Aufführung
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22. 6. 2003 (Première)
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Musikalische Leitung: Christoph König
Inszenierung: Jonathan Miller
Ausstattung: Isabella Bywater
Lichtgestaltung: Hans-Rudolf Kunz
Chor: Ernst Raffelsberger
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Bassa Selim: Klaus Maria Brandauer
Konstanze: Malin Hartelius
Blonde: Patricia Petibon
Belmonte: Piotr Beczala
Pedrillo: Boguslaw Bidzinski
Osmin: Alfred Muff
Chor des Opernhauses Zürich
Orchester der Oper Zürich
SYNOPSIS / LIBRETTO
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Rezensionen
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24. 6. 2003
Zürcher Festspiele
Der Edle aus dem wilden Osten
Mozarts «Entführung aus dem Serail» im Opernhaus
Etwas karg, dieser Serail; einige kalkweisse Wände müssen genügen - Selim, der hier herrschende Bassa, hat ja, wie er am Ende erklären wird, alles verloren. Aber was es braucht für das Singspiel von Wolfgang Amadeus Mozart, das ist vorhanden - von der einsamen Palme, die das Geschehen lokalisiert und die, hat sie ihren Dienst getan, in den Bühnenhimmel entschwebt, bis hin zu den unzähligen Türen. Verfremdet, aufgebrochen wird hier nichts. Da schweben keine knallroten Sofas durch die Luft wie neulich in München; da wird auch nicht die geheimnisvolle Betriebsamkeit des Basars nachgezeichnet wie eben erst in Baden-Baden. Hier, im Opernhaus Zürich, wird «Die Entführung aus dem Serail» sozusagen eins zu eins nachgestellt. Wenn der Fürstensohn Belmonte auf der Suche nach seiner Braut Konstanze seine Auftrittsarie singt, stellt er sich einfach vor die Palme, womit es dann sein Bewenden hat. Später kommt Osmin dazu, der Aufpasser, der so gerne auf die Pauke haut; auch er hat seine Auftrittsarie, auch er stellt sich vor die Palme - der symmetrischen Ordnung halber. Damit geschieht nichts Falsches, auch nichts, worüber man sich aufregen könnte; es geschieht einfach gar nichts. Das freilich war dem Zürcher Premierenpublikum nun auch wieder nicht recht; es bedachte den Regisseur am Ende mit einem eindeutigen Buhkonzert. Jonathan Miller reagierte darauf mit einer ebenso eindeutigen Geste, die erkennen liess, dass er der Ablehnung nicht ganz souverän begegnete.
Nun ja, vielleicht muss man diese Inszenierung doch ein wenig in Schutz nehmen. Gewiss wirkt sie über weite Strecken zufällig, nicht sonderlich ausgearbeitet, ein wenig müde auch. Und ohne Zweifel geht manches daneben. Die Soldateska am Hof des Bassa Selim könnte direkt einem Asterix-Heft entsprungen sein - was als Pointe einigermassen danebengeht. Und wenn, während Pedrillo mit seinem pianissimo gesungenen und pizzicato begleiteten Ständchen die beiden Frauen zur Flucht ruft, der ungeduldige Belmonte eine allerdings bemerkenswerte Reihe von Liegestützen hinlegt, so führt das zu Gelächter und Beifall wie gleichzeitig zur Zerstörung der Musik - ein begleitender Produktionsdramaturg hätte das merken können. Auf der anderen Seite wird das schwierige (und schwierig zu inszenierende) Stück in einer feinsinnigen Weise ernst genommen. «Die Entführung aus dem Serail» handelt ja auch vom Zusammenprall der Kulturen, wie ihn das 18. Jahrhundert erlebt hat. Wobei es weniger um den Gegensatz zwischen Orient und Okzident als um das Bild geht, das man sich im Okzident vom Orient gemacht hat. Nicht weil er so einfältig ist, hat Osmin von der Ausstatterin Isabella Bywater einen so unsäglichen Faltenjupe verpasst bekommen, sondern weil er bei den fremden Gästen im Serail als so einfältig gilt. Seine Zuspitzung erfährt dieser Ansatz in der Figur des Bassa Selim, eines aufgeklärten Autokraten. Klaus Maria Brandauer spielt diese Partie nicht, er zelebriert sie - ja er führt sie spazieren. Mit hoch artifiziellem, sehr eigenwilligem Tonfall, virtuos in der Diktion und mit einigen Erweiterungen gegenüber dem originalen Libretto gibt er zu erkennen, dass Bassa Selim keinen Moment lang an die Anwendung von Gewalt denkt - weil er nicht nur kein Barbar ist, sondern auch die Konstanze ernstlich liebt.
In seiner Weise freilich - und welche Art Liebe die bessere sei, die von Selim oder die von Belmonte, das stellt für Konstanze eine schwierige Frage dar. Gut und Böse sind eben nicht so einfach, nicht so klar verteilt in Mozarts «Entführung», Malin Hartelius zeigt das sehr schön. Die «Martern-Arie» in der Mitte des zweiten Akts geht sie ganz fein und zart an, fern jeder heroischen Aufwallung; und wenn sie bei gewissen Spitzentönen die Lautstärke plötzlich zurücknimmt, so ist das nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern unterstreicht auch das mädchenhaft Unsichere an der Figur der Konstanze. Ihr Bräutigam macht es ihr ja auch nicht leicht; Belmonte ist ein ziemlich larmoyanter Kerl - in der Darstellung von Piotr Beczala, dessen Stimme in dieser Partie gar nicht gut sitzt, kommt es zu wohl unfreiwilliger Deutlichkeit. Seltsam forciert das Dienerpaar mit Bogusaw Bidziski (Pedrillo), der bei seiner schmetternden Arie «Frisch zum Kampfe» übers Ziel hinausschiesst, und mit Patricia Petitbon, die mit feuerrotem Haarschopf und agiler Stimme eine ausgesprochen quirlige Blonde gibt. Voluminös der Bass von Alfred Muff (Osmin), der herrlich in die Tiefe geht, aber auch die erforderliche Beweglichkeit an den Tag legt. Dass es gerade in den leichtfüssigen, spritzigen Momenten an der Premiere freilich immer wieder zu Koordinationsproblemen zwischen Bühne und Graben gekommen ist, geht wohl weniger auf Grundsätzliches als auf die Umstände zurück. Vier Tage vor der Premiere wurde bekannt, dass Franz Welser-Möst aus gesundheitlichen Gründen von seiner Aufgabe zurücktreten musste. An seiner Stelle leitet der junge deutsche Dirigent Christoph König diese Festspielproduktion - und er tut es in Ehren, wenn er auch nicht vergessen machen kann, dass diese neue Zürcher «Entführung» im Wesentlichen eine Baustelle geblieben ist.
Peter Hagmann
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24. 6. 2003
Sechs Personen suchen einen Regisseur
Bei der Premiere von Mozarts «Entführung aus dem Serail» wollte keine rechte Festspielstimmung aufkommen. Dafür sorgte der Regisseur - nicht nur mit einer flauen Inszenierung.
Von Susanne Kübler
Das Bühnenbild ist wirklich schön. Weiss-hellblaue Wände lassen sich zum weiten Saal oder zur Aussenmauer verschieben, etwas Stuck über den schweren Türen deutet den Bezug zum 18. Jahrhundert an, sonst bleibt alles offen. Vieles liesse sich in diesem Raum von Ausstatterin Isabella Bywater vorstellen, eine orientalische Abendunterhaltung nach dem Geschmack von Mozarts Zeitgenossen etwa oder eine kühle, scharfe Analyse dieser Geschichte um Liebe, Verzicht und Vergebung. Stattdessen gibt es ein Drama frei nach Pirandello: Sechs Personen suchen einen Regisseur.
Er gebe den Sängerinnen und Sängern viel Freiraum, hatte Jonathan Miller, der nach der Zürcher «Zauberflöte» nun auch diese «Entführung aus dem Serail» inszeniert, im Vorfeld verlauten lassen. Man könnte auch sagen: Er lässt sie einfach stehen, allein in diesem grossen, leeren Raum, allein mit ihren darstellerisch heiklen Rollen und den unterschiedlichen schauspielerischen Talenten.
Der Star des Abends, Klaus Maria Brandauer, meistert die Situation berufshalber am leichtesten. Er spielt Brandauer, der den Bassa Selim spielt - mit einer gewissen Distanz zur Figur und dennoch mit mehr Lebendigkeit als der Rest der Crew. Da tritt kein abgeklärter Herrscher auf, sondern einer, der in der Einsamkeit seines Palastes ein bisschen eigen geworden ist, der die Konstanze wie ein dummes Schulmädchen behandelt und mit immer leicht fragender Stimme vor sich hinredet. «Krk» macht er, wenn er seinen Gefangenen den Strick androht. Ohne Pathos, als einer, dem die Macht eigentlich verleidet ist.
