
1. Arbeiter
2. Arbeiter
Vladmir Fedoseyev
Klaus Michael Grüber
Ellen Hammer
Francis Biras
Eva Dessecker
Jürgen Hoffmann
Ernst Raffelsberger

Solveig Kringelborn
Liuba Chuchrova
Katharina Peetz
Christiane Kohl
Alfred Muff
Reinaldo Macias
Viktor Lutsiuk
Pavel Daniluk
Martin Zysset
Reinhard Mayr
Valeriy Murga
Giuseppe Scorsin
Guido Götzen
Jefferey Krueger
Morgan Moody
Tomasz Slawinski
Jefferey Krueger
Noel Vazques
Hartmut Kriszun
Verzeichnis

Rezensionen
    Persönlicher Eindruck
einer Premièren-Besucherin
Ein Plädoyer für die Frau
«Katerina Ismailowa» am Opernhaus

Beschnittene Kraft
Ein Bilderbuch der Abgründe
Aufgeweichte Konturen
Die Lady wird gezähmt
Von der Demontage eines Kunstwerks
Brutale Story ästhetisch inszeniert
Da ist kein Salz in der Suppe
     

Vox spectatricis

26. 9. 2005 / Siri Kohl

Kein richtiges Leben im falschen - auch nicht in Russland

Die Oper „Katerina Ismailowa“ ist die 1963 in Moskau herausgebrachte Neufassung von Dmitri Schostakowitschs 1934 uraufgeführter „Lady Macbeth von Mzensk“. Diese war trotz einigen Erfolgs beim Publikum auf wenig Gegenliebe bei sowjetischen Parteifunktionären gestossen. Vom Parteiblatt „Prawda“ wurde sie als „Chaos statt Musik“ abgetan, und in der Folge verbot die KPdSU die Aufführung der Oper.

Von der Erstfassung unterscheidet sich „Katerina Ismailowa“ hauptsächlich durch eine teilweise Glättung der musikalischen Struktur (weniger stimmliche Extreme in Höhe und Tiefe, weniger Extreme in der Instrumentalisierung) und durch eine Ersetzung vieler entweder betont erotischer oder auch derb-direkter Textteile durch dezentere Formulierungen.

„Chaos statt Musik“ - ein solches Verdikt wäre eine höchst unpassende Bezeichnung für die hervorragende Leistung, die Vladimir Fedoseyev mit dem Orchester der Oper Zürich dem weniger zahlreich als wünschenswert erschienenen Publikum bot. Vom expressiven Piano (selten) bis zum ohrenbetäubenden Fortissimo (häufig, da als musikalische Chiffre für Katerinas brutale Lebensumgebung gebraucht) führt er seine Musiker sicher durch die Tücken der Partitur, lässt Märsche, folkloristische Töne und liedhafte Einwürfe gleichermassen aufblitzen. Fragmentarisch scheinen sanfte Melodieansätze auf und verweisen auf mögliche - schönere - Lebensentwürfe der Katerina, die in der Welt, in der sie lebt, jedoch niemals Realität werden können. Eine sehr gute und dementsprechend mit Bravo-Rufen bedachte Leistung.

Die Inszenierung von Klaus-Michael Grüber unter Mitarbeit von Ellen Hammer vermag hier leider nicht auf gleicher Höhe mitzuhalten. Nüchtern, präzise, werkdienlich ist sie wohl, doch vermittelt sich kaum die Inhumanität der Verhältnisse, die Katerina erst zur Ehebrecherin und dann zur Mörderin macht. Wirklich packende Momente des Mitleidens, Mitgerissenwerdens durch die Bildersprache und Personenregie des Regisseurs fehlten mir an diesem Abend. Und das 7. Bild „Auf dem Polizeirevier“, in dem sämtliche Gendarmen mit identischen überdimensionalen (Stalin?)-Schnurrbärten ausgerüstet sind und ein von der Decke hängender (und deswegen auf dem 2. Rang mal wieder nur zur Hälfte sichtbarer...) verfremdeter russischer Doppeladler „Blut spuckt“ (das Spucken war eher ein Tropfen bzw. Kleckern, das seinen vermutlichen Zweck - die Grausamkeit des zaristischen wie auch des stalinistischen Polizeisystems deutlich zu machen - ziemlich verfehlte), wirkte eher verunglückt als grotesk-furchteinflössend.

Sängerisch gab es an diesem Abend wenig auszusetzen. Die Titelrolle war mit Solveig Kringelborn ausgezeichnet besetzt - die Sopranistin beherrschte ihre Stimme in allen Registern souverän, ihr weiches Timbre passt hervorragend zur in Tschechow-ähnlicher Langeweile und einer freudlosen Ehe gefangenen Katerina, doch sie besitzt auch den Farbenreichtum und die Aggressivität, um z.B. Katerinas schnelle und unerwartete Wandlung zur handfesten Fürsprecherin der Frauen (nach der von ihr verhinderten Vergewaltigung Axinjas) plausibel zu machen. Ihr stimmlicher und körperlicher Einsatz überzeugten voll und ganz und resultierten in wohlverdienten „Bravas“.

Viktor Lutsiuk als Schürzenjäger Sergej verliess sich leider durchgehend mehr auf die Kraft seines dunkel timbrierten Tenors als auf Stimmschönheit, was mich nicht ganz zu überzeugen vermochte. Dem Zuschauer wird dadurch nämlich nicht klar, wieso dieser Mann Katerina so zu fesseln vermag, dass sie sich erst für ihn opfern und den Mord an ihrem Mann auf sich nehmen will und ihm dann selbst nach einer rüden Zurückweisung auf dem Zwangsarbeitermarsch nach Sibirien noch ihre Strümpfe schenkt. Vermutlich kann bei manchen Frauen die Aussicht auf einen „echten Mann“ nach mehreren Jahren Ehe mit einem impotenten „Weichei“ unter Aufsicht von dessen paranoidem Vater an sich schon ein Aphrodisiakum sein; dennoch zeigt Sergej bereits von Anfang an sein wahres Gesicht, als er sich an Axinja - die Katerina vorher vor ihm gewarnt hatte - vergreifen will, und so überrascht es angesichts von Lutsiuks Mangel an Charme und stimmlicher Verführungskunst doch etwas, dass Katerina sich so bereitwillig auf ihn einlässt.

Alfred Muff als Katerinas Schwiegervater Boris Timofejewitsch Ismailow missfiel mir persönlich an diesem Premierenabend wieder einmal mit seinem fahlen Timbre und Tönen, die immer ein wenig „daneben“ klingen. Da aber für seine Rolle Stimmschönheit eher fehl am Platze wäre, geht vieles, was sonst störend auffiele, als rollengerecht durch; und darstellerisch liegt ihm der grobe, autoritäre russische Kaufmann ausgezeichnet, wenn er sich auch manchmal hart am Rande der Überzeichnung bewegt. Schostakowitsch macht es ihm allerdings auch nicht leicht, wenn der von Katerina vergiftete Boris nach seinem wortreichen Zusammenbruch ungefähr eine Minute lang stumm auf der Bühne liegen bleiben und sich in Krämpfen winden muss, bis das Gesinde mit dem Popen herbeieilt und er wieder singen darf... Doch Muff meistert auch diese Szene und ist in der ersten Hälfte des Abends (in der zweiten ist er tot) ein starker Gegenspieler Katerinas.

