Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Giacomo Puccini: Turandot
9. April 2006 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme

Lichtgestaltung
Chorein
studierung

Turandot
Liu
Calaf
Timur
Ping
Pang
Pong
Altoum
Mandarin

Alan Gilbert
Giancarlo del Monaco
Peter Sykora
Peter Sykora
Hans-Rudolf Kunz
Jürg Hämmerli

Paoletta Marrocu
Elena Mo
suc
Jo
sé Cura
Pavel Daniluk
Gabriel Bermude
Andrea
s Winkler
Boguslaw Bidzinski
Miroslav Christoff
Valeriy Murga

Rezensionen
Persönlicher Eindruck
einer Premièren-Besucherin
Marlboro Man googelt Prinzessin
Die Arroganz der Moderne
Die Rätsel mit dem Laptop gelöst
Masse und Macht
Das hohe C des Neoliberalismus
Mit dem Laptop an die Macht
Tradition kontra Labtop-Liebe
Das Spiel vom Spiel im Spiel
   

Vox spectatricis

10. 04. 2006 / Chantal Steiner

Zeitreise in das Reich der Mitte

Die gestrige Premiere von Puccinis „Turandot“ endete mit frenetischem, einhelligem Applaus. Warum bloss konnte ich nicht ganz so begeistert sein?

Sicherlich liegt es daran, dass ich dieses Werk nicht mag. Ich kann mit diesem „Märchen“ der eiskalten Prinzessin nichts anfangen, die aus Angst, das Schicksal ihrer Ahnin zu teilen (von einem fremden Prinzen „entführt“ zu werden), allen fremden Prinzen ein 3-teiliges Rätsel aufgibt, das zu lösen praktisch unmöglich ist. Als Preis für ihr Scheitern werden sie geköpft. Ein fremder Prinz hingegen vermag diese Rätsel zu lösen. Die Prinzessin, die ihm als Preis dafür zusteht, wehrt sich vehement gegen seine Besitznahme. Er, in seiner absoluten Arroganz, gibt ihr nun seinerseits ein Rätsel auf: Erfährt sie bis zum Morgengrauen seinen Namen, ist er bereit zu sterben. Dass dadurch die Sklavin Liù, die ihn liebt, und sein Vater in Gefahr geraten, nimmt er billigend in Kauf (oder denkt er in seiner Eroberungslust gar nicht so weit?). Liù geht lieber in den Tod, als den geliebten Menschen zu verraten. Calaf macht zwar die Prinzessin dafür verantwortlich (!), vergisst in der Folge aber sofort sowohl Vater wie auch Liù und beide gehen ins Happy End. Für mich eine unerträgliche Geschichte! Kommt dazu, dass die fernöstlichen Klänge (oder das, was Puccini dafür hielt) mich nicht begeistern können, auch wenn sie vollendet gestaltet sein mögen. Sicher ist die Verbindung zwischen fernöstlich und europäisch magistral vertont; mir gefallen nur die „europäischen“ Klänge, wobei „Non piangere, Liù“ für mich das schönste Stück der Oper ist.

Das Orchester der Oper Zürich spielte unter Alan Gilbert in der gewohnten souveränen Art und setzte die Intentionen des Dirigenten bravourös um. Fraglich bleibt für mich, ob „Turandot“ eine Oper für ein solch intimes Haus wie Zürich ist, denn sie  sprengt hinsichtlich Lautstärke fast dessen Rahmen.

Ein besonderes Kränzchen ist dem Opernchor, verstärkt durch den Zusatzchor und den Jugendchor, zu winden. In dieser Saison haben sie sich ein höchst beachtliches, konstantes Niveau erarbeitet, das hier besonders hervorstach, spielt doch der Chor - als kommentierender Teil der Handlung - praktisch die Hauptrolle.

Lobenswert und homogen war das Trio Ping, Pang und Pong, ironisch verkörpert durch Gabriel Bermúdez (Ping), Andreas Winkler (Pang) und Boguslaw Bidzinski (Pong), wobei vor allem der wohlklingende, strömende Bariton von Gabriel Bermúdez wieder einmal auf sich aufmerksam machte. Ein Sänger, den man im Auge behalten muss.

Obwohl ich persönlich Pavel Daniluks Interpretationen (ausser im russischen Fach) nicht sonderlich mag, da er mir viel zu nasal und gaumig singt, muss doch neidlos anerkannt werden, dass er ein schönes Stimmmaterial besitzt und den Timur  technisch einwandfrei sang.

Hervorragend war die Leistung von Elena Mosuc (Liù). Auch wenn sie wohl premierenbedingt manchmal noch etwas unsicher wirkte, vermochte sie die Liù so anrührend zu singen, dass ein Premierengast ihr unumwunden zuraunte „Sie haben meine Seele so berührt, dass ich fast zu weinen anfing“. Und genau diese Sensibilität vermag mich immer wieder für diese Sängerin zu begeistern. Ihr warmer, weicher, strömender Sopran ist auch in den Höhen glockenklar. Diminuendi und Crescendi sind so wenig ein Problem wie lyrische oder dramatische Passagen. Frau Mosuc verkörperte eine liebliche, herzergreifende, packende Liù, die wohl keine(n) unberührt liess.

Glänzend auch der Calaf von José Cura. Die gestalterischen „Mätzchen“, die er während einer gewissen Zeit zur Schau stellte, sind einer musikalisch einwandfreien Interpretation gewichen. Sicher, man könnte bemängeln, dass die Stimme ab und an noch etwas zu sehr in den Hals rutscht und dass der Vokalgebung (vor allem bei „Nessun dorma“) etwas mehr Beachtung geschenkt werden sollte, aber zurzeit wird kaum ein anderer Tenor diese Partie so spielend bewältigen. Die bronzene, baritonale Stimmfärbung, gepaart mit einer unglaublichen Ausdrucks- und vokalen Kraft, jedoch auch – wo nötig – mit samtener Weichheit, entfachten Begeisterungsstürme. Die Nonchalance beim Spielen und die Leichtigkeit, mit welcher er die Spitzentöne erklomm, taten ihr Übriges, um ihn zum Gewinner des Abends zu machen.

Hingegen kann ich nicht nachvollziehen, was das Publikum zu Begeisterungsstürmen für  Paoletta Marrocus Leistung bewog. Zugegeben, die Frau sieht umwerfend aus und ist – ähnlich wie Cura – ein Bühnentier. Trotzdem: Sie hat so ziemlich jeden Ton versiebt und von der Stimme sind meines Erachtens nur noch Bruchteile vorhanden. Und nur laut zu singen, ist mir einfach zu wenig.

