|
Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
|
|
Wolfgang Amadeus Mozart: La finta giardiniera
12. Februar 2006 (Première)
|
|
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtregie
Sandrina
Arminda
Ramiro
Serpetta
Il Podesta
Belfiore
Nardo
|
Nikolaus Harnoncourt
Tobias Moretti
Rolf Glittenberg
Renate Martin
Jürgen Hoffmann
Eva Mei
Isabel Rey
Ruxandra Donose
Julia Kleiter
Rudolf Schasching
Christoph Strehl
Oliver Widmer |
|
|
|
|
Persönlicher Eindruck
einer Premièren-Besucherin
Seelen- und Mozart-Versteher
Morettis Mozart
Gärtnerin im Liebesgarten
Leben unter dünner Buffo-Politur£
Die Liebe, unwahrscheinliches Glück
Wer mit wem? Und warum?
Im Garten der Koloraturen
Wuchernde Triebe im Kakteenbeet
Liebeslust zur Musik des jungen Mozart
Verkleidungen - Verstrickungen
In der Villa Wahnwitz
Treibhaus der Operngefühle
Überdüngte Kakteen
Ehre dem Meisterwerk
(…) |
|
13. 02. 2006 / Chantal Steiner
Von Kakteen und Fondue Chinoise
Nach einem eher dürftigen Saisonbeginn hat nun das Opernhaus Zürich in Folge einige Highlights auf die Bühne gebracht. Nach „Harley“, „Peter Grimes“ und „Orlando“ durfte sich gestern das Premierenpublikum an einer sehr ansprechenden „Finta Giardiniera“ erfreuen.
Auch wenn einige der Gäste monierten, die Musik sei zum Einschlafen, so kann ich das beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sicher, die Aufführung dauert (trotz einiger Kürzungen) 3 ½ Stunden. Das Jugendwerk von Mozart weist bisweilen Längen auf. Nach dem Geschmack seiner Zeit ist die Komposition mit entsprechend vielen Textwiederholungen ausgestattet. Und das Libretto ist auch kein grosser Wurf: Zu konfus ist der Verlauf, zu unlogisch sind bisweilen die Situationen, und die Charaktere sind eher oberflächlich abgebildet und verhalten sich nicht wirklich schlüssig.
Trotzdem gelingt es Regisseur Tobias Moretti in seiner 2. Opernregie (wenn man die konzertante „Zaide“ ausklammert), dieses Stück schlüssig umzusetzen. Auch wenn für mein Empfinden einige Slapstick-Einlagen etwas zu holzhammermässig ausfallen, so entspricht Moretti damit doch dem heutigen Zeitgeist: Das Publikum lacht laut und amüsiert sich bestens. (Wenn Nardo allerdings in seiner Verzweiflung einen Kaktus rasiert, so habe ich eher Mitleid mit dem Kaktus als mit dem Gärtner. Ich kann nur hoffen, dass es kein echter war…)
Rolf Glittenberg schafft wieder einmal ein wunderbar ästhetisches Bühnenbild: eine Art Patio in einem feudalen herrschaftlichen Haus. Der Diener Nardo, der die vermeintliche Gärtnerin Sandrina (die in Wirklichkeit die Gräfin Violante Onesti ist) begleitet, ist selbst Gärtner und kümmert sich um Kakteen. Er ist verliebt in das Dienstmädchen Serpetta, die von ihm jedoch nichts wissen will, weil sie ein Auge auf Don Anchise (Il Podestà) geworfen hat. Dieser hat eine Nichte, Arminda, welche er mit dem Conte Belfiore vermählen will. Letzterer hatte in einem Anflug von Leidenschaft die Gräfin Onesti tätlich angegriffen. Da er annahm, sie ermordet zu haben (!), floh er. „Sandrina“ versucht (aus Rache oder aus Liebe?), seine Spur aufzunehmen und hat sich deswegen als Gärtnerin einstellen lassen. „Zufällig“ begegnen sie sich beim Podestà. Um das ganze Wirrwarr noch unübersichtlicher zu machen, wohnt in diesem Hause auch noch Ramiro, ein ehemaliger Liebhaber von Arminda, der sie noch immer liebt... Dreimal darf jetzt geraten werden, welche Paare sich am Schluss der Oper zusammenfinden!
So verworren das auch klingt, erstaunlich feministisch ist doch der Text. Die Männer sind allesamt ziemliche Weichlinge; die Frauen haben das Zepter in der Hand. Einige der (witzigen) gesprochenen Zwischentexte dürften der Feder von Moretti entsprungen sein. Die Musik von Mozart ist wunderbar leicht, trägt die Komödie, schlägt aber auch in Ernsthaftigkeit um oder wird poetisch, symphonisch (beim Erwachen der beiden Liebenden Violante und Belfiore z.B.). Obwohl Mozart dieses Werk bereits 1774 komponierte, sind daraus bereits „Figaro“ und „Così“ wie auch „Don Giovanni“ zu erahnen.
Nikolaus Harnoncourt nähert sich dem Stück mit grosser Ernsthaftigkeit. Er sieht in dem Stück mehr als „nur“ das „dramma giocoso“. Er lotet die Partitur wie bei ihm üblich bis ins kleinste Detail aus. Man mag beim jungen Mozart vielleicht etwas mehr Verve und Leichtigkeit erwarten, vielleicht auch etwas schnellere Tempi; die Harnoncourt’sche Deutung ist jedoch absolut schlüssig. Umwerfend sind z.B. die Piani, die er dem hervorragend disponierten (bis auf einige Patzer bei den Bläsern) Orchester „La Scintilla“ entlockt. Den Sängern breitet er einen Klangteppich aus, auf dem jeder sich bestens zurechtfindet, er vermag die Spannung aufzubauen und das Stück im zweiten, weniger buffonesken Teil nach der Pause nicht abflachen zu lassen.
Auch sängerisch gibt es nicht viel zu bemängeln. Einzig mit dem Buffo Podestà, der von Rudolf Schasching verkörpert wird, habe ich meine liebe Mühe: Dass er die Rolle über-chargiert, kann ich noch akzeptieren. Seine Darbietung hat allerdings sängerisch herzlich wenig mit Mozart zu tun. Da wird mir zu wenig gesungen und mit zu viel Sprechgesang agiert. Trotzdem herrlich die Arie „Dentro il mio petto io sento“, in der er im „Zwie-gespräch“ mit dem Orchester seinen Gemütszustand anhand von Musikinstrumenten illustriert. Ganz hervorragend hingegen Eva Mei, die sich immer mehr zu dramatischeren Rollen hinbewegt. Sie verkörpert die vermeintliche Gärtnerin stets würdevoll, ganz Gräfin, und mit grosser Grazie. Bei den Pianissimo-Stellen springt die Stimme bisweilen zwar nicht immer optimal an, dies mag aber am (Erd-)Staub liegen, der auf der Bühne aufgewirbelt wird, denn das Piano war bis anhin immer ihre Stärke. Ebenfalls grandios ist der Belfiore von Christoph Strehl, der seinen lyrischen, mozartgeschulten Tenor wunderschön aufblühen lässt. Herrlich auch sein komödiantisches Talent und seine Art, sich zu bewegen. (Die Personenführung von Moretti sei hier hervorgehoben). Auch Isabel Rey als zu Gewalttätigkeiten neigende, egozentrische Nichte ist absolut rollendeckend. Ihr Sopran perlt glockenhell, auch wenn die Spitzentöne ab und an etwas scharf wirken. Eine Entdeckung, die es sich zu merken gilt, ist Julia Kleiter als Serpetta; jung, spritzig, frech eine Stimme mit Potenzial. Für die erkrankte Liliana Nikiteanu sprang kurzfristig Ruxandra Donose in der Hosenrolle des Ramiro ein. Sie fügte sich ausgesprochen gut ins homogene Ensemble ein und verfügt über eine angenehm timbrierte, wenn auch nicht übermässig grosse Stimme. Ramiro ist keine wirklich ergiebige Rolle, doch bewältigte sie alle Anforderungen spielend. Oliver Widmers Nardo lebt von seinem komödiantischen Talent. Herrlich die Arie „Con un vezzo all’ italiana“, in der er polyglotte Fähigkeiten zeigt und auf Italienisch, Französisch und Englisch Serpetta zu umwerben versucht. Allerdings steht sein französischer Text so nicht im Libretto (kein Verweis auf „fondue chinoise“ u.ä.!).
Ein vergnüglicher Abend also, mit wunderschöner Musik, einem homogenen Ensemble und einer Inszenierung, die das schwierig umzusetzende Werk zugänglich macht. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert. Ob da nicht ein bisschen Harnoncourt-, Moretti- und Mozartbonus mitschwang, bleibe dahingestellt. Ein einzelner Buhrufer musste sich ganz am Schluss beim Regieteam noch „profilieren“. Die meisten anderen gingen fröhlich und beschwingt nach Hause, nicht ohne zu staunen, was in der Partitur eines doch so jungen Komponisten bereits alles verpackt ist.
|
|
14. 02 . 2006 / Christian Berzins
Seelen- und Mozart-Versteher
Opernhaus Zürich: Nikolaus Harnoncourt dirigiert Mozarts «La finta giardiniera». Die Oper ist das erste Mal in Zürich zu hören.
Es gibt zwei sehr gute Gründe, die neuste Produktion des Opernhauses Zürich zu besuchen: Dirigent Nikolaus Harnoncourt und Komponist Wolfgang Amadé Mozart. Warum sollte Mozart kein Grund sein, ins Opernhaus zu gehen, wird jeder fragen? Aber warum, so die Gegenfrage, wurde die Oper «La finta giardiniera» noch nie am Opernhaus, vielerorts noch gar nie, gespielt? Es sind Vorurteile betreffend die frühen Mozart-Opern: Sie würden nur einseitige Charaktere zeigen, die Aneinanderreihung der Arien ermüde. Der Ausweg? In diese «Finta giardiniera» eintauchen!
Da wird eine Musik durch die Ohren rasen, die im Jahre 1775 ihresgleichen suchte. Die Handlung mag etwas verwirren, doch wer hinhört, wird alle Wendungen und Verstrickungen verstehen. Der Seelen-Versteher Mozart deutet nämlich subtil und zeigt den Liebes-Weg, der ein unheimlicher grosser Umweg ist - vielleicht gar eine Sackgasse. Aber Vorsicht: Mozart stellt Fallen, schreibt bisweilen so böse Musik, wie wir sie von «Così fan tutte» her kennen: Schmeichelt er, oder ists ihm ernst? Sind die Melodien so schön, weil er uns etwas vormacht?
Der Dirigent weiss gottseidank Rat. Ist Mozart nämlich der Seelen-Versteher, so ist Nikolaus Harnoncourt der Mozart-Versteher. Er liest die «Finta»-Partitur so genau, deutet sie so präzis, dass er sich auch Wendungen erlauben kann, die jeden fragen lassen: Meint er das nun ernst? Die klanglichen Schüsse übers Ziel hinaus rütteln diejenigen wach, die meinen, einer Mozart-Idylle beizuwohnen. Dank Harnoncourt wächst jede Nummer zu einer dramatischen Einheit. Ungeheuerlich der natürliche Atem, der über jeder Arie schwebt, vom Klangreichtum ganz zu schweigen.
