Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Wolfgang Amadeus Mozart: La finta semplice
8. September 2006 (Premiere im Theater Winterthur)
     Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Lichtgestaltung

Rosina
Giacinta

Ninetta
Fracasso
Simone
Don Cassandro
Don Polidoro

Theodor Guschlbauer
Jens-Daniel Herzog
Mathis Neidhardt
Franz Orban

Christiane Kohl
Liliana Nikiteanu
Eva Liebau
Shawn Mathey
Ruben Drole
Reinhard Mayr
Boguslaw Bidzinski


Rezensionen
    Die Liebe am Ende der Verstellung
Wenn Liebe Tollheit ist
Leicht schief im Komödienraster
Bücherschlacht zum Opern-Saisonauftakt
Mozarts Vorstoss ins Reich der Komödie
Die Finta ist ziemlich «semplice»
   

Der Landbote

11. 9. 2006 / Herbert Büttiker

Die Liebe am Ende der Verstellung

Der Griff ins volle Theaterleben: Die Premiere mit Mozarts «La finta semplice» reisst den Vorhang für die Saison im Theater Winterthur weit auf und zeigt: ein ausgewachsenes Stück.

Dass der zwölfjährige Mozart Musik auf hohem Niveau zu schreiben verstand, dass seine
erste eigentliche Oper zauberhafte Arien enthält: das war vielleicht bekannt, und darauf durfte man sich auch freuen. Aber das umfängliche Werk, die komplizierte Intrigengeschichte, die vielen Arien – ob das auch ein spannender Abend würde?

Und wie! lässt sich jetzt nach einer Aufführung voller szenisch-musikalischer Lebendigkeit sagen: «Bella cosa è far l'amore» lautet die Devise, aber die Umstände sprechen dagegen. Nur dank der erotischen Ablenkung durch eine Dritte können die Frauen im Haus Don Cassandros, Schwester und Zofe, den Liebeskampf mit den Bewerbern, einem Offizier und seinem Sergeanten, zur Heiratsreife vorantreiben. Bis es so weit ist, ist der Wirbel gross, den die vorgeblich einfältige Rosina, La finta semplice, verursacht.

Mozarts Sinn für das Geschehen zwischen Klamauk und echter Seelenpein, das Gespür für Situationen und Gefühle der Figuren ist erstaunlich. Die Prägnanz der späteren Meisterwerke blitzt schon vielfach auf, und die Ausdrucksfähigkeit seiner Musik ist gross, in den Gesangspartien wie in den Orchesterstimmen, die nicht nur begleiten, sondern immer auch dazwischen- oder mitzureden haben. Das zeigen sehr schön schon die ersten Arien, besonders Giacintas «Marito io vorrei». Zwei Arien der Titelheldin ragen dann in ihrer empfindsamen Schönheit heraus («Senti l’eco ove t’agiri» und «Amoretti che ascosi qui siete»), dann Polidoros Liebesarie «Sposa cara», die in ihrem lyrischen Ernst berührt. Wohl gibt es den Überhang der Arienform, aber dieser ist ja auch Vorgabe des Librettos, und im köstlichen Duett der beiden Duellanten zeigt sich Mozart bereits als Meister der musikalischen Aktion, und da sind schon die Finali, in denen Musik und Szene im unaufhaltsamen Zug bezwingend ins Totale verschmelzen.

Imponierendes Ensemble
Ebenda bewährt sich das Ensemble auch als junges, zusammengewachsenes Team. Das Orchester des Musikkollegiums spielt unter der Leitung von Theodor Guschlbauer klangschön und flüssig, nicht immer zu letzter Schärfe fokussiert, aber auch ohne forcierten Nachdruck. Bis hin zur dramatischen Verve (Giacintas c-Moll-Arie) bewährt sich ein musikantisch frischer Mozart-Stil von beeindruckender Homogenität. Darin fügt sich auch sängerisch das eine zum anderen: Christiane Kohls Rosina mit schlankem Sopran schalkhaft und lyrisch seriös in einem, Eva Liebaus Ninetta im kleineren Format der Kammerzofe ebenso anmutig und keck, Liliane Nikiteanus Giacinta schwerblütig und dramatisch intensiv.

