Aufführung
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21. 2. 2004 (Première)
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Musikalische Leitung: Nikolaus Harnoncourt
Inszenierung: Jürgen Flimm Bühnenbild: Annette Murschetz
Kostüme: Birgit Hutter
Lichtgestaltung: Rainer Traub
Chor: Ernst Raffelsberger Choreographie: Catharina Lühr
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Grande-Duchesse: Marie-Ange Todorovitch Wanda: Martina Janková
Fritz: Christoph Strehl Géneral Boum: Carlos Chausson
Prince Paul: Deon van der Walt
Baron Puck: Andreas Winkler
Baron Grog: Volker Vogel Népomuc: Rudolf A. Hartmann
Rita of Broadway: Megan Laehn
SYNOPSIS
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Rezensionen
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23. 2. 2004
Krieg als nettes Fasnachtssujet
Gratwanderung: Offenbachs «La Grande-Duchesse de Géroldstein» in Zürich
Wer ein Hoch auf das lustvolle Genre Operette singt, und trotzdem zeigen will, welcher Ernst dahinter steckt, bürdet sich viel auf. Zu viel?
Christian Berzins
Die Fasnacht geht vorbei - nichts wie hin», so titelten wir vor sechs Jahren, als Jürgen Flimm in Zürich Jacques Offenbachs Opéra bouffe «La Périchole» inszenierte. Von einer Kabarettvorstellung für gehobene Ansprüche sprachen wir damals. Nun zeigt das Opernhaus Zürich in einer Koproduktion mit der Styriate Graz Offenbachs Opéra bouffe «La Grande-Duchesse de Géroldstein». Wieder könnte man zu denselben Worten greifen, wieder führt Jürgen Flimm Regie.
Es geht in diesem Werk um eine Fürstin, die vor Langeweile Krieg anzettelt und den Soldaten Fritz zum adligen General macht, damit sie mit ihm ins Bett steigen kann. Doch Fritz weist sie zurück, wird degradiert und heiratet seine Wanda. Ohne Zweifel ist es möglich, aus dieser Handlung Bezüge zur Gegenwart zu schaffen. Doch was heisst es, wenn George W. Bush ins Opernhaus anruft? Was solls, wenn Amerika persifliert wird? Flimm mag bald noch so extrem zeigen, wie grässlich Krieg ist, mag noch so viele Brechungen in diese Operettenseligkeit legen, seine Inszenierung bleibt bunter Karneval mit dem Motto «Krieg».
Telefonvoting: Und niemand macht mit
Mag man anfänglich über ein über die Bühne kriechendes Krokodil, Soldaten mit Taucherbrille und Indianerschmuck oder einen Sänger auf Rollschuhen lachen, wirken solche Einschübe bald ermüdend. Der Regisseur überzeichnet die meisten Figuren so sehr, dass sie rührend sind oder gar nicht mehr ernst genommen werden. Das heisst aber, dass wir keine Handlung mitverfolgen, sondern einer (gar plumpen) Parabel zuschauen.
Nichts wird unterlassen, um eine authentische «Opéra bouffe»-Stimmung aufkommen zu lassen. Selbst das heutige Showbusiness wird einbezogen: Die Zuschauer werden aufgefordert, ihre Mobiltelefone nicht abzuschalten, da man sie noch brauchen werde: Telefonvoting in der Oper! Niemand macht mit. Wir sind nun mal nicht im Pariser Variété-Theater von 1867, können nicht in dieses Werk eintauchen, in ihm nichts Aktuelles sehen. Wir können nur mehr aus Distanz zusehen - zu ihm auf Distanz gehen. So lacht man denn, wenns nichts zu lachen gibt.
Dirigent in Uniform
Immerhin steht ein spielfreudiges Ensemble auf der Bühne. Es zeigt, wie schön es singen kann, aber auch, wie fähig man ist, mal dem Wort oder dem Spiel mehr Gewicht zu geben. Marie-Ange Todorovitch ist eine hinreissende Grande-Duchesse. Christoph Strehl (Fritz) wagt mit seinem zarten Tenor wahre Bocksprünge, selbst Martina Jankova kann ihren so edlen und warmen Sopran bis zur Überzeichnung führen. Mit Carlos Chausson, Deon van der Walt, Volker Vogel und Rudolf A. Hartmann sind auch die zweiten Rollen glänzend besetzt.
Und dann steht da natürlich Nikolaus Harnoncourt (in Uniform) am Orchesterpult, zeigt dirigierend, dass er fest an die Meisterwerkqualitäten von Offenbachs «Duchesse» glaubt. Man bestaunt, wie fordernd diese Musik ist, bewundert ihre zarten Seiten, ist überrascht, wie vielschichtig sie sein kann und wie es Harnoncourt immer wieder versteht, Dinge zu betonen, die verstörend wirken. Und doch hat man zum Schluss genug von den knalligen Rhythmen wie vom bunten Treiben und mag nur mehr brav klatschen.
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23. 2. 2004
Offenbachs «La Grande-Duchesse de Gérolstein» im Opernhaus
Fasnachts- Klamauk
Von Roger Cahn
Die Musik ist spritzig wie Champagner. Die Story müffelt wie faule Äpfel und die Produktion erdrückt alles im Sauglattismus. Am Samstag war Premiere von «La Grande-Duchesse de Gérolstein» im Opernhaus.
Zürcher Fasnacht auf der Opernbühne: Musik und Thema kommen aus Paris, der Dirigent aus Österreich, der Regisseur aus dem Rheinland. Alles importiert. Ziel der Übung: Lustig solls sein.
Jacques Offenbach (Paris) liefert den Stoff. Nikolaus Harnoncourt (Österreich) will das Genre «Operette» entstauben. Und Jürgen Flimm (Rheinland) bringt sein Anliegen auf den Punkt: «Gérolstein ist ein klitzekleines Land auf dem grossen Kontinent der Operette. Die Grossherzogin regiert, die Armee marschiert, der General füsiliert, der Hof intrigiert.» Und am Schluss wird geheiratet, und zwar den Falschen.
Offenbach dient Flimm als Vorlage zu einem Riesenklamauk. In einem heruntergekommenen Pariser Salon der Belle Époque (Bühnenbild: Annette Murschitz) - auch das Orchester mit Dirigent in Militärkapellen-Kostümen ist integriert - werden Puppen zu Menschen, die sich ständig wieder in neue Klamotten (Kostüme: Birgit Hutter) stürzen müssen.
Dazwischen wird auch gesungen. Grösstenteils gut. Marie-Ange Todorovitch in der Titelrolle sogar sehr gut. Das Publikum lässt sichs gefallen. Es bekommt viel zu sehen und zu hören, aber wenig zum Lachen. Zu dick wird alles aufgetragen. Sauglattismus erdrückt den Humor.
Dass Fasnacht durchaus geistreich sein kann, blitzte an der Premiere für einen kurzen Moment auf: Die Hofdame der Grossherzogin - von Flimm Rita of Broadway benamst - schickte einen Papierflieger in die Loge von Bundesrat Moritz Leuenberger. Dieser bedankte sich herzlich mit «Küsschen». Das war Humor vom Feinsten. Allerdings unvorhergesehen und unwiederholbar.
Fazit: Ein Abend bemühend und sauglatt - wie die Zürcher Fasnacht.
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23. 2. 2004
Weg mit dem Operetten-Staub!
Jacques Offenbachs «Grande-Duchesse de Gerolstein» am Opernhaus Zürich
Man kann Operette durchaus noch so spielen, dass sie ihren spritzigen Charme und kritischen Stachel behält - und gleichzeitig Spass macht: Am Opernhaus Zürich zeigen Jürgen Flimm und Nikolaus Harnoncourt mit Offenbachs «Grande-Duchesse de Gerolstein» einen möglichen Weg: szenisch anarchisch-clowneskes Spiel mit Assoziationen, Gags und Ideen.
Tobias Gerosa
Ach die Operette. Verschrien als Schmachtfetzen, reduziert auf Wunschkonzerthits und vor allem erstickt unter dickem Zuckerguss. Doch sie kann auch anders. Regisseure wie Hans Neuenfels mit seiner Salzburger «Fledermaus» oder Laurent Pelly mit «Orphée aux Enfers» (beide auf DVD nachprüfbar) haben es in letzter Zeit gezeigt, und am Opernhaus Zürich gelingt Jürgen Flimm mit seiner neuesten Arbeit (einer Koproduktion mit der Styriarte in Graz) eine weitere Möglichkeit: viel Tempo, clowneske Zuspitzung, gespickt mit Pointen der deftigeren Art, und gezielte Aktualisierung - aber sicher keine Verklärung.
