Il Turco in Italia |
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Absurde Komödie voller Überraschungen Rossinis «Il Turco in Italia» im Opernhaus Ziirich Der alte Gioacchino Rossini schmunzelt einem vom Vorhang entgegen während der Ouverture des «Turco in Italia», den der junge, zweiundzwanzigjährige komponierte. Vollgefressen, altersheiter hat ihn Tullio Pericoli karikiert: Seht mal, welche Komödie! Und das Stück hat es in sich, schafft einen Wirbel, der einen den ganzen Abend lang nicht loslässt. Eigentlich ist es grotesk: Das Personal besteht aus einem schwächlichen Ehemann, einer liebeshungrigen Ehefrau, einem Hausfreund, einem verführerischen Türken und einer Zigeunerin, welche mit dem Türken ihre eigene Vergangenheit hat. Und aus einem uninspirierten Dichter, der dem Leben eine neue Komödie abschreiben möchte. Kein Stoff also, der einen von den Sitzen reissen müsste. Doch stecken in der Musik und im Libretto so viel Witz und Überraschung, dass man froh ist, dieser neuerlichen Belcanto-Ausgrabung des Opemhauses Zürich beizuwohnen. Daran haben die Inszenierung von Cesare Lievi und Daniela Schiavone mit der Ausstattung von Tullio Pericoli einen hohen Anteil, denn sie geizen nicht mit Einfällen. Die Bühne ist ein nach vorne abschüssiger Tisch, der gleichzeitig der Schreibtisch des Dichters ist. Die Interieurs, entworfen im Stil neuerer Comics, verbinden originell Zwei- und Dreidirnensionalität und sind grell, ja krass. Ebenso heterogen sind die Kostüme, die zwischen einer Art stilisiertem Naturalismus der Epoche und abstrusen Clown-Maskeraden schwanken. Eine Ausstattung, die in ähnlicher Form auch für einen «Roi Ubu» funktionieren könnte. Als absurdes Theaterstück also präsentieren Lievi und Pericoli den «Turco», aber wie. Öffnungen im Hintergrund geben der Bühne eine grosse Tiefe, und sie setzen den Phantasien der beiden, sie zu nutzen, keine Grenzen. Manche optischen Reize wirken als Selbstzweck, doch bei einer so bewusst aberwitzigen Inszenierungsweise haben sie problemlos Platz und amüsieren bestens. Und da sich alle Üppigkeit auf den hinteren Raum der Bühne konzentriert, ist vorne viel Platz zum Spielen da. Auch den nutzt Lievi weidlich. Auf einem Laufband im Hintergrund werden Chor, Figuren und Requisiten aufgefahren oder vorbeigezogen: Ein riesiges Puppentheater. Von dort werden sie auf die Bühne geholt, wo sie dann allerdings die Unbeweglichkeit der Puppen radikal ablegen und höchst aktiv, mit enormem Tempo und raumgreifend spielen dürfen. Vor allem den Gruppierungen des Chors merkt man an, dass sich Lievi und Schiavone auch Stücke von Pina Bausch angesehen haben. Zur wahren Hauptperson des Stücks macht die Regie den Dichter. Das Libretto entsteht in seinem Kopf und wird gleichzeitig auf die Bühne gebracht. Stets ist er präsent, macht sich Notizen, kommentiert das Geschehen aus der Sicht des Kornödienschreibers, ergänzt es und gruppiert die Figuren neu. Wofür er auch mal Prügel kassieren muss. Oliver Widmer versteht es, daraus eine Paraderolle zu machen und die Fäden gewandt in der Hand zu halten. Sonor, aber auch beweglich und vielfarbig ist sein Bariton, und er gibt ihm die buffoneske Qualität, welche diese Rolle braucht. Der Regieeinfall, den Souffleur als Alter Ego des Dichters auf die Bühne zu bringen und ihn an der Handlung teilhaben zu lassen, ist geradezu genial. Adriano ist, wer hätte es anders erwartet, dieser heiklen Aufgabe absolut gewachsen. Zwei weitere Assistenz-Poeten sorgen jeweils für den Bühnenumbau oder verhindern, dass es zu «Unfällen» kommt. Immer wieder wird so das Geschehen auf der Bühne gebrochen und mit einer Art brechtschem Verfremdungseffekt Distanz geschaffen. Damit man umso mehr lachen kann. Oder vielleicht auch etwas nachdenkt. Ein höchst vergnüglicher Theaterabend also, woran nicht zuletzt der Dirigent Franz Welser-Möst und das Orchester der Oper einen grossen Anteil haben. Genau sind die Übergänge ausgehört, fein abgestuft die Tempi. Das ist mitnichten der plakative Rossini, der einem gerne