Auch die vier Männer agieren musikalisch differenziert: Mit dem noblen, fein zentrierten Tenor von Shawn Mathey und Ruben Droles kernig burschikosem Bass ist das militärische Ranggefälle zwischen dem Hauptmann Fracasso und seinem Sergeanten klargestellt, und das problematische Verhältnis zwischen den schwerenöterischen Brüdern Don Cassandro und Don Polidoro ist mit Reinhard Mayrs griffiger Tiefe und der tenoralen Larmoyanz vom Boguslaw Bidzinski musikalisch ebenso stimmig vorgeprägt.

Jens Daniel-Herzogs Inszenierung hält all diese musikalische Differenzierung unter das Vergrösserungsglas einer analytischen Regie, die eine drastische Sprache nicht scheut, sie aber immer einfallsreich und mit komödiantischer Leichtigkeit einsetzt. Dabei geht das umtriebige Spiel manchmal auch auf Kosten des Musikalischen, aber zum einen ist die virtuose Kunst, schauspielerische Akti on und musikalische Konzentration zu verbinden, in diesem Ensemble immer wieder verblüffend gross, zum anderen gibt die szenische Prägnanz, der Musik auch vieles zurück. Und wie der junge Mozart die Fracht trägt!

Mathis Neidhardts aufwendiges Bühnenbild mit Salon und Bibliothek, Galerie und Treppenhaus ist ein grosser Wurf: ein räumlich vielschichtiges Spielfeld und zugleich Grundlage der Deutung: bildungsgepanzerte Bürgerlichkeit, die mit Bretterverschlag vor der wilden Soldateska geschützt wird und in der die Liebe nun erst recht ein Chaos anrichtet. Da bleibt nichts im Dunkeln, und allenfalls bleibt die Frage, was es mit der als finta Semplice bezeichneten Titelfigur auf sich hat. Christiane Kohls Rosina ist freimütig, überlegen, unkompliziert. Aber «einfältig»? Ist das nicht vielmehr die Frau, die vif und überlegen alles verbindet, unbefangene Erotik und verbindliches Gefühl? Das Moment der Verstellung scheint zu fehlen. Aber wir vermissen es nicht wirklich.

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Neue Zürcher Zeitung

11. 9. 2006 / Marianne Zelger-Vogt

Wenn Liebe Tollheit ist

«La finta semplice» von Mozart im Theater Winterthur

Im Mozart-Jahr widmet das Zürcher Opernhaus die traditionelle Gastproduktion in Winterthur einem selten gespielten Frühwerk des Komponisten, der Opera buffa «La finta semplice».

Die traditionelle Eröffnungspremiere im Theater Winterthur gilt abwechslungsweise einer Spielplan-Rarität oder einer Operette. «La finta semplice», vom 12-jährigen Mozart in kaiserlichem Auftrag für Wien komponiert, aber dort (und vielleicht überhaupt) zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt, ist beides, auch wenn sie offiziell die Gattungsbezeichnung Opera buffa trägt. Was in dieser Adaption eines Goldoni-Stücks zwischen zwei schrulligen Brüdern, ihrer Schwester und deren Zofe sowie einem ungarischen Hauptmann mit Anhang abläuft, kann es leicht mit jeder Operettenhandlung aufnehmen.

Das Wunderkind und der Eros
Der bei den Brüdern einquartierte Hauptmann Fracasso umwirbt deren Schwester, sein Sergeant Simone die Zofe. Doch zur Heirat bedarf es der Einwilligung des notorisch frauenfeindlichen Don Cassandro, der als Familienoberhaupt seine Geschwister tyrannisiert. Um Cassandros Widerstand zu brechen, soll er selbst verliebt gemacht werden, und zwar durch Fracassos eben eingetroffene Schwester Rosina. Cassandro beisst an, aber noch schneller als er verliebt sich sein einfältiger jüngerer Bruder Don Polidoro in die attraktive Besucherin. So verwandelt sich der schöne Landsitz bald in ein Tollhaus, in dem Liebes-, Besitz- und Freiheitstrieb hart aufeinanderprallen.