Sprechende Requisiten
Die Handlung ist einfach: Die mannstolle Grossherzogin verguckt sich in den einfachen Soldaten Fritz und macht ihn kurzerhand zum General. Fritz besiegt das feindliche Heer, will statt der Grossherzogin aber weiterhin seine Wanda, worauf er sogleich wieder degradiert wird. Doch was erzählen Offenbach und seine Librettisten damit eigentlich? In kaum verhüllter Weise nehmen sie Verhaltensmuster aufs Korn, die nicht nur im Operettenstaat Gerolstein zu finden sind: Militarismus, aufgeblasene Eitelkeit und Machtwillkür. Mit historisierendem Naturalismus ist dem nicht beizukommen, auch wenn Brigitte Hutter sich in ihren Kostümen an der Entstehungszeit orientiert.
So hat Annette Murschetz ein Bühnenbild gebaut, das neben sprechenden Requisiten wie dem riesenhaften «Säbel des Herrn Papa» im Wesentlichen aus einem in weitem Bogen über die Bühne führenden Kran-Arm, einer Art Möbelfundus und einem Steg vorne ums Orchester besteht. Auf dem Kran werden Übertitel angezeigt, zuweilen der Text, genauso oft aber auch ironische Kommentare (vom Aufruf zum Telefon-Voting bis zu Zwingli). Wenn General Fritz in den Krieg zieht, hängt aber auch seine Armee wie Schweinehälften im Schlachthaus am Kran - und die Spässe bekommen einen bitteren Nachgeschmack.
Personal in die Baumulde
Zu entwickeln gibt es beim Personal kaum etwas. Es wird von Flimm puppenhaft inszeniert: So wie es zur Ouvertüre steif auf die Bühne getragen wird, muss es am Schluss wieder in der Baumulde entsorgt werden. Doch zuvor stolpern die Darsteller in ihren Nöten und Wünschen immer wieder über den Steg. Zwar meist ohne sichtbare Führung durch die Regie, aber mit ansteckendem Spass an der Sache, inklusive des immer wieder ins Spiel mit einbezogenen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt. Schon sein Auftritt in militärischer Uniform sorgt für Lacher. Aber auch das Ensemble kann sich sehen und hören lassen. Mit Carlos Chausson als General Boum auf Rollschuhen, Deon van der Walt als blässlicher Prinz Paul und Andreas Winkler als Mafia-Baron Puck sind die Verschwörer hochklassig besetzt. Martina Janková als (schwangere) Wanda macht deutlich, warum Fritz trotz Avancen der Landesherrin sie vorzieht.
Kein Körnchen Tradition
Christoph Strehl mit seinem hellen, technisch blendend geführten Tenor fügt seinem Repertoire eine weitere Rolle hinzu, in der er bald nicht nur in Zürich gefragt sein dürfte. Ein kleiner Mangel bei allen Genannten inklusive Jürgen Flimm: die französische Sprache (und der französische Stil). Auch hier setzt Marie-Ange Todorovitch in der Titelpartie das Glanzlicht: Ihr gelingt es am besten, die Impulse aus dem (hochgefahrenen) Orchestergraben aufzunehmen, wo Nikolaus Harnoncourt und das hochmotivierte Opernhausorchester die Musik brillant und hintersinnig schmachten und schmettern, lieben und marschieren lassen.
Kein Körnchen verstaubter Tradition bleibt liegen und von süssem Zuckerguss keine Spur. Und wenn ob der Gag-Flut die Musik auch bisweilen (durchaus gattungskonform) unterzugehen droht, zur Nebensache kann sie dank Nikolaus Harnoncourt nie werden.
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23. 2. 2004
Jacques Offenbach für die Spassgesellschaft
Jürgen Flimm im Pointenfieber: Die Opéra bouffe «La Grande-Duchesse de Gérolstein» missrät dem Regisseur zur karnevalesken Operetten-Betriebsamkeit, zum bunten Abend für die Spassgesellschaft.
Torbjörn Bergflödt
Üblicherweise bittet vor Vorstellungsbeginn der Hausherr, das Handy auszuschalten. Diesmal ist alles anders. Das Band bleibt stumm. Auf Wanderschaft in der Übertitelungsanlage wird unter anderem die Meldung geschickt: «Bitte schtelled Sie Ires Händi nüd ab (Si wärdet's no bruuche ...).» Und eine dem gegebenen Stück hinzuerfundene langbeinige Schönheit, im Besetzungszettel «Rita of Broadway» genannt und gespielt von Megan Laehn, hat bald einmal George W. Bush am Handy.
Es ist Offenbach-Premiere. Und Fastnachtszeit. Offenbach stammte aus Köln, einer Karnevalshochburg. Auch der Regisseur des Abends, Jürgen Flimm, hat rheinländische Wurzeln. Mit karnevalesk anspringender Betriebsamkeit, wie Gag-Maschinisten, die nimmermüde einen Faschings-Humor behaupten, sind nun Flimm, die Regiemitarbeiterin Gudrun Hartmann, die Ausstatterinnen Annette Murschetz (Bühnenbild) und Birgit Hutter (Kostüme) sowie die Choreografin Catharina Lühr dem Wahl-Pariser Offenbach zu Leibe gerückt.
Auf dem Programm steht «La Grande-Duchesse de Gérolstein». Gegeben werden vor allem sehr deutsch anmutende Operetten-Knallchargen. Und nicht nur Offenbach auch die eingearbeitete aufdatierte Zeitkritik hat da kaum eine Chance. Das Orchester im hochgefahrenen Graben spielt in Militäruniform. Dirigent Nikolaus Harnoncourt dirigiert in Hemd und Hosenträgern. Auf dem Laufsteg, der sich durchs Parkett zieht, bewegen sich auch (Oster-)Hase, Krokodil und Schweinchen. Hier durchschlitzt einer die Tapetenwand, dass es staubt. Da sagt ein anderer «Gopfridschtutz!». Dort kalauert man: «Make war, not love!» Eine Kanone wird (ohrenfreundlich) in Richtung Publikum gezündet.
Einer der Papierflieger landet, ausgerechnet, in der Loge von Bundesrat Moritz Leuenberger. Auf Witz komm raus bietet die Übertitelungsanlage auch Sachen, die gerade keiner Erklärung bedürften, Fragen ans Publikum zum Stück samt Anrufbitte, die Übersetzung in eine kaum entschlüsselbare Fremdsprache oder ein Dieter Bohlen zugewiesenes Zitat.
In Flimms Dialogfassung
Das dreiaktige Libretto der Firma Meilhac & Halévy erzählt von den Hofschranzen von Gérolstein, von der Vorliebe der Grande-Duchesse für stramme Militärburschen, von den auf privates Liebesglück zielenden Fritz und Wanda. Indem der Soldat Fritz ins Visier der grossherzoglichen Begierde gerät, kommt der kriegslüsterne und intrigante Hof durcheinander bis die Mitglieder dieses ohnehin deroutierten Kosmos sich in der Rangfolge zur Not wieder geordnet haben. Von dem 1867 in Paris uraufgeführten Dreiakter hat Jürgen Flimm eine Dialogfassung mit aufdatiertem Spassfaktor erstellt, in der es auch polyglott zugehen kann; das reicht vom Schweizerdeutschen bis zu einem Dialekt bei Deon van der Walt, der wohl Kapholländisch ist.
Die erweiterte Bühne lässt sich mit etwas gutem Willen als eine Art von Requisitenlager deuten mit Möbeln, Gerätschaften und Puppen. Die Mezzosopranistin Marie-Ange Todorovitch gab hier an der Premiere eine sehr ansprechend gesungene Grossherzogin von raubtierhaft ranschmeisserischer Erotik. Christoph Strehl lieh seinen hell timbrierten Tenor der Rolle des Fritz den er, ob in Schottenrock oder Shorts, im Rahmen der Regievorgaben auch schauspielerisch in Ehren über die Rampe brachte. Mit leicht ansprechendem Sopran sang und frisch spielte Martina Janková die Wanda. Als agiler Bass-Buffonist bewährte sich Carlos Chausson; sein General Bumm jetzt auf Rollschuhen war immer auf Achse.
Klangrednerisch
Harnoncourt hat schon mehrfach für Jacques Offenbach und für Johann Strauss Sohn plädiert. (Auch) bei dieser Premiere resultierten, basierend auf der dritten Pariser Version des Werks, mit dem Orchester der Oper Zürich eine entfettete Lesart, ein entschlacktes Musizieren, ein klangrednerischer Gestus, ein lebendiges, rhythmisch konturiertes Spiel ohne jene Aufpflästerungen, wie sie sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Auch eine Stilparodie wie jene im Finale des ersten Akts kam deutlich heraus.
Offenbach ist, bei aller Aufmerksamkeit, die ihm auf Bühne und Tonträgern gerade in der jetzigen Zeit zuteil wird, heute nicht mehr leicht zu machen. Bei aller Typisierungskraft selbst zum Allgemeineren hin eignet den Stücken halt eben doch auch eine «tagesjournalistische» Dimension. Wer Offenbach ohne dabei den Komponisten der «Fées du Rhin» und der «Contes d'Hoffmann» mitzumeinen aufbereiten will, dürfte jedenfalls nicht ins allzu Robuste fallen. Das zeigt wieder diese mit der Styriarte Graz koproduzierte «Grande-Duchesse», eine weitere Folge in der Offenbach-Reihe mit Jürgen Flimm und Nikolaus Harnoncourt. Wobei der Humor, halb so witzig wie gemeint, nicht nur sich selbst abzuschaffen droht, sondern gleich noch Gegenwartskritisches entschärft, das der Abend natürlich auch immer wieder transportieren will.
