Gioacchino Rossini:
Il Turco in Italia

 

Aufführung


28. 4. 2002
(Première)
*
Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst
Inszenierung: Cesare Lievi
Ausstattung: Tullio Pericoli
Lichtgestaltung: Franz Orban
Choreographie: Daniela Schiavone
Chor: Ernst Raffelsberger
*
Selim: Ruggero Raimondi
Donna Fiorilla: Cecilia Bartoli
Don Geronio: Paolo Rumetz
Don Narciso: Reinaldo Macias
Prosdocimo: Oliver Widmer
Zaida: Judith Schmid
Albazar: Valery Tsarev

Rezensionen


30 .4. 2002

Absurde Komödie voller Überraschungen

Rossinis «Il Turco in Italia» im Opernhaus Ziirich

Der alte Gioacchino Rossini schmunzelt einem vom Vorhang entgegen während der Ouverture des «Turco in Italia», den der junge, zweiundzwanzigjährige komponierte. Vollgefressen, altersheiter hat ihn Tullio Pericoli karikiert: Seht mal, welche Komödie! Und das Stück hat es in sich, schafft einen Wirbel, der einen den ganzen Abend lang nicht loslässt. Eigentlich ist es grotesk: Das Personal besteht aus einem schwächlichen Ehemann, einer liebeshungrigen Ehefrau, einem Hausfreund, einem verführerischen Türken und einer Zigeunerin, welche mit dem Türken ihre eigene Vergangenheit hat. Und aus einem uninspirierten Dichter, der dem Leben eine neue Komödie abschreiben möchte. Kein Stoff also, der einen von den Sitzen reissen müsste. Doch stecken in der Musik und im Libretto so viel Witz und Überraschung, dass man froh ist, dieser neuerlichen Belcanto-Ausgrabung des Opemhauses Zürich beizuwohnen.

Daran haben die Inszenierung von Cesare Lievi und Daniela Schiavone mit der Ausstattung von Tullio Pericoli einen hohen Anteil, denn sie geizen nicht mit Einfällen. Die Bühne ist ein nach vorne abschüssiger Tisch, der gleichzeitig der Schreibtisch des Dichters ist. Die Interieurs, entworfen im Stil neuerer Comics, verbinden originell Zwei- und Dreidirnensionalität und sind grell, ja krass. Ebenso heterogen sind die Kostüme, die zwischen einer Art stilisiertem Naturalismus der Epoche und abstrusen Clown-Maskeraden schwanken. Eine Ausstattung, die in ähnlicher Form auch für einen «Roi Ubu» funktionieren könnte. Als absurdes Theaterstück also präsentieren Lievi und Pericoli den «Turco», aber wie. Öffnungen im Hintergrund geben der Bühne eine grosse Tiefe, und sie setzen den Phantasien der beiden, sie zu nutzen, keine Grenzen. Manche optischen Reize wirken als Selbstzweck, doch bei einer so bewusst aberwitzigen Inszenierungsweise haben sie problemlos Platz und amüsieren bestens. Und da sich alle Üppigkeit auf den hinteren Raum der Bühne konzentriert, ist vorne viel Platz zum Spielen da. Auch den nutzt Lievi weidlich. Auf einem Laufband im Hintergrund werden Chor, Figuren und Requisiten aufgefahren oder vorbeigezogen: Ein riesiges Puppentheater. Von dort werden sie auf die Bühne geholt, wo sie dann allerdings die Unbeweglichkeit der Puppen radikal ablegen und höchst aktiv, mit enormem Tempo und raumgreifend spielen dürfen. Vor allem den Gruppierungen des Chors merkt man an, dass sich Lievi und Schiavone auch Stücke von Pina Bausch angesehen haben.

