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Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
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SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS |
Wolfgang Amadeus Mozart: La Clemenza di Tito
24. April 2005 (Première)
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Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Lichtgestaltung
Choreinstudierung
Tito
Vitellia
Servilia
Sesto
Annio
Publio
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Franz Welser-Möst
Jonathan Miller
Isabella Bywater
Hans-Rudolf Kunz
Ernst Raffelsberger
Jonas Kaufmann
Eva Mei
Malin Hartelius
Vesselina Kasarova
Liliana Nikiteanu Günther Groissböck
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Verzeichnis |
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Persönlicher Eindruck einer Premièren-Besucherin
Das System «Alexander Pereira»
Der liebe Diktator
Heroisch funkelnde Stehparty Macht und Milde - Pflichtübung
Mild oder schwach? Sängerisch eines Kaisers würdig
Die Musik zum Sprechen bringen
Zwischen opera seria und Singspiel
Zwischen Mozart und Mussolini |
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25. 4. 2005 / Chantal Steiner
"Clemenza" (Milde) für Jonathan Miller?
Das Premierenpublikum wollte der Leitidee des Protagonisten in "La Clemenza di Tito" nicht wirklich Folge leisten und buhte das "Regiekonzept" von Jonathan Miller ziemlich vehement aus. Was hat Miller ein eher konventioneller Regisseur getan, um das doch auch nicht speziell avantgardistisch eingestellte Publikum zu erzürnen? Nun, er hat wenig bis gar nichts getan. Das Opernhaus hätte in seiner angespannten finanziellen Lage sicherlich viel Geld sparen können, wenn es diese Premiere konzertant aufgeführt hätte.
Zugegeben, das Bühnenbild (Isabella Bywater) ist stark ästhetisiert. Die leere Bühne zeigt einen Turm mit Wendeltreppe. Einzige Requisiten sind ein Revolver und das Todesurteil Sestos. Im Hintergrund figuriert auf der einen Seite ein riesiges Gitterfenster, auf dem der Brand des Capitols mittels dezenter Videoprojektion eindrücklich gezeigt wird. Auf der anderen Seite steht eine etwas in die Jahre gekommene Wand, das Ganze ist in einem Rundhorizont angeordnet. Das alleine wäre sicher keine "Sünde" gewesen, aber die Akteure standen in diesem zugegebenermassen sicher nicht einfach zu inszenierenden - Stück mehrheitlich dekorativ herum, die Männer wahlweise mit einer oder beiden Händen in der Hosentasche. Wozu das Ganze in den 30er-Jahren angesiedelt wurde, ist mir nicht klar geworden. Vielleicht nur deswegen, weil so berauschend schöne Kostüme entworfen werden konnten?
Ein Verzicht auf Psychologisierung der Charaktere kann ja bisweilen wohltuend sein. Aber gar nichts zu deuten, ist doch etwas wenig. Wie sieht Miller die Person des Kaisers? Ist seine Milde eine überzeugte oder eine berechnende? Tito war in seinen Jugendjahren alles andere als ein Ausbund an Tugendhaftigkeit. Er war im Kampf um Jerusalem im Gegenteil sehr blutrünstig und brutal; auf sein Konto geht die Zerstörung des Tempels. Mit seinem Amtsantritt veränderte er sich schlagartig. Für mich jedoch bleiben grosse Fragezeichen. An einem einzigen Tag verstösst er aus Staatsraison seine bisherige (jüdische) Geliebte, will Servilia als Frau. Diese möchte jedoch ihrem Freund treu bleiben. Tito verzichtet auf sie und wendet sich Vitellia zu. Das lässt meines Erachtens nicht wirklich auf echte, tiefe Gefühle schliessen. Andererseits ist verbrieft, dass für ihn "ein Tag, an welchem er nichts Gutes tut, ein vertaner Tag" ist. Der Ambiguität der Person wird jedenfalls in keiner Weise auf den Grund gegangen. Jonathan Miller sagt in der Opernhaus-Zeitschrift sinngemäss, er habe kein Regiekonzept. Und so kam es auch beim Publikum an. Der Verständlichkeit der Oper an sich tat dies jedoch keinen Abbruch. Ein Premierengast gestand mir, dass er zum ersten Mal die Geschichte verstanden habe. Dies war sicherlich auch den Übertiteln und den gesprochenen Rezitativen zu verdanken.