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23. 2. 2004
Feuchtfröhlicher Antimilitarismus
Mit der Operette «La Grande-Duchesse de Gérolstein» von Jacques Offenbach ist dem Opernhaus Zürich ein grosser Wurf gelungen.
Von Beat Glur, sda
Die 1867 uraufgeführte Inszenierung der «Grossherzogin» ist eine äusserst lohnende Entdeckung. Sie ist ein Fest der Sinne. Sie ist sogar eine Überforderung der Sinne; besonders für das Auge wird fast zu viel geboten. In das Bühnengeschehen sind auch das Orchester und sogar das Publikum mit einbezogen. Die Musiker treten in Uniformen auf, und Dirigent Nikolaus Harnoncourt ist der Militärkapellmeister.
Auf der Bühne hingegen wird der Krieg, den die Grossherzogin entfesselt, zur Farce. Ihr General ist ein dicker Trottel, und ihre Berater sind Witzfiguren aus der Mottenkiste. Und die Grossherzogin ist ein mannstolles Weib, das einen einfachen Soldaten flugs zum Oberkommandierenden befördert, nur um ihn ins Bett zu kriegen.
Deftigkeit als Motto
Für Regisseur Jürgen Flimm jedoch ist das Stück, das damals die Affären der Zarin Katharina II. und die Korruption am russischen Hof verspottete, durchaus aktuell. Er sieht Parallelen zu George Bush und seinem Irak-Feldzug. Der Chor schwenkt die Fähnchen der Kriegskoalition, und die fesche Majorette, die durch das Stück führt, telefoniert per Handy mit Bush.
Flimms Inszenierung hält zahlreiche Lacher bereit. Da bedrängen etwa Fotografen nicht nur die Prominenz im Stück, sondern auch im Publikum, da werden die Zuschauer auf einem digitalen Laufband aufgefordert, per SMS ihre Meinung zum Stück kundzutun, und die Soldaten werden an einer Aufhängung wie Schlachtvieh in den Krieg geführt. Deftigkeit scheint das Motto von Flimm gewesen zu sein. Die Kostüme ergeben vielfarbige Tableaux, die Grossherzogin stellt ihre üppige Oberweite gleich ihrer ganzen Armee zur Verfügung, und das Schwert des Heerführers ist derart gross, dass er es unmöglich alleine führen kann.
Stimmlicher Reichtum
Im Mittelpunkt der Aufführung, die als Koproduktion mit der Styriarte bereits letzten Sommer in Graz zur Premiere gekommen war, steht die französische Mezzosopranistin Marie-Ange Todorovitch in der Titelrolle, die sich auch dank ihres schauspielerischen Talents als Idealbesetzung erweist. Aber auch die zahlreichen weiteren Mitwirkenden tragen zu einer tadellosen Ensembleleistung bei.
Gesungen wird französisch, aber gesprochen in verschiedenen Sprachen, auch in Schweizerdeutsch. Es gibt viel zu hören, viel zu sehen und viel zu lachen. Das Premierenpublikum applaudierte lang und heftig.
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23. 2. 2004
Eine Offenbachiade - helau!
«La Grande-Duchesse de Gérolstein» im Opernhaus Zürich
Zum Schiessen ist es, fürwahr, und zum Totlachen. Das Orchester der Oper Zürich ist diesmal als Militärkapelle verkleidet, und sein Dirigent Nikolaus Harnoncourt, in Galauniform mit Federbusch auf der Mütze, salutiert, wenn auch nicht eben zackig. Im Verlauf der mit Emphase dargebotenen Ouverture legt er Mütze und Jacke ab, doch wenn es so richtig militärisch wird und die auf der rechten Seite placierten Bläser aufstehen, stürzt auch er sich wieder in den Ornat. Zuvor aber tritt noch ein Krokodil auf, das zu den vier Teilen der Ouverture mit dem Schwanz wedelt oder mit den Zähnen fletscht; auch dieses Untier hält Harnoncourt im Zaum, jedenfalls kann er es dazu bewegen, den Laufsteg, der um den Orchestergraben gezogen ist, rechtzeitig zu verlassen. Hach, wie lustig ist das schon.
Doch jetzt wird es erst recht bunt, beginnt das Spiel auf der Bühne - und dort agiert, soweit es sich durchs tränende Auge erkennen lässt, ein General, der auf Rollschuhen durch die Szenerie kurvt und sich, bevor er in die Schlacht aufbricht, ein Plasticpferd unter den Arm klemmt. Weiter gibt es auf der Bühne jede Menge lüsterner Damen, was sich nicht nur in scharf fokussierten Blicken, sondern auch in sehr eindeutigen Handgriffen manifestiert. Ein dämlicher Edelmann, hörbar italienischer Abkunft, hat von der Wache eine Ladung Schrot abbekommen, weshalb er mit brennendem Hut auftritt. Wenig später mischt sich eine Schönheit ins Geschehen, die ihre langen Beine zeigt und mit George W. telefoniert - womit es aktuell und kritisch zugleich geworden ist. Tatsächlich schwingen die Soldaten, die inzwischen eingekleidet sind, die Fähnchen jener Nationen, die sich vor kurzem zu einer Koalition gegen einen «Schurkenstaat» verbunden haben. Die launigen Texte, die sich auf einem Schriftband quer über die Bühne schlängeln, lenken uns aber von allzu ernsten Gedanken ab; wenn wir wollen, dürfen wir auch per Handy unsere Meinung zum Geschehen zum Besten geben. Köstlich, einfach köstlich.
Zeitverschiebung
Nun denn, das Opernhaus Zürich hat sich erneut der Operette zugewandt. Und einmal mehr in der bewährten Kombination von Nikolaus Harnoncourt und seinem langjährigen Lieblingsregisseur Jürgen Flimm. Nach der «Belle Hélène» von 1994 (im Team mit Helmut Lohner) und der «Périchole» von 1998 gilt die Aufmerksamkeit jetzt der Opéra bouffe «La Grande-Duchesse de Gérolstein», die Jacques Offenbach sowie seinen beiden Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy 1867 in Paris und Wien einen doppelten Sensationserfolg beschert hat. Es geht da um eine nymphomane Herzogin in einem fiktiven Kleinstaat; um ihre Ziele zu erreichen, macht sie Soldaten zu Generälen und umgekehrt, und zur Seite steht ihr dabei ein ebenso lächerlicher wie einflussreicher und damit gefährlicher Hofstaat. Aus purer Laune und schierer Langeweile wird ein Krieg entfacht - den der rasant zum Oberbefehlshaber aufgestiegene Bürger mit dem nicht ganz unbezeichnenden Namen Fritz jedoch unterläuft, indem er ihn ohne einen einzigen Toten, dafür mit Unmengen Alkohol gewinnt. Was da in Schräglage gerät, wird am Ende freilich wieder zielstrebig ins Lot gerückt - wo kämen wir sonst hin.
Das subversive Stück, zur Pariser Weltausstellung kurz vor dem Deutsch-Französischen Krieg gegeben und von internationaler Prominenz beachtet, steckt voller Anspielungen auf die Tagesaktualität seiner Entstehungszeit, nicht zuletzt auf das Gebaren von Napoléon III. Was ihr damals Erfolg beschied, macht heute das Hauptproblem dieser Operette aus - denn wie können all die versteckten Zeichen an ein Publikum dieser Tage weitergegeben werden? Eins zu eins sind sie nicht mehr verständlich, und wenn sie durch andere, eben aktuelle Anspielungen ersetzt werden, beginnt es im Gebälk zu knirschen. Ohnehin leidet «La Grande-Duchesse de Gérolstein» an dramaturgischen Schwächen. Das Stück hebt mit einer unglaublich langen Exposition an (das erste Bild ist praktisch so lang wie die drei restlichen), und dann wird der Knoten ausgesprochen umständlich gelöst - kein Wunder, sah sich Offenbach selbst gleich nach der Uraufführung zu einer Reihe von Kürzungen veranlasst.
Auch musikalisch hält «La Grande-Duchesse de Gérolstein» vielleicht doch nicht ganz das Niveau der berühmt gewordenen Operetten Offenbachs - daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Stück derzeit eine seltsame Konjunktur erlebt. Wie stets lässt Nikolaus Harnoncourt die Partitur fast überdeutlich ausspielen, was immer wieder zu frappanten Ergebnissen führt. Rau ist der Klang des Orchesters, wenn der Ton ins Militaristische kippt - dafür sorgen nicht zuletzt die eng mensurierten Blechbläser, die an die Pariser Praxis von damals anschliessen. Immer wieder aber auch: federnde rhythmische Energie, farbliche Souplesse, Flexibilität der Artikulation. Sehr schön, wie das Orchester und der (von Ernst Raffelsberger betreute) Chor im Walzer den Dreivierteltakt freilassen, wie behend die grosse Trommel das Geschehen grundiert, wie zart die mit wenig Vibrato agierenden Streicher die Melodramen unterlegen.