Zur wahren Hauptperson des Stücks macht die Regie den Dichter. Das Libretto entsteht in seinem Kopf und wird gleichzeitig auf die Bühne gebracht. Stets ist er präsent, macht sich Notizen, kommentiert das Geschehen aus der Sicht des Kornödienschreibers, ergänzt es und gruppiert die Figuren neu. Wofür er auch mal Prügel kassieren muss. Oliver Widmer versteht es, daraus eine Paraderolle zu machen und die Fäden gewandt in der Hand zu halten. Sonor, aber auch beweglich und vielfarbig ist sein Bariton, und er gibt ihm die buffoneske Qualität, welche diese Rolle braucht. Der Regieeinfall, den Souffleur als Alter Ego des Dichters auf die Bühne zu bringen und ihn an der Handlung teilhaben zu lassen, ist geradezu genial. Adriano ist, wer hätte es anders erwartet, dieser heiklen Aufgabe absolut gewachsen. Zwei weitere Assistenz-Poeten sorgen jeweils für den Bühnenumbau oder verhindern, dass es zu «Unfällen» kommt. Immer wieder wird so das Geschehen auf der Bühne gebrochen und mit einer Art brechtschem Verfremdungseffekt Distanz geschaffen. Damit man umso mehr lachen kann. Oder vielleicht auch etwas nachdenkt. Ein höchst vergnüglicher Theaterabend also, woran nicht zuletzt der Dirigent Franz Welser-Möst und das Orchester der Oper einen grossen Anteil haben. Genau sind die Übergänge ausgehört, fein abgestuft die Tempi. Das ist mitnichten der plakative Rossini, der einem gerne sonst serviert wird, sondern ein differenzierter und mehrschichtiger. Wunderbar, mit welch feinem Humor die Rezitative von Enrico Cacciari am Hammerflügel begleitet werden. So wird auch musikalisch ein Raum geschaffen, in welchem die Sängerinnen und Sänger brillieren können. Ruggiero Raimondi ist als Selim weniger ein türkischer Beau als ein reifer Mann, der noch einmal mit den Lüsten des Lebens spielt Und genauso setzt er seine noch immer reiche Stimme in dieser grossen Rolle ein. Wenn er im Clown-Kostüm auftritt, wirkt er nicht als dummer August, sondern er spielt bewusst den Narren, um sich etwas Nervenkitzel zu verschaffen. Die Clown-Rolle übernimmt viel mehr Cecilia Bartoli. Sie weiss genau, wie sie sich bewegen muss, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und spart keinen Effekt aus, um die Donna Fiorilla möglichst opulent zu überzeichnen. Drastisch lässt sie ihr Timbre bis in die hintersten Ritzen des Hauses dringen - die perfekte Zicke, der man lieber nicht begegnen möchte. Doch dann, im zweiten Akt, wo sie mit der Scheidung von ihrem Mann rechnen muss, lässt sie mit unglaublichen stimmlichen Differenzierungen in der von Rossini brillant konzipierten Arie «Squallida veste bruna» eine Ahnung davon aufkommen, dass in ihrer Figur noch ganz andere Dimensionen stecken. Judith Schmid als Zigeunerin Zaida geht viel diskreter vor, überzeichnet nichts, nutzt die Möglichkeiten ihrer Stimme makellos. Und wirkt damit als Gegenpol zu Fiorilla enorm stark. Paolo Rumetz gibt den düpierten Ehemann Don Geronio mit der nötigen Lächerlichkeit, und mit selbstverliebten Posen macht Reinaldo Macias dem Namen des Hausfreundes Don Narciso alle Ehre, lässt allerdings in der Höhe einigen tenoralen Schmelz vermissen.

Alfred Zimmerlin



30. 4. 2002

Eine Diva beisst die andere

Rossinis «Il Turco in Italia» im Zürcher Opernhaus ist ein einziges Vergnügen. Offenbar auch für die Darsteller: Cecilia Bartoli jedenfalls war bei der Premiere am Sonntag kaum zu bremsen.

Von Susanne Kübler

Natürlich, man hat es auch schon gesehen, wie Cecilia Bartoli mit steifem Kreuz und klirrender Stimme an einer Rivalin vorbeigerauscht ist. Neu ist dagegen, dass sie diese, wenn es denn handgreiflich wird zwischen den Damen, durchaus auch mal in den Hintern beisst. Überhaupt ist Bartolis Auftritt als Fiorilla in Rossinis selten gespielter Oper «Il Turco in Italia» geprägt von einer gesteigerten Hemmungslosigkeit, mit der die Sängerin ihr Vergnügen an dieser Rolle auslebt, um nicht zu sagen: austobt. Sie trällert und trauert, keift und zwitschert, flirtet und intrigiert mit vollem Einsatz von Körper und Augen und Stimme, und so schön sie singt, so verblüffend ihre Koloraturkünste einmal mehr sind, es sind vor allem die nicht ganz so schönen, die kitschigen oder giftigen Töne, die ihren Auftritt so umwerfend machen. Cecilia Bartoli, die bisher erst auf CD als Fiorilla zu hören war, hat ganz offensichtlich eine neue Paraderolle gefunden - in einer Aufführung, in der auch sonst alles stimmt.