Belmonte macht Liegestütze An Bühnenpräsenz hat ihm einzig Patricia Petibon, die als Blonde ihren Einstand am Zürcher Opernhaus mit grandios zappeliger Görenhaftigkeit gibt, etwas entgegenzusetzen. Die ernsten Rollen dagegen tun sich schwer. Malin Hartelius als Konstanze erstarrt in ihrem Leid, Piotr Beczala als Belmonte steht und singt und greift sich ans Herz. Nur als es die Flucht aus dem Palast vorzubereiten gilt, macht er Liegestütze. Da erstaunt es nicht, dass Konstanze eigentlich gern dem Begehren des Bassa nachgeben würde und nur aus Pflichtgefühl diesem Belmonte mit seinem aufgebrezelten rosa-goldenen Kostüm treu bleibt. Aber dieser Regieeinfall - der übrigens keineswegs neu ist - hat hier keinerlei Konsequenzen und bleibt damit bedeutungslos.
Wo nichts so richtig zusammenpasst, hätte die Musik für eine Linie zu sorgen, und es ist wirklich Pech, dass Franz Welser-Möst grippehalber zumindest für die Juni-Vorstellungen ausfällt. An seiner Stelle dirigiert der junge Christoph König, einst Assistent von Welser-Möst, nun Erster Kapellmeister an der Oper Bonn. Er hat die «Entführung» in Zürich zwar bereits in der früheren Ponnelle-Inszenierung geleitet, aber für eine frisch einstudierte Sicht auf die Partitur war die Zeit ganz einfach zu kurz. Mehr als einmal konnten sich Sänger und Orchester erst nach ein paar Takten auf ein Tempo einigen, manche Übergänge gerieten verwaschen und instrumentale Dialoge verwackelt. Das dürfte sich in den weiteren Aufführungen verbessern, und dann könnten sich auch die Qualitäten des Orchesters der Oper noch stärker entfalten: Die klangschönen Bläser, das draufgängerische Schlagwerk, überhaupt die lichte Farbigkeit der Musik, die hier in einzelnen Arien durchschimmerte.
Das Gör und die Leidende Auf gewohnt hohem Niveau blieben damit bei dieser Festspielpremiere einzig die sängerischen Leistungen. Von Patricia Petibon etwa: Sie singt die Blonde, wie sie sie spielt, frech und schrill und görenhaft, wobei die leicht eingestreuten Verzierungen und der immer wieder auch volle, runde Sopran die Vielseitigkeit ihres Talents verraten. Während sie jede Laune nach aussen trägt, richtet Malin Hartelius’ Konstanze ihren Schmerz ganz nach innen; bis an die Grenze des Verstummens geht sie in der «Traurigkeit», ohne dass ihre helle, bewegliche Stimme etwas von ihrer Leuchtkraft einbüssen würde. Das berührt, mehr als die heftigeren Töne in der «Martern»-Arie: Laut werden ist nicht in der Art dieser Konstanze.
Das gilt auch für Boguslaw Bidzinski, seit kurzem Mitglied im Zürcher Ensemble, der seinen ersten grossen Auftritt auf dieser Bühne hat. Er gibt den Pedrillo mit leicht schüchternem Schalk und diskretem, ungekünsteltem Tenor; seine Stimme überzeugt vor allem in ruhigen Passagen, forcierte Einsätze erträgt sie dagegen nicht. Kräftiger, belcantistischer und mit klassischen tenoralen Schluchzern gestaltet Piotr Beczala die Partie des Belmonte, der einem allerdings trotz des amourösen Impetus in den Arien nicht wirklich nahe kommt.
Und Osmin? Alfred Muff, als Aufseher des Bassa bereits vielfach bewährt, darf diesmal schauspielerisch weder poltern noch karikieren. Aber seine vokalen Ausfälligkeiten und der bösartige Charme seines Liedes zu Beginn verfehlen ihre Wirkung keineswegs; und dass eine deutsche Muttersprache für die Sprechpartien zwischen den Arien ein enormer Vorteil ist, belegt sein Auftritt ebenfalls.
Das Unpassendste zum Schluss Stimmlich füllen jedenfalls alle Protagonisten den Raum, der schauspielerisch so ernüchternd leer bleibt. So galt der Applaus am Ende, wenn des Bassas Grossmut gerühmt wird, sozusagen einer schönen konzertanten Leistung: Die beiden Paare sangen ihren Dank, Selim sass in der Mitte und wischte die Huldbezeugungen weg wie lästige Fliegen, und was vorher auseinander gedriftet war, fügte sich zum kompakten, versöhnlichen Finale. Wenn nicht danach noch das Unpassendste gekommen wäre: Regisseur Jonathan Miller, kürzlich in den Adelsstand erhoben, erwiderte die Buhs des Publikums mit einer Geste, die sich nur unwesentlich vom Stinkefinger des Schiedsrichters beim Fussball-Länderspiel Schweiz-Russland unterschied. Man sollte ihm glatt die rote Karte zeigen.
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24. 6. 2003
Zürcher Festspiele «Die Entführung aus dem Serail»
Da staunt Mozart
VON ROGER CAHN
ZÜRICH. Glanz verleiht der Aufführung der Schauspieler Klaus Maria Brandauer in der Sprechrolle des Bassa Selim - es gab Szenenapplaus. Auf der Bühne aber wenig Klasse. Und das zu erhöhten Preisen. Premiere war am Sonntag im Opernhaus.
Klaus Maria Brandauer als Bassa (Pascha) Selim mimt nicht - der Tradition folgend - den Weisen aus dem Morgenland, sondern den verliebten Macho, der die gefangene Konstanze nur sehr widerwillig mit ihrem Befreier und Geliebten Belmonte ziehen lässt.
Die von Mozart nicht vorgesehenen, kurzen Liebesszenen sind die Höhepunkte des langen Abends.
Regisseur Jonathan Millers oft gepriesener Sinn für die Psychologie der Figuren hat diesmal versagt. Zwei fantasielose Jünglinge - Belmonte mit seinem Diener Pedrillo - und die überdrehte Zofe Blondchen können Osmin, dem übereifrigen Aufseher des Paschas, kaum das Wasser reichen. Schwer zu glauben, dass diesem langweiligen Trio die Entführung gelingt und Konstanze nicht im Serail beim spannenderen Selim bleiben möchte.
Über biederes Mittelmass ragen von den Sängern nur Alfred Muff als stimmstarker und komischer Osmin und Malin Hartelius als Konstanze vor allem in den lyrischen Passagen heraus. Ihre Koloraturen sind noch steigerungsfähig. Patricia Petibon, im Vorfeld hochgejubelte Entdeckung aus Frankreich, karikiert das muntere Blondchen als überdrehte Puppe. Piotr Beczala singt den Belmonte brav und glanzlos. Boguslaw Bidzinski bleibt dem pfiffigen Diener Pedrillo vieles schuldig.
Am Dirigentenpult fehlt die magistrale Hand: Franz Welser-Möst musste krankheitshalber absagen. Dafür sprang der junge Christoph König ein. Unsicherheiten gabs vor allem in der Abstimmung zwischen Orchestergraben und Bühne. Bei Mozarts Musik hört man jedes kleinste Detail. Genau darin liegt der Teufel dieser Produktion.
Fazit: Ein weiteres Beispiel dafür, dass im Zürcher Opernhaus Glanz oft mehr im Parkett als auf der Bühne zu finden ist.
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24. 6. 2003
Schiessbudenfiguren und ein Schauspiel-Titan
Zürich: Mozarts «Entführung aus dem Serail» im Opernhaus
Was das musikalische Resultat betraf, war sie durchaus festspielwürdig, die Neuproduktion von Mozarts «Entführung aus dem Serail» am Zürcher Opernhaus. Die Regie von Jonathan Miller hingegen fiel vor allem durch ihre Nichtexistenz und eine handfeste Beleidigung des Publikums auf.
REINMAR WAGNER
Nach der Absage des Dirigenten Franz Welser-Möst blieben zwar nicht mehr viele klingende Namen übrig, welche das Festspiel-Etikett rechtfertigt hätten. Patricia Petitbon mag in Kennerkreisen als eine der beweglichsten Stimmen und begeisterndsten Darstellerinnen unter den jungen Sopranistinnen gelten, für Zürich war die quirlige Französin auch kein Glamour-Magnet. So blieb noch Klaus Maria Brandauer, welcher die SprecherroIle des türkischen Fürsten Bassa Selim übernommen hatte und vom ersten Moment seines Erscheinens dieser Oper seinen Sternpel aufdrückte. Plötzlich wurden die Sätze, die aus dem Mund Belmontes oder Pedrillos unbeholfen, ja geradezu idiotisch geklungen hatten, überzeugend und natürlich, nachvollziehbar und folgerichtig.