Zur Handlung: Am Anfang steht ein Mord - und doch wirds eine Komödie, ein Dramma Giocosa, bzw. eine Opera Buffa. Ziel ist es also, das Klassendenken zu lockern und doch damit zu spielen. Hauptrolle spielen Graf und Gräfin, aber wer will, konzentriert sich auf Diener und Hausmädchen, auf den gecken Kavalier oder den polternden Hausherrn. Denn neben dem erhabenen Paar tollen sich fünf Figuren und Figürchen. Alle sind auf der Suche nach ihrem idealen Partner: ein heiter-böses Spiel, das viele Verlierer kennt.
Regisseur Tobias Moretti, der Schauspielstar aus Kino und Fernsehen, will gar «eine brutale Wahrheit zeigen». Die Glückseligkeit ist zum Schluss weit entfernt: Keine Freuden, sondern Tatsachen herrschen vor. Die parabelhafte Partnersuche hat wenig eingebracht. Jeder der sieben Protagonisten weiss, wie es mit dieser oder jenem sein könnte. Doch wie ist es mit dem Zugeteilten?
Man beobachtet das böse Spiel und lächelt doch durchgehend, denn Moretti taucht weniger ins Innere der Figuren, sondern zeigt eine bunte, mit viel Witz angereicherte Gesellschaft: Die Personen scheinen einer Fernsehsoap entsprungen. Und so ergibt sich mehr Schmunzel-Tragik als Seelen-Tiefe.
Aber Moretti - er inszeniert erst seine zweite Oper - ist zum Glück mehr Theater- als Fernsehmann. Denn obwohl er das Geschehen inklusiv obligater, läppischer Videos in die Gegenwart versetzt (Bühne Rolf Glittenberg), bleibt er irgendwo draussen in einem wunderbaren, zeitlosen Theaterland. In diesem Land kann man auch mal fünf gerade sein lassen, kann vorübergehender Wahnsinn oder können opernhafte Schicksalsschläge die Protagonisten treffen. Und hier gehen aber einfache Herzenswünsche in Erfüllung.
Es wird auch gesungen. Einige tun es ganz vorzüglich (Christoph Strehl und Oliver Widmer), gewisse immerhin rührend (Eva Mei, Isabel Rey und Ruxandra Donose), andere holen ihre «Bravo»-Rufe mehr durch ihr Spiel als durch die Aneinanderreihung wohlgeformter Töne (Rudolf Schasching und Julia Kleiter). Aber alle wissen, wem sie den Applaus verdanken: Würde ihnen nämlich nicht Harnoncourt und das Orchester La Scintilla den Seelen-Weg ebnen, müssten sie gar nicht erst den Mund aufmachen. Und wenn sie es dann tun, erklingt auch noch Mozarts Musik. Vor allem deswegen freut sich jeder auf die nächste «Finta giardiniera».
|
|
14. 02 . 2006 / Sigfrid Schibli
Morettis Mozart
Das Frühwerk «La finta giardiniera» neu am Opernhaus Zürich
Als Mozart seine dreiaktige Oper «La finta giardiniera» («Die Gärtnerin aus Liebe») schrieb, war er noch keine 19 Jahre alt. Und er hegte die allergrössten Ambitionen: Seine «Finta» dauert gut und gern drei Stunden, wenn man wie der Dirigent Nikolaus Harnoncourt jede Note, die der Salzburger Senkrechtstarter geschrieben, für erhaltenswert hält. Die «Finta» ist in vielem eine Vorstufe: Im Sujet und der chorlosen Beschränkung auf sieben gleichgewichtige Protagonisten erinnert die Verwechslungskomödie an «Così fan tutte», anderes wie die Hochzeitsthematik und die Szene im Dunkeln, in der sich die Figuren neu (er-)finden, deutet auf den «Figaro» voraus. Wie im «Don Giovanni» steht die Liebesmacht eines Mannes - hier des Grafen Belfiore - im Zentrum.
SORGFALT
Freilich will die szenisch wie musikalisch ausgeklügelte Zürcher Produktion das «Dramma giocoso» für voll nehmen und den Eindruck des Unfertigen, des Vorstufenhaften, vermeiden. Die Wahl der Sänger ist von erster Güte. Eva Mei ist mit ihrem schlanken, verzierungsreich geführten Sopran eine blühende Sandrina - die fingierte Gärtnerin, die eigentlich Gräfin Violante ist und auf dem Anwesen des Podestà von Lagonero ihren früheren Liebhaber Belfiore trifft, der kurz vor der Hochzeit mit der jungen Arminda steht.
Diese wird von Isabel Rey ganz leidenschaftlich-dramatisch gezeichnet, während Christoph Strehl den liebeseifrigen Grafen stimmlich höchst geschmeidig und szenisch angemessen tollpatschig gibt. Rudolf Schasching stellt seine Leibesfülle wie seinen baritonal gefärbten Tenor in den Dienst eines buffonesken Podestà, der am Ende ebenso leer ausgeht wie der als ihr Vetter Nardo verkleidete Diener Roberto (mit klar zeichnendem Bariton und viel Spielfreude: Oliver Widmer) und die Dienerin Serpetta, die insgeheim auf eine Ehe mit ihrem Herren und damit den sozialen Aufstieg spekuliert (Julia Kleiter, eine Nachwuchs-Sopranistin auf steilem Karrierekurs). Zurück bleibt auch der vergeblich auf Arminda schielende Cavaliere Ramiro (glänzend in der einzigen Hosenrolle Ruxandra Donose). Denn in der von Tobias Moretti witzig und temporeich arrangierten Komödie gibt es nur ein neues Liebespaar: das alte.
|
|
14. 02. 2006 / Roger Cahn
Gärtnerin im Liebesgarten
Ein wirres Stück, entzückende Musik, fantasievoll inszeniert und spannend dirigiert. Das Opernhaus feiert sein Mozart-Jahr mit dem höchst selten gespielten Werk «La finta giardiniera». Begeisterung beim Premierenpublikum am Sonntag.
Es geht um Liebe. In den festen Gesellschaftsstrukturen des Absolutismus sind den Gefühlen Grenzen gesetzt. Diese werden auf der Bühne so lange strapaziert und immer mal wieder überschritten, bis sich die füreinander bestimmten Paare gefunden haben.
Im Zentrum steht eine Adlige, die sich als Gärtnerin ausgibt, um die Liebe zu ihrem Grafen - dieser hätte sie aus Eifersucht beinahe erstochen - wiederzufinden. Rund um diese zentrale Geschichte spinnen sich weitere Beziehungen, Leidenschaften und Ränkespiele.
Der 19 Jahre junge Mozart ist ebenfalls noch in den Strukturen der barocken «opera seria» gefangen. Es gelingt ihm zwar, ausgefeilte und spannende Aktschlüsse («finali») zu schreiben, innerhalb der Oper bleibt er hingegen noch arg konventionell: Die einzelnen Figuren besingen ihre Freuden und Leiden alleine in langen Arien, dialogisiert wird ausschliesslich in den Rezitativen. Ausnahme: die grosse Liebesszene zwischen den Hauptfiguren im Schlussakt. Und die Oper dauert sehr lange - mehr als dreieinhalb Stunden.
Das ruft nach einer einfallsreichen Regie. Der junge Tiroler Schauspieler Tobias Moretti meistert diese schwierige Aufgabe mit Bravour: In einer zeitlos-modernen Villa mit grossem Innengarten (Bühne: Rolf Glittenberg) finden die sieben Figuren einen idealen Raum, um ihre Gefühle auszuleben. Während die einen ihre Arien vortragen, bringen die angesungenen Partner ihre eigenen Leidenschaften zum Ausdruck. Präzise geführt von einem fantasievollen Regisseur.
Die eigentliche Spannung kommt aus dem Orchestergraben: Nikolaus Harnoncourt verleiht Mozart Flügel. Er lotet im Orchester sämtliche Finessen der lautmalerischen Musik aus und führt das harmonische Sänger-Septett zu Spitzenleistungen. Aus dem Ensemble ragen Eva Mei in der Titelrolle und Isabel Rey als ihre Gegenspielerin Arminda sowie die zu vielen Spässen bereiten Baritone Rudolf Schasching und Oliver Widmer heraus.
Fazit: Ein vergnüglicher Abend, so richtig zum Geniessen.
|
|
14. 02. 2006 / Tobias Gerosa
Leben unter dünner Buffo-Politur
Nikolaus Harnoncourt und Tobias Moretti bringen Mozarts «Finta Giardiniera» intelligent und lustvoll auf die Bühne
Sogar bei Mozart gibt es noch Entdeckungen zu machen. Wer bei seiner «Finta Giardiniera» von 1775 noch ans Vorurteil einer starren und langweiligen Opera Buffa glaubt, kann sich am Opernhaus Zürich eines Besseren belehren lassen.
Tobias Gerosa
Wer wird hier am Schluss glücklich? Alle, sagt der kurze Schlusschor, denn der Wahnsinn ist verflogen, und der Podestà gibt nicht nur seine eignen amourösen Ambitionen auf, sondern verzichtet auch auf sein Einspruchsrecht bei den Heiraten der anderen. Doch so einfach ists schon beim 19-jährigen Mozart nicht mehr.
Ist nach dreieinhalb Stunden Irrungen und Wirrungen der Liebe zwischen der Marchesa, die sich, um ihre Liebe zu retten, als Gärtnerin Sandrina beim Podestà verdingt, und ihrem Conte Belfiore, der sich mittlerweile bis zur Hochzeitsplanung an Arminda heranmacht, noch zu trauen? Vieles wird von der musikalischen Schlusswendung nur notdürftig überdeckt, und der harmonisch überraschende, schwebende Ruhepunkt im Finale betont dies noch zusätzlich.
Aussergewöhnliche Präsenz
Das Opernhaus hätte sich für seine erste Mozart-Produktion in diesem Jubiläumsjahr keinen besseren Anwalt als Nikolaus Harnoncourt wünschen können. Harnoncourt sagte vor einigen Wochen zwar praktisch alle Engagements ab: Mit 77 Jahren müsse er sich schonen und brauche mehr Erholungszeit. Während die Berliner Philharmoniker oder die Salzburger Festspiele nicht mehr mit ihm rechnen können, wird er laut Intendant Alexander Pereira in Zürich weiterhin jährlich eine Oper einstudieren.
Noch immer strahlt Nikolaus Harnoncourt eine Präsenz aus, die sich nicht nur auf die Musiker und Musikerinnen des Orchestra la Scintilla und die Sänger, sondern auch aufs Publikum überträgt. Da gibt es kein Zurücklehnen, sondern stets hellwaches Mitgehen mit der Musik - gegenüber der eigenen CD-Einspielung von 1992 sogar noch geschärft, tänzerischer und viel stärker aus der Sprache gestaltet.