Mehr als ein Schwank

Eigentlich wäre Gioachino Rossinis 1814 in Mailand uraufgeführter «Turco in Italia» ein ziemlich simpler Schwank. Fiorilla hat genug von ihrem Ehemann, der Geliebte ist ihr ebenfalls verleidet, und so lässt sie sich mit einem Türken ein, der zufällig nach Italien kommt. Der hat nichts dagegen, mag aber auch auf seine frühere Liebe Zaida nicht verzichten, die nach langer Zeit plötzlich wieder auftaucht. Es folgen Eifersuchtsszenen, ein Entführungsversuch, ein Maskenball, Verwechslungen und Versöhnungen, und am Ende sind die ursprünglichen Paare wieder glücklich vereint.

Das wäre alles so, wie es sich für ein «Dramma buffo» gehört - wenn da nicht ein Dichter vorkommen würde, der sich diesen Schwank überhaupt erst ausdenkt. Sozusagen offstage berät, beobachtet und kommentiert er seine Figuren und freut sich, wenn eine Konstellation dann wirklich Funken schlägt. Denn besonders begabt ist dieser Dichter nicht: Von kohärenter psychologischer Zeichnung der Charaktere hat er keine Ahnung, eine stringente Logik der Handlung ist ebenfalls nicht seine Sache. Was umso ironischer wirkt, als Rossini wiederum die Begabung hatte, genau solche Brüche auf höchst prägnante Weise in Musik umzusetzen: Sei es, dass er die gefühlsmässigen Extreme fast karikaturistisch überzeichnet, sei es, dass er die Figuren im Moment der grössten Verwirrung, beim Maskenball, auch einmal orientierungslos und ohne Orchester ein A-cappella-Quintett singen lässt.

Regisseur Cesare Lievi, der sich gerade der (Selbst-)Ironie dieses Stücks mit besonderer Liebe annimmt, geht konsequenterweise ganz vom Dichter aus, den er gleich mehrfach auf die Bühne bringt: Bei so viel Konfusion kann es nie genug Berater geben. Selbst der Souffleur sitzt als Dichter-Double an der Seite jener schrägen Spielfläche, auf der die Protagonisten ihren Amouren nachgehen.

Und das Spiel im Spiel wird auch sonst bis in jedes Detail gepflegt: So nähert sich das Schiff des Türken ganz einfach per Dia-Projektion, in immer grösser werdenden Zeichnungen des Karikaturisten und Ausstatters Tullio Pericoli; die skurrilen Möbelgruppen sind halb gemalt und halb echt; und wenn des Dichters Fantasie einmal nicht mehr weiter weiss, erstarren die Protagonisten zu Statuen.

Dass die geistreiche Originalität dieser Inszenierung auch den Sängerinnen und Sängern Spass macht, ist nicht zu übersehen. Ruggero Raimondi etwa, der sonst eher in ernsthaften Rollen brilliert, beweist als Türke Selim mit mächtigem Bass, verschleiertem Blick und schnellen, nicht immer erfolgreichen Annäherungsversuchen durchaus Buffo-Talent. Auch Paolo Rumetz scheint die Rolle des spiessigen Ehemanns Dort Geronio zu geniessen und meistert seine aufgeregten Schnellsingauftritte mit sonorer Stimme, die nur dann jämmerlich kiekst, wenn er es will. Und Reinaldo Macias ist ebenfalls eine erstklassige Besetzung für Fiorillas Liebhaber, den tranigen Geck Don Narciso, der sich namensgerecht gern im Knauf seines Gehstocks spiegelt und dabei tenoralen Schmelz absondert.