Die kleineren Rollen (Altoum: Miroslav Christoff; Mandarin: Valer Murga) wurden – wie immer – adäquat besetzt.

Giancarlo del Monaco liess das Märchen als eine Art Zeitreise („Indiana Jones auf der Suche nach dem Glück“ o.ä.) spielen. In einem faszinierenden Bühnenbild von Peter Sykora (das mich zwar bisweilen mehr an Ägypten denn an China erinnerte) wird Calaf in die antiquierte Zeit zurückgeworfen.

Offensichtlich von einer Zeitmaschine ins Geschehen versetzt, liegt er anfangs in der Mitte der Bühne, während aus den Tiefen der Chor aus einem trichterförmigen Untergrund heraufsteigt. Ob es sinnvoll ist, Calaf mit einer Sonnenbrille oder einer brennenden Zigarette auszustatten, bleibe dahingestellt - fremd wirkt der „principe ignoto“ in seiner Lederkluft auf alle Fälle; er erinnerte mich ein bisschen an den „Rebellen“ James Dean. Sicherlich neu dürfte es sein, dass Calaf die Lösungen der gestellten Rätsel mittels Laptop „ergoogelt“. Er hat’s im Gegensatz zu seinen unglücklichen Mitstreitern einfach: Aus der Zukunft kommend, kann er das Libretto der „Turandot“ im Internet aufrufen und so die Antworten bekommen… Ansonsten wird das Werk mit viel Detailtreue wiedergegeben. Es werden keine neuen Sichtweisen präsentiert, sondern die Geschichte spannend bebildert. Am Schluss, als Turandot sich ihrer Liebe beugt, löst Calaf ihre chinesische Tracht und Turandot steht in einem atemberaubenden, roten Abendkleid da. Beide gehen zur Besiegelung ihrer Liebe feierlich in ein 3-Sterne-Restaurant essen (in dem ihnen Ping, Pang und Pong als Kellner resp. Koch das Essen auftischen), während der Chor in zeitgenössischen Freizeitkleidern aus der Tiefe kommt und im Hintergrund das Bild der beleuchteten Skyline Hongkongs (Shanghais?) – Peking kann es kaum sein, da es meines Wissens nicht am Wasser liegt – zu sehen ist. Die „zivilisierte“ Welt hat die antiquierte besiegt…

Schade, dass vom 2. Rang aus wiederum vieles nicht ersichtlich war. Vom Kaiser, der auf einer Art Aufzug steht, sowie von der ersten Erscheinung Turandots waren nur Beine zu sehen und auch der finale Prospekt liess viele Fragen offen, da er nicht vollständig ersichtlich war.

Fazit: Ein durchschlagender Publikumserfolg – zumindest für jene, die das Werk mögen und die Frau Marrocus Ausstrahlung stärker gewichten als ihre stimmlichen Fähigkeiten.

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Aargauer Zeitung

11. 04 . 2006 / Christian Berzins

Marlboro Man googelt Prinzessin

Opernhaus Zürich: Giacomo Puccinis «Turandot» wurde in der Inszenierung von Giancarlo del Monaco und unter dem Dirigat von Alan Gilbert bejubelt.

«Zu guter Letzt gilt es doch immer, Klischees zu entlarven.» Der Gelehrte Edward W. Said hat die kleine Weisheit im Zusammenhang mit Schreiben und Denken gesagt, meinte aber im Prinzip die Kunstausübung ganz allgemein, im Speziellen vielleicht aber auch die Oper. Denn der Opernalltag ist voller Klischees. An Giacomo Puccinis unvollendeter «Turandot» kleben sie besonders gerne: Diese Oper ist lärmig, eindimensional, nur konventionell zu inszenieren und der Schluss geradezu dumm. Doch liegt in diesem Schluss, den Franco Alfano nach Puccinis Tod komponiert hat, wohl das Hauptübel aller «Turandot»-Klischees.

Erst Alfanos Musik lässt die vorangehenden zwei Stunden lärmig erscheinen. Dabei sind sie geradezu sinnlich und märchenhaft lyrisch, was von Puccini natürlich durchaus mal im Orchestertutti gezeigt wird. Dirigent Riccardo Chailly etwa hat in Amsterdam bewiesen, wie anders «Turandot» klingen kann. Und er hat auch gezeigt, dass man den Schluss von Alfano vergessen kann, da Luciano Berio einen sinnlichen, szenisch ausdeutbaren komponiert hat.

Allerdings hätte dieses Finale nicht in die Zürcher «Turandot» gepasst. Denn Regisseur Giancarlo del Monaco spielt mit «Turandot»-Klischees, ja sein Theatercoup ist es geradezu, zum traditionellen Schluss mit beiden Augen zu zwinkern. Doch der Grat ist schmal: Wie viel ist hier gekonnter Bruch und wie viel ist nur einfach mehr plumpe «Turandot»-Folklore?

Ein Calaf in Jeans und Lederjacke, mit Zigarette und Sonnenbrille - cool wie der Marlboro-Mann - ist nach Peking gelangt, wo er auf das blutige «Turandot»-Spektakel trifft. Eine Prinzessin stellt ihren Verehrern ein Rätsel: Heirat oder Tod ist ihr Los. Calaf stellt sich der Herausforderung. Bei den Rätseln kommt er arg ins Schwitzen, doch dank Laptop und Google löst er sie. Bald gehts in den Liebesjubel . . . und wenn sie nicht gestorben sind, so brüllen sie wohl heute noch. Doch Märchen, Fantasie oder Poesie ist etwas für Kinderbücher, nicht für del Monaco.

Aus der Klischee-Turandot (selbst die verlängerten Eisen-Fingernägel, die wohl aus dem Nachlass Birgit Nilssons stammen, hat man ihr aufgesetzt) schält sich flugs eine Billig-Diva im roten Abendkleid; Ping, Pang, Pong servieren Champagner, der ganze üppige Ballast fällt von der Inszenierung ab.