Das geht so weit, dass die Secco-Rezitative dem Sprechgestus angenähert oder manchmal ganz gesprochen werden und auch die Accompagnati oder die in diesem Werk auffallend häufigen Stimmungsumschwünge in den Arien rhetorisiert werden. Das macht nicht nur Effekt, sondern betont in bestechender Weise die inneren Vorgänge und liefert so eine Steilvorlage für einen Regisseur, der ebenfalls unter die Oberfläche schauen will.
Ideales Ensemble
Das tut Tobias Moretti (als Schauspieler längst mehr als nur Kommissar Rex) in seiner erst zweiten Opernregie. Man merkt seiner Arbeit die Erfahrung auf der Schauspielbühne positiv an. Rolf Glittenbergs kühles Atrium und die heutigen Kostüme von Renate Martin und Andreas Donhauser setzen dafür einen zeitgemäss schlichten, doch markanten Rahmen. Wie Moretti darin die Handlung äusserlich und psychologisch zu motivieren versteht, beeindruckt auf Anhieb. Dazu nimmt er seine Sänger offensichtlich an die Hand und lässt sie eine (bisweilen durchaus handfeste) Komödiantik entwickeln, die mit Musik und Text gekonnt auf der Schneide zwischen Lächerlichkeit und Tragik balanciert. Nebenrollen gibt es so keine, auch wenn Ruxandra Donose (als von den Kürzungen beschnittener Ramiro), Oliver Widmer (Nardo) und Julia Kleiter (eine Serpetta, die aufhorchen lässt) Randfiguren bleiben.
Obwohl Rudolf Schasching als Podestà meilenweit von kultiviertem Mozartgesang entfernt singt, ist er als Bühnentier eine Idealbesetzung für diesen gefährdeten, düpierten Amtsinhaber. So wie seine Nichte Arminda, die Isabel Rey als Hochglanzgirl mit Hündchen, aber etwas kleiner Stimme gibt, stellte er sich wohl seine Frau auch vor; zur etwas distanzierten Eleganz der Kantilenen von Eva Meis Sandrina würde er passen wie die Faust aufs Auge. Doch passt Conte Belfiore, dieser schusslige Dandy wirklich besser? Christoph Strehl verkörpert die Ambivalenz zwischen tenoralem Liebhaberschema und dessen Demaskierung, singt aber wie ein Mozart-Tenor ersten Ranges.
So droht bei Mozart auch im Mozartjahr kein Überdruss!
|
|
14. 02. 2006 / Herbert Büttiker
Die Liebe, unwahrscheinliches Glück
Sehr viel Happy End zeigte sich am Ende auf der Bühne nicht: umso mehr im Publikum, das alle Beteiligten der «Finta Giar diniera» im Opernhaus Zürich mit Applaus überschüttete.
Das Dramma giocoso, das Mozart für das Hoftheater in München 1784 komponierte, folgt mit den sieben Protagonisten und ihren verwickelten Liebesangelegenheiten zwar dem gängigen Muster der Opera buffa der Zeit, aber zuletzt akzentuiert die Zürcher Inszenierung, dass da einige Gewichte verschoben sind. Ausgeblendet wird, dass das Libretto drei glückliche Paare vorsieht. Arminda, die Gentildonna Milanese, sollte nun doch den Cavaliere Ramiro nehmen, weil sich die Hoffnung auf Belfiore zerschlagen hat, und der Diener (Nardo respektive Roberto) sollte endlich die Kammerzofe Serpinetta bekommen, die eigentlich den Podestà haben wollte. Nichts davon. In den Armen halten sich hier nur die Marchesa Violante Ornesti und der Contino Belfiore.
Das Happy End bleibt dem Paar vorbehalten, dessen Verbindung geradezu unwahrscheinlich anmutet: Die bieden haben sich geliebt, aber Belfiore hat Violante in einem Eifersuchtsanfall verletzt, tödlich, wie er und alle Welt glauben. Violante taucht unter, hegt aber die Hoffnung auf Versöhnung, weil sie Belfiore noch immer liebt. Dass sie ihn am Hof des Podestà, wo sie als Gärtnerin namens Sandrina arbeitet (und von diesem bedrängt wird), ausgerechnet als Bräutigam von dessen Nichte Arminda wieder begegnet, ist ein harter Schlag. Ohnmacht, Wahnsinn und Heilschlaf sind die Stationen zum glücklichen Ende.
Vifes Buffa-Ensemble
Da ist also mehr als der Knoten einer üblichen Komödienverwicklung zu lösen, und wie Mozart den konventionellen Buffogeist zwar bedient, aber auch ins Innerste von verstörten Menschenseelen vorstösst, macht «La Finta Giardiniera» des Achtzehnjährigen zu einem erstaunlichen Werk mit vielen Momenten grosser Musik in den Arien Sandrinas, in den Duetten mit Belfiore, in den Finali. Vieles weist über die Sphäre der Komödie weit hinaus. Aber für diese ist auch gesorgt, und auf der Opernhaus-Bühne lebt sich ein versiertes und vifes Buffa-Ensemble nach allen Regeln dieser Kunst auch aus, manchmal ausufernd (von 23 Kavatinen und Arien sind nur drei gestrichen), aber doch immer wieder köstlich: Rudolf Schasching als cholerischer Podestà erklärt Sandrina seine Gefühle bis zur Erschöpfung im Gleichnis mit dem Orchester (Instrumenten-Arie), Oliver Widmer als schwerenöterischer Nardo versucht Serpinetta in italienischer, englischer und französischer Manier zu beziren (Nationalitäten-Parodie), Julia Kleiter als kecke Serpinetta verkündet im Andante grazioso die Philosophie des leichten Lebens, und Isabel Rey als dominante Arminda zeigt im Allegro agitato mit komischem Effekt ihre Krallen.
Vereinigung im Klang
Auch Belfiore hat mit der Registerarie (er blufft mit seiner Abstammung) eine typische Buffa-Nummer, und diese oft als unstimmig betrachtete Tatsache nutzt die Inszenierung sehr schön zur Deutung dieser Figur: In der Maske des Dandys, aber tief Verunsicherten tritt Belfiore zuerst in Erscheinung. Die Klärung der Gefühle, um die es dann geht, ist ein musikalischer Weg vom Spielerischen ins Lyrische, den Christoph Strehl mit biegsam schlankem Tenor in berührenden Tönen beglaubigt.
Schön, wie sich diese Belfiore-Stimme mit derjenigen der Sandrina trifft. Ihr gibt Eva Mei von Beginn weg mit Rundung und Feinzeichnung den Zauber der empfindsamen Seele. Mit Anmut bewältigt sie das ganze Spektrum der Partie von der liedhaften Schlichtheit («Noi donne poverine») zum entrückten Arioso («Geme la tortorella») und aufgwühlten Accompagnato («Crudeli fermate»). Wie sich dann Im Duett-Finale, das im Zusammenspiel durchbrochener Gesangslinien und instrumentaler Zwischenrede alles Unsagbare mitkomponiert, die Stimmen verbinden, ist einer jener wunderbaren Opernmomente, die einem Mozart schenkt.
Die Klangsprache des Orchesters, die Nikolaus Harnoncourt mit dem historischen Instrumentarium des Orchesters «La Scintilla» farben- und akzentreich herausarbeitet, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Im angehobenen Orchestergraben ist es in seiner agilen Eloquenz sehr, da und dort wohl auch zu sehr präsent. Von Seiten der Inszenierung bewährt sich gerade im musikalischen Glücksmoment die Behutsamkeit, die im Ganzen waltet. Tobias Moretti forciert den Komödientrubel nicht. Auch wenn einer auf einen Kaktus sitzt oder auf allen vieren die Szene verlässt, haben die Gags immer etwas nur Beiläufiges und Leises.
Unklar statt verklärt
Es gibt auch Umständliches, etwa im Hantieren mit Requisiten, im Gang auf den offenbar trotz High-Tech-Standards nur schwer zugänglichen Handlungsraum. Rolf Glittenberg hat als Schauplatz einen Innenhof im kühlenr und klaren Architekturdesign von heute geschaffen. Heutiges Prêt-à-porter, collagiert und ironisert, dient entschieden der Charakterisierung (Kostüme: Renate Martin / Andreas Donhauser). Für den Cavaliere Ramiro gilt das wohl nicht, und vielleicht ist die pubertäre «Verkleidung» auch der Grund, dass diese Figur trotz Ruxandra Donoses musikalisch durchaus starker Präsenz nich recht zu fassen ist. Wie er im Finale des 2. Aktes als Lichtbringer eine Schlüsselrolle spielt, bleibt unklar, wie überhaupt diese ganze Szene, in der sich die Figuren in Wildnis und Dunkelheit verfehlen und begegnen, in der Sandrina und Belfiore sich im Wahnsinn der Wirrnis entziehen, ein wenig enttäuscht. Die Bühne wird mit einer weiteren Wand verstellt. Die Figuren werden verdoppelt, aber das Misterioso der Lebensszenerie von Mozarts «Sommernachtstraum» will sich nicht so recht einstellen.
|
|
14. 02. 2006 / Peter Hagmann
Wer mit wem? Und warum?
«La finta giardiniera» von Wolfgang Amadeus Mozart im Opernhaus Zürich
Auch Mozart ist von woher gekommen. Der erstaunliche Aufstieg als Wunderkind, die unglaublich rasche Ausfaltung des Eigenen, das Leben im Zeitraffer - davon weiss man. Seltener macht man sich bewusst, dass natürlich auch Mozart werden musste: dass es Vorstufen gibt, Erkundungen, die Suche nach dem Idiom in der Auseinandersetzung mit dem Gegebenen. Davon zeugt das Frühwerk, für das sich derzeit kein Musiker so einsetzt wie Nikolaus Harnoncourt. Mit dem Concentus musicus Wien spielt er für das Label Deutsche Harmonia mundi die frühen Sinfonien ein, vor einem knappen Jahr hat er in Wien mit grossem Erfolg «Lucio Silla» vorgestellt, eine packende Opera seria des Sechzehnjährigen. Und jetzt, zum 250. Geburtstag des Komponisten, macht er im Opernhaus Zürich auf «La finta giardiniera» aufmerksam, das dreiaktige Dramma giocoso, das Mozart 1774/75, im Alter von achtzehn Jahren also und noch voll unter väterlicher Obhut, für den Hof in München komponiert hat.
Ungeschminkt
Wie es in älteren Phasen der Mozart-Rezeption üblich war, «La finta giardiniera» als unreifes Jugendwerk zu sehen und dementsprechend abzuwerten, gehört es heute zum guten Ton, das Stück zu den frühen Meisterwerken zu zählen und es von daher zu überhöhen. Beides schiesst übers Ziel hinaus. «La finta giardiniera» bietet viel, ja in den gut drei Stunden Spieldauer zu viel; die Oper hat - für den Hörer von heute - merkliche Längen und damit ihre Schwächen. Nimmt die Auslegung des komplexen Beziehungs- Durcheinanders zwischen zwei adligen Paaren und einem Dienerpaar sowie einem als Animator fungierenden Bürgermeister im ersten Akt noch weitgehend gefangen, so wirken die dramatische Zuspitzung im zweiten Akt und ihre Auflösung im dritten doch sehr ausführlich - und das, obwohl für die Zürcher Aufführung gerade hier kräftig der Rotstift gezückt worden ist.