sonst serviert wird, sondern ein differenzierter und mehrschichtiger. Wunderbar, mit welch feinem Humor die Rezitative von Enrico Cacciari am Hammerflügel begleitet werden. So wird auch musikalisch ein Raum geschaffen, in welchem die Sängerinnen und Sänger brillieren können. Ruggiero Raimondi ist als Selim weniger ein türkischer Beau als ein reifer Mann, der noch einmal mit den Lüsten des Lebens spielt Und genauso setzt er seine noch immer reiche Stimme in dieser grossen Rolle ein. Wenn er im Clown-Kostüm auftritt, wirkt er nicht als dummer August, sondern er spielt bewusst den Narren, um sich etwas Nervenkitzel zu verschaffen. Die Clown-Rolle übernimmt viel mehr Cecilia Bartoli. Sie weiss genau, wie sie sich bewegen muss, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und spart keinen Effekt aus, um die Donna Fiorilla möglichst opulent zu überzeichnen. Drastisch lässt sie ihr Timbre bis in die hintersten Ritzen des Hauses dringen - die perfekte Zicke, der man lieber nicht begegnen möchte. Doch dann, im zweiten Akt, wo sie mit der Scheidung von ihrem Mann rechnen muss, lässt sie mit unglaublichen stimmlichen Differenzierungen in der von Rossini brillant konzipierten Arie «Squallida veste bruna» eine Ahnung davon aufkommen, dass in ihrer Figur noch ganz andere Dimensionen stecken. Judith Schmid als Zigeunerin Zaida geht viel diskreter vor, überzeichnet nichts, nutzt die Möglichkeiten ihrer Stimme makellos. Und wirkt damit als Gegenpol zu Fiorilla enorm stark. Paolo Rumetz gibt den düpierten Ehemann Don Geronio mit der nötigen Lächerlichkeit, und mit selbstverliebten Posen macht Reinaldo Macias dem Namen des Hausfreundes Don Narciso alle Ehre, lässt allerdings in der Höhe einigen tenoralen Schmelz vermissen. Alfred Zimmerlin |
Eine Diva beisst die andere Rossinis «Il Turco in Italia» im Zürcher Opernhaus ist ein einziges Vergnügen. Offenbar auch für die Darsteller: Cecilia Bartoli jedenfalls war bei der Premiere am Sonntag kaum zu bremsen. Von Susanne Kübler Natürlich, man hat es auch schon gesehen, wie Cecilia Bartoli mit steifem Kreuz und klirrender Stimme an einer Rivalin vorbeigerauscht ist. Neu ist dagegen, dass sie diese, wenn es denn handgreiflich wird zwischen den Damen, durchaus auch mal in den Hintern beisst. Überhaupt ist Bartolis Auftritt als Fiorilla in Rossinis selten gespielter Oper «Il Turco in Italia» geprägt von einer gesteigerten Hemmungslosigkeit, mit der die Sängerin ihr Vergnügen an dieser Rolle auslebt, um nicht zu sagen: austobt. Sie trällert und trauert, keift und zwitschert, flirtet und intrigiert mit vollem Einsatz von Körper und Augen und Stimme, und so schön sie singt, so verblüffend ihre Koloraturkünste einmal mehr sind, es sind vor allem die nicht ganz so schönen, die kitschigen oder giftigen Töne, die ihren Auftritt so umwerfend machen. Cecilia Bartoli, die bisher erst auf CD als Fiorilla zu hören war, hat ganz offensichtlich eine neue Paraderolle gefunden - in einer Aufführung, in der auch sonst alles stimmt. Mehr als ein Schwank Eigentlich wäre Gioachino Rossinis 1814 in Mailand uraufgeführter «Turco in Italia» ein ziemlich simpler Schwank. Fiorilla hat genug von ihrem Ehemann, der Geliebte ist ihr ebenfalls verleidet, und so lässt sie sich mit einem Türken ein, der zufällig nach Italien kommt. Der hat nichts dagegen, mag aber auch auf seine frühere Liebe Zaida nicht verzichten, die nach langer Zeit plötzlich wieder auftaucht. Es folgen Eifersuchtsszenen, ein Entführungsversuch, ein Maskenball, Verwechslungen und Versöhnungen, und am Ende sind die ursprünglichen Paare wieder glücklich vereint. Das wäre alles so, wie es sich für ein «Dramma buffo» gehört - wenn da nicht ein Dichter vorkommen würde, der sich diesen Schwank überhaupt erst ausdenkt. Sozusagen offstage berät, beobachtet und kommentiert er seine Figuren und freut sich, wenn eine Konstellation dann wirklich Funken schlägt. Denn besonders begabt ist dieser Dichter nicht: Von kohärenter psychologischer Zeichnung der Charaktere hat er keine Ahnung, eine