Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS
Nikolai Rimski-Korsakow: Die Zarenbraut
29. Mai 2005 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Choreinstudierung

Marfa
Ljubascha
Domna Saburowa

Dunjascha
Petrowna
Stubenmädchen
Sobakin
Maljuta
Grjasnoj
Iwan Lykow
Bomelius
Ofenheizer
Junger Bursche

Vladimir Fedoseyev
Johannes Schaaf
Erich Wonder
Andrea Schmidt-Futterer
Martin Gebhardt
Jürg Hämmerli

Maya Dashuk
Liliana Nikiteanu
Margaret Chalker
Katharina Peetz
Kismara Pressatti
Eugenia Enquita
Alfred Muff
Pavel Daniluk
Vladimir Stoyanov
Alexey Kosarev
Martin Zysset
Morgan Moody
Jeffery Krueger
    

Rezensionen
    Persönlicher Eindruck einer Premièren-Besucherin

Hässlichkeitspulver für eine Schönheit
Liebe unter der Diktatur
Tod und Verzweiflung statt Glück und Liebe
Zwischen Belcanto und Wagner
Die Schöne und die Bestien
Frauenopfer
Eine Geschichte von Schuld und Sühne
Aus Russlands finstersten Zeiten
Eine bodenständige Eifersuchtstragödie
Der böse Blick des unsichtbaren Zaren
Wenn Werwölfe Wodka trinken

Die Wölfe des Despoten
Russische Rarität
   

Vox spectatricis

30. 5. 2005 / Chantal Steiner

Faszinierende Begegnung mit einem unbekannten Werk
Fast hundert Jahre dauerte es, bis die „Die Zarenbraut“ von Nikolai Rimski-Korsakow wieder in Zürich auf dem Programm stand. Dieses Werk, das in Russland zum Standard-Repertoire gehört, wird in unseren Breitengraden nur äusserst selten aufgeführt. Woran mag das liegen? An der Musik bestimmt nicht! Wohl schon eher am Libretto. Eine Bekannte meinte: „Jetzt weiss ich wieder, was mir an den russischen Opern missfällt – wie die Männer mit den Frauen umgehen!“ Die uns fremde Mentalität ist sicher ein Handicap für diese Oper, und trotzdem… Das Premierenpublikum war von der gestrigen Produktion mehr als nur angetan.

Für mich war es die erste Begegnung mit Rimski-Korsakows Opernschaffen. Ich habe daher absolut keine Vergleichsmöglichkeiten, zumal es auch auf dem CD-Markt meines Wissens nicht viele Einspielungen gibt; mir ist nur bekannt, dass Gergiev eine Aufnahme gemacht hat.

Vladimir Fedosejev ging das Werk zügig, mit flottem Tempo an. Sehr schön war in der Ouvertüre die Dynamik herausgearbeitet, auch wenn ich die Lautstarke gesamthaft als etwas zu hoch empfand (selbst der Chor wurde anschliessend manchmal überdeckt). Das Orchester spielte mit Verve und Engagement, offensichtlich ab und zu zu ungestüm, hörte man doch hin und wieder ein „Psst!“.

Stimmlich konnte man mit dem Abend durchaus mehr als zufrieden sein, sofern man nicht dasselbe Problem wie ich mit vibratoreichen Stimmen hat. Allen voran überzeugte Liliana Nikiteanu in der Rolle der Ljubascha, auch wenn sie in den Höhen einige Schwierigkeiten aufwies. Berückend waren ihre Piani, die der Figur zu einer grosse Tiefe verhalfen. Das a-cappella-Lied gleich am Anfang ihres Auftrittes war verständlicherweise etwas von Nervosität geprägt, aber sehr berührend gestaltet. Nikiteanu konnte alle Facetten des kontroversen Charakters ausspielen. Annähernd so gut gestaltete Vladimir Stoyanov die Partie des „Bösewichts“ Grigori Grjasnoj, der getrieben von Ehrgeiz, verletztem Stolz und unerwiderter Liebe zu Marfa diese - unwissentlich - vergiftet, indem er glaubt, ihr einen Liebestrank zu verabreichen. Pech für alle, dass Ljubascha aus verschmähter Liebe zu Grigori den Trank austauscht, um ihre vermeintliche Nebenbuhlerin auszuschalten. Stoyanovs Stimme würde ich zwar nicht als schön bezeichnen, aber sie hat Charakter. Er bewältigt die Partie spielend und verkörpert die Rolle auch auf imponierende Weise. Maya Dashuk - die „Lichtgestalt“ des Stückes - ist eine bezaubernde Person, die mit viel Liebreiz die Rolle der umworbenen Marfa interpretiert. Marfa liebt seit Kindestagen Iwan Lykow (Alexey Kosarev, dessen Tenor gewöhnungsbedürftig ist und der mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte). Grjasnoj verliebt sich in sie (die offensichtlich nichts davon weiss), bietet sich sogar als Trauzeuge für Lykow und Marfa an. Fatalerweise hat aber Iwan der Schreckliche aus 2000 Frauen Marfa als seine zukünftige Gattin auserwählt. Natürlich lehnt sich im Russland jener (nur jener?) Zeit niemand dagegen auf, und jeder fügt sich dem Diktat des Herrschers. Dashuk konnte mich schon als Tatjana stimmlich nicht voll überzeugen; leider tat sie es auch hier nicht. Allerdings soll sie während der Generalprobe sehr viel sicherer gewesen sein. Vielleicht lag’s wirklich an der Premierennervosität (für alle Sänger war’s ein Rollendebut), dass die Stimme extrem unruhig und vibratoreich war, so dass man bisweilen glaubte, es hapere gar an der Intonation. Die „Wahnsinnsszene“ (man kann Marfa durchaus als russische Lucia ansehen) gestaltete sie sehr eindrücklich. Auch als naives, fröhliches, liebreizendes Mädchen vom Land war sie beeindruckend. Der böse deutsche Arzt Bomeli (eigenartiger Name für einen Deutschen!), den doch alle für ihre Zwecke (miss)brauchen, wurde mit viel Engagement von Martin Zysset verkörpert. Leider kann ich mit der Stimme nichts anfangen, sie erscheint mir - bis auf wenige Ausnahmen - immer gleich, ohne grosse Differenzierung, meist zu stentorhaft. Die kleineren Rollen wurden alle sehr gut besetzt, bis auf Pavel Daniluk als Skuratow, der für mich ganz einfach unerträglich ist mit seiner nasalen Tongebung und vollkommen undifferenzierten Interpretation.

Trotz dieser Kritikpunkte war die musikalische Darbietung ausgewogen und wird im Verlaufe der Serie sicherlich noch um etliches besser.

Die Inszenierung von Johannes Schaaf war wohlüberlegt, sparsam, detailgerecht, mit einer guten Personenführung. Im Bühnenbild von Erich Wonder wurden Innen- und Aussenräume sichtbar, Seelen- fast noch mehr als realistische Räume aufgedeckt. Die Lichtregie war grandios. Wie immer bei Wonder war auch die Farbgebung eine Augenweide. Schleier mit Projektionen gaben dem Raum Tiefe, auch wenn die Schleier - je nachdem, wo man sitzt - ihre Tücken haben. Von meinem Platz aus erkannte man leider nicht alles. Trotzdem vermochte die Inszenierung einen in den Bann zu ziehen, die Gedanken anzuregen, den Blick auf die Protagonisten zu fokussieren. Es wurde zu keinem Zeitpunkt langweilig.

Ein herzlicher Applaus mit vielen „Bravi“ krönte die Aufführung (kein einziges Buh fürs Regieteam!). Für mich die „Palme“ geholt hat aber ganz sicher die Musik von Rimski-Korsakow. Er war froh, kein dramatischer Komponist zu sein und stolz darauf, ein Lyriker genannt zu werden, „der die Musik zwar der u.U. dramatischen Situation anpasst, sie aber der Szene nicht opfert“. Diese Kantabilität war für mich die Überraschung des Abends. Und irgendwie verstehe ich nicht so recht, warum diese Oper nicht häufiger aufgeführt wird.

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Aargauer Zeitung

31. 5 . 2005 / Torbjörn Bergflödt

Hässlichkeitspulver für eine Schönheit
Opernhaus Zürich Nikolai Rimski-Korsakows Schauerdrama «Die Zarenbraut»

Johannes Schaaf und seine Regie-Mitstreiter haben die Oper «Die Zarenbraut» ambitiös aufgezogen. Dabei droht sich Rimski-Korsakows Schauerdrama durch Konventionalität selbst zu entschärfen.

Grjasnoj sähe gerne die von ihm selbst geraubte Gespielin Lju- bascha ersetzt durch die schöne(re) Marfa. Die ist aber dem Bojaren Lykow versprochen und wird erst noch vom Zaren zur Braut erkoren. Auch hat sich Ljubascha eine tiefe Anhänglichkeit an Grjasnoj bewahrt. Die Schicksalsfäden zurren zusammen, als Grjasnoi Marfa, anstelle eines Liebespulvers, unwissentlich eine ungesunde Arznei in den Becher mischt, die Ljubascha beim Arzt um den Preis einer Liebesnacht erstanden hat und die Schönheit Zug um Zug zerstört.

«Die Zarenbraut» von Nikolai Rimski-Korsakow, während der Regierungszeit von Iwan dem Schrecklichen handelnd, operiert an einer Grenze zur unfreiwilligen Komik. Musikalisch gibt sich die 1899 uraufgeführte Oper traditionell. Die Gesangslinien können an italienischen Belcanto erinnern. Die Orchestrierung orientiert sich nicht an Wagners Mischklang, sondern am Glinka-Orchester mit gegeneinander gesetzten Instrumentengruppen. Es hat Leitmotive in der Funktion von Erinnerungsmotiven und etwas russisches Volksliedgut. Und auch wenn es Elemente des melodischen Rezitativs à la Dargomyschski gibt, so weist «Die Zarenbraut» doch einen geschlossenen Nummernbau auf. Kein richtig heisser dramatischer Atem durchweht die vier Akte; der Grundduktus der Musik ist eher lyrisch.