Dessen ungeachtet lässt sich in diesem Stück eine Vielzahl von Entdeckungen machen. Zumal Nikolaus Harnoncourt am Pult des Orchesters La Scintilla der Oper Zürich die musikalische Diktion in bewährter Manier zuspitzt und Tobias Moretti als Regisseur das Team auf der Bühne grossartig bei Laune hält. Spielort ist im Entwurf des Bühnenbildners Rolf Glittenberg - anders als eben erst bei der Salzburger Mozartwoche, wo Doris Dörrie das Geschehen in ein Gartencenter verlegt hat (vgl. NZZ vom 24. 1. 06) - die protzige, von neuem Reichtum zeugende Villa des besagten Bürgermeisters, dessen Stolz nicht nur sein Amt, sondern ebenso sehr seine Kakteensammlung ist: Um die Dornen der Liebe geht es hier und um die Anmassungen, die man sich in höheren Schichten erlaubt. Schon in der Ouverture und der Introduktion zeigt Harnoncourt, indem er die Hörner immer wieder vorlaut auftrumpfen lässt, dass er dem kritischen Potenzial des Werks besonders gewogen ist.
Doch vorerst darf man sich von Herzen amüsieren, ist doch die Reihe an Rudolf Schasching, der in der Rolle des schrecklich verliebten Bürgermeisters seine erste Arie bewältigt: dröhnend und chargierend, in wenigen Momenten sogar singend. Überhaupt wird an diesem Abend gern dick aufgetragen. Zum Beispiel beim bald darauf folgenden Auftritt der schnippischen Arminda, für den Renate Martin und Andreas Dornhauser (Kostüme) die fabelhafte Sopranistin Isabel Rey im Stil einer Swissair-Hostess der sechziger Jahre eingekleidet haben. Oliver Widmer, der stimmlich schon gepflegter erschienen ist, spart in der Partie des verkleideten Gärtners Nardo nicht mit Grimassen, während Julia Kleiter, die ihre Arien untadelig meistert, als forsche Dienerin Serpetta munter Bein zeigt. Nur Ruxandra Donose in der Hosenrolle des Ritters Ramiro findet etwas wenig Profil.
Wer sich durch die deftige szenische Betriebsamkeit nicht vom Zuhören ablenken lässt, begegnet im ersten Akt zum Beispiel jener Arie, in welcher der Graf Belfiore, der gegen die eine das Messer erhebt und sich dann zum Zwecke der Eheschliessung der anderen zuwendet, eine verstiegene Ahnentafel ausbreitet; und er kann, da Harnoncourt die Partitur wie gewohnt äusserst wörtlich nimmt, an dieser Stelle verfolgen, wie ein gebrochen aufsteigender Dur-Dreiklang in herrischem Forte anhebt, dann aber rasch in kleinlautes Piano versinkt - ein musikalischer Seitenhieb, der den kurfürstlichen Auftraggebern gewiss nicht entgangen ist. Und hier wie erst recht später am Abend lässt Christoph Strehl erkennen, dass er seinen wohlklingenden Tenor inzwischen sehr nuanciert einzusetzen versteht. Berückend aber vor allem Eva Mei als finta giardiniera, als verkleidete Gärtnerin Sandrina; einen Eindruck davon vermittelt die stille, von den Geigen mit dem Dämpfer, den tieferen Streichern gezupft und vom Cembalisten Thomas Grabowski mit dem Lautenzug begleitete Cavatina, die in der denkbar innigsten Weise vorgetragen wird.
Zerbröselt
Nach dem ersten Akt und der Pause erlahmt das Interesse aber rasch und nachhaltig. Natürlich: Nikolaus Harnoncourt, der die Partitur genau und zugleich eigenwillig interpretiert, dabei aber etwas wenig auf technische Sorgfalt achtet, wirft Schlaglichter, Tobias Moretti gelingt manch witzige szenische Spiegelung des musikalischen Geschehens, und am Ende, wenn sich die Wolken des Zorns verzogen haben und das im Vordergrund stehende Paar langsam, langsam wieder zueinander findet, ergeben sich berührende Momente. Aber die Klimax braucht enorm Zeit, und im lieto fine gibt die Inszenierung keinerlei Auskunft zur Frage, was nach den ganzen Verirrungen und Verwirrungen aus den betroffenen Menschen geworden ist - da stiehlt sich der Regisseur kurzerhand davon. Dass auch Mozart woher gekommen ist, erfährt man fürwahr; und sehr gern denkt man daran, wohin er mit seinen sechs grossen Opern gegangen ist.
|
|
14. 02. 2005 / Tobias Gerosa
Im Garten der Koloraturen
Nikolaus Harnoncourt dirigiert Mozarts frühe Buffa «La Finta Giardiniera» am Opernhaus Zürich
Nikolaus Harnoncourt am Pult, Regisseur Tobias Moretti und ein ideales Ensemble widerlegen am Opernhaus Zürich alle Vorurteile gegen Mozarts frühe, selten gespielte «Finta Giardiniera».
Sogar bei Mozart gibt es noch Entdeckungen zu machen. Wer bei seiner «Finta Giardiniera» von 1775 bisher noch ans Vorurteil einer starren und langweiligen Opera Buffa glaubte, kann sich am Opernhaus Zürich von Nikolaus Harnoncourt und Tobias Moretti lustvoll und intelligent eines Besseren belehren lassen.
Irrungen, Wirrungen
Wer wird hier am Schluss glücklich? Alle, sagt der kurze Schlusschor; denn der Wahnsinn ist verflogen und der Podestà gibt nicht nur seine eignen amourösen Ambitionen auf, sondern verzichtet auch auf sein Einspruchsrecht bei den Heiraten der anderen.
Doch so einfach ists schon beim 19-jährigen Mozart nicht mehr. Ob nach dreieinhalb Stunden Irrungen und Wirrungen der Liebe noch zu trauen ist jener zwischen der Marchesa, die sich um ihre Liebe zu retten als Gärtnerin Sandrina beim Podestà verdingt, und ihrem Conte Belfiore, der sich mittlerweile bis zur Hochzeitsplanung an Arminda herangemacht hat? Vieles wird von der musikalischen Schlusswendung nur notdürftig überdeckt, und der harmonisch überraschende, schwebende Ruhepunkt im Finale betont dies noch zusätzlich.
Das Opernhaus hätte sich für seine erste Mozart-Produktion in diesem Jubiläumsjahr keinen besseren Anwalt als Nikolaus Harnoncourt wünschen können. Harnoncourt sagte vor einigen Wochen zwar praktisch alle Engagements ab: Mit 77 Jahren müsse er sich schonen und brauche mehr Erholungszeit. Während die Berliner Philharmoniker oder die Salzburger Festspiele daher nicht mehr mit ihm rechnen können, wird er laut Intendant Alexander Pereira in Zürich weiterhin jährlich eine Oper einstudieren.
Noch immer strahlt Harnoncourt eine Präsenz aus, die sich nicht nur auf die Musiker des Orchestra la Scintilla und die Sänger, sondern auch aufs Publikum überträgt. Da gibt es kein Zurücklehnen, sondern stets hellwaches Mitgehen mit der Musik gegenüber der eigenen CD-Einspielung von 1992 sogar noch geschärft, tänzerischer und viel stärker aus der Sprache gestaltet.
Das geht so weit, dass die Secco-Rezitative dem Sprechgestus angenähert oder manchmal ganz gesprochen werden und auch die Accompagnati oder die in diesem Werk auffallend häufigen Stimmungsumschwünge in den Arien rhetorisiert werden. Das macht nicht nur Effekt, sondern betont in bestechender Weise die inneren Vorgänge und liefert so eine Steilvorlage für einen Regisseur, der ebenfalls unter die Oberfläche schauen will.
Das tut Tobias Moretti (als Schauspieler längst mehr als nur «Kommissar Rex») in seiner erst zweiten Opernregie. Man merkt seiner Arbeit die Erfahrung auf der Schauspielbühne positiv an. Rolf Glittenbergs kühles Atrium und die heutigen Kostüme (Renate Martin/Andreas Donhauser) setzen dafür einen zeitgemäss schlichten, doch markanten Rahmen. Wie Moretti darin die Handlung äusserlich und psychologisch zu motivieren versteht, beeindruckt auf Anhieb. Dazu nimmt er seine Sänger offensichtlich an die Hand und lässt sie eine (bisweilen durchaus handfeste) Komödiantik entwickeln, die mit Musik und Text gekonnt auf der Schneide zwischen Lächerlichkeit und Tragik balanciert.
Farbige Besetzung
Nebenrollen gibt es so keine, auch wenn Ruxandra Donose (als von den Kürzungen beschnittener Ramiro), Oliver Widmer (Nardo) und Julia Kleiter (eine Serpetta, die aufhorchen lässt) Randfiguren bleiben.
Obwohl Rudolf Schasching als Podestà meilenweit von kultiviertem Mozartgesang entfernt singt, ist er als Bühnentier eine Idealbesetzung für diesen gefährdeten, düpierten Amtsinhaber. So wie seine Nichte Arminda, die Isabel Rey als Hochglanzgirl mit Hündchen, aber etwas kleiner Stimme gibt, stellte er sich wohl seine Frau auch vor; zur etwas distanzierten Eleganz der Kantilenen von Eva Meis Sandrina würde er passen wie die Faust aufs Auge. Doch passt Conte Belfiore, dieser schusslige Dandy wirklich besser? Christoph Strehl verkörpert die Ambivalenz zwischen tenoralem Liebhaberschema und dessen Demaskierung, singt aber wie ein Mozart-Tenor ersten Ranges.
So droht bei Mozart auch im Mozartjahr kein Überdruss.
|
|
14. 02. 2006 / Michael Eidenbenz
Wuchernde Triebe im Kakteenbeet
Mit «La finta giardiniera» liefert das Zürcher Opernhaus einen feinsinnigen Beitrag zum Mozart-Jahr. Am Sonntag war Premiere.
Es dauert einige Zeit, ehe sich erstmals einer jener magischen Momente einstellt. Eine jener mozartschen Verwandlungen, in denen die Musik sich plötzlich ihre eigene Wirklichkeit schafft, jenseits der vordergründigen Sorgen und Nöte der Figuren, jenseits eines in seinen dramaturgischen Fugen ächzenden Librettos. Im kaum hörbaren Pianissimo lässt Dirigent Nikolaus Harnoncourt die gedämpften Streicher anheben, um der Cavatina «Geme la tortorella» den zarten Boden zu bereiten, mit der die falsche Gärtnerin ihre echten Schicksalsklagen singt. Und erstmals schiebt sich damit die Welt der ernsten Gefühle in ein Geschehen, das bisher buffoneske Tändelei war.