Franz Welser-Möst verzichtete auf die von Mozarts Schüler F.X. Süssmayr vertonten Rezitative. Deren Text wurde von Iso Camartin gekürzt und adaptiert, was dem ganzen Stück einen stärkeren Impetus gab und die Handlung auf zwei Stunden straffte. Die Sänger hatten offensichtlich an den Texten stark gefeilt und brachten diese in beeindruckender Weise zum Vortrag.
Musikalisch brachte der Abend für mich nicht ganz das erwartete Highlight. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass ich Welser-Möst überaus schätze und dass seine Interpretationen für mich immer etwas Besonderes sind. Die Messlatte für einen gelungenen Abend ist dementsprechend sehr hoch angesiedelt, was gestern nun auch ihm etwas zum "Verhängnis" wurde. Da aber die Premiere in den seltensten Fällen die beste Vorstellung einer Serie ist, bin ich sehr zuversichtlich, dass sich im Verlauf der Serie das vermisste "Etwas" noch einstellen wird. Das Orchester hat sich mit Engagement an die Aufgabe gemacht, doch ganz befriedigend fand ich die Wiedergabe nicht; erstaunlich viele kleine Fehler schlichen sich ein, die ich bisher unter Welser-Möst auch an einer Premiere nie bemerkte. Bisweilen erschien mir das Ganze etwas zu laut, und eine gewisse Sinnlichkeit fehlte mir vor allem im ersten Akt. Sicherlich spielt aber auch hier die Inszenierung mit wenn nicht viel auf der Bühne passiert, fokussiert man sich auf die Musik. Man betrachtet sie praktisch wie unter einer Lupe und Kleinigkeiten, die anderswo womöglich nicht auffallen, fallen plötzlich ins Gewicht. Das Publikum bejubelte das Orchester und seinen Dirigenten ich bin da vielleicht ganz einfach zu sehr verwöhnt worden...
Der Kaiser Tito wird etwas gar flapsig von Jonas Kaufmann verkörpert, der dieser sehr schwierigen Partie stimmlich bestens gerecht wird, auch wenn er in den dramatischeren Passagen die Tendenz hat, ins "Meckern" zu verfallen. Er ist jedoch ein Bühnentier, dessen Präsenz alles vergessen lässt. Als sein Freund Sesto, der ihn aus Liebe zu Vitellia verrät, steht ihm Vesselina Kasarova zur Seite, die einen grossen Publikumserfolg für sich verbuchen konnte. Ich selbst kann mich dem nicht so recht anschliessen; obwohl Kasarova über eine ausgesprochen schöne Stimme verfügt, kommt sie für mich doch zu manieriert und weinerlich herüber, sie kann mich nicht berühren, zudem ist sie oft schwer zu verstehen (offene, gaumige Vokale). Aber stilistisch und technisch ist absolut nichts einzuwenden; meine Einwände sind eine rein persönliche Geschmackssache. Vitellia (Eva Mei) ist die grosse Intrigantin des Stücks. Ihr gehört eigentlich der Thron, den Tito ihrer Meinung nach usurpiert hat. Sie liebte ihn früher (und wohl noch immer) und hofft, mittels Heirat mit ihm die Krone zu erobern. Als sie glaubt, Servilia (Malin Hartelius) werde neue Kaiserin, stiftet sie Sesto zum Mord an Tito an. Eva Mei war für mich die Überraschung des Abends. Nie hätte ich dieser zarten Person die Fähigkeit zu einer solch tiefen Bruststimme zugetraut! Das Stimmspektrum