Der unglückliche - und mit wenig Notentext bedachte - Ehemann Sinowi Borissowitsch wird von Reinaldo Macias verkörpert, dessen italienisch geschulter Tenor stilistisch aus dem übrigen Ensemble apart heraussticht und durch seinen Schmelz erahnen lässt, dass diese Ehe vielleicht eine bessere Wendung hätte nehmen können, wenn Sinowi sich und seine Frau dem Einfluss seinen tyrannischen Vaters rechtzeitig entzogen hätte. Bei den kleinen Rollen muss zuerst die starke und auch noch nach ihrer Beinahe-Vergewaltigung würdevolle Axinja von Liuba Chuchrova genannt werden; weiter erfreuten die Leistungen von Martin Zysset (Ein heruntergekommenes Bäuerlein), Pavel Daniluk (Ein alter Zwangsarbeiter), Katharina Peetz (Sonetka - die auf dem Marsch der Zwangsarbeiter nach Sibirien Sergejs neue Geliebte wird, dies aber nicht lange überlebt, da die betrogene Katerina sie und sich selbst ins Wasser stürzt) und Reinhard Mayr (Pope - ein weiteres ebenso verfressenes wie versoffenes Exemplar der Spezies „komischer Bühnenpriester“).

Alles in allem ein musikalisch sehr guter und für Kenner der „Lady Macbeth von Mzensk“ - zu denen ich nicht zähle - sicher auch musikwissenschaftlich spannender Abend; das Zürcher Publikum reagierte mit freundlichem, aber nur selten (v.a. bei Fedoseyev und Kringelborn) grossem Applaus.

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Aargauer Zeitung

27. 9.2005 / Torbjörn Bergflödt

Ein Plädoyer für die Frau

Regisseur Klaus Michael Grüber erzählt am Opernhaus Zürich Schostakowitschs Oper «Katerina Ismailowa» schlüssig und spannend.

Kopfüber hängen Zwiebeltürme hoch oben über dem Tisch, auf den die unglücklich verheiratete Kaufmannsfrau Katerina ihre Patience-Karten legt. Symbolhaltig ziert ein aufgemaltes Schwein den Prospekt, vor dem im Hof der Ismailows Arbeiter die Köchin begrabschen und drangsalieren. Zur Groteske formieren sich die Gendarmen und der Kreispolizeichef mit den gelängten Schnurrbärten. Die Tableaus mit der Hochzeitstafel von Katerina und Sergei und später vom Feld mit den Zwangsarbeitern atmen etwas Zeitlos-Archaisches.

Zwischen stilisierender Abstraktion und Realismus, zwischen Anklage und Groteske finden die Bilder in der Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) «Katerina Ismailowa» am Opernhaus Zürich einen überzeugenden Weg. Überhaupt wirkt nichts aufgepfropft bei Klaus Michael Grüber und Ellen Hammer (Regie), Francis Biras (Bühne) und Eva Dessecker (Kostüme). So fügt sich das Ganze zu einem schlüssigen Stationendrama mit weiträumigen Spielflächen ohne billigen folkloristischen Putz und mit einer Personenführung, die die Charaktere markant herausstellt und spannend die Fabel entwickelt. Das Werk geht auf die Erzählung «Lady Macbeth von Mzensk» von Nikolai Leskow zurück, 1865 wurde die Geschichte verfasst.

Diese handelt von der gelangweilten und unterdrückten Katerina Ismailowa und davon, wie sie, je mehr Peiniger sie umbringt, desto unaufhaltsamer auch ihr eigenes Ende befördert. Die Sopranistin Solveig Kringelborn gestaltete daraus an der Premiere in bester singdarstellerischer Union von vokalen und schauspielerischen Anteilen das Schicksal einer Frau, die zum Morden geradezu getrieben wird, aber darob, in Not ein Dennoch-Restglück erzwingend, sich selbst abhanden kommt und zum bitteren Ende ins Wasser geht.

Mit kraftvoller Tenorstimme und körperbetontem Spiel gab Viktor Lutsiuk Katerinas Liebhaber und dann unwürdigen zweiten Ehemann Sergei als einen wie von Kräften ausserhalb seiner selbst gesteuerten Triebmenschen.

Bei Alfred Muff war Katerinas Schwiegervater ein Ekelpaket von wahrhaft diabolischem Format und von resonanzreichem Bass. Das Pandämonium der zahlreichen weiteren Figuren und Nebenfiguren wirkte farbenreich typisiert. Den Chor hat Ernst Raffelsberger sauber präpariert.

Die musikalische Protagonistenrolle dieses Abends wurde gewissermassen im Graben wahrgenommen. Gezackte Linien von Blechbläserfanfaren, grotesk grummelnde Fagottsoli, süsslich schmachtende Streicher, lärmmusikalisch dröhnende Tutti-Flächen: Der russische Dirigent Vladimir Fedoseyev und das gut disponierte Orchester liessen die collageartig aneinander geschnittenen Stilzitate wirkmächtig aufeinander prallen und bündelten die in der Partitur angelegten Kraftlinien. Ein besonderes Gewicht erhielten die Zwischenspiele, die - Personencharakteristiken und Kommentare - gleichsam zu Miniatursinfonien gerieten.

Die Musik Schostakowitschs geht ja direkt ins Blut, ist von dünnsauciger Moderne weit entfernt. Und bei aller handlungsbezogenen Emblematik erschöpft sie sich nicht in rein abschildernden Klangmalereien, sondern dringt vor zu starken Aussagen. Die Zwischenspiele vermöchten so auch im Konzertsaal für sich zu bestehen.

Welche Fassung ist die richtige?
Die 1963 uraufgeführte und geglättetere «Katerina Ismailowa», die etwas humaner einherkommt, weniger einem Versimo-Schocker nahe ist? Oder besser gleich die in Wort und Ton drastischer intonierte 30 Jahre ältere «Lady Macbeth von Mzensk», unter anderem mit ausgeprägter Bettszene? Im Vorfeld der Premiere ist eine Diskussion darüber aufgekommen, weshalb denn das Opernhaus Zürich nicht die «Lady Macbeth» - bei der es sich im Kern um die gleiche Oper handelt - gewählt habe. Die Frage leitet umstandslos, und wie so oft im Falle von Schostakowitsch, auf ein vermintes Gelände. Schon sehr früh haben Modifizierungen eingesetzt. Und trotz der Zwänge unter einem totalitären Regime: Äusserungen des Komponisten zufolge könnte dieser seine «Katerina Ismailowa» aus der «Tauwetter»-Periode favorisiert haben. Freilich sollte Zürich jetzt eine der «Urfassungen» zur Diskussion stellen. Wie übrigens schon 1936 geschehen.

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Blick

27. 9. 2005 / Roger Cahn

«Katerina Ismailova» am Opernhaus Zürich

Höchste Zeit, dass diese Oper den Eingang ins Zürcher Repertoire findet. Eine Titelheldin in Hochform und eine psychologisch präzis auf die Personen zugeschneiderte Regie feiern Triumphe. Jubel - vor nicht ganz vollen Rängen - am Sonntag im Opernhaus.