Spezialist am Dirigentenpult
Mit Wladmir Fedoseyew stand nun am Dirigentenpult bei der Zürcher Erstaufführung des Werkes am Opernhaus ein Mann, der massgeblich an der Rimski-Korsakow-Renaissance der vergangenen Jahre mitgewirkt hat. Mit kundiger Hand führte er durch die Partitur; liess nicht über Gebühr ausruhen auf den vom Komponisten konzertnah lange ausgebreiteten monologischen Gesangspartien, faltete aber doch die melodischen und farblichen Schönheiten auseinander. Wo geboten, liess Fedoseyew das Orchester auch schlagkräftig zulangen.

Maya Dashuk als Titelfigur sang mit einem Sopran, der sich zum Beispiel in der Wahnsinnsszene à la Lucia di Lammermoor im letzten Akt, wenn Marfa in einer ziemlich beissenden romantischen Ironie ausgerechnet Grjasnoj anhimmelt, zu sehr differenzierter Expressivität auffächerte. Einen grossen Abend hatte (auch) Liliana Nikiteanu, die in eine Tiefe hinablotete bei der Ljubascha, dass diese Rolle beinahe geadelt erschien. Die Partie des Grjasnoj profitierte von dem substanzreich-kernigen Bariton von Wladimir Stoyanow. Etwas verengt mutete momentweise der Tenor von Alexei Kosarew in der Rolle des Lykow an.

Erich Wonder hat sein bühnenbildnerisches Heil darin gesucht, eine Vielzahl von Schleiern in die Tiefe des Raumes zu staffeln. Geschickt lassen sich so mehrere Ebenen collagieren und einzelne Raumkompartimente aufblenden. Die Idee, die Bildmotive auch surrealistisch zu puzzeln, macht die Sache allerdings nicht immer schlüssig. Als ein auf Tuch gebanntes Zitat aus Sergei Eisensteins «Iwan dem Schrecklichen» grüsst finster der Zar herein. Andrea Schmidt-Futterer ist einen machbaren, aber nicht überall überzeugenden Mittelkurs gefahren zwischen historischen und symbolischen Kostümen.

Keine Russland-Folklore
Die Inszenierung von Johannes Schaaf fokussiert auf die Tragödie der Frauen. Die Brautschau des Zaren ist angeschärft zu einer veritablen Leibesvisitation. Leitmotivisch tauchen Bilder auf von Pferden, die sich im Kreis bewegen und symbolisch auf die vorenthaltene Freiheit verweisen. Statt putzige Russland-Folklore zu evozieren, hakt bei Schaaf der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor das Zarenlob ab wie eine Pflichtübung. Dass «Die Zarenbraut» kein genialer Wurf ist, vermag die Regie nicht zu widerlegen.

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Basler Zeitung

31. 5. 2005 / Benjamin Herzog

Liebe unter der Diktatur
Verständlich statt komplex - Nikolai Rimski-Korsakows Oper «Die Zarenbraut» erwies sich am Opernhaus Zürich als Glücksgriff.

Es ist schon merkwürdig, wenn auf der Opernbühne Frauen reihenweise antreten, gemustert werden, Blick in den Mund, auf die Brüste, Hüften, und dann sortiert werden. Ivan IV., «der Schreckliche», suchte sich 1571 mit einem solchen Massenverfahren seine dritte Braut aus.

In der Oper ist diese Eine nicht nur Teil der Frauenmasse, sondern die Hauptfigur. Glücklich verliebt. Allerdings nicht in den Zaren. Sie hat soeben den Verlobungstrank heruntergeschluckt zusammen mit ihrem blonden Liebling Lykow, als die Kunde ihrer verhängnisvollen Wahl kommt.

tempo.
Rimski-Korsakow schrieb «Die Zarenbraut» 1898. Nur einen Datscha-Sommer hat sie ihn gekostet. Das hohe Arbeitstempo erklärt, warum der Komponist 15 Opern hinterlassen hat. So viel wie keiner seiner russischen Kollegen. Es erklärt nicht vollends, weshalb «Die Zarenbraut» so wenig bekannt ist. Gewiss, die vieraktige Oper hat ein paar Nachteile. Sie ist nicht komplex, sondern verständlich. Das Schild des Banalen wird ihr dennoch niemand anhängen, der sie gehört hat. Die künftige Zarenbraut ist nicht nur für den Herrscher die schönste aller Frauen. Auch der ihm ergebene finstere Grigori ist in Liebe zu der schönen Marfa, wie sie heisst, entbrannt. Allein, wir wissen es, sie liebt einen anderen. Da muss wieder einmal ein Zaubertrank her. Gemischt von einem deutschen Arzt soll er Marfa auf Grigori einstimmen. Rimski-Korsakow kannte seinen Wagner. Auch er lässt zu, dass die Arme statt des Liebessaftes eine Brause trinkt, die langsame körperliche Zerstörung mit sich bringt. Den Tausch hat die eifersüchtige Ljubascha vorgenommen. Sie, Marfa und Grigori sind die Protagonisten einer Handlung, die zeigt, wie schwer sich Liebe unter dem drastischen Dreinfunken eines Despoten entwickeln kann.

träume.
Johannes Schaaf schildert das in sorgfältiger Personenregie. Und mit kräftiger Symbolik. In Marfas Träume einer glücklichen und freien Zukunft flattert wie ein schlechtes Omen das riesige Porträt des finster dreinblickenden Ivan. Seine aggressiven Helfer stecken in Ledermantel und Wolfsmaske oder, wie Grigori, in einem struppigen Pelz. Eine, die schon verderbt ist von dieser wilden Tyrranis, die schöne Ljubascha, wird ebenfalls von Pelz umhüllt. Das Tierhaar kann auch Erotik ausdrücken, was hier in unangenehmer Nähe zur aggressiven Animalität passiert. Erich Wonder baute einen expressionistischen Bühnenraum. Man fühlt sich in den hohen kahlen Räumen wie bei Eisenstein.

Die Hommage an «Scheherazade» ist hier Projektionsfläche für Träume und imaginäre Räume, durch die als Motto fröhlich die Pferde galoppieren. Das freie Tier macht den unfreien Menschen umso deutlicher erkennbar, und wenn die sterbende Marfa am Schluss einen dünnen roten Faden in den Händen hält, wird einem klar, dass aus diesem kalten Labyrinth noch lange keiner herausfinden wird. Die zarten Schleier sind weg, die zarten Träume zerstört.

tragik.
Maya Dashuk trägt die Verantwortung der grossen tragischen Titelheldin mit tänzerischer Leichtigkeit. Weich ihre Mittellage, fokussiert die Höhen, berührend das Vibrato. Vladimir Stoyanov ist ein vielschichtiger stets präsenter Grigori. Liliana Nikiteanu als Ljubascha setzte nach einem schwachen Beginn zum Höhenflug an. Im Ensemble enttäuschte einzig Alexey Kosarev, der den Part des Lykow unbeholfen sang. Vladimir Fedoseyev und das Opernorchester begleiteten sensibel, holten aus der lyrischen Partitur eine Vielzahl von Klangfarben.

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Blick

31. 5. 2005 / Roger Cahn

Tod und Verzweiflung statt Glück und Liebe
In Nikolai Rimski-Korsakows Oper «Die Zarenbraut» darf die russische Seele in üppig aufgetragener Dramatik und endloser Langeweile baden. Premiere war am Sonntag im Opernhaus Zürich.

Typisch russisches Schauermärchen um Liebe, Schönheit und Eifersucht: Die arme Ljubascha liebt Grjasnoi, einen Geheimpolizisten des Zaren. Dieser aber hat Herz und Verstand an die schöne Kaufmannstochter Marfa verloren, die ihrerseits den jungen Bojaren Iwan liebt, aber - weil sie aus über 2000 Mitbewerberinnen die Brautschau des Zaren gewinnt - «Iwan den Schrecklichen» heiraten muss. Mit Zaubertränken wollen die Verlierer ihr Glück erzwingen. Doch am Ende stehen nur Tod und Verzweiflung.

Johannes Schaaf inszeniert texttreu und solide. Damit gewinnt er die Sympathie des Publikums. Die Guten kleidet er hell, die Bösen schwarz. Raum für Fantasie schaffen die Bühnenbilder von Erich Wonder: Schleier und Prospekte zeigen mehrere Schauplätze gleichzeitig und vereinfachen das Verständnis für die dramatischen Seelenzustände der Figuren.

Dirigent Vladimir Fedoseyev liebt die Opern von Rimski-Korsakow. Kein Wunder, haben beide doch etwas gemeinsam: Sie sind gute Handwerker, aber beiden fehlt das «gewisse Etwas», das Geniale, das den Funken zum Springen bringt. So plätschert diese «Zarenbraut» über knapp drei Stunden so dahin, zwei oder drei schöne Arien trösten über viel Langeweile hinweg.

Das ruft nach Sänger-Persönlichkeiten. Doch auch diese fehlen weitgehend. Einzig Liliana Nikiteanu als Ljubascha gelingt es, in den kurzen Momenten, wenn ihre Verzweiflung auf die Spitze getrieben wird, unter die Haut zu gehen. Und der Bulgare Vladimir Stoyanov verleiht mit seinem sonoren Bariton dem Bösewicht Grjasnoi Gewicht und Profil.

Fazit: Ein überflüssiger Opernabend, der mit genügend Wodka heruntergespült leichter verdaulich wird.