stringente Logik der Handlung ist ebenfalls nicht seine Sache. Was umso ironischer wirkt, als Rossini wiederum die Begabung hatte, genau solche Brüche auf höchst prägnante Weise in Musik umzusetzen: Sei es, dass er die gefühlsmässigen Extreme fast karikaturistisch überzeichnet, sei es, dass er die Figuren im Moment der grössten Verwirrung, beim Maskenball, auch einmal orientierungslos und ohne Orchester ein A-cappella-Quintett singen lässt. Regisseur Cesare Lievi, der sich gerade der (Selbst-)Ironie dieses Stücks mit besonderer Liebe annimmt, geht konsequenterweise ganz vom Dichter aus, den er gleich mehrfach auf die Bühne bringt: Bei so viel Konfusion kann es nie genug Berater geben. Selbst der Souffleur sitzt als Dichter-Double an der Seite jener schrägen Spielfläche, auf der die Protagonisten ihren Amouren nachgehen. Und das Spiel im Spiel wird auch sonst bis in jedes Detail gepflegt: So nähert sich das Schiff des Türken ganz einfach per Dia-Projektion, in immer grösser werdenden Zeichnungen des Karikaturisten und Ausstatters Tullio Pericoli; die skurrilen Möbelgruppen sind halb gemalt und halb echt; und wenn des Dichters Fantasie einmal nicht mehr weiter weiss, erstarren die Protagonisten zu Statuen. Dass die geistreiche Originalität dieser Inszenierung auch den Sängerinnen und Sängern Spass macht, ist nicht zu übersehen. Ruggero Raimondi etwa, der sonst eher in ernsthaften Rollen brilliert, beweist als Türke Selim mit mächtigem Bass, verschleiertem Blick und schnellen, nicht immer erfolgreichen Annäherungsversuchen durchaus Buffo-Talent. Auch Paolo Rumetz scheint die Rolle des spiessigen Ehemanns Dort Geronio zu geniessen und meistert seine aufgeregten Schnellsingauftritte mit sonorer Stimme, die nur dann jämmerlich kiekst, wenn er es will. Und Reinaldo Macias ist ebenfalls eine erstklassige Besetzung für Fiorillas Liebhaber, den tranigen Geck Don Narciso, der sich namensgerecht gern im Knauf seines Gehstocks spiegelt und dabei tenoralen Schmelz absondert. Rossini-Debüt für Welser-Möst Diesen Stock bekommt dann auch einmal der Dichter zu spüren, den Oliver Widmer in jeder Gemütslage überzeugend gibt - in der Begeisterung über die eigene Geschichte wie auch in der Verzweiflung, wenn seine Figuren gegen ihn rebellieren. Judith Schmid schliesslich, die als Selims Geliebte Zaida als Einzige keine komische Rolle hat, ist stimmlich und darstellerisch genau so, wie der Dichter sie beschreibt: schön und interessant. Nur wenn die Bartoli dreinschlägt, dann gibt sie ohne weiteres zurück. Schön, interessant und wenn nötig handfest ist auch das, was aus dem Orchestergraben kommt: Franz Welser-Möst dirigiert erstmals in Zürich eine Rossini-Oper, und er macht es ausgesprochen gut. Flink und spritzig spielt das Orchester der Oper in den Ensembleszenen, die Trauerarie der Fiorilla wird dagegen mit grossem Atem und ruhigem Klang begleitet. Auf die Finessen der Instrumentierung wird ebenso geachtet wie auf den Zug im Ganzen. Und dass die vielen heiklen Tempo- und Stimmungswechsel kaum je für Wackelkontakte zur Bühne sorgen, ist alles andere als selbstverständlich: Selten kippt Zärtlichkeit so brüsk in Rage um wie in dieser Oper, des Dichters Figuren sind unberechenbar. So führt die Musik im perfekten Einklang zum Bühnengeschehen direkt zu jenem Happyend, das in Zürich nur beinahe eines ist. Denn wenn sich am Ende die Paare wieder gefunden haben, streckt Fiorilla die Hand schon wieder nach Don Narciso aus, und Selim schaut eigentlich auch in die falsche Richtung. Der Dichter ist zerknirscht, das Publikum begeistert: Solange diese Geschichte so gut gegeben wird, würde man sie sich tatsächlich gern noch einmal von vorne anschauen. |
Viva Bartoli! Von Roger Cahn ZÜRICH - Sie jauchzt und schluchzt. Sie flirtet, streichelt, beisst und kratzt. Mit Augen, Händen und - vor allem - einer glänzend disponierten Stimme. Cecilla Bartoli riss das Publikum mit. Langer, herzlicher Applaus bei der Premiere von Rossinis «Il Turco in Italia» am Sonntag im Opernhaus Zürich. |