Kölnisch Fasching
Ganz im Gegensatz zu dieser differenzierten, die musikalischen Ebenen klar freilegenden Sicht setzt Jürgen Flimm voll und ganz auf den deftigen Paukenschlag - er sieht sich ja als Geistesverwandten des aus Köln nach Paris eingewanderten Komponisten. Von der Bühnenbildnerin Annette Murschetz hat sich der Regisseur nicht ein Feldlager, sondern eine Gerümpelkammer erbauen lassen, die mit allem gefüllt ist, was man sich nur denken kann - auch mit jenen Puppen, die nach und nach zu Leben erwachen, das Stück aufführen und am Ende wie der Rest der Requisiten entsorgt werden. Und die Kostüme von Birgit Hutter, sie statten die Figuren mit den überzeichnenden Zügen aus, die der Regisseur so liebt. Das Ensemble lässt sich von all dem freilich nicht beeindrucken. Marie-Ange Todorovitch gibt die Grossherzogin mit gutturalem Timbre und grossartiger Spannung auch im Leisen. Als der zu überraschenden Ehren gekommene Soldat Fritz trägt der an sich vorzügliche Tenor Christoph Strehl gerne etwas dick auf, während Martina Janková als Wanda wunderbaren Liebreiz verströmt. Carlos Chausson, der abgehalfterte und rehabilitierte General, sorgt nicht nur für vollen Ton, sondern beherrscht auch seine Rollschuhe. Dazu viel Wohllaut bei den Eminenzen im Hintergrund und den Hofdamen.
Szenisch wird aber keine Gelegenheit ausgelassen, dumm zu tun. Jeder Witz zweimal unterstrichen und dreimal repetiert. So merkt es jeder - oder am Ende keiner. Offenbach ist ein Meister des Andeutens, gerade auch musikalisch. In dieser Produktion von «La Grande-Duchesse de Gérolstein», die bei der Styriarte Graz im letzten Sommer erstmals gezeigt und nun nach Zürich übernommen worden ist, kommt das nicht zur Geltung; angesagt sind vielmehr Schenkelklopfen und Kreischen. So wird die Operette, deren zeitkritischer Ansatz in der jüngeren Vergangenheit neu entdeckt wurde, zurückgeführt auf das Niveau der luxuriösen Blödelei. Das ist nicht nur zutiefst restaurativ, es bleibt im Grunde auch eine einzige Peinlichkeit. Wegschauen ist jedenfalls dringend empfohlen. An der Premiere blieb die Stimmung fad; wenn gelacht wurde, dann eher auf der Bühne, und am Ende gab es spärlichen Beifall. Der Regisseur zog es vor, in den Kulissen zu bleiben.
Peter Hagmann
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24. 2. 2004
Laufsteg der Jecken
Kölle, alaaf: Jacques Offenbachs «La Grande-Duchesse de Gérolstein» am Opernhaus Zürich
Ein Nikolaus Harnoncourt am Pult verspricht mehr als seichte Operettenseligkeit; Harnoncourt in Uniform mit Federbusch garantiert eine karnevaleske Prunksitzung. Jürgen Flimm steuert dazu die Pointen und Scherzartikel bei.
Bettina Kugler
Jetzt fahren sie wieder mit viel Trara durch die Strassen von Köln, von Düsseldorf und Mainz am Rhein: die bunten Wagen mit den Politikervisagen aus Pappmaché, geleitet von unermüdlich beinschwingenden «Marieche», von Trommlern und dem Dreigestirn von Bauer, Prinz und Jungfrau. Ein echter kölscher Jeck war auch der in Paris erfolgreiche Jacques Offenbach; also veranstaltet der operettenerfahrene Jürgen Flimm (dessen Wiege ebenfalls in der Domstadt stand) «La Grande-Duchesse de Gérolstein», die letzte so genannte Offenbachiade, als eine Art Karnevalsumzug rund um den Orchestergraben. Darin hat General Nikolaus Harnoncourt den Oberbefehl, was nicht nur bedeutet, dass er und das Orchester der Oper Zürich in Galauniform aufmarschieren und der Maestro hin und wieder vorbeidefilierenden Aufzieh-Hasen, -Schweinchen oder -Krokodilen den Garaus macht.
Kriegs-Kasperltheater
Nein, Harnoncourt ist in der Koproduktion mit der Styriarte Graz stiller Hauptakteur und musikalischer Strippenzieher des komödiantischen Puppenspiels. Dessen Figuren werden während der Ouvertüre von Bühnenarbeitern hereingewuchtet und in ausrangierte Polstermöbel platziert, im Finale dann schliesslich wieder starr und unbeweglich fortgeschafft. Fini la comédie, fertig lustig. Für den restlichen Plunder auf der Einheitsbühne von Annette Murschetz steht die Entsorgungsmulde schon bereit. Oben auf dem Laufsteg hat die Grande-Duchesse, eine lüsterne Kleinstaat-Potentatin in herzförmig ausgestellten Kavaliershosen, das Sagen. Die Französin Marie-Ange Todorovitch lässt sich die Lust an der Willkürherrschaft wahrlich nicht nehmen: das durchschlagende, farbig timbrierte Organ hat sie dafür ebenso wie die geradezu einschüchternde Bühnenpräsenz.
Sie braucht, Schurkenstaaten hin oder her, den Krieg vor allem als erotische Beförderungsmaschine - so wird aus dem braven, hasenfüssigen Soldaten Fritz im Handumdrehn ein General, der die feindlichen Armeen mit Champagner matt setzt. Da hängen sie dann, wie Schinken am Fleischerhaken, in ihren GI-Kampfanzügen an der multifunktionalen Transportschiene, auf deren Laufband auch die deutsche Übersetzung, ironische Nebenbemerkungen und die unvermeidlichen Aufrufe zum Handy-Voting (sonst im Opernhaus verpönt) übermittelt werden. Das soll das lautvergnügte Publikum daran erinnern, dass Offenbachs Stück eine scharfe Antikriegssatire war und also immer aktuell ist. Ach, wäre doch nur jedes Scharmützel ein Gerolstein’scher Operettenkrieg.
Gag-Kanonade
Musikalisch ist er ein Ereignis: frech und dabei delikat, federnd und beschwingt, wenns sein muss auch mit militärischem Getöse. Offenbachs Partitur nimmt umso mehr für sich ein, als man sie auch am Mienenspiel des Kapellmeisters ablesen kann. Zumal der Graben kaum versenkt ist und die Mätzchen auf dem Laufsteg und dem Textband irgendwann gehörig auf die Nerven gehen, besonders, wenn sie sich wiederholen. Tusch!
Natürlich ist das Stück nicht unschuldig an Flimms Gag-Kanonade: Dass es seinerzeit ein Renner wurde, lag vor allem am tagesaktuellen Biss. Für die Sänger gibt die Produktion immerhin einiges her, auch darstellerisch: Carlos Chausson glänzt als Rollschuh fahrender General Boum, Martina Jankova als lyrisch-bezaubernde Wanda. Tenor Christoph Strehl beweist erneut seine stimmliche Vielseitigkeit und spielt so linkisch, wie der Name Fritz und ein Schottenrock es nötig machen. Ein Kostümfest ist das, sicher. Von der subversiven Kraft des Karnevals aber ist nichts zu spüren.
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23. 2. 2004
Sieg nach Punkten für die GrossherzoginSieg nach Punkten für die Grossherzogin
Als Koproduktion mit der Styriarte 2003 in Graz hatte Jacques Offenbachs «Grande-Duchesse de Gérolstein» am Samstag viel bejubelte Premiere im Opernhaus Zürich.
Von Bruno Rauch
Ein vom Zaun gerissener Krieg rechtfertigt einerseits die Existenz des Général Boum und seiner Spielzeugarmee von Gérolstein und erlöst andererseits die Grossherzogin von ihrer Langeweile. Obwohl bereits dem Prinzen Paul versprochen, vergafft sie sich sofort in den flotten Füsilier Fritz, den sie kurzerhand zum General macht. Der Kampf wird mittels Alkoholisierung des Gegners zügig und ohne Blutvergiessen beendet. Und ebenso zügig wird Fritz wieder degradiert, als Madame La Duchesse inne wird, dass er nur Wanda liebt. Die Paare kriegen sich - Tusch.
Musik und klamaukige Satire
Als Schauplatz hat Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine Art Möbellager eingerichtet, wo allerhand herumsteht, das schon besserer Zeiten gesehen hat - Sofas, Schränke, Klappbetten. Im Vordergrund führt ein Laufsteg rund um den erhöhten Orchestergraben. Zu Beginn tragen die Bühnenarbeiter das Personal herbei, das sich erst allmählich zu regen beginnt. Um dann, nach drei Stunden, in einer Bauschuttmulde entsorgt zu werden.