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Der Bund

31. 5. 2005 / Tobias Gerosa

Zwischen Belcanto und Wagner
Eine Rarität, die das wohl bleiben wird: Rimski-Korsakows «Zarenbraut» am Opernhaus Zürich

Das Opernhaus Zürich präsentiert die «Zarenbraut» des 1844 in der russischen Provinz geborenen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakows, der insgesamt 15 Opern schrieb und seine 1899 uraufgeführte «Zarenbraut» am höchsten schätzte.

Das slawische Repertoire fristet am Opernhaus Zürich trotz unerreichter Premierenzahl ein Rand-Dasein. Wenn nun erstmals in Zürich Nikolai Rimski-Korsakows «Zarskaja Nevesta» (Die Zarenbraut) aufgeführt wird, fällt die Stückwahl daher aus dem Rahmen dessen, was sich das Publikum gewohnt ist. Wenn die Premiere dann noch auf einen Hitzesonntag fällt, bleiben auffallend viele Sitze leer.

Der Zar hat in Rimski-Korsakows 1899 uraufgeführter Oper «Die Zarenbraut» – Iwan einen einzigen stummen Auftritt: Als anonym vorbeigehende Gestalt. Doch auch seine Braut bekommt wenig Profil und allen andern Personen geht es nicht besser.

Nach der viertelstündigen grossen Eröffnungsszene, die Vladimir Stoyanov mit kernigem, aber eindimensionalem Bariton stemmt, verschwindet der Bojar Grjasnoj bis fast am Schluss, der Geheimdienstchef (mächtig drohend: Pavel Daniluk) und der fremde, geheimnisvolle Zauberer-Arzt (zu laut: Martin Zysset) haben ihre grossen Auftritte, bevor man weiss, was sie in der Geschichte überhaupt für eine Rolle spielen.

Ein Handlungsbogen ergibt sich so nur schwer. Diese Hauptschwäche des Librettos macht eine Inszenierung der Oper schwierig, gerade auch bei Ljubascha. Sie, die mit dem eifersüchtigen Vertauschen des Liebes- mit dem Todestrank die grosse Tragödie erst auslöst, bekommt zwar die ergiebigsten Szenen, dramaturgisch bleibt sie aber unterbelichtet, so reich und ausdrucksstark Liliana Nikiteanu bei ihrem Start ins dramatischere Fach auch singt.

Historisch-soziale Folie
Johannes Schaaf, erstmals seit seiner Aida 1997 wieder am Opernhaus tätig, versucht das Problem zu lösen, in dem er sich auf das Verdeutlichen der Handlung beschränkt: Eine praktikable, aber brave Vorgehensweise. Doch immerhin bringt Schaaf zusammen mit seinen Ausstattern Erich Wonder und Andrea Schmidt-Futterer etwas historisch-soziale Folie hinter die Oberfläche des Stücks, indem sie den Konflikt zwischen rückständigem Zarentum und westorientierten Reformen aus der Entstehungszeit der Oper andeuten. Wie das mystische Element des Zauberpulvers hier hineinpasst, welches die vom Zaren, Grjasnoj und Lykow umworbene Marfa gefügig machen soll, bleibt allerdings so rätselhaft. Marfas Wahnsinnsszene fällt eher blass aus, weil Maya Dashuks Sopran auch ohne das störend grosse Vibrato klein und unscheinbar bliebe. Dafür bieten die illusionistischen Vorhänge Wonders mit ihrer Kombination von gemalten und real räumlichen Elementen raffiniert gestaffelte Räume – doch auch sie lassen eine stringente Erzählidee vermissen und bleiben im nur Schönen verhaftet. Der Symbolgehalt der kitschig weissen Airbrush-Pferde auf dem Zwischenvorhang als Traumgeschöpfe einerseits und andererseits als Vieh, wie die Dutzenden von Bewerberinnen, die als Zarenbraut «selektioniert» werden, wirkt eher plump.

Insgesamt zu laut
Da setzen Schmidt-Futterers helles Gewand für den «Westler» Lykow (Alexey Kosarevs) und die eindrücklichen Wolfsköpfe des prägnant singenden Herrenchors der Opritschniki stärkere Zeichen.
Solche sendet auch Vladimir Fedoseyev aus dem Orchestergraben. Er lässt die Musik den Raum zwischen gefälligen, belcantesken Arien und mehr an Wagners Instrumentarium erinnernden Passagen vor allem in den Ensembles sensibel füllen, ohne damit allerdings über eine gewisse Auswechselbarkeit hinwegzuhelfen. Unverständlich auch, warum er die Lautstärke der Sängerinnen und Sänger der differenzierten Orchesterbehandlung so wenig anpasst.

So gerät von der Bühne einiges zu laut. Die Schwächen liegen auch im Werk selbst, mit szenischer Ängstlichkeit und bloss solider Besetzung lassen sie sich nicht kompensieren.

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Der Landbote

31. 5. 2005 / Herbert Büttiker

Die Schöne und die Bestien
In Russland gehört «Die Zarenbraut» zum Standardrepertoire, im Opernhaus Zürich wird sie erstmals aufgeführt: ein Meisterwerk, das auch begeistert, wo es sich um alles andere als ein «Heimspiel» handelt.

Iwan der Schreckliche sucht sich eine Braut und wählt die Kaufmannstochter Marfa aus zweitausend Mädchen aus. Das adelt die Eltern und ist schrecklich für die Tochter, die ihren Verlobten Iwan Lykow seit Kindertagen liebt. Aber das Schreckliche trägt noch andere Namen. Grigori Grjasnoj liebt Marfa ebenfalls und will sie mit einem Liebespulver betören, die schöne Ljubascha, die sich von ihm verraten sieht, tauscht die «Arznei» gegen ein Gift aus, das die Rivalin hässlich machen soll und sie wahnsinnig werden lässt. Aber auch die schlimmen Verirrungen der Liebe sind noch menschlich und nichts gegen den Terror der Opritschniki, der völlig enthemmten Geheimpolizei des Zaren.

Wüstes Leben, reine Liebe
Zu den Opritschniki gehört auch Grjasnoj, der Marfas Liebreiz verfällt und sich ändern möchte. Der Abschied vom wüsten Leben und die Sehnsucht nach dem Heil einer reinen Liebe treiben ihn um. Noch einmal also – 1898 wurde «Die Zarenbraut» vom Ensemble der Russischen Privatoper von Sawwa Mamontow uraufgeführt – betritt eine jener romantischen Baritonfiguren die Szene, wie sie, Erlösung suchend und dem Untergang geweiht, die Oper des 19. Jahrhunderts prägen. Ein wenig monochrom, aber mit kernigem Griff, markiger Höhe und dem finsteren Elan gibt Vladimir Stoyanov dieser Figur die starke Kontur, die sie ins Zentrum der Oper rückt – gleich von Beginn weg mit der Arie, welche die Seelenlage des Zerrissenen breit exponiert. Dass er bei allem Selbstmitleid den gewohnten Gewaltreflexen des Opritschniks treu bleibt, hält die Figur in Spannung bis zum mörderischen Schlussakt.

In der Zürcher Inszenierung tauchen die Opritschniki in schwarzer Ledermontur und in Hundemasken auf: Johannes Schaaf (Inszenierung) und Erich Wonder (Bühnenbild) transformieren das Historische ins Märchenhafte. Halluzinatorisch verfremdet und mit Symbolik durchsetzt sind die Räume, übergross das Mobiliar, im Stilmix verunklärt Ort und Zeit des Geschehens. Als Alternative zur (gefürchteten) Folklore also nicht der Versuch zur Aktualisierung und Politisierung der Oper, sondern die surrealistische Fabel zwischen Traumspiel und hollywoodesker Fantasy – Andrea Schmidt-Futterers aufwendige Kostümarbeit hat durchaus auch die entsprechende Kitschqualität.

Die Meute und das schöne Tier
Solche Poetisierung mag nicht in allen Details gleichermassen zu überzeugen, aber mit dem wunderbar schlüssigen Finaltableau erhält sie eine eindrückliche Bestätigung aufs Ganze. Und sie hat ihre Gründe. Rimski-Korsakow, einst der Orchesterexperte des «Mächtigen Häufleins» der Opernrealisten um Mussorgski, hat in seinem eigenen Schaffen, ja auch häufiger zu phantastischen Stoffen gegriffen als zu realistischen, und auch in der «Zarenbraut» ist die Politik nicht Aktionsfeld: Die Opritschniki, deren Wappentier der Hundekopf war, bleiben Staffage – wichtig als Symbol wüster Triebhaftigkeit und böser Männerkumpanei: Der geile Chor dieser «Meute» am Schluss des 2. Aktes – einer von mehreren ungemein starken Auftritten des Zürcher Opernchors – liefert dazu mit Trommelwirbeln das Klangsymbol.

Zu ihrer Beute gehört Ljubascha. Als das Tier, das sie sich halten, tritt sie im Pelz auf. Gleichsam nackt, ohne Orchesterbegleitung, singt sie dann aber ein Lied, das vom ewigen Leid der um die Liebe betrogenen Frau handelt, und es ist ein erster Höhepunkt der Aufführung, wie Liliana Nikiteanu hier ihre Stimme entfaltet und im weiten Melodiebogen ein Crescendo aus Klangfülle und Schmerz gestaltet. Ihren zweiten grossen Auftritt hat sie dann im dritten Akt, wenn sie sich dem Arzt verkauft, um zum Gift zu kommen, und hier erweist sich ihr lyrisch strömender Mezzosopran auch der Dramatik von Eifersucht und Selbstanklage souverän gewachsen.