Die beiden Welten werden in der Folge nebeneinander stehen bleiben. Sie zu einer höheren Gefühlswahrheit zu verbinden gelang dem 19-jährigen Mozart noch nicht, als er 1775 mit seinem achten Bühnenwerk für drei Vorstellungen einen kurzen Überraschungserfolg in München feiern konnte. Ja, die Spekulation ist wohl nicht allzu gewagt, dass das Stück sich kaum in die Gegenwart gerettet hätte, hiesse der Komponist nicht Mozart. Nun heisst er aber so. Und das Wissen darum, was aus all den hier bereits angelegten Ansätzen von der so menschlich nahen musikalischen Rede bis zur ambitiösen Dramatik der Akt-Finali in den späteren Meisterwerken noch werden wird, verpflichtet in unserem ohnehin retrospektiven Opernbetrieb dazu, sie auch in ihrem Frühstadium ernst und sorgfältig zu betrachten.
Für Nikolaus Harnoncourt ist das eine Selbstverständlichkeit. Die Schönheiten und die dramatischen Einfälle der Partitur zugespitzt herauszustreichen, scheint ihm spürbare Lust zu sein. Das opernhauseigene Orchester La Scintilla liefert ihm dazu die Farben von Darmsaiten, alten Holzblasinstrumenten und gestopften Hörnern so behände und wach, wie es von diesem längst bewährten famosen Klangkörper nicht anders zu erwarten ist. Statt unsichtbar im Graben spielt es auf erhöhtem Podium und wird damit auch optisch unmittelbarer Teil des Geschehens.
Ohne putzige Lustigkeit
Regisseur Tobias Moretti zieht daraus gerne komischen Nutzen, etwa wenn Konzertmeisterin Ada Pesch eine posierende Gruppe auf der Bühne knipsen darf, oder wenn der Podestà Don Anchise Geldscheine an jene Flöten, Oboen, Pauken und Trompeten verteilt, die ihm zuvor, von Mozart zu einer hübschen Parodie genutzt, seinen erotischen Gefühlstumult musikalisch illustriert haben.
Im Übrigen würzt Moretti diesen ersten Buffo-Akt zwar mit der gebotenen Komik, aber ohne jene putzige Lustigkeit, die so oft droht, wenn Opernregisseure zu Humorigkeit genötigt werden. Im Innenhof eines modernen Wohnblocks situiert Rolf Glittenbergs helles Bühnenbild das Geschehen. Natürlich wird gegärtnert. Stachliges, nämlich Kakteen und Rosen werden gezüchtet, der Boden ist mit abgeschnittenen Zweigen übersät, die als fortwährendes Stolperhindernis dienen, und auf dem Dach wächst ein üppiger Garten in den sonnig blauen Himmel.
In diesem Kontrast von architektonischer Geometrie und triebhaftem Wuchern treffen sich also alle zu ihrem verwechslungsreichen Stelldichein. Der paschahafte Podestà etwa, dem Rudolf Schasching körperlich und vokal voluminöse Präsenz verleiht, oder der Cavalier Ramiro, als ursprüngliche Kastratenrolle ein stilistischer Fremdkörper aus der Opera seria und von Ruxandra Donose koloraturensicher gegeben. Ihm wird, bebrillt und in einen Anzug gesteckt (Kostüme: Renate Martin und Andreas Dornhauser), von der Regie später die aufklärerische Funktion desjenigen zugedacht, der Licht ins Dunkel des Wahnsinns und der Verwechslung bringt, was freilich nicht ganz die erwünschte Evidenz erlangt. In der Limousine - wir sehen es per Video - fährt die zickig eitle Arminda im rosa Kostüm vor, im Topolino der schöne weiss gewandete Graf Belfiore, und beide werden noch ihre äusseren und inneren Kratzer abbekommen, was Isabel Rey mit allmählich dramatischerem Ernst und Christoph Strehl mit schöner lyrischer Geschmeidigkeit umsetzen. Auch das obligate propere Dienstmädchen ist in Gestalt der charmanten Julia Kleiter vorhanden, ebenso der Diener Nardo, als welcher Oliver Widmer, komödiantisch und sängerisch brillierend, sich in die burlesken Turbulenzen mischt und dabei auch mal einen Kaktus rasieren darf.
Der Angelpunkt des Geschehens aber liegt bei der falschen Gärtnerin, die in Wirklichkeit eine vermeintlich ermordete Marchesa ist, und als solche den entscheidenden Wandel vom buffonesken Kokettieren zu schicksalsgebeugtem Ernst zu vollziehen hat. Eva Mei entfaltet dabei sängerische Grösse, nicht nur in jener magischen Cavatina, sondern etwa auch, wenn Mozart zum Typus der hitzigen Agitata-Arie greift.
Gewitter und Wahnsinn
Sorgfältig und auch mit musikalischem Gespür führt Regisseur Moretti das vorzügliche Ensemble, im zweiten Akt dann greift er zu massiveren Regietheaterideen. Denn die Klärung der wahren Identitäten produziert zunächst nicht Auflösung, sondern Wahnsinn. Im Dunkel einer Gewitternacht erscheint das Bühnenbild nun kopfüber, die Personen haben allesamt ihre Doppelgänger erhalten, und das Quiproquo wird vollends undurchdringlich. Die Idee ist nicht neu, doch sinnreich und mit ästhetischem Sinn eingesetzt. Dass sie dennoch übers bloss Illustrative hinaus den erwünschten Wahrnehmungsumsturz nicht auch im Zuschauergemüt bewirkt, liegt am Stück. Allen musikalischen Kostbarkeiten und aller darstellerischen Sorgfalt zum Trotz mangelt den Figuren letztlich doch die psychologische Substanz, die das Schablonenhafte füllen würde. Der Schluss ist denn auch nur noch Alibi. Schnell hat sich alles versöhnt, die richtigen Paare sind verheiratet, und das Frühwerk hat sein Versprechen eingelöst: Vorbote zu sein für all die fundamentalen Einsichten ins menschliche Dasein, die Mozarts Schaffen noch zeitigen wird.
|
|
14. 02. 2006 / Sibylle Ehrismann
Liebeslust zur Musik des jungen Mozart
Eine Mozart-Sensation am Opernhaus: «La finta giardiniera» mit Nikolaus Harnoncourt am Pult, dem La-Scintill»-Orchester und den Zürcher Mozart-Sängern ist ein amüsanter Hochgenuss.
Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: «La finta giardiniera» ist ein vierstündiges «dramma giocoso», eine «Faschings»-Komödie für die Münchner Hofoper von einfachstem Zuschnitt.
Und was macht der 18-jährige Mozart aus diesen ewiggleichen Verwechslungs- und Intrigenspielchen? Er lässt seiner Phantasie freien Lauf, amüsiert sich an jeder Figur, schlüpft musikalisch in alle Regungen und wechselt zwischen falschen und echten Gefühlen, als wär's ein Kinderspiel. Solange dieser Opernabend auch dauert, man amüsiert sich köstlich dabei.
Nikolaus Harnoncourt hat mit dieser szenischen Realisierung der von ihm schon konzertant gegebenen «La finta giardiniera» dem Opernhaus Zürich einmal mehr eine echte Mozart-Sensation beschert. Ermöglicht haben ihm dies das von ihm initiierte La-Scintilla-Orchester auf historischen Instrumenten, ein agiles und hoch inspiriertes Ensemble, und das mittlerweile international gefeierte Zürcher Mozart-Sängerensemble. Es war auch eine kluge Entscheidung, für dieses Stück einem Schauspieler die Regie zu überlassen: Tobias Moretti führt Mozarts Figuren mit grossem musikalischem Verständnis auf der Bühne und setzt nicht irgendwelche Gags, sondern entwickelt sie ganz aus der Partitur heraus.
Ein Liebesgeplänkel
«La finta giardiniera» ist eine typische Liebesgeplänkel-Geschichte. Die «falsche» oder «so tun als ob» Gärtnerin ist eigentlich eine Gräfin (Arminda) auf der Suche nach ihrem Geliebten, der sie einst aus Eifersucht fast erstochen hätte. Nun steht dieser Conte Belfiore kurz vor der Heirat mit Sandrina, einer stinkreichen und ziemlich zickigen, aber vollbusigen Nichte des Gutsbesitzers Isabel Rey und Eva Mei sind in diesen Rollen nebeneinander und miteinander zu erleben und geben ihre Debüts mit stimm- licher Bravour und schauspielerischer Vitalität.
Mit verspielter Lust
Isabel Rey beginnt mit schlichter Zurückhaltung und gespielter Naivität. Ihr dramaturgischer Faden führt aus dem Gärtnerinnen-Versteck allmählich zum Lüften ihrer Identität. Wie Mozart diesen Balanceakt auskomponiert und mit höchster Präzision und verspielter Lust ausdifferenziert, das ist einfach fabelhaft. Und Rey steigert sich ganz subtil und bricht dann, in der Arie als verirrte Gräfin, in eine grossartige Dramatik aus. Ihre glockenreine, schlank geführte Stimme gewinnt mit jeder Arie an Farbe und neuen Facetten, während ihre Nebenbuhlerin (Eva Mei), die mondäne Braut des Conte, eine souveräne stimmliche Üppigkeit ausspielt. Das kommt auch so erfrischend rüber, weil Regisseur Tobias Moretti diese Mozart-Figuren ganz modern und doch stilisiert kleidet (Kostüme: Renate Martin und Andreas Donhauser). Es sind Leute von heute, und es sind doch die immerselben menschlichen Regungen.
Die Erde ist echt
Die Zeiten ändern sich, die Menschen nicht. Das Bühnenbild von Rolf Glittenberg ist ein stilisierter, mehrstöckiger Neubau in Weiss, in dem vier Fenster für kurze Videoeinspielungen von draussen genutzt werden. Die Erde der Gärtnerei ist aber echt, hier geht's um den Boden und die Beete, in denen neben den Rosen grosse Kakteen wachsen. In diesem Spannungsfeld von Stilisiertem und Realem gelingt Moretti eine bis ins Detail durchdachte Personenführung, die aus den Stereotypen quicklebendige und eigenwillige Figuren macht.
Nehmen wir das «Blondchen», hier das Zimmermädchen Serpetta. Julia Kleiter spielt sie mit herrlicher Bühnenpräsenz, bleibt aber trotz gesundem Selbstvertrauen einfach und herzerfrischend. Für die dunklen Töne sorgt von Beginn weg die Kastratenrolle des Cavalier Ramiro. Er wacht eifersüchtig und verletzt über die offizielle Verbindung der mondänen Sandrina, die er so gerne für sich gehabt hätte. Doch sie spottet nur über ihn. Ruxandra Donose vermag in den wenigen Auftritten als Ramiro eine hintergründige, melancholisch schillernde Farbe einzubringen.