Dazwischen sorgen das Orchester der Zürcher Oper unter Nikolaus Harnoncourt, alle als schmucke Militärs im blauen Wams mit roten Aufschlägen, sowie das in fantasievolle, schrille Kostüme von Birgit Hutter gehüllte Ensemble für musikalische Delikatessen und theatralischen Klamauk. Mit präziser, sensibler Akzentuierung rückt der Dirigent dem Schmalz und dem Staub zu Leibe. Mit zarten Piani und zündenden Klangpetarden, mit vibrierendem Drive und moussierendem Esprit lässt er das Orchester sprechen, singen, karikieren, derilieren und schmettern, dass es eine Lust ist.
Regisseur Jürgen Flimm spult diese Geschichte mit Witz und Tempo ab, seine Ideen jagen sich förmlich, sodass sich neben köstlichen Einfällen auch ein paar schwächere finden, die das Stück, vorab in der zweiten Hälfte, bisweilen etwas lang geraten lassen. Eindrücklich und makaber aber ist etwa das Bild der Soldaten, die das Kanonenfutter markieren.
Herrlich sexistisch die Weiber, die sich zuhause für die Rückkehr ihrer Kriegshelden aufdonnern. Amüsant die Vielsprachigkeit, mit der auf der Bühne parliert wird, was die Geschichte nirgendwo ansiedelt und somit überall meint. Witzig sodann die laufende Leuchtschrift zur Übersetzung - mal liefert sie bissige Kommentare zum Geschehen, mal verdeutlicht sie ironisierend das gesungene «Piff, Paff, Puff» oder «Lalalala». Und zwischendurch fordert sie, im Stil der grassierenden Publikumsbefragung, die Zuschauer dazu auf, per Handy ihre Meinung zur Geschichte kundzutun - Music Star lässt grüssen!
Schmucker Fritz
Willig und mit rücksichtlosem Körpereinsatz folgen der motivierte Chor und die exzellenten Protagonisten der rasanten Dynamik. Carlos Chausson als Général Boum bemüht sich eigens auf die Rollschuhe und meistert jeden Schlenker mit seinem bewährten komödiantischem Talent und stimmlicher Souveränität.
Den schmucken Fritz gibt Christoph Strehl. Sein heller, geschmeidiger Tenor entspricht dem französischen leichten Tonfall. Darüber hinaus macht er in Schottenrock wie in Lederhose glänzende Figur. Verständlich also, dass die hübsche Wanda - Martina Jankovà mit Liebreiz und höhensicherem, klarem Sopran - stolz auf ihr von ihm geschwängertes Bäuchlein ist und den Geliebten nicht kampflos hergibt. Da mag die Grossherzogin als mannstolles Rasseweib in üppiger Corsage und knallrotem Reiterkostüm noch so sehr ihre Reize zeigen.
Bauchfrei im Tutu
Die temperamentvolle Marie-Ange Todorovitch macht das hinreissend. Sie versteht es, ihrem satten Mezzosopran gleichermassen erotische Untertöne beizumischen wie leicht hysterische Spitzennoten, und bewahrt bei aller vokaler und weiblicher Fülle Agilität und Grazie. Deon van der Walt zeichnet die Figur des prinzlichen Verlobten mit Witz und etwas brüchigem Charme.
Neben den kleineren Rollen, alle adäquat besetzt, gibt es die zusätzliche Figur der Rita of Broadway, verkörpert von Megan Laehn als Muse/Spielleiterin/Drahtzieherin, bauchfrei, in Tutu und Livree. Sie schleppt die Requisiten herbei - etwa den gigantischen «sabre de papa» -, fungiert als Cheerleader, telefoniert mit Mr. Bush, und schafft so - den für die Offenbachiade erforderlichen Link zur Aktualität.
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23. 2. 2004
Die doppelten Böden knarren bedenklich
« La Grande- Duchesse de Gérolstein » am Opernhaus ist ein Operettenspass, aber kaum eine wahre Offenbachiade.
Von Thomas Meyer
Ein Spielzeughase hüpft auf dem Laufsteg, der das Orchester umfasst. Witzig das Tierchen, denkt man beim Eintreten. Es passt vielleicht zu einer ironischen, satirischen Offenbachiade. Mit der Zeit merkt man aber, dass das nervige Kuschelding einen unablässigen, fast technomässigen Lärm produziert. Erstaunlich, dass die Musiker dabei ihre Instrumente stimmen können. Erst mit dem Auftritt von Nikolaus Harnoncourt wird dem Getier der Garaus gemacht. Jetzt wäre Ruhe für die Musik, aber das Spielzeug hat längst den Ton angegeben für diesen Abend. Nicht nur, weil ( Strukturalisten aufgepasst!) weitere Tiere auf dem Laufsteg folgen, auch später wird es bei dieser « Grande- Duchesse de Gérolstein » optisch und akustisch oft ziemlich laut zu und her gehen. Diese Inszenierung bellt, aber beisst sie auch? Die Opéra- bouffe von Jacques Offenbach spielt in dem winzigen Operettenstaat Gérolstein, den die Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halvy dem Roman « Mystères de Paris » von Eugène Sue entlehnt haben. Man durfte den Monarchen, die 1867 die Weltausstellung in Paris besuchten, doch nicht zu nahe treten. Es geht dabei um etwas Liebe und vor allem um Lüsternheit, um Kriege und militärische Ränge, um Spionagekleinkram und diplomatische Intrige.
Das Orchester als Militärkapelle
Eigentlich ist eh alles ein Theater, und die Zürcher Aufführung nutzt dies auf abwechslungsreiche Weise. Dieses Theater auf dem Theater hat mit Tanz und Gag zuweilen etwas von einer Revue. Eine Rita of Broadway ( Megan Laehn) fungiert, von Regisseur Jürgen Flimm eingeführt, als meist stumme Spielleiterin. Der Bühnenraum von Annette Murschetz zeigt keinen herzoglichen Hof, sondern eher das alte Kleider- und Requisitenlager eines Theaters. Bunt die Kostüme von Birgit Hutter, querbeet durch die Historie bis hin zu GIUniformen. Das Orchester mitsamt Kapellmeister ist als Militärkapelle gekleidet.
Ein paar hübsche musikalische Spässe sind eingeflochten. Gesungen wird französisch, gesprochen in einem von Flimm arrangierten Sprachenmischmasch, das bis ins Dialektale reicht. Und selbst die Übertitelung, die schräg durchs Bühnenbild verläuft, wird auf überzeugend spassige Weise einbezogen. Viele Lacher quittieren die rein visuellen Witze. So lebendig und temporeich das alles wirkt: Es ist schlicht zu laut. Die « doppelten und mehrfachen Böden » , die Nikolaus Harnoncourt laut « Opernhaus- Magazin » in dieser « Grande- Duchesse » entdeckt, hallen wider und knarren manchmal bedenklich. Ausgerechnet die Musik wird dadurch oft übertönt. So geniesst man die Momente, wenn Nikolaus Harnoncourt und das Orchester der Oper endlich einmal Gelegenheit finden, die Finessen der offenbachschen Partitur, die kleinen Fanfaren und Melodiechen, in ihrer schlichten Ironie zu intonieren und wunderschön vorzutragen. Durch das Theater darf man sich auch nicht von den sängerischen Glanzlichtern ablenken lassen. Jürgen Flimm macht zwar radikal Schluss mit jedem Sängergehabe. Die Sängerinnen und Sänger agieren witzig, allerdings so sehr, dass der Gesang manchmal zum Beiwerk gerät. Dabei verfügt das Ensemble gerade mit der französischen Mezzosopranistin Marie- Ange Todorovitch über eine Grossherzogin von vokalem und schauspielerischem Format.
Ein weiteres Glanzlichtchen setzt Martina Janková als Wanda; der Fritz von Christoph Strehl wirkt burschikos, wie es die Rolle dieses einfachen Soldaten erfordert, aber er hat etwas wenig Ausstrahlung. Die « Grande- Duchesse » , so Harnoncourt, bleibe « in ihrer Schärfe aktuell » . Man merke sofort, wer da gemeint sei, zu jeder Zeit. Wie schon gelegentlich bei Jürgen Flimm nutzen sich jedoch die Aktualitätsbezüge ab. Alles ist eine Spur zu schlampig, zu wenig präzis umgesetzt, um jene Schärfe hervorzubringen. Ein Messer wird nur scharf, wenn man es lange genug wetzt, nicht wenn man damit Quark breitschlägt. Die von Harnoncourt versprochene Entlarvung etwa der aufgeblasenen Militärs funktioniert kaum. Das beste Beispiel dafür ist die Figur des Generals Bumm: Aufgebläht sieht er tatsächlich aus mit seinem umgehängten Bauch, aber Carlos Chausson ist von Beginn weg viel zu sympathisch für einen blutgeilen General; dass er sich zudem recht gekonnt auf Rollschuhen bewegt, bringt ihm bloss weitere Sympathiepunkte, hat aber nichts von einer Satire.