dieser Partie ist enorm, und Eva Mei bewältigt es mit Bravour. Manche mögen bemängeln, dass sie über eine etwas kleine Stimme verfügt, die nicht gerade mit grosser Durchschlagskraft glänzt. Ich finde jedoch, dass sie gerade durch die Schlankheit der Stimmführung und das fast Zerbrechliche eine unglaubliche Intensität ausstrahlt. Die vermeintliche Rivalin Servilia, die sich traut, dem Kaiser die Wahrheit zu gestehen dass sie nämlich Annio liebt , wird von Malin Hartelius in gewohnt liebreizender Art mit glockenhellem Sopran verkörpert. Kein Wunder, dass sich Tito zur Milde angestachelt fühlt und seinen Segen gibt für die Verbindung mit Annio. Dieser, ein treuer Freund sowohl Sestos wie Titos, ist für Liliana Nikiteanu eine Rolle, in der sie ihre Stärken besser ausspielen kann als auch schon. Auch wenn sie im 2. Akt einige Ermüdungserscheinungen verzeichnete, gefiel sie mir gut. Bleibt noch die einzige tiefe Stimme des Abends: Publio, der Präfekt der Prätorianer, der nicht wirklich zu begreifen scheint, wieso Tito schlussendlich sowohl Sesto wie auch Vitellia die sich als Anstifterin des Mordes bekennt begnadigt, wird prägnant von Günther Groissböck verkörpert, dessen Stimme ein grosses Potenzial erahnen lässt und auf dessen Weiterentwicklung man gespannt sein kann.
Fazit: eine Premiere, die noch nicht alles ausgeschöpft hat, die aber zumindest musikalisch durchaus das Potenzial hat, ein ausgesprochener Leckerbissen zu werden. Und um mit Tito zu sprechen: Ich würde für Jonathan Miller durchaus eine gewisse Milde walten lassen. Er zerstört das Werk nicht, und eine gewisse Ironie ist ihm nicht abzusprechen. Aber des Eindrucks, dass ihm nicht mehr viel einfällt, kann man sich nicht erwehren...
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26. 4. 2005 / Christian Berzins
Das System «Alexander Pereira»
Opernhaus Zürich W. A. Mozarts Opera seria «La Clemenza di Tito» misslingt
Viel wurde die Arbeit des Intendanten Alexander Pereira in den vergangenen Tagen von grossen und wichtigen Menschen gelobt. Am Sonntag gabs den jüngsten Augenschein vom künstlerischen Teil des «Systems Pereira» - ein trauriger Flop.
Opernhaus Zürich, 7. Oktober 1989 (damals wurde, man stelle sich das mal vor!, diese Bühne bereits bespielt, obwohl Alexander Pereira noch in Wien lebte). Der umstrittene Regisseur John Dew vollendet mit Mozarts 1791 uraufgeführter Oper «La Clemenza di Tito» einen von Jean- Pierre Ponelle begonnenen und weltweit beachteten Mozart-Zyklus. Protest und Jubel sind die Folge. Der damals fast ebenso umstrittene Dirigent Nikolaus Harnoncourt - bei den Salzburger Festspielen war er immer noch Persona non grata - zeigt, wie man mit dem Orchester revoltiert. Mozartglück.
Internationale Spitzensänger stehen auf der Bühne, sie werden durch junge, unbekannte hauseigene Kräfte ergänzt. Der damalige Intendant Christoph Groszer gibt einer Vesselina Kasarova die Chance, den Annio zu singen. Die junge Bulgarin nutzt sie und wird bald zur weltweit gefeierten Mezzo-Primadonna.