Eine reiche Kaufmannsfrau flüchtet sich im Kampf gegen Langeweile in die Liebe. Aus Verzweiflung tötet sie jeden, der sich ihrer Leidenschaft in den Weg stellt. Am Ende auch sich selbst.

Dmitri Schostakowitsch statuiert in seiner 1934 uraufgeführten Oper ein Exempel für die Ohnmacht des Individuums gegen Staat und Gesellschaft. Die Handlung basiert auf dem Roman «Lady Macbeth von Mzensk» von Nikolai Leskow.

Libretto und Musik schrecken vor nichts zurück. Sie zeigen erotische Szenen, Kampf, Mord und Totschlag offen und konkret. So konkret, dass der Komponist nach der Uraufführung unter dem Titel «Chaos statt Musik» in der «Prawda» eine rüde - von Stalin in Auftrag gegebene - Schelte lesen und in der Folge dem Machthaber zu Kreuze kriechen musste.

Die Zürcher Aufführung bringt die vom Komponisten leicht «gesoftete» Version zur Aufführung. Aber auch die ist noch hart genug. Klaus Michael Grüber inszeniert eine stimmungsstarke Bilderfolge und fokussiert das Geschehen auf das Liebespaar.

Im Zentrum steht Solveig Kringelborn als Titelheldin. Die norwegische Sopranistin singt und spielt die Entwicklung von der gelangweilten, reichen Kaufmannsfrau über die leidenschaftlich Liebende bis hin zur bestialischen Mörderin überzeugend. Ihre Katerina geht unter die Haut!

Nicht ganz so toll ist die musikalische Leitung. Vladimir Fedoseyev peitscht sein Orchester zu horrendem Tempo und extremer Lautstärke einer Militärkapelle. Dadurch gehen viele Zwischentöne verloren. Erst im Schlussbild lässt auch er ahnen, welche Facetten in Schostakowitschs Musik zu finden gewesen wären. Zu spät.

Fazit: Kein beschaulicher Abend mit Wodka-Fröhlichkeit und russischer Seele, dafür die Begegnung mit einer der bedeutendsten Opern des 20. Jahrhunderts.

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Der Bund

27. 9. 2005 / Tobias Gerosa

Beschnittene Kraft

Verharmlosend auf der ganzen Linie: Dmitri Schostakowitschs «Katerina Ismailowa» am Opernhaus Zürich.

Das Opernhaus spielt die überarbeitete «Katerina Ismailowa» von 1963 und nicht die Originalfassung «Lady Macbeth von Mzenzk» von 1934. Ein Fehler wie auch der Ansatz des Regisseurs Klaus-Michael Grüber, der Schostakowitsch mit Tschechow verwechselt.

Die letzte Szene liefert den Schlüssel. Vor grau gemalten Wolken spannen sich Telegrafendrähte durchs leere Sibirien (Bühne Francis Biras). So kann man Tschechow inszenieren, doch bei Schostakowitschs zweiter und letzter Oper läuft der naturalistische, auf Stimmung setzende Ansatz zwangsweise ins Leere.

Das Werk basiert auf einer realistischen Erzählung Nikolai Leskows aus dem Jahre 1865: Die Titelheldin verstrickt sich wie Shakespeares Lady Macbeth immer tiefer in Schuld. Drei Morde sind die Folge ihres Kampfes gegen die unterdrückende Männerherrschaft. Eigentlich versteht man sie dabei immer besser. Doch Klaus-Michael Grüber und seine Ko-Regisseurin Ellen Hammer schaffen es (gegen die Musik), dass diese so kraftvolle Geschichte über die Bühne zieht, ohne zu berühren oder aufzuwühlen. Was will diese Inszenierung eigentlich erzählen?

Verlorene Figuren
Viktor Lutsiuk als Sergej und Solveig Kringelborn als Katerina können einem Leid tun, wie sie ihre Figuren ohne Regie-Leitplanke entwickeln müssen. Dabei findet gerade Kringelborn bis ins Hochdramatische und trotz grotesk überdrehter Stummfilmparodie im Showdown berührende und überlegte Zwischentöne für die zerrissene Persönlichkeit der Katerina. Doch in einem Umfeld, in dem zentrale Rollen wie Boris (Alfred Muff) oder das schäbige Bäuerlein (Martin Zysset) szenisches wie musikalisches Profil vermissen lassen oder die kompakt und kraftvoll singenden Choristen mit angeklebten Zottelbärten herumstehen, wirken die Hauptfiguren verloren.

Zusammen mit Kostümen Eva Desseckers, die aussehen, als müssten sie bis auf die andere Seeseite erkennbar sein, laviert die Inszenierung zwischen vorgeblichem Realismus und einer überhöhten satirischen Darstellung, die allerdings unausgeführt bleibt, bis sie in den Pope- und Polizisten-Szenen nicht mehr umgangen werden kann und dann auch entsprechend daherkommt.

Geglättete Version
Dirigent Vladimir Fedoseyev entschied sich wie schon bei Modest Mussorgskijs «Chowanschtschina» auch jetzt gegen die Härten und Schärfen der ersten Fassung und für die geglättete, lange auch geglättet sanft interpretierte Überarbeitung voller instrumentaler Schönheiten, aber bis auf den Schluss viel zu wenig Kraft und Spannung. Statt aufzuschrecken, kann man sich lange geniessend zurücklehnen.

Unabhängig davon, wie entscheidend Stalins vernichtendes Urteil 1936 für die spätere Überarbeitung war, erweist sie sich auch als klar schwächer. Massgeblichen Anteil an diesem Urteil haben nicht nur die Eliminierung der drastischsten Szenen, sondern auch die fünf eingefügten Zwischenspiele. Obwohl Fedoseyev hier mächtig aufdreht, überführen sie die vorher hart geschnittene Handlung in eine opernhafte Bildabfolge, betont noch durch die Zwischenvorhänge. Wo blieb da die Opernhaus-Dramaturgieabteilung, die sich dieser Kulinarisierung in den Weg gestellt hätte?

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Der Landbote

27. 9. 2005 / Herbert Büttiker

Ein Bilderbuch der Abgründe

«Katerina Ismailowa» also und nicht die provokantere Urfassung. Und? Die Zürcher Einstudierung steht für viele Qualitäten der grossen Schostakowitsch-Oper ein, musikalisch und szenisch.

Die Wahl der späteren Überarbeitung der «Lady Macbeth von Mzensk» hat jedenfalls den Vorteil des unverfänglicheren Titels. Denn mit Shakespeares Lady ist die Katerina Ismailowa der Oper ja nur bedingt gleichzusetzen. Nicht den Glanz einer Krone sucht die Kaufmannsfrau, sondern den Ausbruch aus bedrückenden Verhältnissen, nicht die Kriminalpsychologie des Ehepaars bestimmt das Geschehen, sondern der Ehebruch mit dem Gehilfen Sergej. Kein legitimer Herrscher, sondern der tyrannische Schwiegervater, der ihr Schlafzimmer umschleicht, ist das erste Opfer. Auch die Tötung ihres Mannes Sinowi folgt keinem kaltblütigen Plan, sondern aus dem Moment heraus, als er sie mit dem Liebhaber überrascht. Eher Opfer als Täterin ist sie schliesslich auch bei ihrem dritten Mord, den sie auf dem Weg in die Strafkolonie begeht, wo sich Sergej einer Jüngeren zuwendet und sie, herausgefordert und verzweifelt, die Rivalin in den Fluss stösst und hinterherspringt.