Rossini-Debüt für Welser-Möst

Diesen Stock bekommt dann auch einmal der Dichter zu spüren, den Oliver Widmer in jeder Gemütslage überzeugend gibt - in der Begeisterung über die eigene Geschichte wie auch in der Verzweiflung, wenn seine Figuren gegen ihn rebellieren. Judith Schmid schliesslich, die als Selims Geliebte Zaida als Einzige keine komische Rolle hat, ist stimmlich und darstellerisch genau so, wie der Dichter sie beschreibt: schön und interessant. Nur wenn die Bartoli dreinschlägt, dann gibt sie ohne weiteres zurück.

Schön, interessant und wenn nötig handfest ist auch das, was aus dem Orchestergraben kommt: Franz Welser-Möst dirigiert erstmals in Zürich eine Rossini-Oper, und er macht es ausgesprochen gut. Flink und spritzig spielt das Orchester der Oper in den Ensembleszenen, die Trauerarie der Fiorilla wird dagegen mit grossem Atem und ruhigem Klang begleitet. Auf die Finessen der Instrumentierung wird ebenso geachtet wie auf den Zug im Ganzen. Und dass die vielen heiklen Tempo- und Stimmungswechsel kaum je für Wackelkontakte zur Bühne sorgen, ist alles andere als selbstverständlich: Selten kippt Zärtlichkeit so brüsk in Rage um wie in dieser Oper, des Dichters Figuren sind unberechenbar.

So führt die Musik im perfekten Einklang zum Bühnengeschehen direkt zu jenem Happyend, das in Zürich nur beinahe eines ist. Denn wenn sich am Ende die Paare wieder gefunden haben, streckt Fiorilla die Hand schon wieder nach Don Narciso aus, und Selim schaut eigentlich auch in die falsche Richtung. Der Dichter ist zerknirscht, das Publikum begeistert: Solange diese Geschichte so gut gegeben wird, würde man sie sich tatsächlich gern noch einmal von vorne anschauen.



30. 4. 2002

Viva Bartoli!

Von Roger Cahn

ZÜRICH - Sie jauchzt und schluchzt. Sie flirtet, streichelt, beisst und kratzt. Mit Augen, Händen und - vor allem - einer glänzend disponierten Stimme. Cecilla Bartoli riss das Publikum mit. Langer, herzlicher Applaus bei der Premiere von Rossinis «Il Turco in Italia» am Sonntag im Opernhaus Zürich.
Ohne die Bartoli wäre dieses Frühwerk Rossinis kaum zu ertragen. Die ' Handlung wirkt an den Haaren herbeige- zogen. Die Musik schwingt sich nur selten zu meisterlichen Höhen. Keine einzige grosse Arie, dafür viele Ensemble-Szenen mit Tücken und Fallen. Kein Wunder, ist «der Türke» aus den Opernspielplänen praktisch verschwunden.
Donna Fiorilla, eine jungverheiratete Frau, vertreibt sich die Langeweile mit Männergeschichten. Da landet unerwartet ein türkischer Sultan in Neapel. Als Drahtzieher fungiert ein Dichter auf der Suche nach einem Stück. Seine Aufgabe ist es, die Personen zu lenken und den Abend zu einem «glücklichen Ende zu führen, damit das Publikum zufrieden ist».
Der Regisseur Cesare Lievi und sein Bühnenbildner, der Maler und Zeichner Tullio Pericoli, zaubern ein Bilderbuch voller Überraschungen auf'die Bühne. Die Komödianten sind so herrlich lebendig. An ihrer Spitze Cecilia Bartoli: In der Rolle der Fiorilla versetzt sie ihre ganze Umgebung in Wallung.
Und die drei Bässe - Ruggero Raimondi als Sultan Selim, Paolo Rumetz als betrogener Ehemann Don Geronio und Oliver Widmer als Dichter Prosdocimo - sind ihr weitgehend ebenbürtige Partner. Die Haremsdame Zaide (Judith Schmid) und der Tenor Reinaldo Macias als Spielverderber reihen sich mühelos ins hochkarätige Ensemble.
Im Orchestergraben gibt Chefdirigent Franz WelserMöst sein Rossini-Debüt in Zürich. Mit Erfolg führt er Sänger und Musiker durch die Klippen der anspruchsvollen Partitur, auch wenn da und dort am Premierenabend noch die eine oder andere Unsicherheit zu hören war.
Fazit: Ohne den Lockruf einer Cecilia Bartoli wäre Rossinis Türke kaum aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken.