In Szenen wie dieser zeigt sich der Orchesterexperte Rimski-Korsakow als Musikdramatiker erster Güte. Das Orchester der Oper Zürich wird von Vladimir Fedoseyev denn auch mächtig in Schwung versetzt – gern auch in einer Lautstärke, gegen die sich die Sänger behaupten müssen. Das Ziel des Komponisten, eine «Oper im kantablen Stil» zu schreiben, geht da manchmal vergessen, aber oft wird es evident und von Fedoseyev in glücklicher Verbindung von Zügigkeit und Sensibilität angesteuert: in der farbig-lockeren Orchestration, in Genremalerei und im leichten Arienstil, in dem das junge Paar Marfa und Iwan charakterisiert wird.

Der Tenor von Alexey Kosarev, etwas steif im ersten Akt, gar spannungslos im dritten, scheint die Balance für diese Partie freilich noch nicht ganz gefunden zu haben. Als Figur, die im Geschehen völlig passiv ist, bleibt er aber wohl zwangsläufig etwas blass. Anders Maya Dashuk, die Marfa in zwei Auftritten zur grossen Figur machen kann: Der fröhlich-helle Jungmädchencharme scheint ihrem Sopran genauso natürlich zu liegen wie die zerbrechliche, aber intensive Leichtigkeit der Wahnsinnigen. Auch darstellerisch macht sie diese Szene zu einem Ereignis, das allein schon die Inszenierung der «Zarenbraut» rechtfertigt.

Eine Ensemble-Oper
Hinter Schleiern, im Halbschatten oder auch im Schlaglicht – in der Personenführung entwickelt die Inszenierung die spannenden Momente nicht nur in der fulminanten Schlussszene. Das Ensemble, das durchgehend mit Rollendebüts aufwartet, kommt vielfältig zum Zug, so Martin Zysset, der den Arzt mit scharfem Tenor als hoffmannesken Psychopathen zeichnet. Schön ins helle Licht gerückt ist die Auftrittsszene Marfas mit ihrer Freundin Dunjaschas (Kathrina Peetz), und eine ganze Reihe weiterer Figuren tragen zu wohl modellierten Genreszenen bei, so etwa Alfred Muff als väterlich-warmherziger Sobakin oder Margaret Chalker als rührige Mutter.

Wichtig sind sie alle in einem Werk, das musikalisch die Ensembletechnik bis hin zum Sextett meisterlich pflegt. Rimski-Korsakow kann sich zwar manchmal auch akademisch gebärden, aber seine Musik ist inspiriert und von umfassender Menschlichkeit geprägt: Schon zehn Jahre liegt die faszinierende Begegnung mit seiner Legenden-Oper «Kitesch» in Bregenz zurück, öfters auf westlichen Bühnen zeigt sich «Der Goldene Hahn». Dass Rimski-Korsakow ins internationale Repertoire gehört, bestätigt nun auch die Zürcher «Zarenbraut» – nicht zuletzt durch den spontanen Erfolg beim Premierenpublikum.

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Neue Zürcher Zeitung

31. 5. 2005 / Alfred Zimmerlin

Frauenopfer
Rimski-Korsakows «Zarenbraut» im Opernhaus Zürich

Schaurig geht es zu in Nikolai Rimski-Korsakows Oper «Die Zarenbraut» (1899). Doch der Regisseur Johannes Schaaf und der Bühnenbildner Erich Wonder haben - mit wesentlicher Hilfe der Lichtgestaltung von Martin Gebhardt - im Zürcher Opernhaus gezeigt, dass sie auch mehr sein kann als eine der üblichen Mären der Zeit, die einem Gänsehaut bereiten. Die Opritschniki, die Terrorgardisten von Zar Iwan IV. («der Schreckliche»), mit ihren schwarzen Ledermänteln und den Hundekopfmasken sind omnipräsent. Jeder bespitzelt jeden, die Atmosphäre färbt auf das Privatleben ab und findet dort Nachahmung. Da ist der Anführer der Opritschniki, Maljuta, stets dazu bereit einzugreifen. Grjasnoj möchte seine Konkubine Ljubascha loswerden und die schöne Kaufmannstochter Marfa mit einem Liebestrank aus der Küche des Zauberdoktors Bomeli für sich gewinnen. Marfa hat sich ihrerseits dem Bojaren Lykow versprochen, wird aber vom Zaren als Braut erkoren. Doch zuvor hat Ljubascha den Zaubertrank vertauscht, und Marfa wird wahnsinnig, Lykow als vermeintlich Schuldiger angeschwärzt und hingerichtet, Grjasnoj erdolcht Ljubascha und wird darauf seinerseits als Hauptschuldiger verhaftet.

Das Libretto hat trotz der etwas kruden Konstruktion seine Qualitäten. Vor allem ermöglichte es dem Komponisten, dramaturgisch zu experimentieren. Rimski wartet, gibt den gesanglich- lyrischen Verströmungen viel Zeit, um dann plötzlich im entscheidenden Moment die Atmosphäre umschlagen zu lassen und das Tempo anzuziehen. Er erprobt interessante Simultanszenen, arbeitet unaufdringlich mit Leitmotiven. Die Musik ist voll Farbe, auch im Schrecklichen noch gediegen und - obzwar die Phrasen mitunter etwas gar schematisch geformt sind - nie langweilig. Vor allem gibt er dem Gesang viel Raum. In langen Soli kann Liliana Nikiteanu als Ljubascha alle Ausdrucksregister ihrer wunderbaren Stimme zeigen, und sie stellt ihre emotionellen Verstrickungen berückend dar. Maya Dashuk gibt Marfa etwas Kindliches, und es kann einem kalt den Rücken hinunterlaufen, wenn sie mit ihrem schlanken Sopran mezza voce ihren Wahnsinn zum Ausdruck bringt. Das ist ein Frauenopfer, das in einer totalen Männerwelt dargebracht wird.

Vladimir Stoyanov versteht es, aus den Gesangslinien Grjasnojs eine differenzierte Person zu formen, die eine Veränderung durchmacht und am Schluss an der eigenen Schuld verzweifelt. Alfred Muff gibt Marfas Vater Sobakin eindrücklich, ebenso Pavel Daniluk den Maljuta, einzig die Figur von Lykow bleibt bei Rimski - und auch teilweise in der Gestaltung von Alexey Kosarev - etwas blass. Doch da sind auch wunderbar komponierte Ensembles unterschiedlichster Art. Und immer wieder prächtige Auftritte des von Jürg Hämmerli vorbereiteten Chors des Opernhauses Zürich. Es ist genau dieses differenzierte Wechseln zwischen intimem Ausdruck und grossem, gleichsam «öffentlichem» Klang, welches das Werk packend macht. Man versteht, dass Rimski selber die «Zarenbraut» für seine gelungenste Oper hielt. Mit Vladimir Fedoseyev wird der Abend auch von einem Dirigenten geleitet, dem das Werk hörbar liegt und dem es ein Anliegen ist, diese im Westen wenig bekannte Oper einmal anders zu zeigen.

Und dann dieses Bühnenbild. Wonder arbeitet fast exzessiv mit Schleiern, die sich je nach Beleuchtung verändern. Allerdings: Obwohl diese Technik abgenützt wirkt, gelingt es ihm, neue Bühnenlandschaften zu kreieren. Es sind zeitlose Landschaften, manchmal wirklichkeitsnaher, dann wieder abstrakter. Raffiniert sind es gleichzeitig realistische Handlungsorte und innere Seelenbilder. Ihre Perspektive ist verzerrt, schief sind die Möbel, Vordergrund und Hintergrund verwischen sich in verblüffenden optischen Täuschungen. Mitunter erinnern diese Aussen- und Innenräume frappant an Bildfindungen des frühen Kasimir Malewitsch. Johannes Schaaf seinerseits legt durch eine in ihrer Präzision beeindruckende Personenführung Schichten in der «Zarenbraut» frei, die man dem Werk kaum zugetraut hätte, die aber durchaus darin angelegt sind. Ihm geht es hier also um alles andere als aufgesetztes Regietheater, das ist Werkinterpretation im besten Sinne des Wortes, differenziertes, immer spannendes Theater, das einen nie kalt lässt. Klug arbeitet auch er mit Vorder- und Hintergrund, kann damit ein Geschehen durch simultane Konstellationen vertiefen, ohne didaktisch zu werden. Wie er beispielsweise zur häuslichen Szene bei Sobakin im dritten Akt gleichzeitig im Hintergrund die brutale Brautschau des Zaren zeigt, geht unter die Haut. Die Zürcher Inszenierung der «Zarenbraut» könnte tatsächlich ein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte dieses Werkes aufschlagen.

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St. Galler Tagblatt

31. 5. 2005 / Verena Naegele

Eine Geschichte von Schuld und Sühne
«Die Zarenbraut» von Nikolai Rimski-Korsakow am Opernhaus Zürich

Ein Stück «russischer Seele», präsentiert von einem unvergleichlichen Kenner: Vladimir Fedoseyev dirigiert am Opernhaus Zürich Nikolai Rimski-Korsakows «Zarenbraut». Ein lohnender Einblick.

Man kennt sie mittlerweile recht gut, die russische Opernliteratur, die meist mit grossen Massenszenen und viel Pomp brilliert. Auch in Nikolai Rimski-Korsakows «Zarenbraut» kann man sich daran ergötzen; dank der Einstudierung von Jürg Hämmerli auf hohem Niveau notabene. Und trotzdem ist die hierzulande völlig unbekannte «Zarenbraut» mehr ein subtiles Seelengemälde mit teilweise stark verinnerlichten, epischen Momenten.