Müde Lustigkeit
Nein, um den Geist einer wahren Offenbachiade heraufzubeschwören, ist Jürgen Flimms Theater zu müde in seiner Lustigkeit. Dieses Theater glaubt nicht mehr an seinen Desillusionierungseffekt. Es nimmt nicht einmal seine Witze richtig ernst. Sie sind zu wohlfeil. George W. muss herhalten und das bisschen Armee. Ist es nicht bezeichnend, dass einige der besten Gags des Abends nicht die Figuren demaskieren, sondern eher den doch bewusst banal gehaltenen Text? Auch Nikolaus Harnoncourt macht gutmütig mit, wenn man ihn in die Revue einbezieht. Treffend sind allenfalls die Anspielungen auf jenes Telefonvoting, das gleichzeitig mit der Premiere an allen Schweizer Bildschirmen die neue Carmen erkoren hat. « Bitte schtelled Si Ires Händi nüd ab. ( Si wärdeds no bruuche . . .) » , heisst es da vor Beginn, und irgendwann wird man dann dazu aufgefordert, seine Meinung zu diesem oder jenem Punkt telefonisch kundzutun.
Nicht dass man das Gefühl hätte, sich unter dem Niveau unterhalten zu müssen. Immerhin hält das Ganze wach. Langweilig wird es erst nach etwa zwei der drei Stunden, wenn Flimm allmählich die Puste ausgeht. Dann bleibt ausser der Musik nichts, was weitertragen würde, denn die Figuren haben nicht einmal einen mangelhaften Charakter. Diese « Grande- Duchesse de Gérolstein » ist lustig, aber harmlos. Man kann sie goutieren, wird aber nicht erfahren, was daran 1867 und zu jeder Zeit so brisant gewesen sein soll. Jacques Offenbach hätte an dieser Aufführung noch mal gefeilt und gestrählt, aber Flimm ist schon weiter. Zum Zeitpunkt der Premiere weilte er bereits jenseits des Atlantiks.
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23. 2. 2004
Viel Klamauk mit Witz und Tempo
Opernhaus Zürich: Premiere von Offenbachs Opéra bouffe «La Grande-Duchesse de Gérolstein»
Die Wiederentdeckung des genialen satirischen Gehalts von Jacques Offenbachs Operetten und Komischen Opern ist auch dem unermüdlichen Einsatz von Nikolaus Harnoncourt zu verdanken. Jetzt ist im Opernhaus Zürich die Opéra bouffe «La Grande-Duchesse de Gérolstein» als Koproduktion mit der Styriarte Graz zu sehen, eine köstliche Satire auf das militärische Gehabe.
Militärisch-eintönig, aber witzig
Regisseur Jürgen Flimm hat aus diesem musikalisch gar militärisch-eintönigen, vom Text her aber geistreich witzigen Stück das Beste herausgeholt. Hochkarätig war auch die Rollenbesetzung mit der Französin Marie-Ange Todorovitch als laszive Herzogin und mit Christoph Strehl als einfacher Soldat Fritz.
Jacques Offenbach nutzte den grossen Touristenstrom für die 2. Weltausstellung 1867 in Paris, um die kriegerischen Ambitionen nicht nur des zweiten Kaiserreiches um Napoleon III. zu entlarven. In seiner Operette «La Grande-Duchesse de Gérolstein» verspottet er die Amouren Katharina II. und den russischen Hof, trifft dabei aber auch die Militärköpfe Frankreichs. Die Zensur forderte denn auch, da russische Nachfahren Katharinas II. als Gäste an der Weltausstellung erwartet wurden, dass die Handlung an einen unbekannten, aber konkreten Ort verlegt wurde. Gérolstein ist ein unbedeutender deutscher Kleinstaat, der bereits in einem allseits bekannten Roman «La mystère de Paris» von Eugène Sue erfunden worden war.
Krieg gegen die Langeweile
Weshalb hier Krieg geführt wird? Dieser sei, so ein Minister der Grossherzogin, notwendig, um der Herrscherin, die sich schrecklich langweilt, etwas zu bieten. Die Geschichte ist denn auch schnell erzählt: Der einfache Soldat Fritz fällt der Grossherzogin bei einer Inspektion der Truppen ins Auge. Sie will ihn, der glücklich in seine Wanda verliebt ist, unbedingt ins Bett bekommen.
Deshalb macht sie den naiven Tollpatsch kurzerhand zum General und schickt ihn in den Krieg. Den mysteriösen, übergrossen Säbel ihres Vaters gibt sie ihm mit - eine herrliche Persiflage auf Wagner -, und tatsächlich kehrt er siegreich zurück. Leider aber merkt Fritz nicht, was die Herzogin von ihm will; gekränkt beschliesst sie seinen Tod. Fritz aber heiratet heimlich seine Wanda und verlässt, als man ihn öffentlich demütigt, die Armee.
Gelungenes Bühnenbild
Jürgen Flimm hat für diese mit viel Volks- und Militäraufmärschen versehene Geschichte eine Bühne gebaut, welche das hochgefahrene Orchester ins Zentrum stellt. Eine spezielle Bühnenrampe um den Orchestergraben herum ermöglicht einen geschickten Verlauf der Märsche und Gänge und hebt auch die Szenerie auf der Bühne von einzelnen Figuren im Vordergrund ab (Bühnenbild: Annette Murschetz).
Natürlich muss man in diesem Fall die Orchestermusikerinnen und -musiker in Kapellenuniformen kleiden, und Nikolaus Harnoncourt tritt mit feschem Militärhut als Militärkapellmeister auf. Zudem werden einzelne Musiker in das Bühnengeschehen direkt mit einbezogen.
Publikum war amüsiert
Diese fliessenden Übergänge zwischen Bühne und Orchester reichen aber noch weiter. Auch das Publikum wird raffiniert mit einbezogen. Eine digitale Textbandschleife auf der Bühne ermöglicht nicht nur fliessend auf- und wegtauchende Übersetzungen der Dialoge. Mit diesen Spruchbändern wird auch das Publikum direkt angesprochen. «Hat diese junge Liebe Zukunft? Was meinen Sie? Rufen Sie uns mit ihrem Handy an unter der Nummer ...» Oder dann: «Liebe Zürcherinnen und Zürcher, hier geht es um Mord und Totschlag, weshalb applaudieren Sie hier?» Die Wirkung solcher Sprüche war enorm, das Publikum amüsierte sich köstlich.
Aber auch Offenbachs Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy wussten mit der Sprache brillant zu spielen und zu karikieren. Die witzigen Dialoge, mit aktuellen Sprüchen erweitert, die auch «Mister President George W.» nicht verschonten, waren denn auch das Interessanteste an diesem Abend. Dazu kam eine schnelle und die Aufmärsche geschickt gruppierende Personenführung, die diesem dreistündigen Klamauk einen szenischen Schmiss gab.
Wenig musikalische Substanz
Doch nach diesen drei Stunden bleibt, was die musikalische Seite betrifft, wenig Substantielles zurück. Die kleine Besetzung des Orchesters, die Harnoncourt gewählt hat, gibt dem martialisch-militärischen Grundton zwar eine Leichtigkeit und rhythmische Prägnanz. Und der Wechsel zwischen Strammstehen und Liebesschmachten gelingt Harnoncourt auch mit raffinierter Agogik und feinfühliger Bläserführung.
Doch die Musik wird dadurch auch nicht besser, als sie ist. Dieser ständige Militärkapellenton läuft sich nach dem ersten Akt zunehmend tot. Zum Glück sind da noch die paar dankbaren Melodien für die Sängerinnen und Sänger. Christoph Strehl gab in seinem Debüt als Fritz einen sympathisch naiven Burschen, der eigentlich die Liebe den Militärpflichten vorzieht. Oft steht er da, bezirzt von seiner Braut Wanda oder von der Grossherzogin, und hat nur noch die Unterwäsche an. Und doch vermag er mit weichem Timbre und schlanker Stimmführung einen sensiblen «Männerton» einzuführen, der die militärischen Auftritte des eigentlichen Generals «Boum» (brillant gespielt von Carlos Chausson) wirkungsvoll kontrapunktiert. Auch Martina Janková weiss in der Rolle der Wanda mit geschmeidiger Stimme und heller Strahlkraft selbstbewusst zu betören.
Die vielen Ensembles und Chöre, die dem Geschehen musikalisch etwas Farbe geben, gelangen dem von Ernst Raffelsberger einstudierten Chor trotz dieses schnellen szenischen Ablaufs mit beachtlicher Präzision. Als dann aber die Grossherzogin auftritt, wendet sich das Blatt vollkommen. Sie weiss mit einem Lichtschalter die Szenerie plötzlich umzustimmen, die Musik wechselt zu den weichen Bässen, die musikalische Erotik trieft aus allen Poren. So zieht die Mezzosopranistin Marie-Ange Todorovitch den ganzen Saal in ihren Bann und vermag diese Ausstrahlungskraft auch bis zum Schluss durchzuhalten.