Die Frau als Opfer in der zaristischen beziehungsweise in einer patriarchalischen Gesellschaft – dieser Blickwinkel ist auch der der Musik: im expressiven Gestus, mit dem sie sich in die Nöte der Protagonistin einfühlt, im Spott, den sie über Polizei, Pope und Haustyrann ausgiesst, in der Unverblümtheit, mit der sie den Zynismus von Sergejs Leidenschaft entlarvt, und auch mit der Art, wie sie die alte russische Oper für ein schillerndes Wechselspiel von Satire und Tragödie aufgreift und verfremdet.

Ein solches Leben
Im letzten Bild gibt der Gesang des alten Zwangsarbeiters – Pavel Daniluk mit tragendem Bass – und mit ihm der Chor, der die zahlreichen Herausforderungen dieses Werks imponierend meistert, dem Stück die definitive Richtung. Es ist die der umfassenden Klage: «Wird denn für ein solches Leben geboren der Mensch?», fragt er, während die Häftlinge weiterziehen. Aber davor ist Raum für ein buntes Spektrum unterschiedlichster Figuren, die in der Zürcher Inszenierung – die erste seit der «Lady Macbeth» von 1936 – alle ihre markanten Auftritt haben. Dazu gehören die komisch derben Nebenfiguren wie der Pope (Reinhard Mayr), das Bäuerlein (Martin Zysset) oder der Polizeichef (Valeriy Murga), und die Hauptfiguren, die durchaus auch ihre lächerliche Seite haben. Sinowi, den Reinaldo Macias mit ausladender Stimme nobel gibt, kommt zum Triller der Bassklarinette nicht ohne Komik zu Tode. Boris hat in Alfred Muffs Poltergesang, in dem immer auch lerchenauische Jovialität mitklingt, ohenhin mehr komisches als dramatisches Format., und Sergej besitzt mit Viktor Lutsiuks Tenor zwar das Appassionato der grossen Liebhaber-Tenöre, aber in pathetischen Momenten wird er vom Orchester spielerisch konterkariert, und gross ist die Fallhöhe von der behaupteten Empfindsamkeit zum buffomässigen Feilschen um Liebesgunst.

Die Mörderin als Heldin
Aus aller irrlichternden Komik herausgehalten, mit starken, eindeutigen Gefühlen ist Katerina die einzige wirklich «heldische» Figur der Oper. Die Sopranistin Solveig Kringelborn gibt ihr alle Facetten, schmerzliche Emotionalität, jugendlich-innige Piano-Kantilenen, Ausbrüche mit grosser Stimme und schlichte Echtheit in Spiel und Gesang insgesamt.
Tragödie, Satire und episches Volksdrama: Den gemeinsamen Nenner für das stilistische Konglomerat der acht Bilder findet das Inszenierungsteam (Klaus Michael Grüber, Inszenierung, Francis Biras, Bühnenbild, Eva Dessecker, Kostüme) auf der Zürcher Bühne in der Ästhetik des Bilderbuchs. Vor unverstellten malerischen Flächen zeichnet sich das Geschehen in klaren Konturen ab, akzentuiert durch die fein abgestimmte Farbigkeit der Kostüme und wenigen Requisiten. Lokalkolorit ist mit Zurückhaltung eingesetzt, und die Zwiebeltürme hängen verkehrt herum vom Schnürboden herunter: Die folkloristische Konvention der russischen Oper kommt zu ihrem Recht und ist doch ausgehebelt.
Dem «Naiven» ganz nah ist die Genreszene des Hochzeitsbildes, kurz ist der ästhetische Weg hin zur Überzeichnung der Polizeisatire und kurz zum expressionistischen Stimmungsbild der Schlussszene. Realistisch werden die Liebes- und Mordszenen ausgespielt, wobei das Drastische dem Komischen nahe bleibt beziehungsweise beides ineinander übergeht – eine Gratwanderung, die der Musik abgelauscht ist und die Kunst dieser Inszenierung ausmacht, die vielleicht auf den ersten Blick als unspektakulär erscheint, aber beim zweiten umso mehr als Feinarbeit von grossem Reiz zu würdigen ist.

Furios und sorgfältig
Ähnliches lässt sich für den musikalischen Aspekt der Aufführung feststellen. Vladimir Fedoseyev sucht in dieser Musik den grossen symphonischen Zug: Die Wahl der weniger grell instrumentierten Fassung hat damit zu tun. Momente pauschaler Betriebsamkeit, die in Schostakowitschs Motorik lauern, werden mit flexiblem Spiel aufgefangen. Immer wieder glänzt das Orchester mit geradezu sportlichen Höchstleistungen in allen Registern, aber auch mit Vehemenz und lyrischen Schönheiten. Furios stürzt es sich in die burlesken Intermezzi, sorgfältig werden solistisch konzertierende Passagen. Dabei gewannen an der Premiere Motorik und opulente Dynamik im Verlaufe der drei Akte zunehmend an Prägnanz und Eindrücklichkeit, und in der Summe war es ein grosser Abend.

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Neue Zürcher Zeitung

27. 9. 2005 / Marianne Zelger-Vogt

Aufgeweichte Konturen

Dmitri Schostakowitschs «Katerina Ismailowa» in Zürich

Wie kühn und neuartig muss Dmitri Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» bei ihrer Uraufführung 1934 in Leningrad gewirkt haben: eine Kaufmannsfrau, die aus Ehe und gesellschaftlichen Zwängen auszubrechen sucht, indem sie sich einem Knecht hingibt, dabei zur Mörderin an ihrem tyrannischen Schwiegervater, ihrem lieblosen Mann und schliesslich, auf dem Weg ins sibirische Sträflingslager, an ihrer jungen Rivalin wird, dazu eine Musik von greller Drastik, voller Stilbrüche. - Was man jetzt im Opernhaus zu hören und zu sehen bekommt, lässt die Sprengkraft dieses Schlüsselwerks der russischen Avantgarde, das schon 1936 seine Schweizer Erstaufführung in Zürich erlebte, kaum mehr erahnen.

Da ist zunächst die Lösung der Fassungsfrage (vgl. NZZ 24./25. 9. 05). Auf Wunsch des Dirigenten Vladimir Fedoseyev hat sich das Opernhaus für die vom Komponisten unter politischem Druck erstellte geglättete Neufassung von 1962/63 entschieden, die heute auf westlichen Bühnen kaum mehr im Gebrauch ist. Auch in ihr gibt es die für Schostakowitsch typischen Farbwechsel, rhythmischen und klanglichen Härten, dynamischen Extreme sowie Stilbrüche in Form von Marsch-, Walzer- und Geräuscheinlagen. Doch weit stärker als in «Lady Macbeth von Mzensk», der Erstfassung, sind sie in «Katerina Ismailowa» eingebunden in einen übergreifenden, quasi sinfonischen Formzusammenhang. Das wird von Fedosejew und dem hochmotivierten Orchester mit grosser Gestaltungs- und Überzeugungskraft hörbar gemacht.