Meisterleistung Es gab Momente des Zuviel, wo BIrandauer aus dem Willen heraus, die Rolle zu füllen, ein wenig übers Ziel hinausschoss, und ein stärkerer Regisseur als Jonathan Miller hätte ihn darin wahrscheinlich bremsen können.. Aber allein wie er die Möglichkeien von Verzögerungen und Pausen im Sprechen, wie er Wiederholungen einzelner Worte zur Dramatisierung der Szenen oder zur Nuancierung von divergierenden Empfindungen einsetzte, war eine Meisterleistung. Dazu kam seine Gestik, die in jedem Moment den Raum beherrschte und ebenso viel über die Leidenschaften und Empfindungen dieser Figur aussagten wie das wirklich Gesagte. Denn dieser,Bassa war keineswegs von Anfang an jener edle Orientale, als der er am Ende erscheint. Da war ein Kampf durchzufechten, da war Leidenschaft gegen Vernunft abzuwägen, da waren enttäuschte Hoffnungen und erfüllte Vermutungen, und all das war zu sehen, zu hören und nachzuvollziehen dank dieses grossartigen Schauspielers.
Selten auch wirkten die üblichen Sängergesten so hilflos und lächerlich wie an der Seite dieses Könners. Abgesehen davon, dass Miller dafür die Verantwortung übernehmen muss - weil ohne Ausnahme alle diese Sänger des Zürcher Opernensembles schon wiederholt gezeigt haben, dass sie es unter kundiger Anleitung durchaus viel besser können - abgesehen davon sollen sie ja auch in erster Linie singen. Und darin zeigten sie nun auch ihrem Schauspielkollegen durchaus Ebenbürtiges: Wie Malin Hartelius als Konstanze sowohl die abgrundtiefe Verzweiflung wie den auflodernden Trotz anrührend und mitreissend ausdrücken konnte, obwohl ihre Stimme weder über blitzsaubere Koloraturen noch über die strahlkräftige Fülle eines wirklich dramatischen Soprans verfügt, war schön zu erleben und dank einer sauber geführten und in jeder Hinsicht ungetrübten Stimme ein Genuss. Ebenso wie Piotr Beczala als Belmonte mit nicht minder berückenden, Tönen voller Schmelz und tenoralem Glanz seine Partie gestaltete. Alfred Muff zeigte einmal mehr, dass er kaum eine Partie zwischen tiefem Bass und hohem Bariton zu fürchten hat, und demonstrierte auch wieder einmal sein Talent als ungeniert handfester Komödiant. Und die zum ersten Mal am Zürcher Opernhaus singende Französin Patricia Petitbon, die vor allem als mit William Christie schon dicke Stricke zerrissen hat, begeisterte nicht nur mit ihrer quirligen Beweglichkeit, sondern auch mit differenzierten, farbigen und komödiantisch aufgeputzten Gesangslinien. Abgefallen ist hingegen der junge Pole Boguslaw Bidzinski, dem der Pedrillo noch eine Nummer zu gross war - es sei denn, die Premierenangst hätte ihn rettungslos ergriffen.
Souveräne Kenntnis
Der eigentlich vorgesehene Festspiele--Dirigent Franz Welser-Möst liess sich krankheitshalber durch seinen Assistenten Christoph König vertreten, der ohnehin schon die Probenarbeiten geleitet hatte und sich auch an der Premiere durch seine souveräne Kenntnis der Partitur und ihrer Klippen hohe Verdienste erwarb. Wie schon so oft von diesem Orchester hörten wir trotz einiger individueller Schnitzer ein erfreulich aufgerautes und klangfarblich differenziertes Mozart-Klangbild, die Tempi flossen organisch, die Spannung erlitt keine Einbrüche, bloss die Dynamik hätte noch um einige Zacken deutlicher sein dürfen. Möglicherweise war diese Premiere für den 28-jährigen Dirigenten aus Dresden der entscheidende Sprung zu einer grossen Karriere.
Auf der Bühne dagegen spielte sich kaum etwas ab: Das Bühnenbild von Isabella Bywater beschränkte sich darauf, von unsichtbaren Geistern die Wände und Türen umherschieben zu lassen, ihre Kostüme hatten bloss Farben und Beliebigkeit zu bieten, und die Regie von jJonathan Miller tat auch nicht mehr, als die Reihenfolge zu arrangieren, wie man denn am dekorativsten rumstehen könnte. Minutenlang standen sie wie Schiessbudenfiguren an der Rampe, verloren und verkauft, Sänger wie Beczala, Bidzinski oder Hartelius, die nicht aus sich heraus mit solchen Null-Situationen etwas anfangen konnten. Alfred Muff zog sich mit seinem poltrigen komödiantischen Charme einigermassen schadlos aus der Affäre, die quirlige Patricia Petitbon verlegte sich ebenfalls mit einigem Erfolg auf die überkandidelte Ulknudel und - wie gesagt - ein Schauspieler vom Format eines Brandauer, lässt sich von keinem Regisseur seinen Auftritt runterhandeln. Von diesem starken Gegenüber scheint sogar Malin Hartelius noch einiges profitiert zu haben, mit dem Ergebnis, dass keine im Publikum ihr noch abnimmt, dem farblosen Belmonte so standhaft treu zu sein...
Fliessbandarbeit Die Buhs, welche dem' Regisseur am Ende entgegenschlugen, waren erstens völlig berechtigt und zweitens zeigten sie, dass das Zürcher Publikum, das in den letzten Jahren mit sehr vielen ausgezeichneten und herausfordernden Regisseuren konfrontiert wurde, gelernt hat, eine Fliessbandarbeit wie diese zu durchschauen und entsprechend zu quittieren. Dass Jonathan Miller sich dazu hinreissen liess, dem Publikum die Faust zu zeigen, mag aus dem Moment heraus nachvollziehbar sein, ein Fauxpas der ganz groben Art ist es gleichwohl. Von den Avantgarde-Regisseuren und den Berufs-Provokateuren, den Opern-Zertrümmerern und Regie-Berserkern, die noch weit heftigere Buh-Gewitter über sich ergehen lassen mussten, haben wir solches jedenfalls nie gesehen.
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24. 6. 2003
Der Wagemut bleibt vor der Tür
Viele musikalische Meriten, eine reichlich konventionelle Inszenierung bei gleichwohl erfüllten Spielmomenten: Im Rahmen der Festspiele war in Zürich Premiere einer neuen Mozart'schen «Entführung».
Torbjörn Bergflödt
Heute, an seinem, des Bassas, Geburtstag sei Konstanze entführt worden. Meint Osmin zu Selim. Will hier heissen: sagt Alfred Muff zu Klaus Maria Brandauer im vierten Auftritt des dritten Akts. Das Premierenpublikum versteht den Texteinschub ins Opernlibretto prompt und gratuliert dem österreichischen Theater-, Kinofilm- und TV-Schauspieler sowie Bühnenregisseur Brandauer, der am 22. Juni 59 Jahre alt wird, mit einem Sonderapplaus. Brandauer gab die Sprechrolle des Selim im Opernhaus Zürich mit einer starken Präsenz des Rätselhaften, eines Sowohl-als-auch von Liebendem und Zwingendem. Dass die Regie den Text dahingehend anspitzte, dass Selim Osmins Strangulierdrohung in der Geschwindarie zuvor ausdrücklich aufgreift, wirkte dann allerdings doch etwas befremdlich. Was überdies mit sich brachte, dass der librettogemässe Umschlag zum Herrscher, der seine Gefangenen allesamt freilässt, zu stark überraschen musste.
Schnabelschuhe, Turbane Wagemut freilich war nicht das Hauptkennzeichen dieser Inszenierung. Der englische Regisseur Jonathan Miller und seine Ausstatterin Isabella Bywater haben, unterm Deckmantel einer Mozart-Gemässheit, gar viele Tribute an die Konvention gemacht. Schnabelschuhe, Krummsäbel und Turbane bei den Türken, Kleidung samt Perücken wie aus Mozarts Wien für die Menschen aus dem Okzident solches Eins-zu-eins ist nicht gerade ingeniös zu nennen. Die bequem verschiebbaren Wände, Türen und Fenster erstarren regelmässig in einer nur minim aufgebrochenen Achsialsymmetrie und wirken wuchtig. Ein bisschen mögen die Rechtecke und Kreise und weiteren Formgebilde, die aus dem etwas rätselhaften herrschaftlichen Haus ablesbar werden, sich zur sinnfälligen Folie fügen für ein Spiel, das auch beziehungsgeometrische Züge aufweist. Eine lange Zeit offene Tür im zweiten Akt stellt einen raffiniert wechselnden Querbezug her zu den Empfindungen Konstanzes darunter zur unzerstörbaren inneren Freiheit, zur Bereitschaft dieser Frau, lieber selbst den Martertod in der Fremde zu sterben als dem Geliebten untreu zu werden. Die Inszenierung enthält allerdings manchen erfüllten Spielmoment. Was sich aus einer Personenführung ergeben haben mag, die Miller, dem Bulletin des Opernhauses zufolge, offenbar gerne freiheitlich handhabt, dem eigengestalterischen Naturell der Darsteller gemäss. Ein doch eher platter Joke: die Kniebeugen und Liegestütze des Belmonte unmittelbar vor der Entführung. Der als Dirigent der Produktion noch in ebendiesem Magazin und auch in einem Biografienbeiheft angekündigte «Principal Conductor» des Hauses, Franz Welser-Möst, erschien nicht am Pult an der Premiere. Es war vielmehr Christoph König, der, ab welcher Probenwoche auch immer er den Stab übernommen haben mag, sich für die Belange von Mozarts wunderbarer Partitur mit gewinnreichem Elan einsetzte. Das Orchester liess neckische Rhythmusakzentuierungen hören und sangliche Linien, entband kleine Gefühlsstürme und in der Schlussnummer einen federnd rasanten Geschwindwirbel.