30. 4. 2002

Die Italienerin im Opernhaus

Nach schwerblütigem Verismo und vor dem gedankenschweren Ring lädt das Opernhaus noch husch zum vergnüglichen Leichtsinn einer nicht allzu oft gespielten Opera Buffa von Rossini: «Il Turco in Italia».

HERBERT BÜTTIKER

Sie hatten wirklich Sinn für Humor, Rossini und sein Librettist, als sie nach dem Erfolg der «Italiana in Algheri» in Venedig sich für Mailand 1814 den «Turco in Italia» vornahmen. Das war nicht nur der Gegenbesuch und eine neue Variante der «Türkenoper», sondern die ganz verkehrte Welt: statt der Vielweiberei die Vielmännerei mit einer Donna Fiorilla, die nicht nur ihren Ehemann satt hat, sondern auch ihren Galan, und ganz entzückt ist, über das Auftauchen eines reisenden türkischen Fürsten namens Selim. Dieser seinerseits schwört, nur eine Frau überhaupt je geliebt zu haben und will es in Anbetracht der schönen Italienerin höchstens ein zweites Mal noch versuchen. Dass sich dieser Pascha schliesslich in die Lage versetzt sieht, zwischen zwei Frauen, der alten und der neuen Flamme, entscheiden zu müssen, ist dann wirklich das Letzte, was man von einem Opern-Türken erwartet. Auf gewisse prinzipielle Verhaltensmuster, die auch die kulturellen Unterschiede bewahren, bleibt immerhin Verlass: Der Türke schlägt dem italienischen Ehemann vor, ihm Fiorilla für einen guten Preis zu verkaufen, der Italiener würde es vorziehen, dem Rivalen die Nase einzuschlagen. Und am Schluss ist überhaupt alles in Ordnung: der Türke reist mit Zaida heim, Fiorilla kehrt reumütig zu Don Geronio zurück, und Don Narciso, ihr Cicisbeo, beginnt seine galante Arbeit von vorn.

Humor
Sie hatten wirklich Sinn für Humor, die Buffa-Fabrikanten, und lachten offenbar auch gern auf eigene Kosten. Schon Caterino Tommaso Mazzolà, dessen Libretto von 1788 Felice Romani plünderte, ergänzte deshalb die Handlung um die Figur eines Poeten, der beobachtend, kommentierend und notierend das Geschehen als dankbares Sujet für ein Libretto verfolgt und mehr noch, es zu steuern versucht. Letzteres gelingt mehr schlecht als recht und – ein schöner Einfall der Regie – trägt ihm im Finale des ersten Aktes auch die Prügel der verwirrten Protagonisten ein.

Luxus
Natürlich liegt in dieser Spiegelung des Theaters ein guter Teil des Reizes des «Turco» für einen gewieften Regisseur. Mit Spiegelungen undDoppelbödigkeiten treibt Cesare Lievi denn auch ein munteres Vexierspiel. Manchmal werden die Sänger wie blosse Figurinen auf die Bühne geschoben, manchmal werden sie herumdirigiert wie auf der Probe. Das alles aber nur andeutungsweise so weit, dass die Illusion der Rollenverkörperung doch im Ganzen erhalten bleibt.
Sie haben wirklich Sinn für Luxus, die Ausstatter im Opernhaus, die sich ins Zeug gelegt haben, als wäre eine Rossinische Buffa-Tetralogie zu inszenieren gewesen. Nun, Tullio Pericoli ist ein bekannter Cartoonist und die phantastischen Einfälle auf dem schwerelosen Papier erhalten nun mal ein gewisses Gewicht, wenn sie in den realen Bühnenraum wachsen. Da aber die gut trainierte Mannschaft hinter der Bühne (Kompliment, wirklich!) mit dem Tempo der Rossini-Oper mühelos Schritt hält, bewahrt die Bilderfülle etwas vom leichten Flug der zeichnerischen Phantasie und ist reine Augenweide.
Eine Rossini-Oper ist aber fast mehr eine Sache für die Ohren. Und wirklich: Die von Franz Welser-Möst geleitete Aufführung sprüht vokale und orchestrale Funken. Manche solistische Bläserkantilene schmeichelt sich ein, das Orchester klingt (von den metallisch harten Beckenschlägen und dem nicht gerade schön ausgeführten Schleifer der Violinen in der Ouvertüre abgesehen) überhaupt duftig und dabei rhythmisch profiliert und voller Elan – ein schönes Fundament für Stimmen, wie sie Rossini braucht, Stimmen mit Parlandoschliff und Geläufigkeit, Klangcharakter und Klangfülle.