Erzählt wird die Geschichte von Marfa, die Iwan Lykow versprochen ist und schliesslich von Zar Ivan zur Braut erkoren wird. Auch Grjasnoj, ein Offizier aus der Spitzeltruppe des Zaren, liebt sie. Er verlässt deswegen seine Geliebte Ljubascha, lässt einen Zaubertrank zur Eroberung seiner Angebeteten brauen und verabreicht ihr stattdessen unwissentlich ein Nervengift, das ihm Ljubascha untergejubelt hat. Am Schluss wird Lykow durch die skrupellosen Machenschaften Grjasnojs exekutiert, verfällt Zarin Marfa in Wahnsinn und gestehen Grjasnoj und Ljubascha ihre Verbrechen.

Bildhaft doppelbödig
«Die Zarenbraut» ist ein raffiniertes Nebeneinander von märchenhafter Liebesintrige und politisch-terroristischem Ränkespiel. Zar Ivan erscheint persönlich nie auf der Szene und hält doch alle Fäden in der Hand.

Der Regisseur Johannes Schaaf versucht zusammen mit seinem Bühnenbildner Erich Wonder, diese Doppelbödigkeit durch mehrere, nach hinten gestaffelte Schleier zu zeigen, auf die die Handlungsorte oder metaphorische Bilder (Pferde-Darstellungen) projiziert werden. Ermöglicht diese Technik einerseits schnelle Verwandlungen, so wirken sie andererseits etwas gar plakativ. Dazu gehören auch Kostümversatzstücke wie die mit Hundemaske auftretenden Zarenspitzel.

Dabei ist die Musik von Rimski-Korsakow dank subtiler Instrumentation und raffinierten epischen Klangbildern an sich sprechend genug. Und sie wird von Vladimir Fedoseyev und dem agilen Opernhausorchester differenziert ausgelotet.

Hinreissendes Elend
Brillant gestaltet Liliana Nikiteanu in diesem musikalischen Kontext die Rolle der Ljubascha: Ein Seelengemälde erster Güte, wie sie im 1. Akt ohne Orchesterbegleitung ihr Lied hinzaubert, oder wie sie mit herben und schmeichelnden Tönen den Arzt (Martin Zysset) umgarnt. In nichts steht ihr der Grjasnoj von Vladimir Stoyanov nach, der mit prächtigem Bariton von vielfältigen Schattierungen die Zerrissenheit dieser Figur nachzeichnet.

Etwas anders gestaltet sich die grosse Schar der mittleren und kleineren Rollen, die von der Regie unterschiedlich profiliert geführt werden. Nicht zu überzeugen vermag Alexey Kosarev als Lykov, der mit seinem engen, flirrenden Tenor den nötigen Schmelz vermissen lässt. Alfred Muff in der stereotypen Rolle des Vaters von Marfa lässt seinem mächtigen Bass freien Lauf, bleibt aber als Figur blass. Auch Pavel Daniluk ist mit seiner laut zur Schau gestellten Stimme zu einförmig.

Zwiespältig bleibt der Eindruck von Maya Dashuk als Zarenbraut. Verfügt sie auch über einen wenig tragenden Sopran, der dem Jungmädchen Marfa an stimmlicher Ausstrahlung einiges schuldig bleibt, so gestaltet sie mit zart hingehauchten, flageolettartigen Tönen eine hinreissende Wahnsinnsszene im Schlussakt. Es ist nicht zuletzt diesem «Elend» zu verdanken, dass man Grjasnojs und Ljubaschas Bekenntnis zu «Schuld und Sühne» verstehen kann.

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Die Südostschweiz

31. 5. 2005 / Reinmar Wagner

Aus Russlands finstersten Zeiten
Das Zürcher Opernhaus inszeniert mit der «Zarenbraut» ein veritables Gift- und Dolch-Drama

Am Sonntag hat in Zürich ein selten zu hörendes Werk Nikolaj Rimski-Korsakows Premiere gefeiert: «Die Zarenbraut» erzählt eine haarsträubende Geschichte, die Regisseur Johannes Schaaf sehr ästhetisch anrichtete.

Zar Iwan der Schreckliche hat viele Literaten fasziniert. Auch die «historische Tragödie» von Lew Mei «Die Zarenbraut» bedient sich als Hintergrund dieser Zeiten und der Geschichte um die mysteriöse Erkrankung der dritten Frau von Zar Iwan dem Schrecklichen zu den Zeiten seines Terror-Regimes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mei hat daraus eine haarsträubende Gift-Geschichte konstruiert, die sämtliche menschlichen Leidenschaften umfasst, von Liebe und Verlangen über Rache und Misstrauen bis zu Mord und Wahnsinn: Gleich zwei grandiose Schuldeingeständnisse und eine hinreissende Wahnsinnsszene umfasst der Schlussakt. So was ruft doch nach Oper.

Behutsames Volksmusikkolorit
Der Komponist selbst hielt von seinen 15 Opern dieses 1899 uraufgeführte Stück für sein bestes – eine Ansicht, die das heutige russische Publikum teilt. Von einem Standpunkt, der Musikgeschichte als Weiterentwicklung und ständiges Weiterverschieben von Grenzen auffasst, ist diese Oper zweifellos eher konventionell. Besonderes Kolorit erhält das Stück durch Anklänge an die Harmonik und Instrumentierung russischer Volksmusiken, obwohl Rimski-Korsakow (1844-1908) hier weit weniger als sonst in seinen Werken auf genuine Volksmelodien zurückgriff. Ansonsten bleibt sie hinter dem zurück, was in Deutschland und Frankreich, aber auch von Rimski-Korsakows Kollegen und Freund Modest Mussorgski in Russland in jener Zeit entwickelt wird.

Verdi statt Wagner zum Vorbild
Der im Programmheft der Zürcher Inszenierung wieder aufgewärmte Hinweis auf die Musiksprache Richard Wagners trifft ins Leere: Weder die Orchestersprache noch die motivische Durchdringung des Werks lassen diesen Vergleich zu. Viel eher scheint hier Verdi Pate gestanden zu haben: kantable Linien, sparsame Begleitung, bedeutungsschwere, manchmal etwas plakative orchestrale Akzente.

Das bedeutet für einen Dirigenten, dass er relativ wenig Möglichkeiten zu einer eigenständigen Gestaltung hat. Die Partitur ist klar und geradlinig, entfaltet ihre Wirkungen, ohne sich zu sträuben. Vladimir Fedoseyev jedenfalls hielt sich nicht damit auf, eventuelle Schätze zu heben: Seine Marschrichtung war zügig und klar nach vorne gerichtet. Er liess das Stück für sich selber sprechen und tat ihm damit wohl den besten Dienst. Seine Reize hat es zweifellos: Die Exotismen sind nicht so dominant wie in anderen Opern Rimski-Korsakows, aber ein Orchester vom Zürcher Kaliber lässt sich diese Klangfarben natürlich nicht entgehen. Auch den Sängern bietet die «Zarenbraut» eine ganze Reihe dankbarer Partien. Im slawisch geprägten Zürcher Ensemble wusste vor allem eine diese Plattform zu nutzen: Liliana Nikiteanu gab der zerrissenen Figur Ljubascha markante, eindringliche Züge: eine enorm vielschichtige starke Frau, die das ganze Spektrum der Gefühle durchlebt. Und dieses Durchleben machte Nikiteanu auf wahrlich eindrückliche Weise nachvollziehbar.

Durchwachsenes Ensemble
Auch die zweite Täterfigur der Oper, Grjasnoj, ist ein Getriebener, im Strudel von Gefühlen Gefangener, ein starker Charakter, ein Mann der Tat, der vor Mord keinesfalls zurückschreckt. All diese Facetten machte der hinreissend singende bulgarische Bariton Vladimir Stoyanov hinreissend deutlich. Ein sicherer Wert war einmal mehr Alfred Muff als Sobakin. Maya Dashuk in der Titelrolle der Marfa hingegen agierte zwar reizend und spielte das junge Mädchen bezaubernd. Aber sängerisch war sie eine leise Enttäuschung: Ein schnelles, flirrendes Vibrato trübte ihre Linien, im Forte verschwanden die sonst vorhandenen Farben und wichen einem monochromen Einheitsklang. Noch weniger geschmeidig sang der Tenor Alexey Kosarev, der sein Engagement mit seiner Leistung am Premierenabend kaum rechtfertigen konnte.

Galoppierende Pferde aus Licht
Zierde dieser Produktion ist die Bühne, die Erich Wonder konstruierte: Zahlreiche Gaze-Schleier in Kombination mit Gemälden, Projektionen und Lichtkünsten, viele schillernde Bilder mit galoppierenden Pferden aus Licht und Farbe, mit Gefühlslandschaften und Seelenstimmungen ergaben eine surreale, doppeldeutige, vielschichtige Bühnenwelt, deren Symbolik von vielen verschiedenen Seiten her entschlüsselt werden kann, aber längst nicht alle Rätsel preisgab. In der Regie von Johannes Schaaf gab es ansprechende Aktionen, manches blieb aber auch unbestimmt und statisch, und einen kapitalen Fehler inszenierte Schaaf zudem: Am Ende des zweiten Akts, wenn der Bote des Zaren mit der Verkündigung der Brautwerbung eintrifft, dann glaubt das ganze Haus, dass Dunjascha die Auserwählte sein wird. Aber viele Takte bevor der Name Marfa fällt, steht der Vater schon auf und holt Marfa an der Hand vom Sofa: Überraschungseffekt total verschenkt.

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Tages-Anzeiger

31. 5. 2005 / Michael Eidenbenz

Eine bodenständige Eifersuchtstragödie
Nikolai Rimski-Korsakows «Die Zarenbraut» ist eine Rarität. Das Zürcher Opernhaus stellt sie zur Diskussion. Das Premierenpublikum reagierte freundlich angetan.