Was soll man davon denken, dass ein solcher Stoff einem 12-Jährigen zur Vertonung in die Hand gegeben wurde? Mozart hat wohl das geliefert, was von einem Wunderkind erwartet wurde: glänzende melodische Einfälle, eine jugendliche Frische des Tones und eine erstaunliche Kunstfertigkeit im Umgang mit den Gattungskonventionen. Dies alles bringt Theodor Guschlbauer mit dem konzentriert und gelöst aufspielenden Winterthurer Orchester voller Elan zur Wirkung. Den Seelenton, der für Mozarts spätere Opern charakteristisch ist, vernimmt man in «La finta semplice» allerdings nur momentweise. Merkwürdig ist dennoch, dass das zentrale Thema von «Figaro», «Don Giovanni» und «Così fan tutte», die unwiderstehliche Macht des Eros, schon hier, in Mozarts erstem vollendeten Bühnenwerk, angeschlagen wird.

Chaos und Ordnung
Jens-Daniel Herzog, der am Zürcher Opernhaus bisher ausschliesslich musikdramatische Schwergewichte inszeniert hat, versucht nicht, die possenhafte Buffa zu nobilitieren. Dem Schematismus des turbulenten Handlungsverlaufs begegnet er ohne Scheu mit schwankhaften Gags. Trotzdem bleibt seine dramaturgische Leitidee stets erkennbar: zu zeigen, wie hier in eine bis zur Verklemmtheit verbürgerlichte Lebenswelt die ungebändigte Sinnlichkeit einbricht und die scheinbar festgefügte Ordnung einstürzen lässt.

Dass dies in einer ehrwürdigen Bibliothek (Ausstattung Mathis Neidhardt) geschieht, quasi am Sitz von Ordnung und Vernunft, zeugt allerdings von szenischem Witz der höheren Art. Und dass die beiden Brüder die kostbaren Bücherbestände mit Sperrholzplatten verdecken, bevor sich Fracasso und Simone mit ihrer Militärausrüstung breit machen, lässt ebenso auf ihr Misstrauen schliessen wie der Willkommensgruss der Schwester Giacinta und der Zofe Ninetta («Benvenuti soldati») auf deren Liebeserwartungen.

Überhaupt erweist sich die Personenzeichnung als Herzogs Spezialität - da spürt man einerseits seine Schauspielerfahrung, anderseits seine Feinhörigkeit, denn auch in Mozarts Musik gewinnen die Figuren ein ausgeprägtes Eigenleben. Das Ensemble, bis zum Schuhwerk signifikant kostümiert, bewegt sich in den durchaus nicht leichten Vokalpartien so souverän, dass es seiner Spiellaune freien Lauf lassen kann. Umwerfend komisch und stimmlich nicht weniger agil als darstellerisch Reinhard Mayr als Cassandro, von hinterlistiger Dümmlichkeit Bogusaw Bidziskis Polidoro, vielfarbig schillernd zwischen Hingabe und Verweigerung Liliana Nikiteanus Giacinta, charmant resolut Eva Liebaus Ninetta.

Ungarischerseits wird der prall komödiantische, auch sängerisch voll präsente Simone von Ruben Drole zum Sympathieträger. Daneben wirkt Shawn Matheys Fracasso trotz seiner edlen Tenorstimme steif, und Christiane Kohl mit ihrem scharfen, nicht immer ganz intonationsreinen Sopran gibt kaum zu erkennen, dass Rosina die Titelfigur und deren Einfalt vorgetäuscht ist. Ebenso wenig glaubt man ihr, dass das Spiel mit der Liebe für sie unversehens ernst wird. Herzogs offener Schluss - die Umworbene verschwindet diskret, ohne sich für einen der Brüder entschieden zu haben - läuft deshalb ins Leere.

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St. Galler Tagblatt

11. 9. 2006 / (tg)

Leicht schief im Komödienraster

Vor der ersten Premiere im Stammhaus eröffnete das Opernhaus seine Saison traditionell mit einer Rarität im Theater Winterthur, heuer mit Mozart. Dessen erste Oper «La finta semplice» nach Goldoni, geschrieben als 13-Jähriger, entpuppt sich trotz gelungener Regie als hübsche, aber leichtgewichtige Komödie: Auch Mozarts geniale Werke kommen nicht einfach aus dem Nichts. Wenn das trotzdem Spass macht, liegt das am frischen Ensemble um Shawn Matheys edlen Fracasso und der Regie. Jens-Daniel Herzogs ins Heute verlegte Inszenierung ironisiert nur leicht, führt die Figuren aber so genau, dass sie nie in die Klamotte abdriften.