Eigene Farbe Malin Hartelius legte in die Rolle der Konstanze jenen Tiefgang, mit dem Mozart, neben köstlichem Humor, dieses Singspiel geadelt hat. Eine zart nuancierende, feinsinnige Deutung bei, wo geboten, sehr «beweglicher Gurgel». Und auch was sonst nicht immer zu beobachten ist an dieser Sängerin eine intensive schauspielerische Vergegenwärtigung. Piotr Beczala als Belmonte sang mit kraftvoll strömender Tenorstimme bei fast zu hell-offener Vokalität und mit bisweilen zu viel Druck. Eine eigene, frische Farbe in den Abend brachte die Sopranistin Patricia Petitbon, in deren Künstlervita Namen wie Christie, Gardiner und Harnoncourt eine Rolle gespielt haben und die auch ein Diplom als Musikwissenschafterin in der Tasche führt. Zur Würze in Timbre und Führung der Stimme gesellte sich ein quirliges Spieltalent, wobei die Interpretation der Rolle der Blonde auch abgeschmecktwar mit einer Prise Sex-Appeal.
Cholerischer Aufpasser Das «niedere» der beiden Paare vervollständigte der Zürichs Internationalem Opernstudio entwachsene Boguslaw Bidzinski als Pedrillo sängerisch nicht rundum glückhaft operierend, schauspielerisch sehr gewandt. Durchaus pointensicher und mit resonanzreichem Bass agierte Alfred Muff, der die Figur des cholerischen Aufpassers Osmin verkörperte. Seine hier knapp bemessenen Einsätze besorgte überzeugend der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor.
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24. 6. 2003
Kein Glanzlicht für Zürcher Festspiele
Premiere von Mozarts «Entführung aus dem Serail» im Opernhaus Zürich - Buhrufe für den Regisseur
Die Festspiel-Produktion des Opernhauses Zürich ist alles andere als festlich. Mozarts «Entführung aus dem Serail» hätte eigentlich von Franz Welser-Möst dirigiert werden sollen, doch sein neuer Chefposten in Cleveland hat ihn allein schon durch den massiv erhöhten Reiseaufwand derart erschöpft, dass er gesundheitliche Probleme hat. Statt seiner dirigiert der junge Christoph König, einst Assistent von Welser-Möst, in verlässlicher Kapellmeister-Manier. Kommt dazu, dass Regisseur Jonathan Miller eine ausgesprochen uninspirierte und langweilige Szenerie mit zum Teil lächerlichen Kostümen auf die Bühne bringt, die das Premierenpublikum mit intensiven Buhrufen quittierte.
Viel Leere und eine Palme Das Bühnenbild besteht aus Leerraum und hohen Landhausmauern. Vier Türen ermöglichen die üblichen Auf- und Abtritte für die vier Protagonisten. Der Garten wird mit einer einsamen hohen Palme angedeutet, um die herum eine Sitzbank die einzige bespielbare Requisite darstellt. Sonst gibt es den ganzen Abend nichts als steifes Stehen und Operngestik im offenen oder geschlossenen Raum. Belmonte und Konstanze sind in edelste, fest geschnürte Roben gekleidet, steifer geht's nicht mehr, und auch Pedrillo und Blondchen kommen adlig daher (Ausstattung: Isabella Bywater). Auf der anderen Seite wirkt Osmin in seinem knielangen Rock und mit grossem Dolch bewaffnet befremdlich «kultiviert»; er ist auch nicht dunkel geschminkt. Dieser Osmin droht zwar und gibt singend die schlimmsten «Martern» von sich, doch von der Personenführung her wirkt er eigenartig unsicher und zögerlich. Die poltrige Statur, die er musikalisch und textlich hat, kommt kaum zum Zug. Stimmlich bringt Alfred Muff alle Qualitäten mit und verfügt auch über die notwendige Tiefe. Es geht ihm aber vom Timbre her das «Schwarze» etwas ab. Peinlich edel geht's auch in der Trinkszene zu und her. Muff schwankt zwar zwei-, dreimal, aber damit hat es sich auch schon.
Unbeholfen im Kostüm, aber musikalisch überzeugend Und dann die Janitscharen! Sie wirken einfach lächerlich in ihren Röcken mit Helm und Rüstung. Dazu werden sie mit mindestens drei Waffen im Gurt böse gemacht. Derart überbekleidet, wirkt der Chor komisch und unbeholfen. Musikalisch aber bringt er - schlank geführt - Präzision und klangliche Prägnanz mit und wird dabei vor allem durch das Schlagwerk unprätenziös und sehr charakteristisch «koloriert» (Einstudierung: Ernst Raffelsberger).
Von allem etwas zu viel Etwas gestelzt tritt auch der Selim Bassa in seinem üppigen Seidengewand samt Turban auf. Klaus Maria Brandauer spielt ihn mit der für ihn typischen Manieriertheit. Alles bringt er mit etwas zu viel Pause, etwas zu viel Betonung, etwas zu viel Geste. Überhaupt wirkten alle Sängerinnen und Sänger musikalisch eher verkrampft. Piotr Beczala verfügt zwar über eine agile Tenorstimme, brachte für den Belmonte aber etwas wenig Wärme und Schmelz mit. Pedrillo setzte sich weder szenisch noch vom stimmlichen Timbre her deutlich von Belmonte ab. Boguslaw Bidzinski wusste zwar mit Leichtigkeit und spielerischem Geist zu gefallen, kam aber in der sehr hohen und anspruchsvollen Arie «Auf zum Kampfe» deutlich hörbar an seine Grenzen.
Etwas kurzatmiges Blondchen Das Blondchen hat das rothaarige Temperament der jungen französischen Koloratursängerin Patricia Petibon. Sie spielt den Osmin mit virtuosem Körpereinsatz an die Wand und verfügt stimmlich über eine wunderbar tragende Höhe und Koloratur-Virtuosität. Das betont Theatralische ihres Auftritts ging jedoch etwas auf Kosten der Phrasierung, des Legatos. Die abgesetzten Töne wirkten stellenweise wie Kurzatmigkeit.
Eine einzige Ohrenweide Musikalisch am interessantesten wusste Malin Hartelius die Partie der Konstanze auszugestalten. Ihr kultiviertes Piano sucht seinesgleichen, die reichhaltigen Farben bereichern den Ausdruck, der Wechsel zwischen Trauer und Dramatik gelang meisterhaft. Dabei musste sie die «Martern»-Arie ungekürzt, also in acht Minuten Länge durchstehen, und zuvor in «Traurigkeit ward mir zum Lose» die differenzierteste Lyrik ausbreiten. Es war eine einzige Ohrenweide. Auch das Liebesduett von Belmonte und Konstanze war im dynamischen Aufbau und im reifen gestalterischen Ausdruck ein Highlight, ebenso wie die immer wieder betörenden Schlussensembles von Mozart.
Orchester überzeugte nicht Der hochgefahrene Orchestergraben brachte zwar eine markante Präsenz des Orchesterklangs, dem es jedoch an musikalischen Konturen fehlte. Farblich interessant waren überraschende Instrumentationseigenarten wie zum Beispiel der Einsatz einer Blockflöte statt eines Piccolos. Doch insgesamt wirkten die Bläsereinsätze zu laut, ja stellenweise fast schrill. Christoph König schlug rhythmisch präzise und verlässlich solide. Uninspiriert, ja phantasielos wirkte hingegen die Farbgebung, das Modulieren des Orchesterklangs im Hervorheben einzelner Stimmen. Auch das instrumentale Soloquartett in Konstanzes «Martern»-Arie war keine «sinfonia concertante», sondern einfach ein Herunterspielen jeder Stimme. Dynamisch hingegen achtete König auf die Zwischenstufen und begleitete vor allem die Chöre agil und mit der richtigen Portion Schlagwerk. Der Schlussapplaus war durchmischt. Und als Regisseur Jonathan Miller die Buhrufe mit einer unmissverständlich groben «Leck mich»-Geste erwiderte, war die Empörung komplett.
Sibylle Ehrismann
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24. 6. 2003
Ein Schauspielkünstler als Opernheld
Zürcher Festspiele: Jonathan Miller inszeniert Mozarts «Entführung aus dem Serail»
Wenn in einer Oper ein Schauspieler mittut und zum Schluss dieser Nichtsingende die herausragende Figur des Abends ist, kann etwas nicht stimmen: Bericht von einer weiteren Zürcher Mozart-Enttäuschung.