Warum das so ist, weiss wohl niemand so recht. Doch die Irritation geht im Fortissimo-Rausch von Dirigent Alan Gilbert, dem jegliche Kunst der Ausgestaltung abgeht, unter. Kommt hinzu, dass das Orchester öfters unpräzis spielt. Kein Wunder, dass dabei normale Sänger Probleme kriegen würden. José Cura (Calaf) allerdings kommt diese Art des Musikmachens eher entgegen, denn wenn er nicht über einem Mezzoforte liegt, klingt sein Tenor brüchig. Aber wehe, er wird losgelassen! Dann erlebt man eine Stimmkraft, die ihresgleichen sucht. Curas Stolz geht bis zur Arroganz, seine Stärke bis zur Selbstverliebtheit. Zu dem Typ Calaf, den er spielen soll, passt das Gehabe bestens. Paoletta Marrocu bezahlt das Dauerforte mit dem Verlust des einst hübschen Timbres. Und leider lässt sich auch Elena Mosuc (Liu) von Gilberts «Turandot»-Klischees beirren: Sie lädt ihre Arien unnötig auf, gibt Kraft anstatt Fluss - und bleibt doch die Beste des Trios. Denn ihr Gesang hat ein Fundament.

Marrocu und Cura hingegen schweben gestenreich über dem Abgrund: Das mag bisweilen eindrücklich sein, aber zementiert nicht viel mehr als Klischees - aufgrund des Schlussjubels offenbar allseits beliebte.

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Der Landbote

11. 04. 2006 / Herbert Büttiker

Die Arroganz der Moderne

Die Inszenierung von Puccinis «Turandot» im Opernhaus ist ein grosser Wurf - bewegend, aber nicht ohne Widerhaken in der Deutung der Oper als Zusammenprall zweier Kulturen.

Die Prinzen, die sich um sie bewerben, verlieren der Reihe nach ihren Kopf, der Hof, das ganze Volk leidet an den starren Ritualen und sehnt sich nach Veränderung. Aber die Prinzessin Turandot stellt weiter ihre Rätsel, um sich die Freier vom Hals zu schaffen. Jetzt ist der Prinz von Persien auf dem Weg zum Schafott, und wieder bekommt das Volk statt ein Liebesfest Henkerspiele vorgesetzt: Dieses China ist ein Ort der Verdammnis – und wenn der Vorhang aufgeht im Zürcher Opernhaus, zeigt sich dieser im fahlen Licht als eine Szenerie von bestürzender Kälte. Graue, steile Wände begrenzen den Platz, eine trichterförmige Tribüne, die von tief unter dem Niveau des Bühnenbodens ansteigt, füllt sich langsam mit der grauen Masse der Menschen, und aus der Palastmauer im Hintergrund kommen aus knappen Öffnungen die Funktionäre in ihren bizarren Kostümen, mit denen sparsam Farbe aufblitzt, aber eher grosse Insekten als Menschen den Platz beherrschen.

Calaf, der unbekannte frische Bewerber um die Hand der Turandot, wird im magischen Lichtkegel gera dezu hineingeworfen in dieses unwirtliche Metropolis: Sonnenbrille, Lederjacke, Zigarette – ein Mann aus der Zivilisation. Timur, der blinde Vater, den er hier trifft, Liu, die Sklavin, die ihn begleitet – auch sie einfach: Menschen. Der Kontrast springt geradezu heraus, denn er ist auch komponiert: Liùs Hilferuf, das «Padre! Mio padre! ...» des Prinzen: spontane, biegsame Töne im Musikpanzer, mit dem Puccinis geniale Klangvision aus Pentatonik, Schlagwerk, Blech und spitzen Bläsern Turandots Reich einkleidet.

Erstarrte und neue Welt
Auf diesen Kontrast einer erstarrten und einer fortschrittlichen Kultur zielen Giancarlo del Monacos Regie und Peter Sykoras Ausstattung mit grosser Konsequenz und, man muss bewundernd sagen, kühner Zuspitzung: Während Turandot ihre Rätsel stellt, begleitet von formelhaften Bewegungen ihrer Hände, greift Calaf zum Notebook, um die Antwort zu finden. Das Ende der Parabel ist dann absehbar, aber eben doch szenisch auch wieder grandios auf den Punkt gebracht: Mit dem Kuss und Turandots erwachter Liebe weichen die eisigen Wände zur Seite und geben den Blick auf eine moderne Skyline frei: Calaf setzt sich mit seiner Prinzessin im roten Abendkleid zum Tête-à-Tête im mondänen Schanghai.

Die Ironie des Schlussbildes vermag nun freilich die Irritation, die sich nach und nach ob der szenischen Deutung eingestellt hat, nicht zu verscheuchen: Der Sieg der Moderne über eine exotisch hinterwäldlerische Kultur ist nicht ohne Zwiespalt. War es vielleicht für den Puccini der zwanziger Jahre, umgeben von den sich formierenden Massengesellschaften, nicht gerade umgekehrt? Das alte China als Bild der modernen Zivilisation, die der Erlösung zur Liebe bedarf, und ein Prinz, der aus der tatarischen Steppe kommt, aus der fernsten exotischen Ferne – ein Lohengrin, ein Künstler –, der sie zugleich mit dem Tenor-Wunder bringen soll?

Fragwürdig wird die Überblendung der Märchenhandlung mit der «Schwellen- und Entwicklungsproblematik» (Programmheft) im realen Fernost in dieser Inszenierung vor allem mit dem Charakter des modernen Protagonisten. Dieser Calaf träumt mehr von der Macht als von der Liebe. Im Gegenzug steht mit Paoletta Marrocu, die für die hochdramatischen Passagen wenig Reserven besitzt, aber in der klar fokussierten Stimme Leucht- und Durchsetzungskraft findet, eine recht fragile Turandot auf der Bühne, immer wieder auch bezaubernd durch ihre Ausstrahlung mädchenhafter Anmut, die weniger für die Grausamkeit als für den eigenen Glanz der alten Hochkultur steht. Und da irritiert nun José Cura in seiner Darstellung unverblümter westlicher Arroganz, die er cool ausspielt, unzimperlich auch im Einsatz stimmlicher Potenz, bei der er sich nonchalant um belcantistische Ideale foutiert, auch verquollene Mittellage und röhrende Höhe durchaus in Kauf nimmt: ein wenig sympathischer Held angesichts des bombastischen Finales – und einer Inszenierung, die sich mit diesem Finale so heiter arrangiert und damit den tenoralen Draufgänger absolviert.

Imponierende Substanz
Natürlich spielt die Problematik von Puccinis unvollendet hinterlassener Oper mit hinein: Der Tod Liùs und Timurs Lamento haben in ihrer Ausdehnung ja immer etwas von einem ahnungsvollen Hinauzögern dessen, was dann Schwierigkeiten bereiten wird: Elena Mosuç mit grosser Spannkraft für das grosse Appassionato der Arie und Pavel Daniluk mit innigem Ton gaben der Szene die ergreifende Dichte, mit der sie zum Höhepunkt der Oper wird. Unvergesslich inszeniert: Liùs Tod mit dem Sprung in die Tiefe, in die Timur, geführt von Calaf, dann hinabsteigt.