Die eigentliche Problematik der Aufführung liegt anderswo. Die Bühne von Francis Biras evoziert mit ihren aquarellartigen Hintergrundsprospekten und ihren russischen Versatzstücken, die mit Eva Desseckers Kostümen korrespondieren, eine Stimmungshaftigkeit, welche die Konturen der Schauplätze auflöst statt schärft. Das Schlussbild in der Steppe - Leitungsmasten vor weitem Himmelshorizont, der sich verdüstert, und dort, wo Katerina ihre Nebenbuhlerin Sonetka (Katharina Peetz) mit sich in den See zieht, ein blauer Wasserstreifen - verströmt poetische Melancholie. Einzig die Polizeirevier-Szene erinnert noch daran, dass Schostakowitschs Oper ebenso sehr Satire wie Tragödie ist.

Mit dem Weichzeichner haben auch der Regisseur Klaus Michael Grüber und seine Mitarbeiterin Ellen Hammer gearbeitet. Die brutalen Szenen - Vergewaltigung der Köchin Axinia (Liuba Chuchrowa), Auspeitschung Sergeis, Tötung Sinowis - werden zwar realistisch gezeigt, aber in moderater Form. (Die von Stalin beanstandete Beischlafszene hat der Komponist selbst in der Zweitfassung eliminiert.) Und nicht nur den Bildern, auch den Figuren selbst mangelt es an Konturschärfe. Solveig Kringelborns Katerina ist eine ergreifende, aber keine packende Gestalt, man spürt nicht, wie sie die seelischen und körperlichen Misshandlungen aus ihrer Lethargie herausreissen und mit Entschluss- und Tatkraft aufladen, ihr sexuelles Begehren manifestiert sich bloss im Rot ihres Kleides, und ihrer hellen, empfindsamen Stimme wünschte man mehr Volumen und Resonanz. Alfred Muff ist zwar ein an Gestalt und Bassesgewalt imposanter Boris, doch es fehlt ihm das Hinterhältige, Lüsterne und - durch die russische Sprache bedingt? - überdies die rhythmische und deklamatorische Prägnanz.

Da hat es der Ukrainer Wiktor Lutsiuk als Katerinas Liebhaber Sergei leichter. Er zeichnet vokal - dank seinem gut fokussierten, etwas engen Tenor - wie darstellerisch ein plastisches Rollenbild des berechnenden Schürzenjägers. Nicht nur schwach, sondern profillos wirkt dagegen Katerinas Ehemann Sinowi, dem Reinaldo Macias seinen geschmeidigen Tenor leiht. Aus der langen Reihe von Nebenfiguren ragt Pawel Daniluks alter Zwangsarbeiter heraus. - Der Beifall des Premierenpublikums war einhellig, aber nicht enthusiastisch - gemässigt wie die Zweitfassung und ihre szenische Umsetzung.

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St. Galler Tagblatt

27. 9. 2005 / Verena Naegele

Die Lady wird gezähmt

Das Opernhaus Zürich stellt Schostakowitschs «Katerina Ismailowa» zur Diskussion.

Zwei Opernfassungen im Direktvergleich: «Katerina Ismailowa» heisst die geglättete, «Lady Macbeth von Mzensk» die rebellische Version desselben Werks von Schostakowitsch. In Zürich wird jetzt erstere gespielt, St. Gallen folgt nächstes Jahr mit der Ur-Fassung.

Sie bricht aus ihrem stumpfsinnigen Leben an der Seite eines peniblen Kaufmanns aus, sie ermordet Mann und Schwiegervater und gibt sich der puren Sinneslust hin, und doch ist sie kein verschlingendes Frauenmonster. Dimitri Schostakowitsch hegt unverkennbar Sympathien für Katerina Ismailowa, die schillernde Titelheldin seiner wohl faszinierendsten Oper. Als polystilistischer Komponistenvirtuose führt er uns durch eine Welt voller Emotionen, Lug und Trug.

Stalin greift ein
Entstanden ist das Werk in Zeiten des Aufbruchs, und es erlebte unter dem Titel «Lady Macbeth von Mzensk» 1934 in Leningrad bei der Uraufführung einen gewaltigen Erfolg. Bereits ein Jahr später sah auch Zürich das Werk. Doch wie gewonnen, so zerronnen: 1936 besuchte Stalin eine Vorstellung, verliess in der Pause wütend das Theater und liess in der Prawda einen Artikel «Chaos statt Musik» publizieren, dem ein Aufführungsverbot folgte.

Erst 1963 gelang es Schostakowitsch in der Ära Chruschtschow, unter dem Titel «Katerina Ismailowa» eine abgeschwächte Version aufzuführen. Das Opernhaus Zürich wagt nun eine Aufführung der Zweitfassung mit dem Argument, dass Schostakowitsch zu Lebzeiten nur noch diese autorisiert hat – unter Repression oder aus innerer Überzeugung, darüber streitet sich die Fachwelt. Trotz eines stimmigen Abends hinterlässt Dirigent Vladimir Fedoseyevs und Regisseur Klaus Michael Grübers Interpretation zwiespältige Eindrücke

Schostakowitsch will in seiner Oper nicht die Frau vernichten, sondern das zaristische Russland entlarven, die korrupte Polizeimaschinerie, die Geldgier und das Besitzdenken, an dem die Liebe und mit ihr Katerina kaputt geht. Um diese Dichotomie zu verdeutlichen, bedient er sich mit brillanter Meisterschaft musikalischer Stilmittel. Katerina hat durchwegs eine elegische, volksliedhaft berührende Musik, während ihre Umwelt in grotesker Verzerrung gezeigt wird: Schwiegervater Boris erzählt in einem Operettenverschnitt à la Ochs von Lerchenau seine Untaten als junger Mann – ein gefundenes Fressen für Alfred Muff. Schürzenjäger Sergej (ein heldischer Viktor Lutsiuk), der Katerina zum Verhängnis wird, hat nichts als Polkatöne und leere Virulenz auf dem Kasten

Genau diesem Bruch, dieser expressiv bizarren Überdrehung nimmt Schostakowitsch in der Zweitversion die Spitze. Es fehlen die Extreme. Die unmissverständlich derbe «Bett-Musik» von Sergej und Katarina ist gestrichen, die zum Teil extremen Gesangslagen sind abgeschwächt und vereinfacht. Damit findet eine Annäherung an die grosse russische Oper statt, was Fedoseyev zweifellos liebt. Er gestaltet malerisch auftrumpfende Zwischenspiele und treibt sein Orchester mit breitem Sound unerbittlich an

Uneinheitliche Regie
In diese Lesart passt auch Klaus Michael Grüber, oder besser gesagt, sein Ausstattungsteam mit Eva Desseckers genau stilisierten Kostümen von Arbeitern, Popen und Polizisten und den Atmosphäre schaffenden Hintergrundprospekten von Francis Biras. Grübers Personenführung ist dafür uneinheitlich, vielfach statisch haftend, zwischendurch aber von dynamischer Kraft. Vielleicht überlässt er zu vieles seinen Sängerdarstellern, aus denen Solveig Kringelborn wie ein Diamant herausragt. Grandios ihre stimmtechnische Vielfalt vom Sprechen über Schreien, lyrisch-melancholisch Singen bis hin zur ekstatischen Lust

Wie der Eindruck wohl bei der «Lady Macbeth von Mzensk» wäre – darüber gibt im Februar möglicherweise die St. Galler Inszenierung der Ur-Version Auskunft.