CHRISTIAN BERZINS
Reagiert ein Regisseur auf Ablehnung seiner künstlerischen Arbeit so heftig wie Jonathan Miller am Sonntagabend am Opernhaus Zürich (siehe Kontext), findet er sie wohl sehr gelungen. Abgeliefert hat er allerdings eine fahle Regie, die fern einer Aufführungsgeschichte liegt (doch wer solcherart am Opernhaus Zürich erwartet, ist wohl selber schuld). Und da seine konventionelle Neuinszenierung von Mozarts «Entführung aus dem Serail» schon am Premierenabend lahmt, muss man sich fragen, was oder ob da überhaupt gearbeitet wurde. Miller erzählt in einem spannungslosen Raum (Bühne Isabella Bywater) ein harmloses, folkloristisches Türkenmärchen (die alte Zürcher Ponelle-Inszenierung hatte diesen konventionellen Ansatz trotz Ausstattungszauber bereits hinter sich gelassen). Kommt hinzu, dass der Regisseur eine erschreckende Unbeholfenheit und Ideenlosigkeit in der Personenführung zeigt.
Brandauer als melancholischer Spötter
Allein wenn Schauspiellegende Klaus Maria Brandauer in der Sprechrolle des Bassa Selim auf der Bühne steht, ist Spannung im Spiel. Nach jedem seiner Worte ist man etwas beglückter: Wie Brandauer mit kleinsten mimischen Regungen den Sätzen Geleit gibt und wie er mit minimen Silbendehnungen Worte interpretieren kann, zeigt höchste Schauspielkunst. Brandauer zeigt den Bassa als melancholischen Spötter, der sich zum Schluss mit einer gehörigen Portion Zynismus über sein Schicksal hinwegtröstet. Die recht freie Ausgestaltung der Bassa-Figur ist das Einzige, was der Regie - oder wohl eher Klaus Maria Brandauer in Eigenverantwortung - gelungen ist.
Artiger Gesang Gesungen wurde artig: Malin Hartelius kann die Töne der Konstanze zwar singen, ihnen aber kaum Farbe und nicht einen Hauch an Dramatik geben. Piotr Beczala (Belmonte) dehnt die Silben oft unmotiviert, macht eigenartige Betonungen und scheut selbst vor üblen Portamenti nicht zurück. Wenn er aber wie zu Beginn «wenig» macht, könnte von schönem Gesang gesprochen werden. Die kecke Patricia Petibon legt in die zwei Blondchen-Arien übertrieben viel Aktion; Boguslaw Bidzinski singt den Pedrillo geradlinig und bis auf zwei sehr exponierte Unsicherheiten korrekt. Dasselbe ist von Alfred Muff zu sagen, nur will sein heller Bass nicht ganz zur Figur des Osmin passen. Nach Absage von Franz Welser-Möst dirigierte der junge Christoph König. Ein spannendes Dirigat: jugendlich forsch, öfters zugespitzt, durchaus vorhandene Extreme der Partitur suchend und (auch mal etwas lärmig) auskostend. Allein der Kontakt mit der Bühne gelang nicht immer perfekt. Die «Entführung aus dem Serail» ist eine Produktion der 7. Zürcher Festspiele: Festspielwürdig war daran wenig, es sei denn der Parkettplatzpreis von 320 Franken.
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25. 6. 2003
Szenische Verharmlosung
Das Opernhaus Zürich präsentiert Mozarts «Entführung aus dem Serail»
Der Zürcher Opernhaus-Direktor Alexander Pereira ging ein erhebliches Risiko ein, als er sich entschloss, Jean-Pierre Ponnelles vorbildliche Inszenierung von Mozarts «Entführung aus dem Serail» durch eine Neuproduktion zu ersetzen. Als Regisseur wurde Jonathan Miller verpflichtet, dem Zürich eine unvergesslich Wiedergabe der Oper «Die schweigsame Frau» von Richard Strauss und Stefan Zweig verdankt.
Leider erreichte er das damalige Niveau bei Mozart bei weitem nicht: In Isabella Bywaters aussergewöhnlich hässlichen Bühnenbildern (hochragend-kahle Mauern mit veränderbaren Türen) wickelt sich das Geschehen mit zahlreichen psychologischen Schnitzern ab: So mutiert der eigentlich nicht ganz ungefährliche Bassa Selim (Klaus Maria Brandauer beging bei der Premiere seinen 60. Geburtstag) zu einem unmotiviert herumtänzelnden, clownesken Mini-Potentaten, so verliert Osmin jegliche Dämonie, so wird der hemmungslos mit Selim flirtenden Konstanze in der Marternarie alle Verzweiflung entzogen, und so ist ein Blondchen zu erleben, das publikumswirksame Operette spielte und jeglichen seelischen Tiefgang vermissen lässt. Millers oberflächliche, verärgernd harmlose und oft grotesk-verspielte Wiedergabe fand sehr geteilte Aufnahme beim Premierenpublikum.
Jugendfrisches Musizieren
Am Pult des zuverlässig gestaltenden Orchesters der Oper Zürich stand nicht, wie erwartet und erhofft, der Chefdirigent Franz Welser-Möst: Eine gravierende Erkrankung zwang ihn zum Verzicht. An seiner Stelle leitete der blutjunge Deutsche Christoph König aus Bonn die Aufführung mit optimistischem Schwung, Spass an heftigen Kontrasten (Schlagzeug-Orgien!) und sympathischer Anteilnahme am Geschehen, aber auch noch mit allzu plakativer, zu wenig ausgefeilter Differenzierung und einigen Mängeln in der Balance zwischen Graben und Bühne. Den anspruchsvollen Solorollen dienen fünf in steilem Aufstieg befindliche Zürcher Ensemblemitglieder. An die Spitze setzt sich der wendige, schönstimmige und ausstrahlungsstarke Pole Piotr Beczala als in jeder Hinsicht idealer Belmonte. Malin Hartelius leiht der Konstanze schauspielerisch rührende und gesanglich untadelige Züge zum heroischen Format hochdramatischer Konstanze-Interpretinnen findet sie zurzeit noch nicht.
Alfred Muff singt den Osmin mit profundem, wohlklingendem Bass, wird aber von der Regie einseitig zur komischen Figur degradiert. Für den Pedrillo bringt Boguslaw Bidzinski neben einigen Diktionsfehlern Lockerheit und einen angenehmen, aber bei Fortestellen noch zu wenig souverän geführten Buffotenor mit, für das Blondchen die quirlige Französin Patricia Petitbon ihre staunenswerte Stimmakrobatik, aber auch ein Übermass an mimischen und gestischen Einfällen.
Natürlich ist Klaus Maria Brandauer eine Attraktion der Inszenierung. Aber, mit Verlaub: Was sich der Star an Ungenauigkeiten, an Textimprovisationen und an lässiger, von einem schrecklichen Kostüm zusätzlich belasteter Haltung leistet, muss alle diejenigen traurig stimmen, die den hochbegabten Darsteller in seinen früheren Meisterrollen erleben durften. (-tt-)
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Brandauer dominiert
«Die Entführung aus dem Serail» erntete Applaus für die musikalische Leistung und Buhs für die Regie.
24. 6. 2003
Beat Glur Im Rahmen der Zürcher Festspiele ist am Sonntag Mozarts «Die Entführung aus dem Serail» zur Premiere gekommen, und das Publikum war sich weit gehend einig: Eine rundum würdige Festspiel-Produktion ist das nicht. Regisseur Jonathan Miller und die Bühnen- und Kostümbildnerin Isabella Bywater wurden massiv ausgebuht. Zu Recht: Die Regiearbeit ist kaum zu spüren, das einfache Bühnenbild wirkt beliebig, und die aufwändigen Kostüme erschöpfen sich in wenig plausiblen Folklo rismen.
Im Mittelpunkt der Aufführung steht für einmal nicht ein Sänger oder eine Sängerin, sondern der grosse österreichische Theater- und Filmschauspieler Klaus Maria Brandauer. Er hat die Sprechrolle des Bassa Selim übernommen, aus dessen Serail Belmonte seine Geliebte Konstanze entführen will.
Jedesmal, wenn er auf der Bühne ist, scheint alles um ihn herum stillzustehen. Brandauer bringt einen Hauch grosse Theaterluft auf die Opernhaus-Bühne. Nicht nur seine Worte beeindrucken, sondern vor allem seine Gestik, seine Bewegungen, seine Präsenz. Er steht, trotz seiner spärlichen Auftritte, im Zentrum der Aufführung. Neben ihm verblassen seine fünf Mitspieler.
Einzig die junge Französin Patricia Petibon als Kammermädchen Blonde vermag mit einer eigenen Rollengestaltung zu überzeugen. Ebenfalls überzeugend singen Malin Hartelius als Konstanze und Piotr Beczala als Belmonte. Darstellerisch jedoch bleiben beide blass. Als Ersatz für den erkrankten Franz Welser-Möst stellt sich der junge deutsche Dirigent Christoph König erstmals dem Zürcher Publikum vor. Er dirigiert engagiert und präzise. Sein Kontakt mit der Bühne hingegen ist nicht immer optimal.