Lieben, was man kriegt
Kostümiert ist sie mit engem Top, das den üppigen Busen präsentiert, und in einer knallroten Pludermilitärhose, welche die Hüfte überbetont (Kostüme: Birgit Hutter). Mit ihrem alle körperlichen Reize sinnlich ausspielenden Auftritt, vor allem aber auch mit ihrer farbenreichen und dunkel timbrierten Stimme ist sie die perfekte Mischung von Macht und Erotik. Und als sie zum Schluss eben doch ihren weichen Prinzen Paul (überzeugend von Deon van der Walt) heiratet mit dem weisen Ausspruch: «Wenn man nicht kriegt, was man liebt, muss man eben lieben, was man kriegt», dann nimmt man ihr sogar dies ab.
In weiteren Nebenrollen wussten Volker Vogel als Baron Grog, Andreas Winkler als Baron Puck und Megan Leahn als ständig präsente Rita of Broadway prägende Akzente zu setzen. Alles in allem drei Stunden Tschederebäng, Boum- boum-boum und Ha-ha-ha mit geistreichen Pointen, gespielt auf höchstem Niveau.
Sibylle Ehrismann
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23. 2. 2004
Grossherzige Grossherzogin
Fulminanter Sieg für Offenbachs «Grande-Duchesse de Gérolstein» und ihre Armee im Opernhaus
Sie tragen genüsslich zur Demontage von Militär und Staatsräson bei: Nikolaus Harnoncourt am Dirigentenpult, Jürgen Flimm in der Regie. Jener mit geistvollem Charme und unsentimentalem Schliff, dieser mit grimmigem Witz und klamaukiger Betriebsamkeit. Und sie treffen damit den Nerv des Stücks perfekt.
BRUNO RAUCH
Mit geradezu generalstabsmässigem Timing lancierten Jacques Offenbach und sein Librettistenduo Meilhac/Halévy ihren Geniestreich, als praktisch die ganze Welt in Paris weilte: Am 12. April 1867, zwölf Tage nach Eröffnung der Weltausstellung durch Napoleon III., ging die Premiere der «Grande-Duchesse» über die Bühne, beklatscht von Diplomatie und Adel aus nah und fern; das Antikriegsstück - wenn auch zünftig zensuriert: - wurde zum Knüller seiner Zeit.
Das scheint dem Team Harnoncourt/Flimm erneut zu gelingen. Als Koproduktion mit der Styriarte 2003 in Graz hatte das Stück vorgestern Samstag viel bejubelte Premiere im Opernhaus Zürich. Denn: Der Wahnsinn der geölten Kriegsmaschinerie, des Hurrapatriotismus, der diplomatischen Günstlingswirtschaft und, ja, auch des Geschlechterkampfs hat nichts an Aktualität verloren. Leider.
Schauplatz «Möbellager»
Als Schauplatz hat Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine Art Möbellager eingerichtet, wo allerhand herumsteht, das schon bessere Zeiten gesehen hat -Sofas, Schränke, Klappbetten. Um den erhöhten Orchestergraben führt ein Laufsteg, der - einziger Kritikpunkt! - von den meisten Plätzen im 2. Rang kaum zu sehen war. Zu Beginn tragen die Bühnenarbeiter das Personal herbei, das sich erst allmählich zu regen beginnt. Um dann, nach drei Stunden, in einer Bauschuttmulde entsorgt zu werden.
Prickelnde Musik und Klamauk
Doch dazwischen sorgen das glänzend disponierte Orchester der Zürcher Oper, unter Nikolaus Harnoncourt, alle als schmucke Militärs im blauen Wams mit roten Aufschlägen, sowie die in fantasievolle, schrille Kostüme von Birgit Hutter gehüllten Solisten und Choristen für musikalische Delikatessen und drallen Spektakel.
Zwar weniger vielfältig als die Partituren der «Belle Hélène» und des «Orphée», bietet diejenige der «Grande-Duchesse» dennoch überreich Material - Ohrwürmer, Originelles und Repetitives -, um Funken des pointierten Witzes und der artikulatorischen, Schärfe daraus zu schlagen. Harnoncourts eher zurückgenommene Tempi orientieren sich häufig am Duktus der Sprache, was dem Ganzen eine federnde Eleganz gibt. Den wunderbar transparenten Piani gibt er ebenso Raum wie den elektrisierenden Klangpetarden. Mit präziser, sensibler Akzentuierung rückt er dem Schmalz und dem Staub zu Leibe, mit vibrierendem Drive und moussierendem Esprit lässt er das Orchester kichern, singen, karikieren, schmeicheln, delirieren und schmettern, eine wahre Lust!
Kaum hat der Maestro dem Karnickel, das über den Laufsteg zuckelt, den Hals umgedreht, heissts: Auf in die Schlacht! Was einerseits die Existenz des Général Boum und seiner Spielzeugarmee von Gerolstein rechtfertigt und anderseits die Grossherzogin von ihrer Langeweile erlöst, hat sie doch ein ausgeprägtes Faible für Uniformen und alles, was darin steckt. Obwohl bereits dem Prinzen Paul versprochen, vergafft sie sich bei der Inspektion des Regiments sofort in den flotten Füsilier Fritz, den sie kurzerhand zum General macht. Der Kampf wird mittels Alkoholisierung des Gegners zügig und ohne Blutvergiessen beendet. Und ebenso zügig wird Fritz wieder degradiert, als Madame la Duchesse innewird, dass er nur Wanda liebt. Noch ein abstruses Ränkespiel, und die Paare kriegen sich -Tusch.
«Kanonenfutter»
Regisseur Jürgen Flimm spult diese sarkastische Geschichte mit Witz und Tempo ab, seine Ideen jagen sich förmlich, sodass sich neben absolut köstlichen Einfällen zwangsläufig auch ein paar schwächere finden, die das Stück, vorab in der zweiten Hälfte, bisweilen etwas absacken lassen, was nicht zuletzt auch im Werk selbst begründet ist. Dennoch: Eindrücklich und makaber etwa das Bild der Soldaten, die - wie Marionetten am Förderband aufgehängt - das Kanonenfutter markieren. Herrlich sexistisch die Weiber, die sich zu Hause für die Rückkehr ihrer Kriegshelden aufdonnern. Amüsant die Vielsprachigkeit, mit der auf der Bühne parliert wird, und die Fähnchen aller Nationen, die reichlich geschwenkt werden, was die Geschichte nirgendwo ansiedelt und somit überall meint - gesungen wird indes in der Originalsprache Französisch. Witzig sodann die laufende Digitalschrift. ManchrnaI liefert sie die blosse Übersetzung. Dann wieder den persiflierenden Kommentar zum Geschehen (von Berlusconi bis Bohlen). Oft einfach ein ironisierendes «Piff Paff Bumm» oder «TralaIalala». Und zwischendurch erfolgt im Stil der grassierenden Meinungsumfragen («Music Star» lässt grüssen!) die Einladung ans Publikum, per Handy, das man ausnahmsweise nicht abzustellen gebeten wurde, sein Votum kundzutun.
Schottenrock und pralles Mieder
Willig und mit schrankenlosem Körpereinsatz folgen der motivierte Chor und das exzellene Protagonistenensemble der rasanten Dynamik. Carlos Chausson als Général Boum bemüht sich eigens auf die Rollschuhe und meistert jeden Schlenker mit bewährtem komödiantischem Talent und stimmlicher Souveränität. Den schmucken Fritz gibt Christoph Strehl. Sein heller, geschmeidiger und doch kerniger Tenor entspricht dem französischen leichten Tonfall in idealer Weise. Problemlos wechselt er von der Brust- in die Kopfstimme, wenn er Clairon spielt, und macht darüber hinaus im Schottenrock wie in der Lederhose glänzende Figur. Nur zu Verständlich also, dass die hübsche Wanda - Martina Janková mit Liebreiz und höhensicherem, klarem Sopran - stolz auf ihr von ihm geschwängertes Bäuchlein ist und den Geliebten nicht kampflos hergibt. Da mag die Grossherzogin, ein mannstolles Rasseweib in üppig gefüllter Corsage und knallrote Reiterkostüm, noch so sehr ihre Reize zeigen. Die temperamentvolle Marie-Ange Todorovitch macht das hinreissend und sehr französisch. Sie versteht es, ihrem satten Mezzosopran gleichermassen die erotischen Untertöne beizumischen wie die leicht hysterischen Spitzennoten und bewahrt bei aller vokalen und weiblichen Fülle Agilität und Grazie. Ihrem Künftigen, dem Prinzen Paul, werden keine ruhigen Tage bevorstehen! Deon van der Walt, zu Beginn gleich selbst im Brautgewand, zeichnet diese Figur mit Witz und' etwas brüchigem Charme. Ein Kabinettstücklein mafiöser Schmierigkeit liefert Andreas Winkler als Italo-Baron Puck.