Poltern, wenn's oben rumort
Und Nikolaus Harnoncourt singt und spielt mit seinem Orchestra la Scintilla mit, dass es eine wahre Freude ist. Hochkonzentriert und präzise, subtil zurückhaltend und augenzwinkernd, überraschend herausfahrend ins Tutti und mit den Naturhörnern reinpolternd, wenn's auf der Bühne rumort.
Geldscheine fürs Orchester
Herrlich die Arie des Podèsta, der davon singt, dass die Bratschen plötzlich melancholische Töne in seine Seele bringen, der die Fagotti und Oboi im Orchester mit fliegenden Geldscheinen bezahlt, damit sie seine Geliebte möglichst lange betören, und der schrecklich leidet, wenn die Pauken stören.
Rudolf Schasching singt nicht nur diese herrlich komische Arie mit Bravour, er prägt den ganzen Abend mit enormem körperlichem Einsatz und vielschichtig beredtem Stimmeinsatz. Dass er bei dieser Wucht und Polterei die Kontrolle über seine Stimme nie verliert, ist schon grosse Klasse. Und neben ihm der grosse, schlanke Contino Belfiore mit blondem, schulterlangem Haar und mondäner Allüre. Christoph Strehl spielt diesen Typen gekonnt aus, überzeugt aber auch im Moment der Entdeckung seiner wahren Geliebten in Gärtners Schürze. Der Wechsel von der Show zur Betroffenheit gelingt ihm sehr überzeugend. Und auch Oliver Widmer ist als Gärtner Narado ein liebenswürdiger und stimmlich trotzig präsenter Bursche, der das Komödiantische ausspielt, aber nie überzeichnet.
Mozart zieht alle Register
Sicher, in diesem Frühwerk von Mozart wirken die einzelnen Szenen noch etwas gar lange ausgebreitet, es gibt etwas bemühende, das Werk in die Länge walzende Nebenstränge, und der gespielte Wahnsinn dauert und dauert. Doch Mozart überrascht immer wieder mit einer neuen interessanten Arie, und in dem Moment, als man schon fast abgehängt hat, da zieht er in der Szene der «Verwirrung in der Dunkelheit» alle Register. Tastend suchen sich die Paare, glauben die Geliebten vis-à-vis zu haben, und alles mündet in ein grandioses Ensemble-Finale. Schade, dass es danach mit der Geschichte noch weitergeht - Mozart hätte, wenn's nach ihm gegangen wäre, wohl hier aufgehört.
|
|
14. 02. 2006 / Werner Pfister
Verkleidungen - Verstrickungen
Vor 15 Jahren legte Nikolaus Harnoncourt eine CD-Aufnahme der «Finta giardiniera» vor, nun dirigiert er seine erste Bühnenproduktion. Regie führt Tobis Moretti - souverän und subtil.
Dem dramma giocoso «La finta giardiniera» kommt unter Mozarts frühen Opern eine besondere Bedeutung zu. Es ist die erste, die sich (einigermassen) im Repertoire halten konnte, und ist - nach «La finta semplice» - Mozarts zweite Opera buffa. Zwar komponierte Mozart damals lieber «serios nicht Buffa», wie er 1778 seinem Vater schrieb. Genau das, so scheint es, hört man der «Finta giardiniera», entstanden 1775, auch an: keine gleichsam eindimensionale buffa, sondern eine Oper, in der das oberflächenhaft Komische immer wieder ins Tragische umkippt, und sei es auch nur fingierte Tragödie.
Dadurch gewinnt diese Oper einen Ausdrucksgehalt und gewinnen vor allem die einzelnen Gestalten eine musikalisch-dramatische, wenn nicht gar psychologische «Wahrheit», welche weit über vergleichbare Opern der damaligen Zeit hinausragt. Jeder, der auftritt (mit Ausnahme vielleicht des Don Anchise), hat hier seine spezifische Rolle und spielt gleichzeitig eine andere Rolle. Daraus resultiert ein doppelbödiges Spiel, und zwar auf dem gleichfalls doppelbödigen Fundament einer tief lotenden Identitätskrise, welche einzelne der Figuren bis in den Wahnsinn treibt.
Alt und neu
Die damit verbundenen Gefühlsimplikationen - und vor allem der rasche Wechsel der Gefühle - schlagen sich in einer Musik nieder, die weit über alles damals Rollentypische hinaus reicht. Es ist, als würde alles schematisch Konventionelle durch Mozarts Genie den jugendfrischen Glanz des Originalen erhalten und als wäre umgekehrt dieses einmalig Neue gleichzeitig verankert in einer souveränen Beherrschung des althergebrachten Metiers. Selbst einige zeitbedingte Schwachstellen im Libretto vermögen uns heute kaum mehr die Ohren für das Besondere dieser «jungen» Musik zu verstellen (Mozart war neunzehn, als er «La finta gjardiniera» komponierte).
Das gilt erst recht, wenn Nikolaus Harnoncourt dirigiert. Unnachahmlich, wie er mit Mimik und Gestik das Barockorchester La Scintilla der Oper Zürich befeuert und es mit extremen Dynamiksprüngen zu gewaltigen, zuweilen fast gewaltsamen Gefühlsausbrüchen treibt. Da ist kein einziger Takt, dem er und die Instrumentalisten nicht Leben einzuhauchen vermöchten. Perfekte, subtile instrumentale Virtuosität, artikulatorische Finesse, agogische Flexibilität und ein stets anspringender Musizierschwung machen dieses Musizieren - und damit die ganze Aufführung - zum packenden Erlebnis.
Wie immer, wenn Harnoncourt dirigiert, erlebt man Mozart als genuinen Dramatiker. Keine Rede von oberflächlich süffigem Schönklang; im Gegenteil, aufgeraute Klänge im Orchester sind unüberhörbares Zeichen für blank liegende Nerven auf der Bühne. Dadurch gewinnt diese Musik etwas aufwühlend Zupackendes, als wäre sie aus dem Innern der jeweiligen Figur konzipiert und erfühlt, sozusagen ein intimes akustisches Kammerspiel.
Und parallel dazu inszeniert Regisseur Tobias Moretti auf der Opernhausbühne ein ebenso subtiles szenisches Kammerspiel. Wir befinden uns (im imposanten Bühnenbild von Rolf Glittenberg) im lichtdurchfluteten Innenhof einer mondänen, zweistöckigen Landhausvilla mit Fenstern und Laubengängen zu einem grossen Garten hin, wo Rosen und Kakteen gezüchtet werden - Sinnbild dafür, dass die Liebe auch Stacheln hat und verletzen kann. Immer wieder stolpern die Protagonisten, übrigens stilvoll mit heutigem Outfit als Menschen von heute gewandet, über Gartenabfall, der sich ihnen zwischen die Beine schiebt; sogar ein Klappstuhl fällt unter der Last des Don Anchise in sich zusammen...
Diese Menschen, das wird in Morettis souveräner Personenführung sofort einsehbar, haben keinen festen Boden unter sich, haben überhaupt oft Mühe mit der Orientierung. Nicht nur die jeweils sich Liebenden verfehlen sich immer wieder, zuweilen verfehlen sich sogar die Geschlechter. Ein vielschichtiges, doppelbödiges Rollenspiel burlesker Verkleidungen und Verwicklungen, aber auch tragischer Verwechslungen und Verstrickungen im Gesamtgefüge einer gesellschaftlich vorgegebenen Hierarchie, aus deren Fallhöhe die Komik der Situationen resultiert - im Tonfall wunderbar subtil dem «ciaroscuro» der Musik abgehört, wo düstere Verzweiflung und unstillbare Sehnsucht nach Liebe einander stets unmittelbar bedingen.
Hütchen und Hündchen
Die Sängerinnen und Sänger nehmen diesen Tonfall jeder auf seine Weise wunderschön auf, was zur Geschlossenheit des Ensembles entschieden beiträgt. Eva Mei gibt die als Gärtnerin verkleidete Sandrina ganz als empfindsame junge Frau, eine Idealistin unter vielen (angeblichen) Rationalisten und stimmlich eine feine Lyrikerin, die nur selten mal, dann aber virtuos entschieden, sich in dramatischen Koloraturen für ihr Recht einsetzt. Isabel Rey wiederum ist ganz «gentildonna milanese» mit Hütchen auf dem Haar und Hündchen im Arm, entschieden angriffslustig in Stimme und Statur und gleichzeitig voller Humor - bis dann auch ihr das Lachen vergeht. Rudolf Schasching stattet den Don Anchise mit Zügen Don Pasquales aus: ein urgesunder, gutherziger Geniesser auf der ganzen Linie, der den Flöten und Oboen im Orchester, wenn sie denn wirklich «con dolcezza» spielen, gerne etwas Geld zuwirft. Christoph Strehl mobilisiert als Contino Belfiore einen verführerisch introvertierten Charme - rein stimmlich ein genuiner Lyriker auch er, der seine Mozart-Kantilenen mit schier endlosem Atem zu verströmen versteht. Einzig Ruxandra Donose bleibt als Ramiro stimmlich etwas blass, was aber auch in der Figur dieses selbstverliebten Dichters und Musensohns angelegt ist. Dagegen liefern sich Oliver Widmer (Nardo) und Julia Kleiter (Serpetta) jene erheiternden Wortwechsel und Streitigkeiten, wie das in der Komödie traditionellerweise auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie, nämlich beim Bedienstetenpersonal, üblich ist: ein munterer, vitaler Kontrapunkt zu den ach so grossen Gefühlen, mit denen die hehre Herrschaft zu ringen bat. Zum Schluss begeisterte Beifallssalven für alle.
|
|
14. 02. 2006 / Karl Harb
In der Villa Wahnwitz
Vor knapp drei Wochen hat Doris Dörrie in Salzburg Mozarts "Finta giardiniera" bunt bebildert. In Zürich zeigt das Team Harnoncourt/Moretti absurden Hintersinn.
Von Nikolaus Harnoncourt durfte man erwarten, dass er nicht nur mit hurtiger Brillanz die Oberflächenreize des Dramma giocoso um die vermeintlich tote, aber in Gestalt einer Gärtnerin mehr als nur einen Dorfpascha in Verwirrung stürzende Gräfin bedienen würde. Harnoncourt blickt mit frischer Neugierde und jugendlichem Elan hinter allen schönen falschen Schein. Und er entdeckt mit dem Spezialorchester der Zürcher Oper "La Scintilla" eine von den ersten Hornattacken an immer absurder werdende, in den puren Wahnwitz kippende Verwechslungskomödie als Gefühlskatastrophe.
Der Narrenfreiheit Mozarts gehuldigt Mozart schien für diesen Karnevalsauftrag für München 1775 jede Narrenfreiheit gehabt zu haben. Und so werden Arien als freche Couplets maskiert, die Aktfinali zu verwirrenden Suchspielen, komödiantische Tonmalerei zu Slapstick. Die Turteltaube schnäbelt aufs Zärtlichste con sordino, und bis sich am Ende Gräfin und Graf (der beschuldigt wird, diese ermordet zu haben) in der jubilierenden Stretta des Schlussduetts endlich finden, durchlaufen sie in einer einzigen, genial somnambulen Nummer Höhen und Tiefen des sich Erkennens, sich Verlierens, sich Findens. Harnoncourt spielt mit höchster Lust gerade das Nichtdomestizierte dieses Jugend(genie)streichs in wilder Buntheit der Klangsprache aus.