Insgesamt zeigt Zürich als erste Festspielpremiere im Opernhaus eine solide musikalische Leistung in einer Inszenierung, die nicht die Handschrift eines Regisseurs trägt, sondern dominiert wird vom Theaterstar Brandauer.
Dem Schausspieler gelingt, in der berühmten Marternarie, nicht nur fast die Verführung der geraubten Konstanze, sondern, im emotionalen Höhepunkt des Abends, auch die des Publikums. Brandauer konnte am Premieren-Sonntag übrigens seinen 60. Geburtstag feiern.
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24. 6. 2003
Frei mit eingesperrten Gefühlen
Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer dominiert die Inszenierung von Mozarts «Entführung», mit der am Wochenende die Zürcher Festspiele eröffnet wurden.
von urs mattenberger
Wird sie seiner erotischen Ausstrahlung erliegen, oder bleibt sie aus Treue zum Verlobten standhaft? Der Zwiespalt der Konstanze, die sich als Gefangene im Serail des Bassa Selim gegen dessen autoritäre Werbung wehrt, zeigt, wie Mozart das Geschehen in seinen Opern vielschichtig psychologisierte. Im Libretto nämlich ist die Sache klar - Konstanze macht ihrem Namen alle Ehre und weist ihren neuen Herrn standhaft zurück. In der Musik kommt dagegen zum Ausdruck, wie sie die Umwerbung durch Selim irritiert und dass sie sich vorab aus moralischer Pflicht verweigert.
Das Beispiel wird oft zitiert, aber selten so ergreifend umgesetzt wie jetzt in der neuen Inszenierung der «Entführung aus dem Serail», die am Sonntag am Opernhaus Zürich Premiere hatte. Und dies dank zweier überragender Hauptdarsteller. Denn Regisseur Jonathan Miller hat sich offenbar überhaupt nur für diesen einen Aspekt des Werks interessiert.
Brandauer im Zentrum So stehen, auch darstellerisch, Konstanze und der Bassa einsam im Zentrum dieser Produktion, zumal die Sprecherrolle des Serail-Herrn mit dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer hochkarätig und eigenwillig besetzt ist. Dass Bassa Selim als salopper Zyniker in diesem Serail unpassend wirkt, ist nicht Brandauer anzulasten, sondern einer Regie, die kaum etwas unternimmt, um ihn ins Ganze einzubinden. Zum einen gelingt es nicht, die Kluft zwischen Brandauers schauspielerischer Präsenz und den konventionellen Opernposen zu überwinden. Zum andern bleibt die übrige Darstellung von Brandauers modern psychologisierter Interpretation der Bassa-Rolle gänzlich unberührt. Das wie aus dem Leben gegriffene Drama zwischen Konstanze und ihm bleibt ein Fremdkörper in einer Inszenierung, die sich ansonsten in einer steifen Kostümstaffage erschöpft und in der selbst die karikierenden Überzeichnungen (etwa die Spielzeugrüstungen von Ausstatterin Isabella Bywater) mehr lächerlich denn ironisch-reflektiert wirken.
Die Direktheit, mit der Brandauers Bassa Selim ganz existenziell von seinen Gefühlen spricht, aber auch mit seiner Herrschaft über Konstanze droht, wirkt innerhalb dieser historisierenden Kunstwelt umso menschlicher. Durchaus auch darstellerisch daneben bestehen kann die grossartige Konstanze von Malin Hartelius. Wie beide gleichsam nebenbei durch körperliche Nähe und alltägliche Berührungen jene Vertraulichkeit und Anziehung mitspielen, von der auch Mozarts Musik indirekt spricht, ist grosse Kunst, die dem Abend schliesslich zu einem berührenden Abschluss verhilft: Wenn Brandauers Selim mit kalter Resignation seine Verletztheit überspielt, seiner Liebe entsagt und alle Gefangenen ziehen lässt, ist das kein Happy End. Wenn Konstanze ob Selims Grossmut irre wird an ihrem Entscheid für Belmonte, für die Rückkehr nach Europa, das hier für Stand und Etikette steht, ist es zu spät: Die Befreiung aus dem Serail wird damit erkauft, dass die wahren Gefühle eingesperrt werden.
Kein Festspiel-Ereignis Hartelius ragt mit einer Sopranstimme, die den Koloraturen fast atemlose Dramatik abgewinnt und in den lyrischen Phrasen zu Grossform findet, auch aus dem Sängerensemble heraus. Ähnlich intensiv und souverän agieren nur die zur kecken, rothaarigen Göre zugespitzte Blonde von Patricia Petibon und der Luzerner Bassist Alfred Muff, der mit voluminös strömender Stimme dem Aufseher Osmin über alle Tolpatschigkeit hinaus berührende menschliche Züge gibt. Piotr Beczalas Belmonte hat seine stärksten Momente, wo er lyrischen Stimmenschmelz ausspielt, wirkt aber in dramatischen Passagen forciert, ähnlich wie der Pedrillo von Boguslaw Bidzinski, der seinen Part nur mit Anstrengung bewältigte.
Eine Überraschung war der junge deutsche Dirigent Christoph König, der kurzfristig für Franz Welser-Möst einsprang, der krankheitshalber absagte. Auch wenn König das Orchester souverän durch die Partitur führte: Ein Ereignis, wie man es von einer Festspiel-Produktion erwartet, ist diese «Entführung» auch musikalisch im Ganzen nicht.
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24. 6. 2003
Eine inszenatorische Frechheit von «Entführung»
Was das musikalische Resultat betraf, war sie durchaus Festspiel-würdig, die Neuproduktion von Mozarts «Entführung aus dem Serail» am Zürcher Opernhaus. Die Regie von Jonathan Miller hingegen fiel vor allem durch ihre Nicht-Existenz und eine handfeste Beleidigung des Publikums auf.
von reinmar wagner
Nach der Absage vom Dirigenten Franz Welser-Möst blieben zwar nicht mehr viele klingende Namen übrig, welche das Festspiel-Etikett rechtfertigt hätten. Patricia Petitbon mag in Kennerkreisen als eine der beweglichsten Stimmen und begeisterndsten Darstellerinnen unter den jungen Sopranistinnen gelten, für Zürich war die quirlige Französin auch kein Glamour-Magnet. So blieb noch Klaus Maria Brandauer, welcher die Sprechrolle des türkischen Fürsten Bassa Selim übernommen hatte und vom ersten Moment seines Erscheinens dieser Oper seinen Stempel aufdrückte. Plötzlich wurden die Sätze, die aus dem Mund Belmontes oder Pedrillos unbeholfen, ja geradezu idiotisch geklungen hatten, überzeugend und natürlich, nachvollziehbar und folgerichtig.
Es gab Momente des Zuviel, wo Brandauer aus dem Willen heraus, die Rolle zu füllen, ein wenig übers Ziel hinausschoss, und ein stärkerer Regisseur als Jonathan Miller hätte ihn darin wahrscheinlich bremsen können. Aber allein wie er die Möglichkeiten von Verzögerungen und Pausen im Sprechen, wie er Wiederholungen einzelner Worte zur Dramatisierung der Szenen oder zur Nuancierung von divergierenden Empfindungen einsetzte, war eine Meisterleistung. Dazu kam seine Gestik, die in jedem Moment den Raum beherrschte und ebenso viel über die Leidenschaften und Empfindungen dieser Figur aussagte wie das wirklich Gesagte.
Schwerer Stand neben Klaus Maria Brandauer
Selten auch wirkten die üblichen Sängergesten so hilflos und lächerlich wie an der Seite dieses Könners. Abgesehen davon, dass Miller dafür die Verantwortung übernehmen muss - weil ohne Ausnahme alle diese Sänger des Zürcher Opernensembles schon wiederholt gezeigt haben, dass sie es unter kundiger Anleitung durchaus viel besser können - abgesehen davon sollen sie ja auch in erster Linie singen.
Und darin zeigten sie nun auch ihrem Schauspiel-Kollegen durchaus Ebenbürtiges: Wie Malin Hartelius als Konstanze sowohl die abgrundtiefe Verzweiflung wie den auflodernden Trotz anrührend und mitreissend ausdrücken konnte, obwohl ihre Stimme weder über blitzsaubere Koloraturen noch über die strahlkräftige Fülle eines wirklich dramatischen Soprans verfügt, war schön zu erleben und dank einer sauber geführten und in jeder Hinsicht ungetrübten Stimme ein Genuss. Ebenso wie Piotr Beczala als Belmonte mit nicht minder berückenden Tönen voller Schmelz und tenoralem Glanz seine Partie gestaltete.
Alfred Muff zeigte einmal mehr, dass er kaum eine Partie zwischen tiefem Bass und hohem Bariton zu fürchten hat und demonstrierte auch wieder einmal sein Talent als ungeniert handfester Komödiant. Und die zum ersten Mal am Zürcher Opernhaus singende Französin Patricia Petitbon, die vor allem mit William Christie schon dicke Stricke zerrissen hat, begeisterte nicht nur mit ihrer quirligen Beweglichkeit, sondern auch mit differenzierten, farbigen und komödiantisch aufgeputzten Gesangslinien. Abgefallen ist hingegen der junge Pole Boguslaw Bidzinski, dem der Pedrillo noch eine Nummer zu gross war - es sei denn, die Premierenangst hätte ihn rettungslos ergriffen.