Einschläferndes Spiel Opernhaus Zürich, 24. April 2005. Regie-Altmeister Jonathan Miller versucht mit kleinen Gesten, die grossen Gefühle der «Tito»-Protagonisten auszudrücken und schläfert das Spiel um kaiserliche Macht und Liebe ein. Obwohl die für manche Ohren offenbar etwas schwerfälligen Secco-Rezitative durch reine Sprechtexte von Iso Ca-martin ersetzt werden, geraten die Personen nicht lebendiger. Das kühle Bühnenbild (Isabella Bywater) regt die Fantasie wenig an. Die Kostüme versetzen in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts.
Der (fast) überall geschätzte dirigierende Grossmeister Franz Welser-Möst versucht das Orchester revolutionär klingen zu lassen: Es bleibt bei der wilden Geste, artikuliert reden wird sein Orchester auch bei noch so kräftig geschlagenen Pauken nicht: Unge- nauigkeiten fallen umso mehr auf; singulär aufspielende Holzbläser reichen immerhin zu etwas Trost.
Die Sänger tragen fast alle grosse Namen: Die zwei weiblichen Nebenrollen sind mit langjährigen, hauseigenen Kräften besetzt; Hartelius (Servilia) und Liliana Nikiteanu (Annio) lösen ihre Aufgabe korrekt. Sänger, die sich an grössten Häusern bewährt haben, singen die drei Hauptrollen. Eva Mei gibt die Vitellia: Ihre Stimme ist seltsam körperlos, zu Beginn ungenau, wenig wendig und ohne dramatische Geste. Korrekt? Muss man heute tatsächlich auch Vitellia mit einer «weissen Stimme» besetzen? Genügt es nicht, wenn Servilia langweilt? Jonas Kaufmann ist ein junger Titus mit schönem Timbre, und doch sind seine Piani bereits ohne Klang und die Kraftausschöpfung ist nicht immer koordiniert.
Kasarovas vollkommener Gesang So rettet denn Sympathieträger Sesto den Abend. Eine gewisse Vesselina Kasarova singt die Hosenrolle. Ihre Kunst ist 16 Jahre nach ihrem Zürcher Annio so ausgereift, dass jede Silbe ihrer Gesangslinien vollkommen ausgestaltet ist und sich gleichzeitig in eine grosse Phrase einfügt. Wie Kasarova auf einzelnen Vokalen farbliche Nuancen zaubert, wie sie einzelne Töne ausgestaltet - sei es, dass sie mit minimalem Kraftaufwand dynamische Veränderungen hervorzaubert, sei es, dass sie mit geschicktem Atem die Worte lenkt - ist hinreissend. Und in jeder gesungenen Note steckt eine ungeheure Emotion. Fast ebenso viel Freude machte der junge, bereits vielgefragte Bass Günther Groissböck (Publio) in seiner Zwei-Minuten-Arie: Wer führt eine Bassstimme so locker wie elegant und erzeugt so viel bebende Wärme?
Buhs für den Regisseur Naturgemäss gab es zum Schluss Applaus für die Sänger, etwas davon auch für den Dirigenten. Dann aber folgten heftige Buhs (mit wenigen Bravos aufgehellt) für Regisseur Jonathan Miller. Wir geben die Buhs an die aktuelle Opernhausdirektion weiter.
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26. 4. 2005 / Roger Cahn
Der liebe Diktator Das Premierenpublikum feierte am Sonntag ein hervorragendes Mozart-Ensemble und den Dirigenten Franz Welser-Möst. «La Clemenza di Tito» im Zürcher Opernhaus ist eine musikalische Sternstunde.
Ungewöhnlich für eine Oper: keine Toten und am Ende lauter gute Menschen auf der Bühne! Ein Diktator, der die Rache nicht kennt und selbst jenen verzeiht, die ihm nach dem Leben trachten; der Frauen, die er selbst heiraten möchte, jenen Männern zuführt, die sie wirklich lieben.
«La Clemenza di Tito» war ein Schnellschuss. In nur 18 Tagen soll Mozart den Auftrag für die Prager Krönung von Kaiser Leopold II. fertig gestellt haben, wenige Monate vor seinem Tod. Das Resultat: eine kurze, wohlklingende Huldigung an einen aufgeklärten Herrscher.