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Die Südostschweiz

10. 9. 2006 / Reinmar Wagner

Bücherschlacht zum Opern-Saisonauftakt

Traditionsgemäss gehört die erste Zürcher Opernpremiere dem Stadttheater Winterthur. Im Mozart-Jahr wählte Intendant Alexander Pereira die erste Opera buffa des Komponisten: «La finta semplice».
Die Handlung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «La finta semplice» geht auf eine Komödie Carlo Goldonis zurück: Zwei eher minderbemittelte (geistig, nicht pekuniär), frauenverachtende Brüder hausen mit ihrer Schwester und der Dienstmagd auf ihrem piemontesischen Landgut und sind so weit zufrieden. Weniger glücklich sind jedoch die Frauen, die sich nach Männern und Heirat sehnen, aber von den beiden Hausherren nie den Segen dafür kriegen würden. Das ändert sich, als Soldaten einquartiert werden und eine «Finta semplice», eine «vorgetäuschte Einfältige» in der Gestalt Rosinas ganz schön Betrieb ins Haus-, Hof- und Triebleben bringt.

Kaiserlicher Auftrag
Mozarts Vater Leopold wollte nach den erfolgreichen Reisen 1768 seinen Sohn mit einer veritablen Oper in der Musik-Weltstadt Wien etablieren. Den Auftrag hatte er von höchster Stelle, vom Kaiser Joseph II. selbst. Unter väterlicher Aufsicht arbeitete der zwölfjährige Mozart an diesem Stück und an den formalen und musikalischen Erfordernissen, die durch die Gattung Opera buffa vorgegeben waren - er arbeitete wirklich, wie die Skizzen und Briefe beweisen, soll keiner behaupten, alles sei ihm einfach in den Schoss gefallen.
Zu einer Aufführung aber kam es nicht: Die Wiener Opernwelt war kein überschaubares Salzburg, der Kaiser konnte sich - trotz einer Intervention Leopolds - auch nicht darum kümmern.

Unverbrauchte Ideen
«Voglio una donna!» hallte es am Freitag Fellini-gleich durchs Winterthurer Theater. Der Regisseur Jens-Daniel Herzog brachte den berühmten Schrei aus «Amarcord» gerade im richtigen Moment an. Auch sonst bewies er ein sehr sensibles Gespür für Timing, unverbrauchte Ideen und Zitate. Die Goldoni-Komödie erhielt unter seinen Händen nichts Klamaukhaftes, nicht vordergründig Lustiges. Zu lachen gab es dennoch immer wieder: über witzige Einfälle, überraschende Wendungen, vor allem auch über die Spiellust des Ensembles, die in einer veritablen Bücherschlacht in der Bibliothek kulminiert.

Vor allem zu lachen hatte man über Reinhard Mayr in der Rolle des geizigen Patriarchen Cassandro. Allein wie er den Betrunkenen mimte, ohne je ins Chargieren zu verfallen: die Duellszene eine einzige Augenweide. Mithalten konnten seine Kollegen nicht, aber auch sie erfüllten die Erwartungen an modernes, aktionsreiches, glaubhaftes Schauspiel. Auch sängerisch war Mayr tadellos, und mit ihm bis auf kleine Abstriche das ganze Ensemble: Die Zürcher Mozart-Ensemble-Kultur bewährte sich auch in dieser Produktion. Etwas blass blieb Shawn Mathey als Hauptmann Fracasso; bei Christiane Kohl als Rosina mischte sich in die Quirligkeit und Agilität ihrer Linien das Bedauern über eine wenig farbenreiche Stimme. Ruben Drole und Boguslaw Bidzinski erfüllten ihre Aufgaben so sicher und überzeugend wie Eva Liebau und Liliana Nikiteanu.