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Tages-Anzeiger

27. 9. 2005 / Michael Eidenbenz

Von der Demontage eines Kunstwerks

Das Zürcher Opernhaus präsentiert die überarbeitete dritte Version von Dmitri Schostakowitschs «Katerina Ismailowa». Ein Trauerspiel.

Es ist ein Jammer. Als ob ihm nachträglich noch der Speck durchs Maul gezogen werden müsste, kann das Publikum im Programmheft nachlesen, was es an diesem Abend alles nicht hören durfte. In an sich lobenswerter Offenheit werden über sieben Seiten die Glättungen, Verharmlosungen und Säuberungen aufgelistet, die Dmitri Schostakowitsch seinem bedeutendsten Bühnenwerk angetan hat, als er, erschrocken über die eigene Kühnheit, dessen expressionistische Radikalität zweimal den politischen Zeitumständen anzugleichen suchte. Szene für Szene dürfen wir nachlesen, wie er drastische Instrumentierungen entfernte, unzweideutige bis vulgäre Erotik in Text und Musik zu unverbindlichen Opernlyrismen herabmilderte und von der Darstellung bodenlos zynischer Triebhaftigkeit Abstand nahm zu Gunsten moralischer Eindeutigkeit.

Verriss von Stalin
Schostakowitsch wusste, was er dabei tat: Die Bearbeitungen waren Akte des Selbstschutzes in real lebensbedrohlichen Situationen. Schon 1934, zwei Jahre nach der durchschlagend erfolgreichen Uraufführung seiner «Lady Macbeth von Mzensk» nach Nikolai Leskows gleichnamiger Erzählung, hatte er erste Milderungen und die Umbenennung der Oper in «Katerina Ismailowa» vorgenommen. Vergeblich. Nachdem 1936 Stalin einer Aufführung beigewohnt hatte, erfolgte in der «Prawda» jener legendäre Frontalangriff (Schostakowitsch-Biograf Solomon Wolkow belegt, dass er aus Stalins eigener Feder stammen musste), der den Komponisten wie ein Genickschuss traf und eine lebenslange Traumatisierung Schostakowitschs selbst wie der gesamten russischen Intelligenzija bewirkte. Das Stück wurde zum Tabu, verschwand in der Versenkung. Als nach Stalins Tod die Jahre des sowjetischen Tauwetters anbrachen, wagte Schostakowitsch eine Rehabilitierung, indem er die Oper mit einer erneuten Verharmlosung jener aschfahlen Zeit anglich. Mit Erfolg, denn die dritte Version erlangte grosse Beliebtheit bei sowjetischen Bühnen, und diese «Katerina Ismailowa» präsentiert das Zürcher Opernhaus dem Publikum des 21. Jahrhunderts. Weiss es, was es damit tut?

Es ist klassische instinktive Programmpolitik: Schnell muss eine Inszenierung her, denn 2006 wird Schostakowitschs 100. Geburtstag zu feiern sein. Dieser hat, Stalin sei Dank, nur zwei Opern vollendet. Das genialisch exzentrische Frühwerk «Die Nase» kommt natürlich nicht in Frage, und weil mit Wladimir Fedoseyew ein Dirigent zur Verfügung steht, dem «Katerina Ismailowa» aus alten Sowjetzeiten noch vertraut ist, fällt der Entscheid leicht. Zur Rechtfertigung zieht man Schostakowitschs explizites Beharren auf der letzten Fassung heran, macht sich also dessen Sprachgebrauch aus der nachstalinistischen Ära zu Eigen und verkündet, es sei an der Zeit, nachdem in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit nur die Originalversion gespielt wurde, nun die Fassung letzter Hand wieder zur Diskussion zu stellen.

Aus Subversion wird Langweile
Bitte sehr. Die Diskussion ist schnell geführt. Die nach der Pause gelichteten Reihen bei der Premiere am Sonntag sprachen für sich. Das Opernhaus hat es geschafft, die deftigste, sinnlichste, schwärzeste und dabei radikal subversivste Oper des 20. Jahrhunderts der Langeweile preiszugeben. Man braucht die bahnbrechende Einspielung der Originalfassung unter Mstislaw Rostropowitsch von 1978 nicht einmal zu kennen (als Opernfreund muss man sie kennen!), um geradezu physisch unter dieser Demontage eines Kunstwerks zu leiden. Denn was der Komponist nicht schon selbst getan hat, erledigt die Zürcher Produktion.

Klaus Michael Grüber legt eine Inszenierung von so bestürzend ideenloser Biederkeit vor, dass man beinahe geneigt wäre, dahinter seinerseits eine raffiniert hintersinnige Denunziation der Verharmlosung zu vermuten. Evident wird dies freilich nicht. Aus einer Geschichte, die die verheerenden Explosionen beim Zusammenprall von weiblicher Geilheit, männlicher Gewalt, patriarchalischer Verstocktheit, kirchlicher Bigotterie und staatlicher Korruption ausmalt, wird in Francis Biras banal kargen Bühnenbildern gewöhnlichster Opernalltag: Die Kaufmannsgattin Katerina verglüht vor Langeweile und erotischem Sehnen und spielt Patience. Der Seitensprung mit dem Knecht Sergei wird in einer Mischung von Vergewaltigung und Hingabe vollzogen. Ein Küsschen illustriert den schon von Schostakowitsch amputierten koitalen Höhepunkt. Sergei wird von Katerinas brutalem Schwiegervater öffentlich ausgepeitscht, ein etwas zielloses Wedeln mit der Peitsche steht für den Gewaltexzess. Der Gipfel an satirischen Details ist erreicht, wenn russische Bauern und Polizisten alberne Umhängebärte tragen dürfen.

Natürlich wird schön gesungen
Derweil bleibt Dirigent Wladimir Fedoseyew, der ein gründlicher Kenner der Partitur sein mag, neben den koordinatorischen Herausforderungen kaum mehr Energie für dramatische Zuspitzungen. Immerhin legt die Aufführung in der zweiten Hälfte an musikalischer Kraft zu. Kein Wunder: Hier sind auch die bearbeitenden Eingriffe weniger gravierend. Und natürlich wird schön gesungen. Sowohl Reinaldo Macias als Ehemann Sinowi wie Wiktor Lutsiuk als Knecht Sergei glänzen mit tenoralem Gold, können aber weder der Schlappschwänzigkeit der einen noch der ambivalenten Virilität der anderen Figur Konturen geben. Alfred Muff hat den finsteren Patriarchen Boris buffonesk täppisch zu geben, und selbst Solveig Kringelborn in der Titelrolle muss mit ihrer grossartig dramatischen Stimme in artifiziellen Pianissimi um jenen Ausdruck ringen, den die Regie ihrer Rolle nicht zugesteht.