Stimme
Was dies, zusammen mit einigem komödiantischem Talent, in der Summe bedeutet, führt am schönsten Ruggero Raimondi als Selim vor. Mit reichem Kolorit, prächtiger Höhe – noch immer eine Ausnahmestimme – stattet er den türkischen Don Juan mit Charme und imposanter Statur aus. Die beiden anderen Bässe, Paolo Rumetz als hilfloser Ehemann Don Geronio und Oliver Widmer als wendiger Poet, haben nicht dieses Kapital, stehen ihm aber sonst in nichts nach: vor allem das Duett Selim/Don Geronio zu Beginn des zweiten Aktes ist ein veritables Fest zweier plappernder und strömender Buffo-Bässe. Schön im Kontrast die schmalere Nummer vier des Männerquartetts: Reinaldo Macias, der sich nicht nur sicher und elegant im hohen Tenorgelände bewegt, sondern auch einen blasierten Schönling abgibt, der seinem Namen Don Narciso alle Ehre macht. Mit einer stimmigen, auch berührenden Figur rundet schliesslich Judith Schmid als die unglücklich, von Rossinis Musik nicht sonderlich in den Vordergrund gestellte, aber dafür auch ernst genommene Zaida das charaktervolle Rossini-Ensemble ab.
Und Cecilia Bartoli? Nein, auch wenn es in den Ensemblestücken die Passagen gibt, wo sie sich homogen einfügt, so richtig zum Ensemble scheint sie mit ihrer Donna Fiorilla nicht zu gehören, dafür sind ihre Künste dann doch zu exzentrisch: was Parlandoschliff und Geläufigkeit betrifft, ins Mechanische hinein forciert, die Substanz der Stimme in der Höhe (Fiorilla ist ja keine eigentliche Mezzo-Partie) eher eng und zwitschrig. Spektakulär mag da vieles auf seine Weise sein, aber oft ist die eigentliche künstlerische Balance gefährdet. Viel Heterogenes auch im clownesken Spiel, das fast mehr die Italienerin im Opernhaus mimt, wie sie als Publikumsliebling leibt und lebt, als dass daraus die Figur der Rossini-Oper hervorginge.



30. 4. 2002

Lustig ist das Türkenleben

Gioacchino Rossinis «Il Turco in Italia» gehört nicht zu den Liebkindern der Opernfreunde. Dank Starbesetzung kann es das Opernhaus Zürich trotzdem wagen, die Oper auf den Spielplan zu setzen. So originell Bühne und Kostüme von Tullio Pericoli sind, so konventionell ist die Regie Cesare Lievis.

CHRISTIAN BERZINS

Wie lustig ist Gioacchino Rossinis 1814 uraufgeführtes Dramma buffo «Il Turco in Italia» eigentlich? Ein Autor sucht einen Stoff für sein neues Stück, greift ab und zu in das Schicksal einer sich phasenweise kurlig entwickelnden Verstrickung ein. Er tut das so, dass sich vor allem genügend Akte und geeignete Ensemble-Nummern ergeben. Eigentlich eine reizvolle Idee, doch die innere Handlung des Stücks erweist sich als recht lahm und zähflüssig: die Charaktere sind aus dem Schrank der allseits bekannten Lustspielfiguren.

Regisseur Cesare Lievi folgt nun brav den vermeintlich vorgegebenen Schablonen, ja überzeichnet sie teilweise noch: Der Liebhaber ist trottelig, der Ehemann etwas doof, die liebestolle Italienerin strotzt vor Energie. Allein der die Fäden spinnende Poet ist von Lievi trefflich charakterisiert. Wo die Ebenen der inneren, «echten» Handlung und der Fiktion des Poetenkopfes ineinander fliessen, wäre der Ansatz gewesen, zu einer ausgereiften Gesamtcharakterisierung aller Figuren.