Auf der Bühne passiert nichts Der eigentlich vorgesehene Festspiele-Dirigent Franz Welser-Möst liess sich krankheitshalber durch seinen Assistenten Christoph König vertreten, der ohnehin schon die Probenarbeiten geleitet hatte und sich auch an der Premiere durch seine souveräne Kenntnis der Partitur und ihrer Klippen hohe Verdienste erwarb. Wie schon so oft von diesem Orchester hörten wir trotz einiger individueller Schnitzer ein erfreulich aufgerautes und klangfarblich differenziertes Mozart-Klangbild, die Tempi flossen organisch, die Spannung erlitt keine Einbrüche, bloss die Dynamik hätte noch um einige Zacken deutlicher sein dürfen. Möglicherweise war diese Premiere für den 28-jährigen Dirigen- ten aus Dresden der entscheidende Sprung zu einer grossen Karriere.
Auf der Bühne dagegen spielte sich kaum etwas ab: Das Bühnenbild von Isabella Bywater beschränkte sich darauf, von unsichtbaren Geistern die Wände und Türen umherschieben zu lassen, ihre Kostüme hatten bloss Farben und Beliebigkeit zu bieten, und die Regie von Jonathan Miller tat auch nicht mehr, als die Reihenfolge zu arrangieren, wie man denn am dekorativsten rumstehen könnte. Minutenlang standen sie wie Schiessbudenfiguren an der Rampe, verloren und verkauft, Sänger wie Beczala, Bidzinski oder Hartelius, die nicht aus sich heraus mit solchen Null-Situationen etwas anfangen konnten.
Alfred Muff zog sich mit seinem poltrigen komödiantischen Charme einigermassen schadlos aus der Affäre, die quirlige Patricia Petitbon verlegte sich ebenfalls mit einigem Erfolg auf die überkandidelte Ulknudel, und - wie gesagt - ein Schauspieler vom Format eines Brandauer lässt sich von keinem Regisseur seinen Auftritt runterhandeln. Von diesem starken Gegenüber scheint sogar Malin Hartelius noch einiges profitiert zu haben, mit dem Ergebnis, dass keiner im Publikum ihr noch abnimmt, dem farblosen Belmonte so standhaft treu zu sein ...
Die Buhs, welche dem Regisseur am Ende entgegenschlugen, waren erstens völlig berechtigt, und zweitens zeigten sie, dass das Zürcher Publikum, das in den letzten Jahren mit sehr vielen ausgezeichneten und herausfordernden Regisseuren konfrontiert wurde, gelernt hat, eine Fliessband-Arbeit wie diese zu durchschauen und entsprechend zu quittieren.
Dass Jonathan Miller sich dazu hinreissen liess, dem Publikum die Faust zu zeigen, mag aus dem Moment heraus nachvollziehbar sein, ein Fauxpas der ganz groben Art ist es gleichwohl. Von den Avantgarde-Regisseuren und den Berufs-Provokateuren, den Opern-Zertrümmerern und Regie-Berserkern, die noch weit heftigere Buh-Gewitter über sich ergehen lassen mussten, haben wir solches jedenfalls nie gesehen.
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24. 6. 2003
Glanz- und gedankenlos
Von Baden-Baden bis Salzburg, von Düsseldorf bis Zürich, von Hallwyl bis Solothurn - heuer hat ein Repertoirestück des Musiktheaters ganz besonders Konjunktur: Mozarts «Entführung aus dem Serail», seine zweite singspielhafte deutsche Oper neben der «Zauberflöte». In Zürich legte man zum Auftakt der Festspiele die Regiearbeit dieses ebenso zauberhaften wie vertrackten Werks in die routinierten Hände von Jonathan Miller, der nicht nur eine ungewöhnlich fantasielose Inszenierung abgeliefert hat, sondern zuletzt noch den mit gutem Grund buhenden Teil des Publikums mit einer ordinären Geste beleidigte. Auch ein Sir muss kein Gentleman sein.
Antiintellektueller Furor
Es beginnt wie auf der Laienbühne: Eine Tür öffnet sich, Belmonte tritt ein, singt, dann öffnet sich eine andere Tür, Osmin betritt die den Innenhof eines orientalischen Palasts zeigende Bühne und singt ebenfalls. Später singen sie nebeneinander stehend ein Duett. Leider ist das nicht der Anfang einer Parodie, sondern einer ernst gemeinten Inszenierung, die so tut, als hätte noch niemand auf der Welt einen Gedanken zu Mozarts «Entführung» gehabt. Miller hat sich in seinem antiintellektuellen Furor nicht einmal die Mühe genommen, die gesprochenen Dialoge ordentlich zu inszenieren, was den Eindruck des Langfädigen erhöht.
Er stellt keine Menschen auf die Bühne, sondern Abziehfiguren - Osmin als polternder Alter, Blonde als quirlige Tanzmaus - und vermag auch mit dem Bassa Selim, dem letzten Endes gnädigen Haremsherrn, nichts anderes anzufangen, als ihn als schwächlichen, ältlichen Toleranzonkel zu zeigen. Wenn Osmin ihm im dritten Akt mitteilt, «heute, an Ihrem Geburtstag», hätten die vier Europäer türmen wollen, ist der Tiefpunkt einer populär sein wollenden Aufführung erreicht, die Mozart mit Nestroy verwechselt und den Sängern Freiheiten lässt, anstatt sie in ein Deutungskonzept zu integrieren. Der Witz ist der: Klaus Maria Brandauer, der den Bassa Selim in der Manier eines gealterten Burgschauspielers spricht, hatte just am Premierentag seinen Sechzigsten.
Es lohnt nicht, den Gedanken dieser vergeblichen Anstrengung um Mozart zu suchen, denn es gibt keinen. Es gibt nur fünf Sänger, die sich redlich abmühen, einen etwas schmalbrüstigen Chor in läppischen Muselmanenrüstungen - fast schon ein Fall für das Antirassismusgesetz! - und ein Orchester, das seine Professionalität nicht verleugnet, aber keine sonderliche Inspiration zeigt. Unter dem jungen Dirigenten Christoph König, der den gesundheitlich angeschlagenen Franz Welser-Möst ersetzt, wird routiniert gestrichen und geblasen; aber der berühmte Funke will nicht auf die Bühne überspringen. Der Vergleich zu der auch orchestral ungemein farbigen, die Liebe zum klanglichen Detail pflegenden Version unter Marc Minkowski, die kürzlich im Festspielhaus Baden-Baden zu sehen war (vgl. BaZ vom 11. Juni), fällt für Zürich niederschmetternd aus. Hier liess sich der Eindruck nicht vermeiden, die Sänger würden vom Dirigenten nicht motiviert, sondern bestenfalls koordiniert.
Deplacierte Olympia
Malin Hartelius war in der Premiere eine lupenrein, aber auch ausdrucksarm singende Konstanze, die ihre grossen Arien im zweiten Akt mit Anstand, aber ohne rechtes Feuer hinter sich brachte. Patricia Petitbon gab der Blonden alle Komödiantik dieser Opernwelt und sang bezaubernd, verfehlte aber den Ernst der Figur; im Grunde spielte sie die Automatenpuppe Olympia weiter, die sie mit so viel Erfolg dargestellt hat. Zwei polnische Tenöre gaben Belmonte und Pedrillo: Piotr Beczala mit schönem Material, aber etwas anfälliger Kondition, und Boguslaw Bidzinski mit schlanker höhenfähiger Stimme. Alfred Muff war ein stimmlich stabiler, aber kaum eigene Gestaltungsansätze zeigender Osmin-Bass. - Vielleicht muss man diesen Sommer also doch nach Hallwyl oder Salzburg.
Sigfried Schibli
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24. 6. 2003
Klaus Maria der Weise
Mozarts "Entführung aus dem Serail" als Festspielproduktion an der Zürcher Oper
Bewegend? Nun, für Bewegung sorgen die wenigen Umbauten, bei denen die Wände und Türen wandern und so die Spielfläche verändern. Das ist, gemessen an dem, was es sonst auf der Bühne von Ausstatterin Isabella Bywater zu sehen gibt, nicht wenig. Die wenigen Ornamente im Gesims der hohen Mauern und über den mächtigen Kassettentüren verraten überdies kaum, dass hier der Orient sein soll und sich hinter der Trutzburg in marodem Weiß und lichtem Blau ein Serail verbirgt, das Schauplatz einer der berühmtesten Entführungen der Operngeschichte sein wird.