Nichts darf wehtun
Schöngesang, das bietet das Zürcher Opernhaus zuverlässig. Ein Stück aber, das die tradierten Opernaffekte in expressionistischem Gebaren bis zur Schmerzgrenze spreizt, glaubt unser kostspieliger Entertainment-Tempel Publikum und Sponsoren nicht zumuten zu können. Wehtun darf hier nichts. Hier sollen wir uns gefälligst in einem unaufhörlich reanimierten Opernkult aus dem 19. Jahrhundert selbst bespiegeln dürfen. Dmitri Schostakowitschs «Katerina Ismailowa», die als «Lady Macbeth von Mzensk» vor siebzig Jahren in eine Eiterbeule der Zeit gestochen hat, erweist ihre entlarvende Kraft erneut exemplarisch: Diesmal ist es ein morsch gewordener Opernbetrieb, der sich selbst blossstellt, indem er den substanziellen Kern seines Repertoirenachwuchses verhindert. Höflicher Applaus bei der Premiere. Es ist ein Jammer.

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Zürcher Oberländer

27. 9. 2005 / Sibylle Ehrismann

Brutale Story ästhetisch inszeniert

Als Erstaufführung zur Saisoneröffnung hatte am Sonntagabend am Opernhaus Zürich Schostakowitschs «Katerina Ismailowa» Premiere. Ein eindrücklich inszeniertes Frauenschicksal.

Das Opernhaus Zürich ist schon im Vorfeld zur Premiere von Schostakowitschs Oper «Katerina Ismailowa» ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Es handelt sich bei diesem Stück nämlich um die 1963 unter politischem Druck entstandene «geschönte» und «entvulgarisierte» Fassung seiner «grotesken» Oper «Lady Macbeth von Mzensk» aus dem Jahre 1934.

Zwiespältiger Eindruck
Der russische Dirigent Vladimir Fedoseyev verteidigt die überarbeitete Version und verweist dabei vor allem auf die sehr viel interessanteren sinfonischen Zwischenspiele. Die Premiere am Sonntag bestätigte einerseits diese Einschätzung, hinterliess jedoch trotz hochkarätiger Besetzung mit Solveig Kringelborn als Katerina einen etwas zwiespältigen Eindruck.

Schostakowitsch scheidet immer wieder die Geister. Seine «Gralshüter» im Westen betonen gerne den geistigen Widerstand des Komponisten in einem diktatorischen System. Und sie sehen ebenso gerne darüber hinweg, wie problematisch seine Haltung gegenüber diesem Regime war. Schostakowitsch war bereit, sich immer wieder anzupassen und für dieses System eine «angemessene» Musik zu schreiben. So hat er zwar auch die «Ismailowa»-Oper unter Druck überarbeitet und im Ausdruck «geschönt»; er hat diese Gelegenheit aber auch dazu genutzt, ihm persönlich wichtige musikalische Eingriffe vorzunehmen. So kann man bis heute nicht mit endgültiger Sicherheit sagen, die «Ismailowa»-Oper entspreche nur bedingt seinem künstlerischen Credo.

Vladimir Fedoseyev gibt denn auch unverhohlen zu, dass er als Dirigent dies Zweitfassung der viel gröber gearbeiteten, ins Extrem vulgarisierten Urfassung vorziehe. So unerhört diese Entscheidung bei uns auch sein mag - wenn einer die «Katerina Ismailowa»-Oper im Westen zur Diskussion stellen darf, dann Vladimir Fedoseyev. Ihm gelang am Premierenabend denn auch eine musikalisch grandiose Aufführung, welcher die schön ästhetisierte Inszenierung von Klaus Michael Grüber jedoch etwas die archaische Kraft nahm.

Die Geschichte der «Lady Macbeth» und der Katerina Ismailowa ist ja denkbar brutal. Die sich in ihrer Alltagsöde zu Tode langweilende schöne Ismailowa bringt zuerst ihren sie terrorisierenden Schwiegervater und dann ihren Mann um, damit sie ihren Geliebten heiraten kann. Die Morde werden jedoch entdeckt, und die beiden Schuldigen müssen nach Sibirien ins Arbeitslager. Dort muss Katerina erkennen, dass Sergej sie mit einer anderen betrügt, und bringt deshalb die Nebenbuhlerin und sich selbst durch den Sprung in einen tiefen Waldsee um.

Letzter Biss fehlt
Die Geschichte ist wahrlich triebhaft archaisch. Man hat denn auch vor allem im ersten Teil des Abends das Gefühl, es fehle im Moment des Aufbegehrens von Katerina das Kippen ins Groteske. Die Musik ist zwar von einer direkten emotionalen Kraft, es fehlt ihr aber der letzte Biss. Dieses Zurücknehmen im Moment des heftigen Liebesaktes und des Mordes hinterlässt tatsächlich einen etwas fahlen Nachgeschmack.

Klaus Michael Grüber hat für das Bühnenbild mit Francis Biras einen Kunstmaler verpflichtet. Seine künstlerisch eigenständigen Bühnenprospekte zaubern in den schwarzen Raum treffende und doch vage Stimmungen, die mit einer subtilen Lichtregie belebt werden. In diesem auch sehr leer wirkenden Raum sind die Figuren in russisch-bäuerliche Kostüme gekleidet, mit welchen die Designerin Eva Dessecker eine realistische Note einbringt. Die Sängerinnen und Sänger können sich darin ungehemmt bewegen und musikalisch frei entfalten. Trotzdem wirkt Grübers Personenführung ausgesprochen statisch. Seine Figuren werden bei allen archaischen Gefühlsausbrüchen zu einer Art «Bild-Gestalten» eingefroren.

Diesem Regiekonzept entsprechend wirken denn auch vor allem die männlichen Protagonisten etwas zu brav. Eine Ausnahme ist da der Bass Pavel Daniluk, der im letzten Bild als «Alter Zwangsarbeiter» die russische Seele grandios zur Geltung bringt. Alfred Muff brilliert zwar stimmlich als Schwiegervater-Tyrann und macht aus seinem walzerhaften Auftritt als alter Lüstling einen Höhepunkt des Abends. Er dürfte aber durchaus etwas gröber und ungehobelter auftreten.

Auch der ungeliebte Ehemann Sinowi wird von Reinaldo Macias so weich und blass dargestellt, dass man kaum nachvollziehen kann, weshalb der umgebracht werden muss. Der stimmlich sehr heldische Tenor Viktor Lutsiuk weiss als Sergej den Machotyp glaubhaft darzustellen; er wirkt jedoch etwas eindimensional.

Betörend schöne Katerina
Dies fällt neben der vielschichtigen Darstellung von Solveig Kringelborn als Katerina natürlich besonders ins Gewicht. Unerhört, was diese Sängerin an schauspielerischen und stimmlichen Facetten anzubieten hat. Zuerst die Öde und Verlorenheit der gelangweilten Kaufmannsgattin, und dann die Steigerung in den Liebes- und Mordwahn. Sie, die fast ununterbrochen auf der Bühne steht, gestaltet bis zum Schluss mit unglaublicher Präzision und Ausdrucksnuancen alle Schichten ihrer Figur aus. Und diese Stimme: betörend schön, farbenreich und von bezwingender Grösse.