Nicht nur in Szenen wie dieser lässt die Neuproduktion die gemachten Einwände vergessen. Musikalische Qualitäten begeistern noch und noch: Orchester und Chöre zeigen sich in Hochform, in den insgesamt breiten, aber flüssigen Tempi und der ausladenden Dynamik, die Alan Gilberts souveränes Dirigat vorgibt, ist Klangsubstanz gefordert, die der Zürcher Opernapparat imponierend und scheinbar unerschöpflich herzugeben vermag. Zu besonderen musikalischen Glanzstücken des Abends gedeihen aber gerade auch die Szenen virtuos lockerer Musikantik im Zusammenspiel des Orchesters mit dem hervorragenden Masken-Trio Gabriel Bermudez, Andreas Winkler und Bouslaw Bidzinski. Ein fesselnder Abend also in mancher Hinsicht.

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Neue Luzerner Zeitung

11. 04. 2006 / Fritz Schaub

Die Rätsel mit dem Laptop gelöst

Puccinis «Turandot» als spektakuläre Arena-Oper oder als Vehikel für aktuelle Problemstellung? Die Zürcher Neuinszenierung möchte beides unter einen Hut bringen.

Fernsehbilder der Tagesschau am späten Sonntagabend: Vor der Skyline von Schanghai werden Passanten über ihre Meinung zum bevorstehenden Auftritt der «Rolling Stones» befragt. Für die Jungen seien diese kein Begriff, meint eine Passantin, nur die über Vierzigjährigen, die als Erste in China Rockmusik gehört hatten, würden ans Konzert gehen. Aber leisten könnten sich dies bei Preisen bis 500 Franken nur die Neureichen.

Szenenwechsel: Am Ende von Puccinis «Turandot»- Premiere im Zürcher Opernhaus verschwindet der monumentale Kaiserpalast und gibt die Skyline auf eine hypermoderne Stadt (Schanghai?) frei, während aus dem verliesartigen Trichter der Chor heraufsteigt und sich über die ganze Bühne verteilt nicht mehr versklavt in den gepanzerten altchinesischen Kostümen, sondern in bunter, leichter Westkleidung.

Der Prinz aus dem Westen
Möglich gemacht hat dies der unbekannte Prinz Kalaf, der als Erster die drei Rätsel der Prinzessin Turandot löst und damit sinnbildlich eine verkrustete Vergangenheit aufbricht. Dieser Kalaf in der Inszenierung von Giancarlo del Monaco, dem Sohn des berühmten Heldentenors, ist ein Westler mit Kurzhaarschnitt, schwarzer Lederjacke und dunkler Sonnenbrille. Bei der Rätselszene zündet er sich leger eine Zigarette an und nimmt ein Laptop hervor. Ein paar Manipulationen und das, was Hunderte vor ihm vergeblich versucht haben und daher um einen Kopf kürzer gemacht wurden, ist erreicht.

José Cura, der argentinische Startenor, wird dem Macho- und Imponiergehabe, das zweifellos in der Rolle angelegt ist, gerecht und ist mit seinem füllig-dunklen, in der Höhe mächtig gleissenden Tenor an den Höhepunkten jeweils eindrücklich präsent. Den Pavarotti-Schlager «Nessun dorma ...» singt er auf dem Rücken liegend, aber eben nicht als isolierte Arie, sondern als Überleitung zwischen der Orchestereinleitung und der nachfolgenden grossen Chorszene.

Lyrik und Hochdramatik
Zu dieser Sehweise passt, dass man für das Finale die gekürzte Fassung von Puccinis unvollendet hinterlassenem dritten Akt wählte, in der die Eroberung der Prinzessin doch eher einer Vergewaltigung gleichkommt. Diese Prinzessin alias Paoletta Marrocu vermag nach der Kussszene noch Reserven freizumachen und steigert sich mit ihrem höhensicheren, biegsamen Sopran nach eher vorsichtigem Beginn imponierend.

Dass Puccini sich in diesem «Lyrischen Drama» nicht so weit von seinem früheren Schaffen entfernt hat, wie immer behauptet wird, macht Elena Mosuc als Liu mit wunderbar phrasierten Kantilenen bewegend spürbar. Der Dirigent Alan Gilbert setzt hingegen mit dem Orchester der Oper Zürich und dem durch Zusatzchor und Jugendchor verstärkten Chor effektvoll mehr auf geballte musikalische Ladungen und explosive Höhepunkte, beinahe als gelte es, die Arena von Verona oder das Hallenstadion zu füllen, kostet auch das chinesische Kolorit eher opulent als dezent aus.

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Neue Zürcher Zeitung

11. 04. 2006 / Marianne Zelger-Vogt

Masse und Macht

Puccinis «Turandot» im Zürcher Opernhaus

Lange ist Giacomo Puccinis chinesische Märchenoper «Turandot» in Zürich nicht mehr aufgeführt worden, seit der Festwochen-Produktion von 1988 im Hallenstadion. Doch es scheint, als sei die Zeit stillgestanden. Monumental ist die grau-grüne Wandkonstruktion, die Peter Sykora entworfen hat, exotisch-pittoreske Akzente setzen seine Kostüme, und das mit Totenmasken dekorierte Kabinett, in dem die drei Minister am Hof der männermordenden chinesischen Prinzessin (Ping: Gabriel Bermúdez, Pang: Andreas Winkler, Pong: Bogusaw Bidziski) sich nach idyllischer Häuslichkeit sehnen, wirkt makaber und grotesk wie die Szene selbst. Nicht sehr elegant dann allerdings die Entsorgung dieses Raums im Bühnenhimmel, bevor wieder die Palastfassade zum Vorschein kommt. Das Volk beziehungsweise der Chor verschmilzt als gesichtslose, bald wogende, bald erstarrte Masse mit dem Mauerwerk. - «Turandot» in Breitwand- Format, wie gehabt.