Lievi hätte auch gut daran getan, sich von den vermeintlich wirren Bildern des famosen Ausstatters, Zeichners und Karikaturisten Tullio Pericoli nicht irritieren zu lassen und nicht in wilden Aktivismus zu geraten. Doch das Spiel um den Italien liebenden Türken Selim gerät mehrmals an die Grenze des billigen Klamauks. Pointen sind Geschmackssache, gewiss, doch tragen Sofas, die bei zwischenmenschlichen Annäherungsversuchen auseinander fallen, oder Sängerinnen, die sich streitend mehr schlecht als recht auf dem Boden wälzen und sich in den Hintern beissen, zu einem lustigeren Opernabend bei? Hat ein Jean-Pierre Ponelle nicht gezeigt, dass Witz auch auf der Opernbühne im Detail, in der kleinen Geste, entsteht?

Doch im Grunde ist an dieser mit Obertiteln gezeigten Aufführung alles Detail, solange Cecilia Bartolis Namen den Besetzungszettel ziert und für ein volles Haus sorgt - auch wenn gerade sie sich szenisch nur wenig bewähren kann. Stimmlich sieht es allerdings bei der Mezzosopranistin besser aus. Man ist froh, Bartoli wieder einmal in einem Fach zu hören, das trotz ihrer Ausflüge ins Sopranfach ihr ureigenstes ist - die durchaus vorhandenen hohen Rossini-Passagen meistert sie dennoch. Und so erstaunt es denn nicht, dass Bartoli als Fiorilla zu Mätzchen, wie den längst zu ihrem bedauerlichen Markenzeichen gemachten Hauchgesang, nicht Zuflucht nehmen muss. Im Gegenteil: Ihre Stimme klingt meist voll, durchaus sinnlich. Allein vor Übertreibungen, einer zweifelhaften Ausreizung der stimmlichen Möglichkeiten, ist sie nicht ganz gefeit.

Ihre Gegenspielerin, die Zigeunerin Zaida, wird von der Aargauerin Judith Schmid gesungen. Keck entgegnet sie dem Star: Ihre Stimme hat eine angenehme Fülle erreicht, deren Kern farbig funkelt. Allein, eigenartige Schleiferchen, Portamenti, stören die Rezitative. Auch Ruggero Raimondi hat sich wieder einmal auf Rossini zurückbesonnen. Raimondi macht seine Sache als Türke Selim gut. Naturgemäss nicht mehr so ausgefeilt wie früher, aber dennoch mit empfindsam bebendem Ton und einer nach wie vor veritablen Phrasierungskunst. Letzteres ist auch Oliver Widmers Stärke als wirbliger Poet: Charme und Witz versprühte seine Stimme aber kaum. Eigenschaften, die auch Paolo Rumetzs (Don Geronio, der Ehemann Fiorillas) Stärke nicht ist, aber exakt singen kann er. Mit der unglücklichen Rolle des fünften Rades am Wagen, der Rolle des Liebhabers Don Narciso, muss sich Reinaldo Macias zufrieden geben. Süss klingt sein Tenor, allerdings nicht durchgehend präzis.

So diffus die sängerische und szenischen Leistungen sind, einer macht seine Sache bestens: der das Orchester des Opernhauses dirigierende Franz Welser-Möst. Er habe sich zum Schluss seiner Zeit als Zürcher Chefdirigent eine heitere Oper gewünscht, und man bedauert nach «Il Turco in Italia», dass er sich nicht öfters dem Heiteren zugewendet hat. Der ernst zu nehmende Zug in der Ouvertüre (durch solistische Mängel etwas getrübt), der so gar nichts mit der schnurrenden Seligkeit anderer Rossini-Dirigenten gemeinsam hat, und die erreichte Ernsthaftigkeit in der Phrasierung ist packend. Das Resultat ist eine objektive Darstellung, die aber vor Brillanz und Energie strotzt. Hier zeigt sich, dass Rossini eine lustige Oper geschrieben hat, da Welser-Möst das Kunststück glückt, den Witz im kleinen Detail aufzuspüren.


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