Dafür gibt sich sein Regisseur, der musikalisch gebildete Schauspieler Tobias Moretti, als ein Szeniker zu erkennen, der den Wirrwarr nicht noch auf die Spitze treibt (wie Dörrie), sondern feinsinnig ordnet. Dass ihm dabei viele entzückende Details und Pointen der Bewegungs- und Personenführung einfallen, macht seine zweite Opernregie - nach "Don Giovanni", 2001 in Bregenz - zu einem sehr oft zündend-brillanten Vergnügen.
Schauplatz ist der Hof eines schicken Bungalows (Bühnenbild: Rolf Glittenberg), wie er dem hochgekommenen Bürgermeister eines florierenden Adria-Badeortes passgerecht anstehen dürfte. Auf dem Dachgarten wuchert es üppig. Der dicke, immer etwas kurzatmige Podestà (Rudolf Schasching) trägt das Dinnerjackett so penetrant wie das übertriebene Wahlwerbelächeln. Immerhin bringt ja seine blond aufgedonnerte Schwester Arminda als Society Lady in Rosa-Giftgrün einen ebenso blondmähnigen Grafen-Beau ins Haus, der seine Nase so hoch trägt, dass er mühelos in jedem Erdhaufen oder Kaktusbeet landet. Sein beiger Dandy-Anzug leidet darunter übel. Isabel Rey und Christoph Strehl bietet das wunderbar lachhafte Gelegenheiten zu komischster Übertreibung und für die stimmlichen Entsprechungen sopran-tenorale Verwandlungsmöglichkeiten: der Schöne und das Biest.
Gegärtnert wird im Hof sehr kultiviert. Das schlichte grüne Kittelkleid passt exzellent zum natürlichen Liebreiz von Eva Meis Sandrina. Ihr "Gehilfe" Nardo (mit vollschlankem Bariton: Oliver Widmer) ist ihr auf derselben Ebene verbunden. Was ihn in Rage bringt, so dass er gar mit dem elektrischen Haarschneider den Kaktus traktiert, ist seine Serpetta, die sich ganz schön zur Herrschaft hochgeschlängelt hat: ein modernes Kammerkätzchen mit prächtig schnurrendem Soubrettensopran (Julia Kleiter).
Verwirrter Außenseiter bleibt Cavalier Ramiro - Ruxandra Donose diesmal nicht in Rockerlederkluft wie bei Doris Dörrie, sondern bebrillter Stenz in rosarotem Anzug. Nicht nur, weil Harnoncourt ihr/ihm eine große Arie gestrichen hat, gerät sie/er ins Hintertreffen.
In der Nacht tauchen die Doppelgänger auf An vielen Kleinigkeiten zeigt sich, wie überlegt (und effektvoll!) Regisseur Moretti zu Werke gegangen ist und wie Harnoncourt bis in den italienischen Sprechdialog hinein augenzwinkernd das Spiel mitspielt. Zwischen Wahn(witz) und - mozartscher - Wirklichkeit hält diese Zürcher Aufführung, die am Sonntag Premiere hatte, eine schön ausgewogene Balance.
Selbst das eigentlich uninszenierbare zweite Finale, gegen das die Figaro-Gartennacht ein Spaziergang zu sein scheint, bekommt bei Moretti eine klug gedachte Fassung: Alle, die sich nächtlich suchen und dabei zu allegorischen Metaphern und Schäferspielfiguren Zuflucht nehmen, stoßen plötzlich auf ihre Doppelgänger, Spiegelbilder, Chimären. Der Trick ist schlicht, aber sinnig - wie das Meiste an diesem intelligent pointierten, vom Premierenpublikum widerspruchslos freundlich aufgenommenen Mozartabend.
|
|
14. 02. 2006
Treibhaus der Operngefühle
Premiere am Opernhaus Zürich: Regisseur Tobias Moretti und Dirigent Nikolaus Harnoncourt widmen sich Mozarts Oper "La Finta Giardiniera". Das Duo setzt bei diesem Mozart-Frühwerk auf musikalische Gefühlsvertiefung und szenischen Klamauk.
Mozart funktioniert immer. Das weiß die Lebensmittelindustrie, das wissen auch Intendanten. Auf Individualität bedacht, stürzen sich letztere im Jubeljahr nun auf den jungen, unbekannteren Mozart - unabhängig davon, was uns diese Werke heute zu sagen haben bzw. ob sie auf die große Opernbühne gehören.
La Finta Giardiniera wurde von Mozart für den Münchner Fasching anno 1775 geschrieben. Da war die turbulente Liebesrevue so erfolgreich, dass man sie nach drei Aufführungen absetzte. Woran es lag? Möglicherweise an der Länge (dreieinhalb Stunden), vielleicht auch an der nicht ganz faschingsgerechten Musik (Heiter-Humorvolles steht neben Tragisch-Traurigem), oder an der wahrlich verzwackten Handlung:
Sieben Protagonisten wetteifern um die Gunst von Amor, denn alle sind irgendwie, irgendwann in irgendwen (manchmal auch in sich selbst) verliebt. Man ver- oder entliebt sich mehrfach, wobei am Schluss dann doch die "Richtigen" zusammenkommen. Irgendwie jedenfalls . . . Dass auch noch Standesdünkel und Machtansprüche unterschiedlicher sozialer Gruppen eine Rolle spielen, sowie mehrere Figuren - vorübergehend - wahnsinnig werden, verkompliziert das Ganze doch erheblich.
Erde am Boden
Vor allem musikalisch ist die Finta jedoch interessant, weil Mozart hier schon auf künftige Werke (Figaro, Così fan tutte) vorausblickt, dramaturgisch spannend arbeitet, zudem die weit gehende (gesangliche) Gleichberechtigung der Rollen herstellt. In Zürich hat sich Tobias Moretti einen großen kaltweißen Raum bauen lassen (Bühne: Rolf Glittenberg), eine Art Treibhaus der Gefühle. Auf dem hübsch laminierten Boden liegt etwas Erde herum, in drei Glaskisten befinden sich Kakteen, die man beständig gießt. Verdorrte Äste, Bäumchen und allerlei Plastikmobiliar bevölkern dieses Anti-Gartenparadies.
Ein grimmiger Grantler (sonor singend Rudolf Schasching als Podèsta) betrachtet aufmerksam dieses Kleingartenreich und findet sich rasch konfrontiert mit einer traurig-liebeshungrigen Gärtnerin (wunderbar zart: Eva Mei als Sandrina), einem metrosexuell anmutenden Grafen (schön ausgesungene Bögen liefert Christoph Strehl), einem Paar mit schwankendem Hormonspiegel (tadellos Ruxandra Donose und Isabel Rey) sowie einem windigen Diener (souveräner Nardo: Oliver Widmer) samt Angebeteter (Julia Kleiter als niedliche Serpetta).
Diese illustre Gesellschaft treibt es bald derart wild, dass sich der Grantler zuweilen wütend auf den Boden wirft oder unter einem Plastiktisch kriecht. Alternativ dazu wirft er Gartenstühle durch den Raum, mehrfach wirkt er nahe am Kollaps. Allein, auch andere dürfen herumkaspern:
Da wird gestolpert, mit Gartenstühlen getanzt, und in einer ergreifenden Szene muss ein Kaktus dran glauben. Es werden ihm ein paar Stacheln gezogen, weil das aber recht lange dauert, übernimmt ein Rasierapparat die Arbeit. Die anderen Kakteen rächen sich, indem sie Liebestolle zu sich locken, die prompt in einem Meer aus Stacheln landen.
Morettis Inszenierung hat Tempo und Witz, das Tragikkomische bleibt dabei leider auf der Strecke. Problematisch ist auch der "Anwesenheitswahn": Beständig schleicht irgendwer auf der Bühne herum, der dort eigentlich nichts zu suchen hat. Dass Mozart uns Menschen zeigt, die Nähe und Wärme suchen und sich doch immer wieder abstoßen (müssen), das geht in der Komikorgie leider unter. Immerhin sind Schärfe und Tragik musikalisch anwesend.
Nikolaus Harnoncourt lässt es nicht nur krachen, er gestaltet auch und bietet intensive Farben. Das Opernorchester hat zu Beginn einige Intonationsschwierigkeiten. Die waren aber bald beseitigt. Vielleicht lag's an Harnoncourts drohend gezücktem Zeigefinger, der wie ein Kaktusstachel wirken konnte.
|
|
14. 02. 2006 / Manuel Brug
Überdüngte Kakteen
Nikolaus Harnoncourt und Tobias Moretti graben in Zürich Mozarts "Gärtnerin aus Liebe" aus.
Nikolaus Harnoncourt ist ein besonders charmanter Heuchler. Da tobt und wettert er gegen den Marketing-Mammon um Mozart, all den überflüssig tönenden Jubiläumskokolores und die Händler im Klassik-Tempel - und ist selbst an vorderster Klangfront dabei. So wie auch schon 1991. Was allerdings Sinn macht: Schließlich ist er der folgenreichste lebende Mozart-Dirigent. Nicht nur den "Idomeno" hat er zurück ins Repertoire geholt. Harnoncourt wirbt mit Anna Netrebko und Franz Welser-Möst auf dem offiziellen österreichischen "Happy Birthday, Amadeus!"-Plakat. Eben hat er seine gesammelten Mozart-Erkenntnisse in Buchform neu vorgelegt, ebenso sich der Jugendsinfonien angenommen - samt herzig Briefe lesendem Enkel.
Und live dirigiert Nikolaus der Große allein bis zum Sommer sechs Mozart-Bühnenwerke, von der "Nozze di Figaro" zur Eröffnung des neuen Salzburger Festspielhauses im Juli und dem "Titus" im August chronologisch rückwärts "Betulia liberata" und "Lucio Silla" bei den Wiener Festwochen, "Die Schuldigkeit des ersten Gebotes" bei der Luzerner Ostermusikwoche und nun eben in Zürich die erste Münchner Opernbestellung des 18jährigen Mozart "La finta giardiniera".