![]() 30. 4. 2002 Die Italienerin im Opernhaus HERBERT BÜTTIKER Humor Luxus Stimme |
![]() 30. 4. 2002 Lustig ist das Türkenleben CHRISTIAN BERZINS Regisseur Cesare Lievi folgt nun brav den vermeintlich vorgegebenen Schablonen, ja überzeichnet sie teilweise noch: Der Liebhaber ist trottelig, der Ehemann etwas doof, die liebestolle Italienerin strotzt vor Energie. Allein der die Fäden spinnende Poet ist von Lievi trefflich charakterisiert. Wo die Ebenen der inneren, «echten» Handlung und der Fiktion des Poetenkopfes ineinander fliessen, wäre der Ansatz gewesen, zu einer ausgereiften Gesamtcharakterisierung aller Figuren. Lievi hätte auch gut daran getan, sich von den vermeintlich wirren Bildern des famosen Ausstatters, Zeichners und Karikaturisten Tullio Pericoli nicht irritieren zu lassen und nicht in wilden Aktivismus zu geraten. Doch das Spiel um den Italien liebenden Türken Selim gerät mehrmals an die Grenze des billigen Klamauks. Pointen sind Geschmackssache, gewiss, doch tragen Sofas, die bei zwischenmenschlichen Annäherungsversuchen auseinander fallen, oder Sängerinnen, die sich streitend mehr schlecht als recht auf dem Boden wälzen und sich in den Hintern beissen, zu einem lustigeren Opernabend bei? Hat ein Jean-Pierre Ponelle nicht gezeigt, dass Witz auch auf der Opernbühne im Detail, in der kleinen Geste, entsteht? Doch im Grunde ist an dieser mit Obertiteln gezeigten Aufführung alles Detail, solange Cecilia Bartolis Namen den Besetzungszettel ziert und für ein volles Haus sorgt - auch wenn gerade sie sich szenisch nur wenig bewähren kann. Stimmlich sieht es allerdings bei der Mezzosopranistin besser aus. Man ist froh, Bartoli wieder einmal in einem Fach zu hören, das trotz ihrer Ausflüge ins Sopranfach ihr ureigenstes ist - die durchaus vorhandenen hohen Rossini-Passagen meistert sie dennoch. Und so erstaunt es denn nicht, dass Bartoli als Fiorilla zu Mätzchen, wie den längst zu ihrem bedauerlichen Markenzeichen gemachten Hauchgesang, nicht Zuflucht nehmen muss. Im Gegenteil: Ihre Stimme klingt meist voll, durchaus sinnlich. Allein vor Übertreibungen, einer zweifelhaften Ausreizung der stimmlichen Möglichkeiten, ist sie nicht ganz gefeit. Ihre Gegenspielerin, die Zigeunerin Zaida, wird von der Aargauerin Judith Schmid gesungen. Keck entgegnet sie dem Star: Ihre Stimme hat eine angenehme Fülle erreicht, deren Kern farbig funkelt. Allein, eigenartige Schleiferchen, Portamenti, stören die Rezitative. Auch Ruggero Raimondi hat sich wieder einmal auf Rossini zurückbesonnen. Raimondi macht seine Sache als Türke Selim gut. Naturgemäss nicht mehr so ausgefeilt wie früher, aber dennoch mit empfindsam bebendem Ton und einer nach wie vor veritablen Phrasierungskunst. Letzteres ist auch Oliver Widmers Stärke als wirbliger Poet: Charme und Witz versprühte seine Stimme aber kaum. Eigenschaften, die auch Paolo Rumetzs (Don Geronio, der Ehemann Fiorillas) Stärke nicht ist, aber exakt singen kann er. Mit der unglücklichen Rolle des fünften Rades am Wagen, der Rolle des Liebhabers Don Narciso, muss sich Reinaldo Macias zufrieden geben. Süss klingt sein Tenor, allerdings nicht durchgehend präzis. So diffus die sängerische und szenischen Leistungen sind, einer macht seine Sache bestens: der das Orchester des Opernhauses dirigierende Franz Welser-Möst. Er habe sich zum Schluss seiner Zeit als Zürcher Chefdirigent eine heitere Oper gewünscht, und man bedauert nach «Il Turco in Italia», dass er sich nicht öfters dem Heiteren zugewendet hat. Der ernst zu nehmende Zug in der Ouvertüre (durch solistische Mängel etwas getrübt), der so gar nichts mit der schnurrenden Seligkeit anderer Rossini-Dirigenten gemeinsam hat, und die erreichte Ernsthaftigkeit in der Phrasierung ist packend. Das Resultat ist eine objektive Darstellung, die aber vor Brillanz und Energie strotzt. Hier zeigt sich, dass Rossini eine lustige Oper geschrieben hat, da Welser-Möst das Kunststück glückt, den Witz im kleinen Detail aufzuspüren. |
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