Drei Elemente zeichnen die Produktion aus:
Ein Sextett von Solisten, das in sich bestens harmoniert, mit einer hervorragend disponierten Vesselina Kasarova als Sextus an der Spitze. Es beweist, wie mit differenziertem, selbst leisem Singen Emotionen über die Bühne kommen.
Ein Dirigent, der Orchester, Chor und Solisten mit Präzision, Liebe zum Detail und viel Einfühlung führt.
Ein geschickter dramaturgischer Eingriff: Statt die künstlichen Rezitative zu singen, werden diese als Dialoge gesprochen, in einer neuen Version von Iso Camartin. So kommen die Befindlichkeiten der Figuren deutlicher zur Geltung.
Der am Ende mit vereinzelten, lauten Buh-Rufen bedachte Regisseur Jonathan Miller reduziert die Handlung auf einen symbolischen Ort in städtischer Umgebung. Die Macht trägt Uniformen der 30er-Jahre; die Damen und Herren der Gesellschaft kommen im Mafia-Look daher. Form und Inhalt im Widerspruch.
Fazit: Sehens-, aber vor allem hörenswert. Kulinarischer Mozart auf Weltklasse-Niveau.
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26. 4. 2005 / Tobias Gerosa
Heroisch funkelnde Stehparty Wolfgang Amadeus Mozarts «La Clemenza di Tito» mit dem Dirigent Franz Welser-Möst und dem Regisseur Jonathan Miller am Opernhaus Zürich
Als «schönstes Geschenk nach einer aufregenden Woche» bezeichnete Opernhausdirektor Alexander Pereira die Premiere von Mozarts «La Clemenza di Tito». Als typische Opernhausproduktion seiner Direktion glänzt sie unter Franz Welser-Möst musikalisch, bleibt szenisch in der Regie Jonathan Millers aber statisch.
Das Orchester ist wieder im Graben versenkt und spielt Mozart auf modernen Instrumenten, dafür verzieren die Sänger jetzt die Reprisen ihrer Arien: Die Ära von Harnoncourts Mozart scheint vorbei zu sein, äusserlich und inhaltlich. Das orchestrale Klangbild verändert sich und Franz Welser-Möst nutzt den helleren Ton für eine überraschend dramatische und exquisit ausgehorchte Interpretation. Rasante Tempi in den Märschen kontrastieren mit auffällig langsamen, die Sänger fordernd angegangenen Arien. Nicht immer wirken die Tempoveränderungen innerhalb der Nummern allerdings so überzeugend wie im aufregenden Finale des ersten Aktes.
Rezitativlose Fassung Die Überraschung folgt unmittelbar nach der Ouvertüre. Die Figuren auf der kalten, von einem schneckenförmigen Treppenturm beherrschten Bühne (Isabel Baywater) beginnen zu sprechen. Statt der nicht von Mozart, sondern vermutlich von seinem Schüler Süssmayer ausgeführten Secco-Rezitativen, sprechen sie den gestrafften und leicht angepassten Text in einer Dialogfassung. Eine Qualitätsfrage, heisst es im Opernhausmagazin dazu kurz, während das Programmheft zu dieser Entscheidung unverständlicherweise keinerlei Begründung gibt.
Das Unbehagen an den Tito-Rezitativen ist nicht neu, ob Iso Camartins Dialogfassung das Problem aber löst, bleibt die Frage. Opernsänger sind keine Schauspieler und so kommen die ehemaligen Rezitative im Opernhaus pathosgeladen und im Tragödienton vergangener Zeiten daher - manchmal unfreiwillig komisch. Vor allem hätte es eine sehr genaue, die Unterschiede von Sprechen und Singen mitbeachtende Regie gebraucht. Jonathan Miller begnügt sich aber mit der Reduktion der Operngesten, ohne die damit entstehenden Leerstellen zu füllen. Oft wird dabei gestanden und frontal ins Publikum gesungen: Im besten Fall (bei Vesselina Kasarovas Sesto-Arien) bewirkt das eine Fokussierung auf die musikalische Charakterisierung, oft aber bleibt es ideenlos.