Eine auf die Dimensionen der Opernhausbühne zugeschnittene alternative, intimere Lesart scheint der Regisseur Giancarlo del Monaco nicht in Betracht gezogen zu haben, so wenig wie die Aufführung Gebrauch macht von Luciano Berios neu komponiertem Schluss. Vielmehr wird die altbekannte Version Franco Alfanos verwendet, der das von Puccini unvollendet hinterlassene Werk aufgrund von Skizzen eher behelfsmässig denn inspiriert fertig gestellt hat. Da steht auch der Dirigent Alan Gilbert auf verlorenem Posten. Er hält den grossen Apparat fest im Griff, stellt mit dem Orchester die explosive Dramatik der Musik in aller Schärfe heraus, versteht sich aber auch auf die raffinierten koloristischen Effekte von Puccinis Exotismus.

Del Monacos Personenführung bleibt bei so viel Ausstattungspomp summarisch. Turandot, die «mit Eis umgürtete Prinzessin», die, traumatisiert durch die Vergewaltigung einer Ahnin, ihre Freier mittels unlösbarer Rätsel scharenweise dem Henker ausliefert, hält sich meist im Hintergrund der Bühne auf, was den ohnehin nicht voluminösen, wenig durchschlagskräftigen Sopran von Paoletta Marrocu zusätzlich strapaziert. Dass sich mit dieser Sängerin eine andere, nicht brutale, sondern verletzliche, verängstigte Turandot hätte kreieren lassen, diese Chance hat der Regisseur nicht genutzt. Sein Augenmerk gilt weit mehr Calaf, dem unbekannten fremden Prinzen, der gleichsam als Ausserirdischer im Kaiserpalast landet, während seine Begleiter - die in weitgespannten, kunstvoll ausmodellierten Phrasen mit grosser Ausdruckskraft singende Liù von Elena Mouc und der stimmlich noble Timur von Pavel Daniluk - als gewöhnliche Wanderer daherkommen.

Das hier gezeichnete Rollenbild Calafs passt wie massgeschneidert zu José Cura und seinem dunklen, mehr mit Kraft und Druck denn geschmeidig geführten Tenor. Lässig verkörpert er den Macho pur, dem es nicht um Liebe, sondern um Eroberung und Macht geht. Es bleibt dabei kein Klischee ausgespart, weder die schwarze Lederjacke noch die Sonnenbrille und der gelangweilte Griff zur Zigarette beim Auftritt des Kaisers Altoum (Miroslav Christoff) - wann endlich wird das Rauchen auch auf den Bühnen verboten? Etwas Besonderes hat sich der Regisseur für Calaf aber doch ausgedacht: Er ist ein technologisch hoch aufgerüsteter Westler und löst die drei Rätsel Turandots nicht kraft seiner Intuition, sondern mit Hilfe eines Laptops.

Am Schluss wandelt sich nicht nur die Prinzessin, von Calaf aus ihrer zeremoniellen Kleiderpracht befreit, ihr ganzes altes Reich beugt sich der Kultur des Fremden. Das Volk erscheint plötzlich in westlicher Gewandung, Verlobung gefeiert wird mit Champagner, während im Hintergrund die moderne nächtliche Skyline von Schanghai sichtbar wird, fragwürdige Reverenz an die dortige Oper, die als Koproduzentin diese Zürcher Inszenierung übernehmen wird. - Hier hat sie durchaus Effekt gemacht, das Premierenpublikum applaudierte kräftig.

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St. Galler Tagblatt

11. 04. 2005 / Verena Naegele

Das hohe C des Neoliberalismus

Ärgerliche «Turandot» am Opernhaus Zürich

Das hat Seltenheitswert am Opernhaus Zürich: ein Premierenabend zum Kopfschütteln. «Turandot» à la Giancarlo del Monaco machte es möglich.

Da steht er, der Calaf des José Cura, lässig, eine Zigarette in den Mundwinkel geklemmt, mit Lederjacke und schwarzer Jeanshose, und hört sich paffend die Warnungen des chinesischen Kaisers Altoum (Miroslav Christoff) an. Umringt ist er von Dutzenden chinesischer «Chor-Zombies», die wie in einem Science-Fiction-Film die «Bösen» von einem anderen Stern darstellen. Wir befinden uns kurz vor den drei Fragen, die Turandot ihrem Brautwerber stellt, sie und ihre Entourage in traditioneller chinesischer Tracht von «anno dazumal», er im westlich-modernen Dandylook.

Es ist die entscheidende Szene in dieser verqueren Inszenierung von Giancarlo del Monaco: das direkte Aufeinanderprallen zweier soziokultureller Welten in einer Deutung, die an Naivität nichts zu wünschen übrig lässt. Hier das blutrünstig barbarische China der Antike, da das aufgeklärte neo-liberale Wirtschaftswunder der Gegenwart.

Calaf, mit arroganten Gesten, bewältigt die drei Fragen spielend, dank eines Laptops, auf dem er eifrig googelt. Der intellektuelle Computerfreak beantwortet die Fragen um Liebe, Hoffnung und Tod – ein sinnfälliges Paradoxon.

Kolonialarroganz
In der Pause fragt man sich, ob solche Kolonialarroganz noch bestraft wird. Doch weit gefehlt: Im Schlussduett befreit Calaf seine Turandot aus den Barbarenfesseln, der düster-geklotzte Hintergrund (Ausstattung Peter Sykora) öffnet sich, und im Hintergrund erscheint die einladend blinkende Skyline von Shanghai. Derweil servieren die zu modernem Kellner und Starkoch mutierten Ping, Pang und Pong Calaf und seiner «befreiten» Turandot im atemberaubenden Abendkleid ein Cüpli – Happy End, Vorhang.

Die Machorolle des Calaf ist José Cura wie auf den Leib geschrieben, er bewältigt sie mit Bravour. Seine vor Kraft strotzende Stimme kommt allerdings aus der Kraftmeierei nicht heraus, lyrische Zwischentöne und schöne Phrasierungen liegen dem Tenor wenig. Machtvoll unterstützt wird er darin durch das Opernhausorchester unter Leitung von Alan Gilbert. Und man fragt sich, was mit diesem Klangkörper passiert ist, der sonst eine so wunderbare Klarheit, farbige Differenziertheit und Legatokunst zeigt. Unter Gilbert war dickes Musizieren angesagt, Unsauberkeiten schlichen sich ein und von instrumentaler Differenziertheit der Puccini'schen Partitur war herzlich wenig zu hören.