Das Opernhaus spielt Rimski-Korsakows «Die Zarenbraut». Warum? Was motivierte diese Spielplanentscheidung? Ein runder Geburts- oder Todestag steht nicht an, ein Aktualitätsbezug des Stoffs schon gar nicht. Man wird die Wahl des Stücks hauptsächlich im Sinne einer Repertoireerweiterung verstehen dürfen. Tatsächlich tauchen Rimski-Korsakows Opern kaum noch in den europäischen Theatern auf, sein Name fällt allenfalls dann, wenn es wieder mal ein von ihm bearbeitetes Mussorgski-Werk zu kritisieren gilt. Es ist daher gewiss verdienstvoll, den musikhistorisch signifikanten Komponisten einmal abseits seiner beiden Konzertsaalhits, einer länglichen «Scheherazade» und eines albernen «Hummelflugs», zur Diskussion zu stellen.

Wie komponierte nun also dieser Mann selber, der sich erlaubt hatte, am Urgestein der Partituren seines Freundes Mussorgski herumzuschmirgeln? Der erste Eindruck: erstaunlich undramatisch. In einigermassen abgeschlossenen Solonummern, Ensembles und Chören nimmt er sich episch Zeit, um die Gefühlslagen seiner Figuren auszumalen. Der zweite Eindruck: Rimski-Korsakow beherrscht die Techniken der Zeit und wendet sie in einem grosszügigen Stilkonglomerat auch an. Süffige Melodik, die von Verdi stammen könnte, steht neben volksmusikalischen Einflüssen, Klangmalerisches neben deutschem Kontrapunkt, der pflichtschuldig sogar dann bemüht wird, wenn es gilt, der brutalen Zarenleibwache, der Opritschniki, ein Trinklied in die Mäuler zu legen.

Ein Höhepunkt dank Ambivalenz
Ausdruck und Gestus der Musik folgen dicht und ohne Doppelbödigkeiten dem emotionalen Zustand der Figuren - manchmal aber blitzt das Genie kühner Einfälle auf. Gleich im ersten Akt beispielsweise im innig-traurigen, gänzlich unbegleiteten Lied der Ljubascha, mit dem sich diese einst geraubte, missbrauchte und nun im Überdruss verstossene Geliebte des Bojaren Griasnoj in ihrer existenziellen Einsamkeit präsentiert. Später wird die Gedemütigte aus Eifersucht zur Mörderin werden, die Intensität der Rolle hält an - und in Zürich ergreift Liliana Nikiteanu die Chance und läuft zur Hochform auf. Ihre charaktervolle vokale Darstellung dieser als einzige ambivalent gezeichneten Figur ist ein Höhepunkt des Abends.

Ihre Kontrahentin ist die liebliche, unschuldige Marfa, glücklich verliebt, blindwütig umworben von Griasnoj, aus ihrem Umfeld herausgerissen, als sie vom abwesenden Zaren zur Braut gewählt wird, schliesslich wegen einer Zaubertrankgeschichte im Wahnsinn verendend. Auch sie ist mit der körperlich wie stimmlich vogelleichten Maya Dashuk glänzend besetzt. Und auch für sie lässt Rimski-Korsakow als Meister der Instrumentierung Originalität aufscheinen, etwa in den irrlichternden Harfentönen, die ihren Wahnsinn umspielen.

Anderes zeigt die Grenzen des Komponisten: Der Auftritt des Zaren, ein stummes, urplötzliches Auftauchen Iwans des Schrecklichen hoch zu Ross, lässt den Beobachtern das Blut in den Adern gefrieren. Tatsächlich gelingt es Rimski zwar, für Sekunden die Atmosphäre zur erstarrten Atemlosigkeit zu schnüren. Von einer elementaren Evokation totalitärer Macht, wie sie Mussorgski seinen Zeitgenossen vorhielt, ist dies aber weit entfernt. Überhaupt liegt im Beitrag des Zaren ein dramaturgischer Schwachpunkt des Stoffs: Er ist im Grunde nur historische Beigabe und dient höchstens der Überhöhung des Plots von Liebe, Eifersucht, Zaubertrank und Zerstörung, der sich im Übrigen ohne seine Einmischung kaum anders abspielen würde.

Rimski-Korsakow bleibt also weit gehend auf dem Boden der Konvention. Und dass Dirigent Vladimir Fedoseyev sich der Partitur seinerseits mit bodenständigem Musizieren nähert, ist durchaus angemessen. Die Ouvertüre brauchte bei der Premiere am Sonntag zwar etliche Zeit, bis die synkopische Koordination hergestellt war. In der Folge aber erweist sich Fedoseyev als Kenner der Partitur, der ohne Präzisionsfanatismus und bei aller musikalischen Breitleinwandästhetik die dramatische Stringenz aufrechterhält; die Streichung zweier Chorszenen trägt überdies dazu bei.

Luftigeres hatte hingegen Erich Wonder mit seinen Bühnenbildern im Sinn. Schemenhaft gemalte Architektur, transparente Gazevorhänge, raffinierte Lichteffekte (Martin Gebhardt) wollen dem Geschehen etwas Traumartiges verleihen. Die Bildsymbolik spielt mit Kontrasten: Artige Zirkuspferdchen sind zu sehen, wenn Griasnoj von seinen wilden Kriegerzeiten träumt; urbane Steinarchitektur - die zuletzt im Wahnsinn in viele einzelne Quaderchen zerfällt -, wenn Marfa sich an die Gärten ihrer Jugend erinnert; die terroristischen Opritschniki tragen Wolfsköpfe.

Konventionelle Personenführung
Das alles ist apart anzusehen, zeugt aber auch von einer gewissen unverbindlichen Ratlosigkeit. Die luftige Wirkung wird zudem gebremst durch die Üppigkeit der an Rimski-Korsakows Zeit orientierten Kostüme (Andrea Schmidt-Futterer), mit deren Anfertigung in Höchstqualität und luxuriöser Menge das Opernhaus wieder einmal seine Betriebskosten rechtfertigen kann. Ihr Einsatz macht die Atmosphäre stickig, ein Effekt, der sich in der durchweg sorgfältigen, aber gänzlich konventionellen Personenführung durch Regisseur Johannes Schaaf fortsetzt.

Mit vokalen Mitteln hat das vorzügliche Ensemble daher vor allem charakterliche Individualität zu erzielen: Mit fanatischem Temperament der beeindruckende Vladimir Stoyanov als rasend verliebter Griasnoj, mit souveräner Attitüde Pavel Daniluk als sein Bojaren-Freund Maljuta. Alfred Muff ist ein grossherziger Brautvater, Katharina Peetz eine charmante Brautfreundin, Margaret Chalker deren innig bekümmerte Mutter, Alexey Kosarev ein Inbegriff eines Liebhabertenors und Matin Zysset ein gemässigt karikierender Zaubertränkearzt. Warum nun soll man also Rimski-Korsakow spielen? Die Antwort des Zürcher Opernhauses lautet im Wesentlichen: Warum nicht? So interessant wie ein weiterer Donizetti, ein weiterer Puccini ist er allemal. Das muss genügen.

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Zürcher Oberländer

31. 5. 2005 / Sibylle Ehrismann

Der böse Blick des unsichtbaren Zaren
Opernhaus Zürich: Premiere von Rimski-Korsakows «Die Zarenbraut» unter Vladimir Fedoseyev

Vladimir Fedoseyev hat sich mit Wiederentdeckungen aus dem russischen Opern-Repertoire einen Namen gemacht. Jetzt stellt er in Zürich mit der «Zarenbraut» ein unbekanntes Werk von Nikolai Rimski-Korsakow zur Diskussion.

Die Premiere vom Sonntag im Zürcher Opernhaus wurde zu einem musikalisch überraschend intimen und episch expressiven Abend, an welchem vor allem Liliana Nikiteanu als eifersüchtige Ljubascha ein grandioses und erschütterndes Rollendebüt gab. Die Inszenierung von Johannes Schaaf versucht zu modernisieren, bleibt aber in der Personenzeichnung zu naiv direkt.

Meister der Instrumentation
Man hört ihn schon in der Ouvertüre, den Meister der Instrumentation. Rimski-Korsakow weiss mit dem Orchester sehr beredt umzugehen, die Bläser sind über die Farben hinaus wichtige Ausdrucksträger, und die so typische «russische» Seele wird zum schillernden Gemälde. Im Laufe des Abends dann ist man erstaunt über die Intimität der Stimmen, über die verinnerlichte Charakterisierung jeder Figur. Etwas problematisch ist jedoch das stereotype Libretto und die Dramaturgie.

«Die Zarenbraut» handelt von der Schreckensherrschaft Iwan des Schrecklichen. Er verliebt sich in die schöne Marfa, die Tochter eines seiner Bojaren. Die Bojaren müssen ihm unbedingte Treue schwören; sie sind eine Art Geheimpolizei. Diese sorgt nicht nur für einen Zaren-Rechtsstaat, die Bojaren treiben im Volk ihr Unwesen, verwüsten, plündern und morden. Ihr Markenzeichen ist der Hundekopf.

Iwan der Schreckliche kommt in der Oper aber nicht vor; seine Macht ist spürbar, aber nicht greifbar. Obwohl Grjasnoj mit Ljubascha verbunden ist, will er die schöne Marfa erobern. Marfa ist jedoch dem jungen Iwan Lykow in Liebe verbunden; und nun will sie der Zar sogar ehelichen.

Grjasnoj will Marfa mit einem Zauber-Liebespulver für sich gewinnen; Ljubascha gelingt es aber, das Pulver mit einem Gift zu vertauschen, welches Marfa krank, ja wahnsinnig macht. Aus dieser Konstellation entwickelt sich ein Wirrwarr der Gefühle, welches sich am Sterbebett der wahnsinnigen Marfa mit ehrenvollen Schuldgeständnissen löst.