Vladimir Fedoseyev atmete trotz der sinfonischen Kraft der Musik mit den Sängern mit, genoss die tragende Rolle des die reichhaltige Partitur engagiert ausformulierenden Orchesters und sorgte für eine suggestive, dramaturgisch atemberaubende Aufführung. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor wirkte dabei rhythmisch sattelfest und die Szenerie eindrücklich prägend.

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Zürichsee-Zeitung

27. 9. 2005 / Reinmar Wagner

Da ist kein Salz in der Suppe

Opernpremiere: Schostakowitschs «Katerina Ismailova» in einer entdramatisierten Fassung.

Am Zürcher Opernhaus stellte der Dirigent Vladimir Fedoseyev die späte Fassung «Katerina Ismailova» von Dimitri Schostakowitschs Oper «Lady Macbeth von Mzensk» zur Diskussion. Mit viel Einsatz und Können, aber schlechten Argumenten.

Sie hat enorm viel zu reden gegeben, die Wahl der Fassung, die das Zürcher Opernhaus von Schostakowitschs expressionistischer Oper «Lady Macbeth von Mzensk» ausgewählt hatte. Zn Recht, denn es ist mehr als eine Fassung, mehr als die Bearbeitung eines gereiften Komponisten, der zwanzig Jahre später noch einmal auf eines seiner wichtigsten Werke zurückkommt. 1934 ging in Leningrad die Uraufführung von Schostakowitschs zweiter Oper erfolgreich über die Bühne, Moskau folgte kurz darauf. Zwei Jahre lang wurden in beiden Städten über 180 Vorstellungen gegeben, ein enormer Erfolg für ein zeitgenössisches Stück. 1936, zwei Tage nachdem der Diktator Stalin eine Vorstellung dieser Oper gesehen hatte, erschien jener berühmte Artikel in der «Prawda», der unter dem Titel «Chaos statt Musik» Schostakowitschs Oper schwer angriff und den viel versprechenden Komponisten damit schlagartig aus dem öffentlichen Kulturleben verbannte.

Gezähmt und flügellahm
Schostakowitsch hat sich von diesem Schock nie wirklich erholt. Als er 1956 - Stalin war unterdessen gestorben, unter Chruschtschow herrschte «Tauwetter» - daran ging, die geächtete Oper zu überarbeiten, hat die damalige Kritik ganz offensichtlich Früchte getragen, wie die Vorstellung des Zürcher Opernhauses nun zeigt. Es hat sich - auf Wunsch des Dirigenten Vladimir Fedoseyev - dazu entschlossen, die bei uns kaum bekannte überarbeitete Fassung dieser Oper zur Diskussion zu stellen. Die Veränderungen sind frappierend: Schon im Text sind deftige Kraftausdrücke und sprachliche Vulgaritäten getilgt worden, das Erotische, das in der ursprünglichen Version so unmittelbar und lebensprall den Zuhörer anspringt, ist zurückgedrängt und durch harmlos-süsse Bilder ersetzt worden, die berühmte Liebesszene ist praktisch verschwunden. Auch die Musik klingt, als ob hier ein stalinistischer Zensor mit dem Rotstift das «Chaos» eliminiert hätte: Extreme Lagen der Instrumente wie der Stimmen sind zurückgenommen worden, das Schrille und Grelle der Instrumentierung, mit Piccolos und Xylophonen, ist verschwunden. In den Zwischenspielen hat Schostakowitsch die jazzig angehauchten übermütigen Big-Band-Imitationen, die derben Walzer und orgiastischen Klanggemälde abgeschwächt oder teilweise ganz ersetzt. Alle Elemente, die der Steigerung des Expressiven dienen, sind getilgt worden: gerundete Kanten, kein Salz in der Suppe.

Das ist die eine Seite der Bearbeitung, mit der man allenfalls leben könnte, wenn Schostakowitsch einen Ersatz dafür bieten würde: vertiefte Reflexion, musikalische Kommentare, Verdichtungen der Aussagen, Überhöhungen der handfesten Szenen ins Allgemeine, die er als älterer Komponist vielleicht nicht mehr so realistisch durchgespielt haben wollte. Aber genau das passiert nicht. Es gibt nichts, was den Verlust der expressionistischen Direktheit wettmachen würde. Gezähmt und flügellahm steht das Stück vor unseren Ohren.

Vladimir Fedoseyev tat sein Bestes, diese entdramatisierte Partitur so dramatisch wie möglich zu gestalten. Vieles gelang ihm, oft vermochte er die Spannungslinien suggestiv zu halten und die noch nicht immer ganz wachen Orchestermusiker mit seiner ausserordentlich klaren Gestik zu intensivem Spiel anzuhalten. Aber anderes wirkte auch merkwürdig distanziert, die vielen filmmusikartig illustrativen Passagen erhielten kaum Brisanz, geschweige denn Biss oder auch Sinn. Das Satirische, das neben dem Expressiven und Dramatischen als drittes starkes Element die Oper prägt, war nicht nur auf der Bühne in seiner Dimension gestutzt, sondern auch in Fedoseyevs Interpretation kaum existent.

Bieder und betulich
Und wie könnte es anders sein: In dieser wie durch einen Gazeschleier abgemilderten und aufgeweichten Oper sangen auch die Sänger nicht anders. Solveig Kringelborn in der Titelrolle war eine beeindruckende und auch berührende Katerina, sie sang berückend schön und bemerkenswert intonationssicher und überzeugte auch mit einem tragenden tiefen Register. Aber sie wirkte sängerisch so zart und keusch und rein, dass man ihr keinen Ringkampf mit einem Arbeiter, keine leidenschaftliche Affäre und schon gar nicht zwei Morde zutrauen würde. Bis in die vielen kleinen Rollen hinein war das Zürcher Ensemble wiederum sehr gut besetzt, mit Alfred Muff als Schwiegervater Boris und Viktor Lutsiuk als Sergej, dem man Macho-Posen und schmeichelnde Verführungskünste sofort abnimmt, sangen zwei berauschend potente Stimmen die wichtigsten männlichen Partien.

Ins Bild passt die Inszenierung von Klaus Michael Grüber: Bieder ist sie und betulich. Bemüht, realistisch zu sein, was nie wirklich gelingt. Je mehr sich der Regisseur darauf einlässt, Morde, Auspeitschungen oder Liebesszenen realistisch zu erzählen, desto mehr erleidet er Schiffbruch. Sei es, weil er die Darsteller überforderte, sei es, weil er nicht wirklich wagte, ans Lebendige zu gehen. Das ist tödlich in diesem Stück, auch in der milderen Version. Abstrahierungsversuche gelingen hin und wieder, vor allem, wenn es um die Visionen und Sehnsüchte und aufkeimenden Wahnvorstellungen von Katerina geht. Aber sie können dieses Stück nicht tragen, und die harmlosen Bühnenbilder von Francis Biras sind auch keine grosse Hilfe, über diese Mängel hinwegzusehen.

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