Die leidige Dynamik
Das Winterthurer Orchester leitete Theodor Guschlbauer, eigentlich ein erfahrener Mozart-Dirigent. Dennoch vermochte er zu wenige Akzente zu setzen, brachte zu wenig Abwechslung und Differenzierungen in das Orchesterspiel, das in den Details an sich lebendig war. Vor allem aber wäre - wieder einmal ist es zu beklagen - eine Dynamik wünschbar, die auch Bereiche jenseits eines platten Forte kennt. Mozarts Partitur würde es verdienen: Natürlich ist vieles darin konventionell. Aber Ungeschicklichkeiten oder Halbheiten gibt es nicht. Und da und dort - in einer überraschenden harmonischen Wendung, einer unerwarteten chromatischen Linie, einem atemraubenden Kontrast - kündigt sich doch auch schon der Opernmeister Mozart an.

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Tages-Anzeiger

11. 9. 2006 / Michael Kunkel

Mozarts Vorstoss ins Reich der Komödie

Gastspiel: Die Zürcher Oper zeigt Mozarts lustige «Finta semplice» im Theater Winterthur.

Eine Kinderoper zur Saisoneröffnung: Geht das? Im Alter von 12 Jahren komponierte Wolfgang Amadeus Mozart die Oper «La finta semplice», die sonst nicht allzu häufig auf den Spielplänen auftaucht. Im Jubiläumsjahr kann die «Zauberflöte» schon jeder von hinten nach vorne pfeifen, und so ist Abwechslung willkommen. Mozarts «Finta» ist natürlich alles andere als eine Kinderoper. Sie ist der erste Vorstoss Mozarts ins Reich der Opera buffa, der musiktheatralischen Komödie, die in seinem späteren Schaffen so wichtig wurde.

Schon in diesem Werk ist die Handlung eigentlich schnuppe. Es geht um Liebe und Macht und die aus deren Verstrickung resultierende Komik. Mozarts Musik ist ein agiles Mit- und Gegeneinander, deren Quirligkeit durch das Orchester Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Theodor Guschlbauer schön zur Geltung kommt. Regisseur Jens-Daniel Herzog sucht Mozarts «Finta» (zum Glück) nicht den Nimbus eines Hauptwerks zu verleihen oder irgendeine verblüffende Aktualität im Stoff zu entdecken. Lieber präsentiert er das Stück in nicht allzu hintergründiger Komik.

Die kauzigen, nur anfänglich etwas frauenscheuen Brüder Don Cassandro (Reinhard Mayr) und Don Polidore (Boguslaw Bidzinski) werden als weltfremde, in einer stattlichen Bibliothek hausende, intellektuelle Stubenhocker und Bücherwürmer gezeichnet; dieses Heim verwandeln die soldatesken, weibtollen und kuppelfreudigen Burschen Fracasso (Shawn Mathey) und Simone (Ruben Drole) in eine Stätte handfesterer Freuden. Dies ist die elementare und nachvollziehbare Polarität eines Opernabends mit viel Slapstick und einem leichten Hang zur Volkstheatralik. Frivolitäten fallen stets betont harmlos aus, auf dass das Opernpublikum sich nicht schon gleich zu Saisonbeginn zu stark erschrecke. Entsprechend dankbar und erfreut zeigte es sich bei der Premiere am Freitag.

Dass dieses Konzept trotz aller Biederkeit irgendwie aufgeht, liegt vor allem an der offensichtlichen Spielfreudigkeit und stimmlichen Flexibilität des Ensembles, deren Mitglieder herumwuseln, was das Zeug hält. Die auffällige Ähnlichkeit von Reinhard Mayr (alias Don Cassandro) mit Helge Schneider schadet hier nicht. Dynamisches Zentrum des Geschehens ist die putanesk gewandete Rosina (Ausstattung: Mathis Neidhardt), die durch Christiane Kohl verkörpert wird. Die Rosina-Arien sind die musikalisch anspruchsvollsten der «Finta»-Partitur und markierten dank der verblüffend leichten, unangestrengten Diktion Kohls die Höhepunkte des Abends.