Auch in diesem Schlussbild wird man überrascht von der ehrlichen Kraft und Dramatik dieser Geständnisse, die bei uns im Westen schnell lachhaft wirken könnten. Die Russen aber wissen um Schuld und Sühne.

Pferde als Symbole
Auf der Bühne des Zürcher Opernhauses zeigt Johannes Schaaf ein Widerspiel von interessanten bühnentechnische Kniffen und einer eigenartig naiven Personenzeichnung. Das Bühnenbild von Erich Wonder besteht aus transparenten gespannten Vorhängen, die ein ästhetisches Lichtspiel ermöglichen und auch ein Übereinanderblenden verschiedener Ebenen. Deutlich erkennbar sind die sich im Kreis drehenden Pferde als Symbol für Erotik und Wahnsinn; dazu kommen ein schiefer Kubus für das Haus von Grjasnoj und eine moderne Stadt. Schiefe Ebenen und schräge, überdimensionierte Sofas verzerren das reale Geschehen ins Surreale.

Dieses raffiniert abstrahierte Bühnenbild ermöglicht schnelle Szenenwechsel und sorgt für schöne Lichtstimmungen. Doch darin wirken die schweren wuchtigen Kostüme (Andrea Schmidt-Futterer) und die Protagonisten doppelt historisch und real.

Die Symbolkraft der Pferde und der Wolfsköpfe der Bojaren werden stark betont; dazu kommen der edle Pelzmantel von Ljubascha und im letzten Bild eine Heerschar von Krankenschwestern mit weissen Häubchen. Diese Personencharakterisierung betont das Stereotype der Vorlage noch, vor allem auch was die beiden weiblichen Hauptfiguren betrifft: hier die kindliche, fröhliche Marfa, und da die düstere Ljubascha.

Wenn Musik erzählt
Dabei wird das Geschehen musikalisch ausgesprochen vielschichtig und beredt dargestellt. Rimski-Korsakow weiss das Erstarren des Blutes in den Adern Marfas sehr anschaulich aufklingen zu lassen; aber Johannes Schaaf muss den geheimen Blick des Zaren übergross noch durch einen fallenden Vorhang zeigen. Solches Überbetonen im Szenischen nimmt der Musik etwas ihre Intimität.

Vladimir Fedoseyev dirigiert dieses vielschichtige «Seelengemälde» mit inniger Melodieführung und homogener Klangdarstellung. Unerhört gelingen ihm die heiklen Nahtstellen zwischen den Sängern und dem Orchester, zwischen dem symphonischen Auftrumpfen und dem Verstummen. Damit betont Fedoseyev die lyrische Kraft der Musik, ohne die Gegenwelt der herben Männerchöre zu vernachlässigen.

Viele Rollendebüts
Die Sängerinnen und Sänger geben in der «Zarenbraut» fast alle ein Rollendebüt. Mit ihrer abgründigen, herb-weichen Darstellung der gedemütigten Ljubascha weiss Liliana Nikiteanu vom ersten Ton an die Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Wie sie jeweils den letzten Ton ganz subtil ins Pianissimo gleiten liess, ist atemberaubend. Ihre «einsame» Arie ohne jegliche Begleitung aus dem Orchester im 1. Akt gestaltete sie zum betörenden Höhepunkt des Abends.

Die Sopranpartie der Marfa ist schwer zu besetzen. Hell und mädchenhaft quirlig wie sie anfangs ist, muss sie als vergiftete Wahnsinnige auch über dramatischere Kraft verfügen. Maya Dashuk singt mit glockenreiner Leichtigkeit und weiss im abgehobenen Wahnsinn flageolettartig zu hauchen; es fehlt ihr aber etwas an Stimmkraft. Zusammen mit ihrer Freundin Dunjascha (Katharina Peetz) gestaltete sie eine erfrischende, wenn auch sehr stereotype Mädchenwelt.

Ohrenfällige Schwierigkeiten bekundete vor allem Alexey Kosarev mit der Tenorpartie des Iwan Lykow. Obwohl er als Einziger kein Rollendebüt gab, wirkte er als Verlobter von Marfa schrill, in der Höhe zu eng und flatternd in der Intonierung.

Der Bariton Vladimir Stoyanov vermochte dagegen als Grjasnoj mit agiler Kraft und charakteristischem Timbre zu brillieren. Eine grosse Bühnenpräsenz hatte auch Alfred Muff als Marfas Vater Sobakin. Sein gewohnt dunkler und ruhig geführter Bass macht den Russen alle Ehre. Dazu kamen die grossen Chöre. Von Jürg Hämmerli vorbereitet, sorgten sie am Premierenabend für prägnante, aber nie allzu dominante Schlagkraft.

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Zürichsee-Zeitung

31. 5. 2005 / Werner Pfister

Wenn Werwölfe Wodka trinken
«Die Zarenbraut» von Nikolai Rimski-Korsakow zum ersten Mal im Opernhaus

Väterchen Zar ist grausam wie ein Gewitter; seine Leibgarde, die Opritschniki, wüten wie Werwölfe lm Land. Johannes Schaafs Neuinszenierung verzichtet auf Trachtenfolklore und macht Ernst mit dem Drama. Das Publikum goutiert es: rundum viel Beifall und Bravo.

Zum ersten Mal am Opernhaus Zürich: Nikolai Rimski-Korsakows Opern haben es in westlichen Breitengraden nach wie vor schwer. Fünfzehn hat er insgesamt komponiert; die «Zarenbraut» ist seine neunte und gehört zu jenen Werken, die ihre Uraufführung am Moskauer privaten, Operntheater von Sawwa Mamontow erlebten, im Gegensatz zu den konservativen kaiserlichen Theatern eine tonangebende Avantgardebühne. Die berühmtesten Vertreter dieser Avantgarde, Korowin, Wrubel und Serov, schufen die Bühnenbilder, Sängerlegenden wie Schaljapin oder Sobinow nahmen sich der neuen Werke an, oft dirigierte der junge Rachmaninoff.

Macht der Marlonetten
Neu waren sie in, der Tat, indem sie - an einem historischen Stoff exemplifiziert - Gegenwartskritik übten. In der «Zarenbraut» tritt zum ersten Mal in einer Oper Rimski-Korsakows nur die dunkle Kehrseite des Zaren in Erscheinung: ein winziger und erst noch stummer Auftritt. Umso rücksichtsloser wüten die Opritschniki, die als blutrünstige Marionetten gezeigt werden, korrumpiert durch Macht- und schrankenlose Besitzgier, was sich wiederum in der gesellschaftlichen Stellung der Frau äussert, die als Objekt ganz den Bedürfnissen der Männer ausgeliefert ist.

Viel gesellschaftskritisches Potential - mit Spitze übrigens auch gegen eine verwestlichte prosaische Dekadenz im Russland der vorletzten Jahrhundertwende, und dieser Dekadenz wird eine neue Rückbesinnung des russischen Menschen auf seine ursprüngliche schöpferische Einheit mit der Natur gegenübergestellt. Allerdings, im Lauf der Rezeptionsgeschichte von Rimski-Korsakows Opern wurde dieses Potential mehr und mehr «entschärft». Historische Folklore begann, mit buntenTrachten und volkstümlichen Tänzen den «guten», nun nur noch harmlosen Ton anzugeben; ein unanfechtbares Schwarz-Weiss von gut und böse sollte das gesunde Volksempfïnden im Publikum bestärken.

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Frankfurter Rundschau

31. 5. 2005 / Hans-Klaus Jungheinrich

Die Wölfe des Despoten
Bildstark und musikalisch ergiebig: Rimskij-Korssakows "Zarenbraut", inszeniert von Johannes Schaaf und dirigiert von Vladimir Fedoseyev an der Oper Zürich

Die russische Oper ist ein eigener Kontinent, dessen Unbekanntheit im Westen durch die aktuelle Praxis originalsprachlicher Aufführung (kombiniert mit landessprachlicher Übertitelung) nicht eben gewendet werden kann; der vermehrte Arbeitsaufwand macht die Einstudierung eines slawischen Werkes zu einer Betriebsstörung, die nur selten und gleichsam als Ausnahme möglich ist. In der reichen Schweiz und im internationalen Zürich scheint das alles halb so schlimm. Aber Opernintendant Alexander Pereira weist doch mit besonderem Stolz auf die phantastische Sängerbesetzung hin, die ihm für Nikolai Rimskij-Korssakows Zarenbraut zur Verfügung steht und die Einstudierung nicht nur rechtfertigte, sondern - ja, man muss es so sagen - danach schrie. Dadurch wurde es eine triumphale Stück-Entdeckung. Zumal mit Johannes Schaaf und Erich Wonder eine eindrückliche, raffinierte, durchdachte Bühnen-Optik anstand.

Unbehagen an der Despotie
In Russland gehört Die Zarenbraut zum Kernrepertoire wie die meisten anderen Rimskij-Opern, von der verführerischen Mainacht bis zur politischen Parabel des späten Goldenen Hähnchens, mit dem der Künstler, 1905 eine Symbolfigur des antizaristischen Widerstands der Arbeiter und des liberalen Bürgertums, die Summe seiner Weltsicht zog. In der 1899 uraufgeführten Zarenbraut werden die kritischen Töne noch vorsichtiger, wenn auch unüberhörbar angeschlagen. Das Unbehagen an der Despotie wird im Libretto (an dem der Komponist mitarbeitete) pfiffigerweise "den Deutschen" in den Mund gelegt, die hier weniger als Feindbild fungieren denn als Stimme der Zivilisation und Gesittung (ausbalanciert freilich von einem als deutsch identifizierten dämonischen Magier). Zwar wird im ersten Akt auch gemeinsam die (bereits aus Boris Godunow bekannte) Zarenhymne geschmettert, aber das gerät im Kontext zu einer eher karikatuiristischen, höhnischen Übung.