Auf CD hatte er sich die Gärtnerin aus Liebe schon blühend vorgenommen, auf der Bühne ist sie neu für ihn. Zudem will er szenisch nicht mehr so viel außerhalb Wiens machen: Nikolaus Harnoncourt ist schließlich 76. Schon bei den ersten Ouvertürentakt die einem besonders die Hörner des Zürcher Opernbarockorchester "La Scintilla" entgegenblöken, den scharfen Streicherlinien, den im Tempo gestauchten Begleitfiguren ist neuerlich klar: Hier geht es wieder einmal ums Mozart-Ganze, und das ist entschieden des Guten zuviel - für wenig genuinen, wirklich genialen Mozart. Zweieinhalb Arien, zwei davon im Wahnsinn verfangen, und ein (zu langes) Duett sprühen in der dramaturgisch verworrenen Geschichte um ein verloren gegangenes Liebespaar, garniert mit den üblichen komischen Betriebsunfällen, geniale Funken. Der Rest ist galante Meterware nach bewähren Formmustern der Zeit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Da war Mozart bei einer früheren Buffa, "La finta semplice" (1768) auf ein animierendes Carlo-Goldoni-Libretto, vor allem in der Individualität atmenden Mailänder Opera Seria "Lucio Silla" (1772) schon weiter. Ist der viele nach oben kehrende Jubiläumszauber verraucht, wird die "Gärtnerin" wieder eines der Mauerblümchen in Mozarts anderswo üppiger spießendem Opernpark bleiben. Wobei Nikolaus Harnoncourt mit seinem unbedingten, ein wenig verspannt dirigentischen Überdüngen die Schwächen des Stücks eigentlich noch betonte.
Die "Finta" hatte eben Doris Dörrie bei der Mozartwoche im quietschgrünen Gartencenter mit Gags zu Tode gewässert. In Zürich läßt sie Bühnenbildner Rolf Glittenberg in einem kahlweißen Innenhof vertrocknen. Über dem zweiten Stock wuchert üppig Palmen- und Benjamini-Urwald. Unten bei den Menschen, ist zwar Pflanztag, doch nur stachlige Sukkulenten und kahles Gesträuch sind im Angebot. Auch das regelmäßige Bestäuben mit der der Gardena-Spritzpistole zeigt wenig Wirkung: Die Witzwüste bleibt vorwiegend staubig.
Als inszenierender Hobbygärtner darf neuerlich ein Quereinsteiger ran. Der schon lang nicht mehr auf den Hund gekommene Tobias Moretti, der bisher nur eine wohl gelungenen Vorarlberger "Don Giovanni" in seiner Regievita führt, inszeniert aufgeklärte, aber doch in der mühsamen Abwicklung schweißtreibende Komödie, gern weit vorn und ohne begnadet grünen Daumen. Da wird in beton comedyschrillen Kostümen (Renate Martin, Andreas Donhauser) ziemlich chargiert, sind Kameras, in die Weichteile klatschende Prada-Taschen und sogar ein Kakteenrasierer im Dauereinsatz. Alles sehr symbolträchtig und dann - trotz der "Don Giovanni"-Gattungsbezeichnung dramma giocoso - allzu wohlgefällig sich auflösend.
Das solide Ensemble setzt zudem nicht wirklich zum Harnoncourt-Höhenflug an. Schlechtes Italienisch mißfällt besonders. Einzig die wie immer sopranistisch leicht übersäuerte Gärtnerin Eva Mei und der schon mozärtlichere Tenor-Tage verbucht habende Christoph Strehl als Otto-Kern-blondierter Graf tönen über das Mittelmaß hinaus. Da wird also dieses Jahr allein bei den 22 für Salzburg angedrohten Mozart-Bühnenwerken noch einiges Unausgereiftes aus dem Mozart-Gewächshaus auf uns zukommen.
|
|
14. 02. 2006 / Markus Thiel
Ehre dem Meisterwerk
Tobias Moretti inszenierte Mozarts "La finta giardiniera".
Mit zwei Trippelschritten hat er sich zur Oper vorgetastet - und ist dabei stets auf dem Mozartweg geblieben. 2001, abseits der dortigen Festspiele, mit "Don Giovanni" im Bregenzer Theater am Kornmarkt. Danach mit einer konzertanten "Zaide", für die Tobias Moretti Verbindungstexte entwickelte und die Worte selber vortrug. Am Pult stand Nikolaus Harnoncourt. Und der sollte nun auch Mentor werden für das erste große Projekt: "La finta giardiniera" (Die Gärtnerin aus Liebe) am Opernhaus Zürich. An jenem Theater also, das durch Harnoncourts legendäre Aufführungen die höheren Klassik- und Barock-Weihen empfing.
Wieder ein Quereinsteiger à la Dörrie & Co. also? Das stimmt so nicht: Publikumsliebling Tobias Moretti, obgleich früher Mitglied der Münchner Kammerspiele und 2005 als König Ottokar Schauspiel-Dominator der Salzburger Festspiele, kehrt damit zu den Wurzeln zurück. Begonnen hat der Tiroler nämlich als Kompositionsstudent an der Wiener Musikhochschule, wie seine biografischen Angaben berichten, die zwar TV-Sternstunden wie "Speer und Er" gelten lassen, Renner wie "Kommissar Rex" indes verschweigen.
Und dass Moretti auf Mozart hören kann, sieht man der Zürcher Produktion an. Es ist ja eine Mär, der Komponist habe hier ein abstruses Verwechslungsstück vorgefunden und es durch seine Musik gerade noch vor dem Totalschaden bewahrt. Mozart denunziert nicht, er meint es ernst. Und Moretti, anders als gerade Doris Dörrie in Salzburg oder Christian Pöppelreiter in München, ebenfalls. Vielleicht sogar zu ernst.
Denn statt mit Gags oder flachdimensionalen Typen zu blenden, geht Moretti das Risiko ein: Er will seine Figuren verstehen. Er will zeigen, warum sie sich nicht erkennen, warum sie vorübergehend in den Wahnsinn driften. Und er wirbt damit, was zutiefst mozärtlich ist, um Sympathie. So ist etwa Don Anchise nicht der übliche gockelnde Dorfvorsteher, sondern - wunderbar dargestellt von Rudolf Schasching - ein verschämt-liebestoller Bär. Und Belfiore, der seine Braut immerhin töten wollte, ein Geheimnisumwehter in gespreizten Posen, bei dem die Umnachtung nur einen Millimeter vom Normalzustand entfernt liegt. Was Christoph Strehl mit kernigem, nie säuselndem Tenor für eine glaubhafte Charakterstudie nutzt.
Rolf Glittenberg hat dafür ein beziehungsreiches Bühnenbild ersonnen. Alles spielt im Innenhof einer modernen Architektur. Im zweiten Stock wuchert das Grün, unten künden verdorrte Zweige, in denen man sich gern verheddert, von Verkümmerung. Gezüchtet werden nicht duftende Blütenträume, sondern Kakteen der Spezies Schwiegermutter-Sitz.
Moretti lässt das Personal mit dem Instinkt des Theatermannes aufeinander treffen. Und benutzt zwischen den Arien, was noch mehr Schauspiel-Momente ermöglicht, eine Mischfassung aus Rezitativ und Sprechtext. Schöne, intensive Zweiermomente gelingen da mit genauer, ganz unopernhafter Gestik. Morettis Purismus provoziert indes auch Durchhänger, Situationen, die das Stück letztlich überfordern - und nach einer offensiveren Regie verlangen.
Deutlich wird dennoch: Die "Finta" ist keine Spielwiese des 19-jährigen Mozart, sondern weist voraus auf "Così`" und "Figaro". Dirigent Harnoncourt wusste das natürlich längst. Seine Interpretation mit dem Ensemble "La Scintilla" ist geschärfter als seine frühere CD-Aufnahme. Er kostet Effekte noch mehr aus, legt die Mirakel der Partitur offen, ohne zu sezieren. Dass der Klang federt, mit Überraschungseffekten, Farbkontrasten und hinreißenden Instrumentalmischungen aufwartet, dass jeder Takt erfüllt musiziert wird, versteht sich bei diesem Maestro von selbst.
Hinzu kommt, dass alle Partien so adäquat besetzt sind, wie es in dieser Güte fast nur in Zürich passieren kann. An der Spitze Eva Mei als gar nicht piepsige, eher gereifte, manchmal unterkühlte "Gärtnerin" Sandrina. Auch wenn die Produktion also an gelegentlichen Durststrecken krankt: Der Beweis, dass die "Finta" zu den Meisterwerken aufschließt, wurde erbracht. Die Gedenkmetropole Salzburg mag's wurmen - zum Auftakt des Mozartjahres wurde ihr glatt die Schau gestohlen.
|
Impressum
Kontakt
Spenden |
Frankfurter Allgemeine Zeitung
14. 02. 2006 / W.Sandner
(…) „Das Wunderbare an der jetzigen Zürcher Inszenierung in italienischer Originalsprache aber ist, daß die sorgfältige Auseinandersetzung Harnoncourts mit Mozart zu einem außerordentlich kurzweiligen Lustspiel führt. Denn der Dirigent als Forscher hat den unernsten Mozart ernst genommen, jenen Komponisten nämlich, der nie den Buchstaben des musikalischen Gesetzes befolgte, stets aufführungspraktisch dachte und die Unterhaltung des Publikums nicht selten über die korrekte Ausführung der Musik stellte.Und so entstehen in Zürich viele komische Situationen dieser auf Mozarts "Cosi fan tutte" hinweisenden Verwechslungs- und Intrigengeschichte um einen angeblichen Mord und drei erst nicht und dann schließlich doch zueinanderfindende Liebespaare aus der Überzeichnung, wenn man will: sogar aus den musikalischen Inkorrektheiten. Harnoncourt beschleunigt und retardiert, läßt das auf Originalinstrumenten musizierende Orchester "La Scintilla" der Oper Zürich im Takt der Szene heftig anschwellen oder im zartesten Streicher-Sordino säuseln, daß es nur so eine Art ist. Was er unter Klangrede versteht, ein nahezu greifbar gestisches Musizieren, wird hier erfahrbar. Selbst bei dem in einer ungekürzten dreieinhalbstündigen Fassung zäh wirkenden, auch durch Moretti szenisch nicht plausibel gestalteten Wahnsinnsbild mit anschließender Wendung zum Guten besticht die Vitalität des musikalisch-szenischen Ausdrucks, für den das ausgezeichnete Sängerensemble freilich mitverantwortlich gemacht werden muß: Eva Mei als kokett-unnahbare, in herzzerreißenden Koloraturen schwelgende Sandrina alias Marchesa Violante; der Belcanto-Tenor Christoph Strehl als durch alle Lebenslagen virtuos stolpernder, dabei zum Verlieben schön und kraftvoll singender Dandy Contino Belfiore; eine ihre körperlichen Reize wie ihre geläufige Gurgel vorteilhaft einsetzende Julia Kleiter als Kammerzofe Serpetta; Isabel Rey als urweibliche Monroe-Kopie der Arminda, die selbst ihre bewegliche Sopranstimme für ihre zickigen Planspiele einzusetzen vermag; Oliver Widmer als ein die menschlichen Beziehungen wie seine Blumenbeete ordnender Gärtner Nardo mit einer ungewöhnlich hellen, aber souverän das Baßregister meisternden Baritonstimme; ein tenoralen Prachtglanz verströmender Rudolf Schasching als Podesta, bei dem selbst die Bewegungen aus dem Knallchargenbilderbuch angemessen erscheinen; schließlich noch Liliana Nikiteanu in der nicht sehr attraktiven Hosenrolle des Ramiro, dem sie mit ihrem warmen Mezzo wenigstens musikalische Glanzlichter aufsetzt.“
|