Immerhin holt die Inszenierung in ihrem (beliebig wirkenden) kühlen Zwanzigerjahre-Ambiente die Opera-Seria-Figuren auf ein menschliches Mass herunter. Die sechs Solisten gehen dabei ihre eigenen Wege, so dass sich die Frage stellt, wie viel davon bewusste Regie ist.
Mozart-Ensemble von Rang So gestaltet Jonas Kaufmann den verratenen und trotzdem verzeihenden Kaiser als extrovertierten Zauderer mit heldischem Aplomb in den Arien. In den Koloraturen und der manchmal unschön angeschliffenen Höhe wirkt seine Stimme für die Rolle allerdings schon arg schwer. So wie Kaufmann überzeugen als Figuren auch Malin Hartelius (eine charmant gesungene Servilia) und Eva Mei, allerdings eher durch szenisches Understatement. Die meist kühl berechnende Vitellia, die ihren Geliebten aus Eifersucht zum Kaisermord anstiftet, besticht mit edlem Timbre, einer guten Tiefe und ihrem empfindsamen Stil, der Mozarts Musik sehr gut bekommt. Dass Welser-Möst aus ihrem Bassetthorn-begleiteten grossen Rondo statt einer nach innen gerichteten Arie eine dramatische Szene macht, entspricht der Rolle kaum, wie man Innigkeit in Welser-Mösts Interpretation generell vermisst - trotzdem erreicht Mei berührende Tiefe. Ähnlich geht es dem szenisch allein gelassen wirkenden Sesto Vesselina Kasarovas, dem sängerisch zweifellos reifsten und vielschichtigsten Rollenporträt. Mit wie viel Farben, Zwischentönen und dynamischen Abstufungen sie singt, macht ihren Sesto in jeder Inszenierung zum umjubelten Mittelpunkt. Liliana Nikiteanu (als etwas überdrehter Annio) und Günther Groissböck (als stoischer Publio) ergänzen das hervorragend harmonierende Zürcher Mozart-Ensemble. Hätte man dazu nur einen Regisseur mit mehr Interpretationswille engagiert, wie viel wäre da möglich gewesen.
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26. 4. 2005 / Herbert Büttiker
Macht und Milde - Pflichtübung
Mozarts Aussenseiter ins Zentrum zu holen, wäre die Aufgabe. Das Opernhaus bietet eine «schöne» Aufführung, findet aber kaum alle dramatische Substanz dieses Werks, das Mozart eine «wahre Oper» nannte.
Den Auftrag einer Krönungsoper für Leopold II. in Prag hatte Mozart 1791 angenommen und in kurzer Zeit zu erledigen. Ein altes Metastasio-Libretto über den vorbildlich milden Kaiser Titus sollte wie so oft für solche Gelegenheiten zum Zug kommen. Mozart freilich veranlasste kurzerhand eine Revision, die aus der alten Opera seria mit ihren 23 Arien und vier Chören eine «vera Opera» machen sollte. Der sächsische Hofdichter Caterino Mazzolà reduzierte die Arien auf elf und gab Mozart die Gelegenheit zu einer Reihe von Ensembles mit drei Duetten, drei Terzetten, einem Quintett, einem Sextett ein Eingriff, der neben den formalen Konsequenzen natürlich auch inhaltliche hatte und zu einer «politischen» Operndramatik führte, die eher voraus ins 19. als zurück ins 18. Jahrhundert weist, spektakulär im Finale des ersten Aktes, psychologisch vertieft in den Accompagnato-Rezitativen und zuletzt dann doch vor allem in den grossen Arien von Sesto, Vitellia und Tito im zweiten Akt.