Vor allem führt die Handlung (angeschärft von Schaafs erzählerischem Konzept) den barbarischen Brauch der zaristischen Brautschau unter den Töchtern des Landes als gebührende Unziemlichkeit vor. Opfer der höchstherrscherlichen Gier wird die mädchenhafte Schönheit Marfa, deren tragisches Geschick sich schon diesseits des Thrones entscheidet. In einer wüsten Intrige wird sie ihrem geliebten Bräutigam Wanja entzogen von dem abgewiesenen Anbeter Grjasnoj und dessen enttäuschter Geliebter Ljubascha. Diese vertauscht rachsüchtig einen von Grjasnoj besorgten Liebes- mit einem Krankheits- und Todestrank, an dem die Rivalin dahinsiecht. Eine hintertreppenhafte Leidenschafts-Ballade mündet in rabenschwarze Verzweiflung der Schuldigen und Unschuldigen. Kaum ein Trost, dass auch der um sein Liebchen gebrachte schnöde Zar am Ende leer ausgeht.

Die Oper beginnt mit einer elektrisierend schwungvollen, auch mit allen kontrapunktischen und modulatorischen Meisterschafts-Wassern gewaschenen Ouvertüre, an deren Schluss kurz die Melodie der Marfa'schen Wahnsinnsarie anklingt, die das Ende des vierten Aktes mit ihrer irisierenden, somnambulen Insistenz beherrscht. Rimskij transponierte dabei italienische und französische Vorbilder (aber auch die chromatisierende Tristan-Entrücktheit) in seine psychologisch gereifte klangsensualistische Tonsprache. Das souveräne Umschmelzen von Einflüssen ist in der ganzen Partitur merklich, wenngleich es in rezitativischen Strecken auch etliche Trockenheit gibt. Die Volksliednähe fördert neben zünftigen Chortableaus auch die Aufwölbung zu formklaren Ensembles bis hin zu virtuosen Simultanszenen, die der musikalischen Dramaturgie einen geradezu modernen Anstrich geben.

Akademiedirektor-Musik
In Zürich vertraute man auf die zuverlässige Kompetenz des Dirigenten Vladimir Fedoseyev, der wohl nicht der Mann war, überraschende Funken aus diesem Notentext zu schlagen. Ein wenig behäbig ging er die Sache an, auch bei der mehr dem Trab als dem Galopp verpflichteten Energetik der Orchestereinleitung. Klarheit und Transparenz waren realisiert, wenn auch weniger der dramatische Furor, die eloquente Beweglichkeit, das überrennende rhetorische Pathos. In Sturmhöhen exzentrischer Passioniertheit wurden weder das sorgfältig agierende Orchester noch der solid substanzreiche Chor (Einstudierung: Jürg Hämmerli) geführt. Zum Klingen gebracht wurde mehr der kultivierte Akademiedirektor als der ingeniös hundertfarbige Klangzauberer.

Freilich hatten die Stimmen durchweg überragendes, oft substantiell geradezu stentorhaft monumentales Format. Allen männlichen Kollegen voran der zur Raskolnikow-Figur verdichtete Bariton Vladimir Stoyanov als Grjasnoj. Tenoral charaktervoll auch der Wanja von Alexey Kosarev. Apart das Rollenprofil der beiden weiblichen Hauptpartien. Zunächst dominiert Ljubascha, die mit einem ausgedehnten, äußerst heiklen a-cappella-Lied schwermütigen Charakters auftritt, das von der Altistin Liliana Nikiteanu mit märchenhafter Konzentration wiedergegeben wurde. Im weiteren Verlauf tritt die zunächst eher oberflächlich-soubrettenhaft anmutende Marfa in den Vordergrund, deren lyrisch durchdrungene, unberührbare Zartheit im Schlussakt kulminiert - eine Aufgabe, der Maya Dashuk mit selbstvergessener Serenität gewachsen war.

Johannes Schaaf gelang es, im Gesamtaufriss und vielen Einzelzügen die dramatische Wucht der Handlung spannungsvoll nachzuzeichnen. Beklemmend die Allgegenwart zaristischer Schergen in Wolfsmasken - Chiffren der Gewalt in einer bedrohten Sphäre. Umweglos und zugespitzt die Personenführung. Erich Wonders imaginäre Bühnenräume brillierten mit vielen Zwischenvorhängen und subtilen Projektionen und gaben den Schauplätzen ein zwischen Expressionismus und surrealer Magie changierendes Kolorit (beherzt konterkariert von Andrea Schmitt-Futterers strengen, bildstarken Kostümen). Dabei waren aufwändige, nicht immer mühelose Umbauten (besonders vor dem Schlussakt, der dann aber nochmals mit einem optischen Knalleffekt versöhnte) hinzunehmen. Eine insgesamt fabelhafte Aufführung, ein starkes Plädoyer für die immense Opernkunst Rimskijs.

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Verzeichnis

Deutschlandfunk

31. 5. 2005 / Holger Noltze

Russische Rarität
Nikolai Rimsky-Korsakovs "Zarenbraut" in Zürich
"Die Zarenbraut" heißt eine selten gespielte Oper des russischen Komponisten Nikolaj Andrejewitsch Rimsky-Korsakov. Das Eifersuchtsdrama spielt zur Zeit Iwans des Schrecklichen, also unter Bedingungen einer Schreckensherrschaft. Trotzdem ist Regisseur Johannes Schaaf nicht der Versuchung erlegen, Aktualität durch Bezugnahme auf Putins "gelenkte Demokratie" künstlich herzustellen.

"Spassiba", danke, "direkt ins Herz…" sind Ljubaschas letzte Worte, nachdem ihr Grjasnoj das Messer eingeführt hat, der Mann, den sie liebt und dessen Liebe (oder was sie dafür hielt) sie verloren hat. Direkt ins Herz ist überhaupt die Richtung, in die Rimski-Korsakows neunte seiner vierzehn Opern zielt, ein Historienreißer, wie ihn so nur die russische Geschichte hervorbringen kann; vor allem im Umfeld jenes Zaren Iwan, genannt der Schreckliche, der ja im Zorn seinen eigenen Sohn totgeschlagen hat, unter anderem.

Der Schreckliche Iwan, um dessen unglückliche Zarenbraut es hier geht, tritt übrigens gar nicht auf. Nur sein Bild erscheint einmal, riesig und finster, ein Schock für die Mädchen, die wissen, dass er auf Brautschau ist. In Zürich sieht er ein bisschen wie Lenin aus, jedenfalls kein bisschen wie Putin. Versuchungen solcherart Aktualisierung geht Johannes Schaaf aus dem Weg.

Dass das tödliche Eifersuchtsdrama sich aber unter den Bedingungen einer Schreckensherrschaft abspielt, ist sehr gut zu sehen, denn des Zaren gewaltbereite Eingreiftruppe, die Opritschniki, tragen grässliche Hundemasken.

Grjasnoj, der Ljubascha nicht mehr liebt, weil er sich in die schöne Marfa verliebt hat, die ihrerseits aber den Bojaren und Tenor Lykow liebt, Grjasnoj ist ein finsterer Gewaltmensch, der sich selbst nicht kennt. Wladimir Stoyanow entwickelt das Psychogramm von einem, der Begehren mit Liebe verwechselt, Stärke mit Skrupellosigkeit, und es gelingt ihm mit souverän eingesetzten Mitteln des Gesangs:

Ich bin ein anderer, singt Grjasnoj, und täuscht sich, so wie sich alle täuschen und trügen in dieser Oper, für die Erich Wonder konsequent Trug- und Täuschungsbilder erfunden hat. Fast die ganze Handlung spielt hinter Zwischenvorhängen, in einer verwirrenden visuellen Dramaturgie zwischen Bild und Abbild, real und surreal.

Wonders Projektionstheater bietet der Regie nicht nur gute Gelegenheit, die von Rimski-Korsakow reichlich vorgesehenen Einlagen zu bebildern, es verlegt die Handlung dahin, wo es spannend wird: in die inneren, die Seelenräume der drei, auf die hier alles ankommt: Neben Grjasnoj also Ljubascha, die Rächerin, und Marfa, deren Unschuld vom Lande sich solange an die Idyllen-Projektionen der Kindheit klammert, bis ihre Welt untergeht: sie selbst vergiftet, der Geliebte verleumdet und ermordet. Marfa fällt erst in Ohnmacht, dann in Wahn, und in grausamer Ironie lässt Schaaf sie unter dem Mantel des Mörders Schutz suchen

Maya Dashuk. Man hätte ihr, zu der großen darstellerischen Präsenz, noch einen Hauch mehr vokalen Schmelz gewünscht, wie auch ihrem ein wenig blässlichen Lykow Alexey Kosarev. Mit schönem Piano, manchmal bedenklich heftigem Vibrato die Rumänin Liliana Nikiteanu als Giftmörderin Ljubascha. Nobel und ausgeglichen noch im Vaterschmerz Alfred Muff als Kaufmann Sobakin. Begeistert feierten die Zürcher ihre erste Begegnung mit der "Zarenbraut".

Schaaf und Wonder haben die Bühnentauglichkeitsprobe des bei uns seltenen Stücks intelligent bestanden. Ein bisschen kunsthandwerklich, aber darin der glänzenden Könnerschaft der Musik Rimsky-Korsakovs durchaus nah. Interessant ist uns, was dahinter steckt. Und Vladimir Fedoseyev dirigiert nicht nur mit Sinn fürs klingelnd Schmissige und Schwelgerische, sondern auch für die frappierende Doppelbödigkeit unter der schieren Schönheit. Das geht direkt ins Herz, aber eben auch durchs Hirn. Insofern: Spassiba.

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