Hang zum Bombastischen
Natürlich überwiegt in «Turandot» die grosse Geste mit opulenten Chören, aber es gibt auch Zwischentöne, eine feinnervige Instrumentation mit Celesta, Harfe oder chinesische Gongs und eine pittoreske Melodik. Unter dem Hang zum Bombastischen litt auch das Rollendebüt von Paoletta Marrocu als Turandot, denn die Intonationsschwächen und fehlende Durchschlagskraft waren in ihrer Monsterrolle unüberhörbar. Maroccus Lirico-Spinto-Stimme ist einfach zu schwach für diese hochdramatische Partie.

Die Herren Gabriel Bermudez (Ping), Andreas Winkler (Pang) und Boguslaw Bidzinski (Pong) gaben ein stimmlich agiles Trio, obwohl sie in ihren witzig-ironischen Intermezzi von Regie und Orchester arg im Stich gelassen wurden. Das allgemein behäbige Pathos des Abends lichtete ein hell klingender, in Phrasierung und Ausdruck wunderbar musikalisch geführter Sopran auf. Elena Mosuc sorgte als Liu für den einzigen Glanzpunkt des Abends und zeigte, was «Turandot» auch sein könnte.

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Tages-Anzeiger

11. 04. 2006 / Susanne Kübler

Mit dem Laptop an die Macht

Das Zürcher Opernhaus präsentiert Giacomo Puccinis «Turandot»: sehr laut und ziemlich zynisch.

«Welches Eis vermag dich zu entflammen?» Die Antwort auf die Frage («Turandooooot!») weiss nur Google, jedenfalls in der Zürcher Aufführung von Puccinis letzter Oper, wo Prinz Calaf die Rätsel der grausamen Prinzessin per Laptop löst. Das beschert ihm einerseits Turandots Gunst (von Liebe mag man in diesem Macht-Stück nicht sprechen), andererseits einen wohl eher nicht intendierten Heiterkeitserfolg beim Publikum. Der Clash der Zeiten, den Regisseur Giancarlo del Monaco und sein Ausstatter Peter Sykora hier auf die Bühne bringen, hat seine Tücken.

Da gibt es auf der einen Seite die streng ritualisierte Welt eines archaischen China, in der ein Turandot-Verehrer nach dem anderen geköpft wird, in der die Figuren dicke weisse Schminke tragen und eigenartige Handbewegungen machen. Und es gibt auf der anderen Seite das wandelnde Prolo-Klischee Calaf, mit Lederjacke, Sonnenbrille und einer Zigarette, die er auf dem Boden des Jadepalasts austritt. Es ist ein imposanter Palast, wie überhaupt alles imposant ist in dieser Aufführung, die als Koproduktion mit dem Shanghai Opera House entstanden ist: Die üppigen und wirklich schönen Kostüme, die in Shanghai genäht worden sind; die grauen Chormassen, die immer wieder aus dem Untergrund auf eine Tribüne klettern; das makroskopisch überzeichnete Zittern des alten Timur.

Sinfonische Soundkeule
Die Musik mag da nicht zurückstehen. Laut lässt der amerikanische Dirigent Alan Gilbert das Orchester der Oper spielen, sehr laut und sehr effekthascherisch. Für Details wie präzises Zusammenspiel oder Koordination mit der Bühne bleibt da nicht viel Energie übrig. Die erste Szene mit den Ministern Ping, Pang und Pong etwa wurde bei der Premiere am Sonntag gründlich versiebt, und die Chinoiserien, die Puccini ausgiebig und auf Grund durchaus subtiler Klangvorstellungen eingestreut hat, wurden mit der sinfonischen Soundkeule geradezu erschlagen.

Da erstaunt es kaum, dass Gilbert für den unvollendet gebliebenen Schluss der Oper auf Franco Alfanos hochpathetische, zwar gängige, aber oft kritisierte Vervollständigung von 1926 zurückgreift. Die differenzierte Brüchigkeit von Luciano Berios 2002 komponierter Ergänzung hätte zu seinem Klangideal ebenso wenig gepasst wie der frenetische Premierenapplaus zur Qualität der Aufführung.

Champagner fürs Powercouple
Denn auch den Sängerinnen und in Sängern kann man nach dieser Premiere fast nur zu ihrer Phonstärke gratulieren. José Cura setzte als Calaf ganz auf tenorale Kraftmeierei und nahm dabei das belcantistische Von-irgendwoher-Ansingen der Töne ebenso in Kauf wie die massive Umfärbung der Vokale («silanzio»). Paoletta Marrocu, die man auf dieser Bühne schon wirklich grossartig hat singen hören, hatte ebenfalls nicht ihren besten Abend; die Intonation in der Höhe war prekär, und nicht alles, womit sie ihren klaren Sopran rollengemass verhärtete, klang nach Edelmetall.

Einfacher hatte es da Elena Mosuc als Sklavin Liù, die dank der (etwas) intimeren Begleitung nicht nur trompeten musste, sondern auch lyrischere, ruhigere Töne anschlagen konnte. Auch der von Jürg Hämmerli wie immer einwandfrei vorbereitete Opernhauschor versuchte sich zwischen den stahlharten Aufrufen zum Weitermorden zuweilen im Pianissimo; es klang schön, wenn man etwas davon hörte.

Liùs Selbstmord im 3. Akt sorgte dann kurz für Erschütterung: Dass da eine für die Liebe ihr Leben lässt, ist doch eine rührende Episode. Aber sie ist schnell vergessen, Giancarlo del Monaco lässt sich das Happyend, dem schon viele Regisseure zu Recht misstraut haben, nicht vermiesen. So bringt Calaf die eisige Turandot mit dem zum Schmelzen, was man wohl unter Latin-Lover-Sinnlichkeit verstehen müsste; die Jadewände verschwinden und geben den Blick frei auf die nächtliche Skyline des heutigen Peking.

Auch vorne auf der Bühne, wo das Powercouple seine «Liebe» zelebriert, ist man in der Gegenwart angekommen. Das Tischtuch ist weiss, Turandots Abendkleid rot, die Kerze brennt, der Champagner steht kühl, und Ping, Pang und Pong, nun mit Kochmütze und Kellnerfrack, fragen nach den kulinarischen Gelüsten des aparten Paars. Calaf trinkt auch dem Publikum zu. Prost.

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Zürcher Oberländer

11. 04. 2006 / Sibylle Ehrismann

Tradition kontra Labtop- Liebe

Am Zürcher Opernhaus hatte Puccinis letzte Oper «Turandot» Premiere: Aufwändig in Szene gesetzt, im Ganzen gesehen aber unbefriedigend.