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Zürcher Oberländer

11. 9. 2006 / Tobias Gerosa

Die Finta ist ziemlich «semplice»

Auch Mozarts geniale Opern kommen nicht einfach so aus dem Nichts, sondern haben ihre Vorläufer. Das Opernhaus liefert im Theater Winterthur einen Beleg: Diese Finta ist ziemlich semplice.
Trotzdem kann die Neuproduktion der ersten Oper Buffa des 13-jährigen Künstlers als gelungen bezeichnet werden. Zwei beschränkte Brüder tun jeder Komödie gut, je mehr man sie foppen kann und sie sich selber blossstellen, umso besser. Getreu diesem alten Strickmuster sind Don Cassandro und Don Polidoro gestrickt - eingefleischte Junggesellen natürlich, die ihre Sehnsucht nach Liebe in Frauenfeindlichkeit sublimieren und leicht verführt werden können, schleust man eine junge, gewitzte Frau ein.
Mehr ist da musikalisch nicht.
In Mozarts «Finta semplice»" bietet die Einquartierung von zwei Soldaten im Junggesellenhaus diese Möglichkeit - und liefert auch gleich die Ehegatten für die Schwester und das Dienstmädchen. Mehr ist da (ausser in ein paar Arienwendungen und -Takten, wo Mozarts Entwicklung zu erahnen ist) auch musikalisch nicht, die Konvention wird in regelmässiger Abfolge von Arien und Rezitativen und wenigen Ensembles zu den Aktschlüssen erfüllt.

Frisches, ausgewogenes Ensemble
Wenn das in Winterthur trotzdem Spass macht, liegt das weniger an Theodor Guschlbauers Dirigat, bei dem zur akuraten Solidität deutlich Spritzigkeit und Esprit fehlen, sondern am frischen, ausgewogenen Ensemble und der überzeugenden Regie.
Nach «Tannhäuser», «Pique Dame» und Händels «Orlando» erarbeitete Jens-Daniel Herzog seine vierte Zürcher Produktion und erweist sich auch hier auf schlüpfrigem Komödiengrund wieder als handwerklich genauer und unaufgeregter Regisseur.
Dabei balanciert seine Inszenierung auf schmalem Grat zwischen Bedienen der Klischees einerseits und ihrer Ironisierung und feiner Überzeichnung andererseits.

Liebevoll gezeichnete Brüder
Die beiden Brüder, auf deren Kosten sich andere Figuren und Publikum belustigen, sind durchaus liebevoll gezeichnet. Boguslaw Bidzinski (der als Polidoro mehr als in seinen bisherigen Kleinrollen zeigen kann, wie variabel sein Tenor ist) und Reinhard Mayr (ein fundierter Cassandro) spielen ihr komödiantisches Talent aus, fallen dabei aber nie in die Klamotte.
Auch Ruben Drole als Soldat Simone überzeugt nicht nur durch klar fokussierten Bass-Bariton, sondern auch durch eine kontrollierte Darstellung - hoffentlich bleibt das auch so, wenn der Regisseur abgereist ist!

Ein einziges leises Piano
Nur die grosse Bibliothek, die Mathis Neidhardt als Einheitsraum für alle drei Akte gebaut hat, mag nicht recht zu den Brüdern passen, auch wenn sie mit ihren beiden Etagen das soziale Oben und Unten sinnfällig abbildet.
Vor dem stimmlich wie darstellerisch edlen Gentleman-Offizier Fracasso von Shawn Mathey hätten die Hausherren auch die Bücher nicht so säuberlich abzudecken brauchen.
Wo sein Untergebener Simone dem Dienstmädchen Ninetta direkt an die Wäsche will, hält er sich gegenüber der unsicheren Giacinta zurück. Liliana Nikiteanu nutzt die Gestaltungsmöglichkeiten der Figur optimal und bringt tatsächlich als Einzige Dirigent Theodor Guschlbauer auch einmal zu einem wirklich leisen Piano.

Rollentausch wäre Versuch wert
Bleiben Ninetta und die zur Verführung aufgefahrene «Schwester» Rosina. Es wäre den Versuch wert, die beiden Darstellerinnen Christiane Kohl und Eva Liebau die Rollen tauschen zu lassen. Eva Liebaus Sopran mag eine Spur weniger Glanz haben, verfügt aber über deutlich mehr Farben und Ausdruck, die als Rosina noch besser zur Geltung kämen.

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