Neben den kleineren Rollen, alle adäquat besetzt, gibt es die zusätzliche Figur der Rita of Broadway, verkörpert von Megan Laehn als eine Art Muse/Spielleiterin/Drahtzieherin, bauchfrei, in Tutu und Livree. Sie schleppt die Requisiten herbei - etwa den gigantischen «sabre de papa» -, fungiert als Cheerleader, telefoniert mit Mr. Bush und schafft so den für die Offenbachiade erforderlichen Link zur Aktualität. L'histoire se répète - hélas!
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23. 2. 2004
Bisschen Bumm
Lauter nette Einfälle: Jürgen Flimm und Nikolaus Harnoncourt in Zürich mit Jacques Offenbachs "La Grande-Duchesse de Gérolstein"
VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH
Es gibt Leute, denen gilt Harald Schmidt - ja doch, ja - als bedeutender Humorist; jedenfalls wird man in ihm einen satirischen Repräsentanten des Zeitgeistes erkennen wollen. Das immerhin verbindet ihn mit einem Jacques Offenbach, dessen 150 Jahre alte musikalische Boufferien - anders als seine einzige und erzromantische Oper Contes d'Hoffmann, ein Repertoire-Dauerstern - eigentlich erst immer wieder dann lebendig werden, wenn ein ingeniöser Theaterdämon sich ihrer annimmt. Waren der Regisseur Jürgen Flimm und der Dirigent Nikolaus Harnoncourt im Stande, mit der Grande-Duchesse de Gérolstein am Zürcher Opernhaus sowohl den Zauber der Belle Epoque wie den Biss Offenbach'scher Gesellschaftskritik gewaltig zu erwecken? Fragen wir bescheidener: Besorgten sie eine nette und beifällig aufgenommene Fastnachtspremiere? Letzteres ließ sich bejahen. Das Harald-Schmidt-Pensum an Unterhaltsamkeit wurde - ja doch - gewissermaßen durchaus erfüllt.
Gerolstein steht fürs Duodezfürstliche, dieses wieder für allzu menschliche (oder, etwas schwyzerischer: seldwylahafte) Kleingeisterei. Apart die Handlungs-Echauffage, dass hier kein männlicher Monarch seinen geilen Aspirationen Auslauf gibt, sondern die attraktive und emanzipierte Großherzogin, die nur das Pech hat, im erotischen Ringelspiel zu spät zu kommen. So nutzt es ihr nichts, dass sie den begehrten Soldaten Fritz zum General macht und dieser an der Spitze der Gerolstein'schen Truppen den Feind besiegt: Er bleibt seiner Wanda, einem Kind aus dem Volke, treu, und so landet er schließlich als "gemeiner" Soldat wieder in ihren Armen, während Madame Grande-Duchesse eine staatsförderliche Vernunftheirat eingeht. Ihr Schlusswort: "Wenn man nicht kriegt, was man liebt, muss man lieben, was man kriegt."
Musikalische Fertigteile
Flink wirbeln auch die musikalischen Fertigteile daher, eine bunte Melange von Couplets, Ensembles, Chören und Tänzen im Walzer- und Cancantakt. Ähnliche Mischungen gibt es in allen Offenbach-Operetten. Kaum weniger deutlich als etwa im Blaubart sind aber auch hier die martialischen Anklänge und die Markierung des Gefälles zwischen den Mächtigen und den Machtlosen, für den Komponisten eine Fundgrube für nicht nur gutmütigen Spott.
Scharf gewürzt wird der Geist Offenbachs erst richtig bekömmlich. Der Klassenkämpfer Walter Felsenstein arbeitete mit wuchtiger Hand die Lächerlichkeiten solcher Gesellschaftspanoramen heraus. Als ätzender Alleinunterhalter war Karl Kraus so etwas wie die idealtypische Personifizierung der Offenbachiade. Und Jerome Savary realisierte wenigstens im Ausstattungsprunk und im angezogenen Tempo das irrwitzig Scheinhafte der sich frivol ausstellenden Staatsoperette.
Kaum etwas davon bei Jürgen Flimm, der zwar alles Exaggerierte, Klamaukhafte vermied, aber den Reigen seiner munter plätschernden Einfälle bloß hübsch und harmlos arrangierte. Die Militärchargen (unter ihnen General "Boum", schon mit seinem Namen die Verkörperung des brummig-bummsenden Kanonendonners) waren von Anfang an trottelig und läppisch. So brauchte sich ihre Pappigkeit nicht aus scheinbar bedrohlichem Bramarbasieren herauszuentwickeln. Gänzlich abgeschliffen auch die hierarchischen Anstößigkeiten, die dem Ganzen spielverderberisch-vergnüglichen Pfiff gegeben hätten. Da blieb, als einzig überdurchschnittliche Geistreichigkeit, das Jonglieren in mehreren Sprachen, unter Verwendung aktuell-probater Schäkereien à la Harald Schmidt mit Tagesgrößen wie Schorsch Dabbeljuh oder Dieter Bohlen. Für die Fastnachts-Bütt hat's gereicht.
Wenig Flair erbrachte auch das Bühnenbild von Annette Murschetz mit nichtssagender Sofa-Möblierung. Kein Wunder, dass sich die Akteure lieber auf dem breiten Steg vor dem Orchestergraben produzierten, wo auch ein mechanisches Krokodil als stumm-freundliches Wappentier der Aufführung seine Bahnen zog. Hörenswert mit sonorem Mezzotimbre und auch ansehnlich mit fesch-reiterlichem cul de Paris (Kostüme: Birgit Hutter) die Titelfigur von Marie-Ange Todorovitch, flankiert vom mild veralberten, tenoral angenehm lyrisierenden Fritz (Christoph Strehl) und einer mädchenhaften Wanda (Martina Jankova). Im weiteren Personal viele halb gelungene Komödiantenphysiognomien.
Brachte wenigstens Nikolaus Harnoncourt seine musikalische Sache rabiat auf die Beine? Trotz viel Augenrollens war auch das nicht auf Anhieb entschieden. Von der Gravität der Felsensteindirigenten wollte der aufs Leichte, Beschwingte bedachte Maestro nichts wissen. Er exzellierte mehr im Lockeren, Spritzigen, brachte schöne filigrane Wirkungen, verhielt dabei aber dennoch die Partitur in einer geschmackvolleren Distinktion, die sie kaum aus dem Halbschatten einer altväterlichen Klassizität herausholte. Papa Offenbach. Ein Zeitgenosse von vorgestern. Den Kinderwunsch eines Wieners erfüllte sich Harnoncourt, indem er vor dem Orchester in Militäruniform und Helm mit Federbusch auftrat. Einmal Hoch- und Deutschmeister sein. Familiäre Selbstironie eines großen Künstlers. Und so kam es auch zum vielleicht bezauberndsten theatralischen Detail der Aufführung: als nämlich Harnoncourt beim Applaus in Reih' und Glied mit den Hauptdarstellern noch einen Cancan hinlegte. Prosit!
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il giornale della musica
23. 2. 2004
Harnoncourt tra amore e guerra
La Grande Duchesse de Géroldstein di Jacques Offenbach
Quando il direttore arriva in tenuta militare a dirigere gli orchestrali, ugualmente in uniforme, mentre nei titoli scorrevoli si prega il pubblico in dialetto svizzero di lasciare accesi i cellulari, programmando preferibilmente una suoneria con musica di Beethoven o Schubert "per far piacere a Nikolaus", si capisce che nella messinscena zurighese della "Grande Duchesse de Géroldstein" tira aria da carnevale. L'attualizzazione dei dialoghi da parte del regista Jürgen Flimm estremizza la carica satirica del libretto di Meilhac e Halévy, accentuando l'elemento 'nonsense' nella recitazione degli attori e nelle situazioni, ma soprattutto creando una babele linguistica che sembra rappresentare una specie di Unione Europea in guerra contro un nemico comune, apparentemente gli Stati Uniti. Così Fritz porta il kilt scozzese, il generale Boum è rappresentato come tedesco (sui pattini!), Puck è un italiano del tipo Pasqualino Settebellezze, mentre il principe Paul è un olandese perseguitato dalla cronaca rosa. Nonostante l''infedeltà' al testo, la messinscena resta tutto sommato fedele allo spirito dell'operetta di Offenbach, mantenendone almeno in parte la forza satirica nel descrivere un mondo fatuo che si diverte a far guerra solo per distrarsi. Peccato che dopo un travolgente primo atto il gioco mostri la corda, e il mordente dell'azione scenica si affievolisca del tutto nel terzo.
Il vero regista della serata è comunque Hanoncourt, che dirige l'orchestra dell'Opernhaus con trascinante verve, divertendosi visibilmente un mondo a dipanare la matassa offenbachiana in continui fuochi d'artificio. Quasi perfetto il cast, con in testa una Marie-Ange Todorovitch di grande statura vocale e in bilico tra sensualità ed ironia. Impeccabili Christoph Strehl e Martina Janková, e affiatatissimo il trio Chausson-van der Walt-Winkler. Lunghi applausi agli interpreti, al direttore e al regista (assente), che hanno risposto, nello spirito della serata, ballando un can can.
Michele Calella
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