Die «Turandot» von Puccini ist eine von der riesigen Besetzung und von den gesangstechnischen Schwierigkeiten her immense Herausforderung. Die Neuproduktion am Opernhaus Zürich unter der musikalischen Leitung von Alan Gilbert und in der Regie von Giancarlo del Monaco ist in mehrerer Hinsicht bedenklich. Diese Co-Produktion mit dem Shanghai Opera House enttäuscht vor allem im Musikalischen. Aber auch szenisch wird eine westliche Arroganz gegenüber einer fernöstlichen Hochkultur ausgespielt, die schon fast skandalöse Züge trägt.

Märchen wie aus 1001 Nacht
Die chinesische Prinzessin Turandot setzt alles daran, nicht heiraten zu müssen. Alle Prinzen-Bewerber zahlten mit ihrem Leben, weil sie die drei Turandot-Rätsel nicht auflösen konnten. Dieser blutrünstige Männerhass hat seinen Ursprung in einer vergewaltigten Urahnin, welche die Prinzessin nun rächt.

Auch um den «Fremden», den verbannten Prinzen Kalaf ist es geschehen. Er verliebt sich beim ersten Anblick unsterblich in die chinesische Schönheit. Er schlägt alle Warnungen in den Wind und opfert sogar die ihm in Liebe treu ergebene Sklavin Liú, die lieber in den Tod geht, als ihn zu verraten. Er weiss die Rätsel zu lösen und vermag schliesslich das Eis im Herzen der Prinzessin zu schmelzen. Es siegt die Liebe.

Puccini wollte es, als er die «Turandot» in Angriff nahm, noch einmal wissen. Ein grosser «Aida»-Stoff sollte her, exotisch und doch repräsentativ. Die Komposition dieser komplexen, modernen und farblich schillernden Partitur war sein letzter Kraftakt - er konnte sie nicht mehr vollenden. Was ihm jedoch in diesem «lyrischen Drama» an musikalischen Zwischenwerten, an kraftvoller und doch märchenhafter Farbgebung gelingt, trägt die Handschrift des erfahrenen Altmeisters.

Die musikalische Leitung der Zürcher «Turandot» liegt in den Händen des asiatisch-amerikanischen Dirigenten Alan Gilbert. Dass er ausgerechnet mit der schwierigen «Turandot» sein Puccini-Debüt gibt, und das erst noch an einem so renommierten Haus, ist erstaunlich genug. Selten hörte man das Opernhausorchester derart grob koordiniert, unsensibel wuchtig und undifferenziert wie an diesem Premierenabend. Auch die dynamischen Zwischenwerte, die bei Puccinis Klangfantasie so wichtig sind, wurden kaum zur Kenntnis genommen. Vielmehr gerieten die leisen innigen Stellen auch noch zu dramaturgischen Absackern. Dieses extravertierte Potenzieren der Lautstärke und die Schärfung des sonst üppigen Puccini-Klangs übertrug sich auch auf die Sängerinnen und Sänger. Alles, auch die Regie, richtete sich ganz auf José Cura aus, den argentinischen Star-Tenor mit gewaltigem Stimmvolumen. Cura trägt als Einziger auf der Bühne moderne Kleidung mit schwarzer Lederjacke, T-Shirt und schwarzen Jeans. Und er spielte den ganzen Abend lang vor allem sich selber aus. Auch der Dirigent liess ihn frei gewähren.

Macho mit Labtop
Curas Kalaf ist ein selbstgefälliger Potenz-Strotzer, der während der kaiserlichen Zeremonie vor den verhängnisvollen Rätseln cool eine Zigarette anzündet und ungeduldig die Hand schwenkt, weil ihm diese Zeremonie zu lange dauert. Die Rätsel löst er ebenso cool, indem er mit seinem Labtop das Internet befragt, und die Minister tut er mit Macho-Gesten ab. So eindimensional, wie er szenisch gezeichnet wird, singt er auch. Grossartig natürlich, voller Kraft, aber ziemlich monochrom.

So lustig diese coole Arroganz gegenüber dem tausendjährigen Kaiserreich im ersten Moment auch sein mag - es spiegelt sich in ihr die kulturlose Arroganz unserer «Labtop-Grössen» gegenüber einer fernöstlichen Kultur.

Der eigentliche Theater-Coup kommt aber erst noch. Im Schlussduett, das Puccini eben nicht mehr komponierte, brechen die kaiserlichen Mauern auseinander und es erhebt sich im Hintergrundprospekt eine moderne Skyline-Stadt, in die Kalaf seine Prinzessin überführt. (Haben nicht erst vor ein paar Jahren Flugzeuge solche protzigen Hochhäuser zerstört?) Und die eroberte Prinzessin wird aus ihrem chinesischen Gewand geschält, wandelt sich zu einem glamouröses Party-Girl und wird zu einem Cüpli-Diner geladen.

Der Chor auf den Knien
Das Schöne an diesem Abend sind die chinesischen Gewänder (Ausstattung Peter Sykora), die bunten üppigen Stoffe in einem arenaartig aufgebauten Kaiserpalast-Gemäuer. Der grosse, möglichst anonym gehaltene Chor taucht jeweils aus dem Untergrund auf und bevölkert auf allen Vieren krabbelnd die Stufen der Arena. Die grauen lumpigen Gewänder stehen in starkem Kontrast zu den farbigen Seidengewändern der Obrigkeit. Erst am Schluss, wenn der Cüpli-Held seinen Macho-Triumph feiert, erscheint der Chor in modernem Gewand, individualisiert und pseudo-frei.

Die musikalischen Anforderungen an den Chor sind gross. Doch auch von ihm wird vor allem Steigerung ins Fortissimo verlangt, es wird zu wenig geatmet und chorisch gemischt, und die Koordination mit dem Orchester stand mehrmals auf Messers Schneide. Am Exponiertesten aber ist die Partie der Turandot, eine der schwierigsten Sopranpartien überhaupt. Paoletta Marrocu verfügt zwar über eine interessante, aber etwas zu leichte Stimme für diese Partie. Sie gab in ihrem Rollendebut alles, vor allem in der Lautstärke, und intonierte anfangs in der hohen Lage kaum einen Ton richtig. Sie konnte sich im zweiten Teil des Abends zwar etwas fangen, blieb aber zu eindimensional im Ausdruck.