Vitellia sieht sich von Kaiser Titus doppelt übergangen, als Tochter des Imperators Vitellius und als Frau. Sie stachelt ihren Verehrer Sesto zum Aufstand an. Tito entgeht dem Mordanschlag, verzeiht Sesto und schliesslich auch Vitellia, die ihre Schuld bekennt. Der Schauplatz für diese Geschichte, die von privaten Gefühlen handelt, die das Ganze erschüttern, ist das Forum Romanum, das Kapitol, der grosse Audienzsaal: Architektur, die Macht repräsentiert. Das szenische Hauptereignis ist der Brand des Kapitols: ein Moment, in dem das Machtgefüge im Chaos zu versinken droht.
Nur Rauch
Davon ist nun auf der Zürcher Bühne, die Revolutionen offenbar nicht liebt, herzlich wenig zu spüren. Mit einem schönen, in Grautönen schimmernden Bühnenbild, im Zentrum ein Turm, eine spiralförmige Treppe, hat Isabella Bywater zwar eine optisch prägnante Herrschaftsarchitektur kreiert. Durch das milchige Glas im Hintergrund werden auch die aufsteigenden Rauchwolken sichtbar, aber reichlich spät und offenbar ohne jede Wirkung (Licht!) im vorderen Teil der Bühne. Publio und Sesto, die vom Ort des Geschehens zurückkommen, haben vom Tumult weder etwas abbekommen, noch tragen sie Waffen. Kurz: der Regisseur Jonathan Miller verschläft die Szene.
Über die Idee, die nicht von Mozart stammenden Secco-Rezitative durch gesprochenen Dialog zu ersetzen dieser war auch nicht frei von Gestelztheit , mag man geteilter Meinung sein, aber um grössere Lebensnähe zu erreichen, hätte sich Miller vor allem um mehr Lebendigkeit in der Personenführung kümmern können. Seine Vitellia bleibt in allen zerstörerischen Leidenschaften ein zahmes Geschöpf. Dabei hat Eva Mei für die Dramatik der Partie ja einiges auf Lager. Vielleicht nicht den grossen Faltenwurf, aber die verhängnisvolle Emotionalität der Figur gestaltetet sie imponierend mit konzentrierter Kraft und virtuoser Steigerung im weit in die Tiefe und Höhe getriebenen Tonumfang. Wenn sie sich Tito zu Füssen wirft, scheint sie jedoch vor allem an ihren Modedesigner denken zu müssen, dessen Arbeit sie nicht ruinieren darf.
Mit Jonas Kaufmann, dessen Tenor baritonales Gewicht ins Spiel bringen kann, zeigt die Inszenierung einen Herrscher die braunen Uniformen legen den Begriff Diktator nahe , der sein Amt mit Nonchalance oder als lästige Pflichtübung ausübt, bis ihn das Schicksal vor schwere Entscheidungen stellt. Das wäre plausibel, wenn die Wechselbeziehung von Macht und Milde dann Kontur und die Figur an Statur gewinnen würde. Aber auch in diesem Fall wird musikalische Intensität nicht zur szenischen Aktion, wie sie etwa im Umgang mit dem Todesurteil, das Tito unterschreibt, dann zerreisst, spannend sein könnte.