Regisseur Jonathan Miller verzichtet an der Zürcher Oper in seiner Version von Mozarts "Türkenoper" im Gewande eines deutschem Singspiels bei den Bauten auf kulturelle Determinanten, als will er uns sagen: Dieser Bassa Selim ist zwar Musel- und doch Weltmann, Kosmopolit, eine Figur der Aufklärung. Doch Miller sagt es uns nicht, über seine Personenführung gebietet der Anstand zu schweigen. Man erfährt es trotzdem ganz plastisch, denn Klaus Maria Bran dauer wäre nicht er selbst, gestaltete er dieses sein Rollendebüt als Mozarts Pascha (noch dazu an seinem Geburtstag!) nicht als Solo für Brandauer, mit witzig und klug modifizierten Texten. Klaus Maria der Weise. Weise, großzügig, über allem erhaben, handelt dieser an den ihm ausgelieferten Flüchtigen, und dennoch ist er ganz Mensch. Einer, der liebt und begehrt. So sehr sogar, dass er Konstanze bei ihrer "Martern"-Arie ganz nahe kommt und ihr am Ende dieser sogar - halb zog er sie, halb sank sie hin - einen Kuss abringt. Oder aufzwingt? In solcher Ambivalenz hat man das noch nicht gesehen, zweifelsohne einer der packendsten Momente dieses sonst eher belanglosen Spiels (Auftritt, Gesang, Abtritt) in Kostümen von höchst historisierender Couleur.
Filigranes Melos - "säbelrasselndes" alla turca Für den erkrankten Prinzipal Franz Welser-Möst steht umsichtig dessen Assistent, der junge Dresdner Kapellmeister Christoph König, am Pult, in Zürich bereits durch Repertoiredirigate und eine Ballettproduktion bekannt. Und es wird sauber musiziert, filigran, was das Mozartsche Melos anlangt, "säbelrasselnd" beim alla turca - kurzum handwerklich überaus solide. (Chor und Orchester zusammenzuhalten hatte erst vor wenigen Wochen ein Marc Minkowksi beim gleichen Stück in Baden-Baden mehr Müh'. . .) Über ein paar interpretatorische Details muss man grübeln: Königs Hang zu manierierten Rubati etwa, der dem Vorspiel zur "Martern"-Arie gar nicht gut bekommt. Auch die Verzierungen scheinen nicht immer durchdacht und vor allem vereinheitlicht. Dennoch lauscht man gerade Konstanzes Koloraturen gerne: Malin Hartelius gestaltet die Partie äußerst vielschichtig, lässt das grüblerisch-innige Moment überwiegen, ohne dass es ihr in der Höhe an Strahlkraft fehlte. Piotr Beczalas Belmonte scheint auf dem besten Wege zu einer echten Glanzpartie; wenngleich im Moment in der Höhe noch etwas bedeckt, vermag er mit seinem silbernen Timbre und wunderbaren Legato-Bögen in der Mittellage zu überzeugen. Ein quirliger Wirbelwind mit leichtem Hang zum Überzeichnen, dafür dennoch stimmlich brillant, ist Patricia Petibons Konstanze. Da steht Boguslaw Bidzinski mit seinem Pedrillo notgedrungen leicht im Abseits. Wohingegen Alfred Muffs Osmin von ein paar Distonationen abgesehen, von denen im übrigen an diesem heißen Sommertag keiner der Sänger ganz verschont bleibt, stimmlich ganz geschmeidig und elegant auftritt, ohne das Markante in der Tiefe vermissen zu lassen.
Am Ende dieses Zürcher Festspielabends, weitgehend im Festspielformat, gibt's heftigen Beifall für Sänger und Dirigent sowie lautstarke, keinesfalls vereinzelte Buhrufe für den Regisseur, die dieser seinerseits mit einer vulgären Kampfesgeste quittiert. An diesem Abend war das wohl sein spontanster Einfall. . .
Alexander Dick
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24. 6. 2003
Buhs für die Regie
Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" wurde im Opernhaus Zürich durch eine Neuinszenierung ersetzt - leider nicht ganz glückhaft.
VON ANNA MIKA
Mozarts Werk über das Aufeinanderprallen von Orient und Okzident ist neben der Uraufführung von Beat Furrers "invocation" am 6. Juli der Beitrag des Opernhauses zu den Zürcher Festspielen. Die Besetzung, vor allem des Bassa Selim mit Klaus Maria Brandauer, ist luxuriös. Seine Art, alles menschlich und spontan erlebbar zu machen, greift in dieser Rolle fantastisch. Konstanze wird durch Malin Hartelius edel dargestellt und berückend schön gesungen. Ganz anders zeichnet Patricia Petibon das Blondchen, überschäumend temperamentvoll, quietschlustig und mit ihrem roten Struwwelhaar ein echter Hingucker. Die beiden Liebhaber, Belmonte und Pedrillo, sind Piotr Beczala und Boguslaw Bidzinski, ersterer mit prachtvollem Tenor und ebensolcher Musikalität ein Meister, zweiterer ein vielversprechender Rollendebütant.
Was braucht es bei so einem Ensemble noch einen Regisseur? Das, was Jonathan Miller tat, nämlich die Charaktere fein herausarbeiten, hätte dieses Ensemble locker selber leisten können. Die Fäden der Geschichte verweben, die Verbindung zur Partitur heraus schälen und weiteres mehr blieb er schuldig, ja, es gab mehrere diesbezügliche Schnitzer.
Seine Ausstatterin Isabella Bywater hüllte zwar das ganze Ensemble in Unmengen kostbarster Stoffe, doch verbaute sie die Bühne mit nichts sagenden Mauern und Türen. Am Dirigentenpult stand statt dem an einer hartnäckigen Grippe leidenden Franz Welser-Möst der junge Christoph König. Dieser bot mit dem fabelhaften Opernorchester ein frisches Klangbild. Höflicher Beifall und Buhs für das Regieteam.
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25. 6 2003
Der Orient siegt über die Europäer
Mozarts "Entführung aus dem Serail" light in historischem Gewand in der Zürcher Oper
Wenn eine "Entführung" in historischem Gewand daherkommt, muss sie noch lange nicht von gestern sein. Gewiss verstört Regisseur Jonathan Miller (unter Mithilfe der Bühnen- und Kostümbildnerin Isabella Bywater) mit seinem Rokoko-Belmonte und dem recht orientalischen Bassa Selim in den ersten Minuten der neuen Zürcher Mozart-Produktion. Doch rasch breitet er seine durchdachte Personenführung aus. Zwar gibt es wenig Neues, noch nie Gesehenes, aber was er zeigt, ist sehr genau, auch durch die scharfe Brille des ethnologisch gebildeten Psychologen gesehen.
Der Bassa und sein Osmin sind zwar nicht "weich wie Butter", aber sie haben die Gelassenheit und Sanftmut des Orients in sich. Sie rasen und poltern nicht, sondern setzen sich mit ihrer Ruhe gegen die in steife Mozartzeit-Gewänder gesteckten Europäer durch. Sie sind einfach besser und schlauer und durchschauen die Tricks der Abendländer vom Architekten- bis zum Weinschmäh. Alfred Muff (Osmin) und Klaus Maria Brandauer spielen diese weiche Beharrlichkeit wunderbar aus.
Konstanze (schön und überzeugend und schlank auch in der Stimme, wenn auch in der Marternarie an der Grenze ihrer Möglichkeiten: Malin Hartelius, die in der Salzburger Festspiel-"Entführung" noch die Blonde war) weiß schon gar nicht mehr, wie sie abweisend sein soll, so stark ist die Anziehungskraft ihres Verehrers. Ihr "Nein" ist ebenso Teil einer Zuneigungs-Verhandlung wie des Bassa Drohung mit dem Lieben-Müssen und den Martern aller Arten. Was hätte da passieren können, wäre nicht Belmonte überraschend zurückgekehrt! Und erwiese er sich nicht im Duett vor dem Finale als menschlicher Mensch, könnte Konstanze sich leicht wieder auf den Bassa zu bewegen . . . Gute Personenarbeit also, die sich vor allem auf die Frauen und die Türken bezieht, denn die "Entführung" ist, wie Regisseur Miller zeigt, ebenso eine Türken- wie eine Frauenoper. Und dennoch heimste das Inszenierungs-Duo viele (ungerechte) Buhs ein. Berechtigter Jubel hingegen für den jungen Dirigenten Christoph König, der im letzten Augenblick für den als krank gemeldeten Franz Welser-Möst einsprang und - die Züricher müssen es ja wissen - Mozarts Musik weich und schmiegsam machte und mit frischen Tempi die "Schleichstellen" der Partitur mit jugendlichem Elan entschärfte, ohne dabei die freche Janitscharen-Flöte außer Acht zu lassen.
Die beiden polnischen Tenöre Piotr Beczala als Belmonte und Boguslaw Bidzinski als Pedrillo kamen selbst mit ihren (sinnvoll gestrafften) Prosatexten gut zurecht. Und die englische Blonde der Französin Patricia Petibon war in jeder Hinsicht eine Klasse für sich.
Fazit: Mozarts Musik und die humanistische Botschaft des Stücks durchdringen auch historische Kostüme. Wollen wir sehen, wo sich im Sommer die neue Salzburger Festspielproduktion verorten wird.
DEREK WEBER
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