Um so dankbarer war man Elena Mosuc in der Rolle der Sklavin Liú. Natürlich hat ihr Puccini auch die lyrisch innigen Melodien zugeschrieben. Doch was Mosuc dabei bis in die feinsten Nuancen hinein gestalterisch an den Tag legte, war umwerfend. Auch das komische Minister-Trio Ping, Pang und Pong vermochte sängerisch zwar eine Spielfreudigkeit durchschimmern zu lassen; szenisch aber wurden die drei eher einfallslos geführt. Verbleiben noch Pavel Daniluk als stimmlich eher «blasser» Timur, und Miroslav Christoff als überraschend inniger Kaiser Altoum.

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Zürichsee-Zeitung

11. 04. 2006 / Werner Pfister

Das Spiel vom Spiel im Spiel

Viel Aufwand auf der Bühne und viel Applaus zum Schluss: Das lebensbedrohliche Spiel um die eisumgürtete, männermordende Prinzessin entpuppt sich letztlich als Farce.

Wenn Opernregisseuren zu einem Stück nichts Genuines einfallen will, bleibt immer noch der Ausweg, das Stück als ein Traum vom Stück zu inszenieren. So neulich am Opernhaus Zürich mit «La Favorite». Giancarlo del Monaco wählt nun den anderen - ebenso viel begangenen - Ausweg: Er inszeniert Puccinis «Turandot» als Spiel im Spiel, was in letzter Konsequenz heisst: Alle tun nur so, als ob.

Nur weiss das der Zuschauer nicht von allem Anfang an und ist vielleicht verdutzt, wenn der in Liebe entbrannte Calaf vor der Rätselszene, wo es bekanntlich um Leben und Tod geht, mit einer Nonchalance, die schon fast ans Unerträgliche grenzt, eine Zigarette raucht. Es geht ihm alles zu lange, man sieht es ihm an; er möchte, dass Turandot endlich die drei Rätselfragen stellt.

Um die Antworten ist er, ein Easy-Winner-Typ in jeder Hinsicht, nicht verlegen - klappt behände einen Laptop auf (das Publikum lacht amüsiert) und gibt die Rätselfragen in den Computer ein: Google weiss alles. Zum Schluss löst sich die düstere Szenerie aus dem vorzeitlichen China im globalen Heute auf: Im Hintergrund wird eine weltstädtische Metropole mit Skyscraper-Skyline sichtbar; Turandot und ihr Calaf setzen sich an einen weissgedeckten Tisch und stossen mit Champagner an: eine vorgezogene Premierenfeier sozusagen.

Zwergmensch
Eigentlich hätte man alles ahnen können. Calaf tritt nämlich von Anfang an mit lässiger Sonnenbrille auf, ganz Latin Lover und Herzensbrecher nach heutigem Klischee, der sich scheinbar in ein China aus märchen-mythischer Vorzeit verirrt hat. Viel Ausstattungs-Aufwand fürs Auge wird betrieben, üppige Kostüm-Orgien à la chinoise; und auch im Personal wird - bis hin zum Auftritt eines chondrodystrophischen Zirkus-Zwergmenschen - mit klischierten China-Vorstellungen nicht gespart.

Recht unbeschwert geht es in den Ping-Pang-Pong-Szenen zu - statt mit herkömmlicher Opernattitüde gestikulieren sie wie im chinesischen Schattenboxen. Das hat einen Hang zur Komik, was dem weltverloren-melancholischen Ernst ihres Heimweh-Gesanges zu Beginn des zweiten Aktes zuwiderläuft. Ähnliche atmosphärische Brüche ergeben sich auch durch das massive Bühnenbild: Mauern, nichts als Mauern, der Chor steht reihum im Arena-Halbrund statischer Zuschauer; und das alles in einer starren Jade-Architektur, möglicherweise sogar in einem unterirdischen Verlies. Dabei müsste eigentlich die ganze Oper im Freien spielen, und dann käme der berühmte Mond-Chor auch zu adäquater Wirkung. So aber verpufft die Wirkung, bleibt gleichsam Zitat.

José Cura hat Klasse
Zitiert wird - nur im Programmheft - auch eine Passage aus Sigmund Freuds Aufsatz «Das Tabu der Virginität», wo es um Penisneid und die daraus resultierende «feindliche Erbitterung des Weibes gegen den Mann» geht. Genau darin, durch ihre tiefenpsychologisch motivierte Personencharakteristik, ist «Turandot» trotz ihres chinesischen Märchen-Kolorits höchst aktuell ihrer Entstehungszeit verbunden. Und genau darin, so möchte man weiter argumentieren, erinnert sie an vergleichbare Opernheroinen aus derselben Zeit, an Elektra, Lulu oder Salome. Doch auf der Bühne ist davon nichts zu ahnen; vielmehr liest sich das, als wollte man uns nur den Speck durch den Mund ziehen.

Auf musikalischer Ebene leidet die Neuinszenierung an einer fehlbesetzten Protagonistin. Paoletta Marrocu kämpft als Turandot um die hohen Töne, die oft schmerzlich zu tief kommen; und sie kämpft um die tiefen, die nur ansatzweise Resonanz, aber viel Vibrato haben. Das schmälert ihre Ausstrahlung derart, dass es für José Cura als Calaf ein Leichtes ist, die Bühne raumgreifend zu beherrschen. Er kann es sich leisten, sein «Nessun dorma» entspannt ausgestreckt auf dem Rücken liegend zu singen. Obwohl er, mit seinem dunkel timbrierten Tenor, manchmal in wilder Ehe mit den Gesangsphrasen lebt, überzeugt er, gesanglich wie darstellerisch, durch sein packendes, vitales Draufgängertum. Das hat Klasse.

Elena Mosuc gibt eine ansprechende Liù, gesanglich wunderschön phrasiert, in der Darstellung allerdings von der Regie ziemlich im Stich gelassen. Pavel Daniluk stattet den alten Timur mit bassgewaltigen Balsamtönen aus, und Gabriel Bermúdez, Andreas Winkler und Boguslaw Bidzinski überzeugen als Ping, Pang und Pong durch stimmliche und darstellerische Wendigkeit. Ein grosses Lob verdient der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor (und Zusatzchor und Jugendchor) des Opernhauses: satte Klänge in allen Stimmlagen.

Dirigent Alan Gilbert lässt der Partitur bemerkenswerte Sorgfalt angedeihen. Seine kraftvollen, aber nie allzu grellen Klangfarben geben der Musik Glanz, aber auch Poesie, und das Orchester der Oper Zürich geizt nicht mit vollmundiger instrumentaler Opulenz. Viel Applaus zum Schluss, Begeisterungsstürme für alle - dem Publikum hat es sehr gefallen.

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