Zunehmender Schwung
Ausdrucksstarke Stimmen, in der musikalischen Bravour fesselnder als in der Aktion: Das gilt in Varianten auch für die weiteren Beteiligten: für Malin Hartelius als anmutige Servilla, Liliane Nikiteanu als forscher Annio und Günther Groissböck als kraftvoller Publio. Als profilierteste Figur erweist sich Sesto, dessen zerrissenen Charakter Vesselina Kasarova leidenschaftlich und sensibel gestaltet. Das Orchester unterlegt das alles mit zunehmendem Schwung. Nach einer Ouvertüre, die von Dezidiertheit und lockerer Transparenz der Stimmen geprägt war, bestimmten zunächst zurückhaltende, durch Ritardandi auch gebremste Tempi das Temperament der Aufführung. Auch Franz Welser-Möst lockte die dekorative Eleganz der Bühne nicht aus der Reserve, bis sich mit Terzett und Accompagnato-Rezitativ, mit Quintett und Chor stärkere Dynamik entwickelte. Daran konnte der zweite Akt anschliessen. Das reiche Wechselspiel von Instrumentalem und Vokalem liess so keinen Zweifel, dass Mozart für das Prager Krönungsereignis grossartige Musik geschrieben hat. Aber eine «vera Opera»? Vermutlich, aber der Abend liess so oder so doch eher an Pflichtübung denken.
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26. 4. 2005 / Marianne Zelger-Vogt
Mild oder schwach? «La clemenza di Tito» von Mozart im Zürcher Opernhaus
So abwechslungsreich kann Geschichte sein: Nach Nero (Monteverdi) und Julius Caesar (Händel) führt uns das Opernhaus Zürich jetzt gleich noch einen römischen Kaiser vor, Titus Vespasian. Das jüngste der drei Kaiser-Porträts stammt von Mozart und enthält Musik, die zum Schönsten zählt, was dieser geschaffen hat. Doch dass «La clemenza di Tito» parallel zur «Zauberflöte» entstanden und im selben Jahr, 1791, uraufgeführt worden ist, lässt sich schwer begreifen. Erklärbar ist es durch die Umstände der Entstehung: Bei «La clemenza di Tito» handelt es sich um einen Auftrag der böhmischen Stände anlässlich der Prager Königskrönung von Kaiser Leopold II. Mit einer Opera seria nach der mehrfach vertonten Textvorlage Metastasios sollte dem neuen Herrscher gehuldigt werden, zu einem Zeitpunkt allerdings, da Frankreich schon die Revolution erlebt hatte und die Opera seria als Gattung längst passé war. Begreiflich also, dass die zur Krönung in Prag versammelte Aristokratie eine Huldigungsoper, die den römischen Kaiser für seine Milde gegenüber Verrätern und Attentätern preist, als Provokation empfand und dass erst die späteren Vorstellungen vor lokalem Publikum Beifall fanden.
Bei dieser werkgeschichtlichen Konstellation setzt die Zürcher Neuinszenierung von «Tito» an. Dass Mozart die Secco-Rezitative nicht selber komponiert hat, führen die Verantwortlichen weniger auf Zeitdruck als auf mangelndes Interesse Mozarts gegenüber einer veralteten Form beziehungsweise auf die Verlagerung seines Interesses vom Seria-Schema auf das psychologische Drama zurück. Deshalb werden in der Zürcher Aufführung die Secco-Rezitative durch gesprochene Dialoge ersetzt, in einer von Iso Camartin erstellten Fassung, welche den Librettotext Mazzolàs massiv kürzt und auf die inneren Konflikte der Figuren zuspitzt (wobei die kleine Rolle des Publio trotz Günther Groissböcks darstellerischer Präsenz vollends bedeutungslos wird). Der Ansatz hat einiges für sich, wirkt jedoch nicht konsequent genug realisiert. Die Sänger sprechen die Texte mit jenem pathetischen Beiklang, der in der Oper verbreitet ist, aber dem auf Natürlichkeit und Schlichtheit angelegten Inszenierungskonzept widerspricht.
Unter vokalen Gesichtspunkten ist die Einstudierung in hohem Masse geglückt. In Sesto, dem Freund Titos, der aus höriger Liebe zur ehrgeizigen Vitellia beinahe zum Kaisermörder wird, laufen alle Handlungsfäden zusammen. Mit ihrem bald schwerelos zarten, dann wieder üppig kraftvollen, immer aber Glanz und Wärme verströmenden Mezzosopran leuchtet Vesselina Kasarova jeden Seelenwinkel dieser zutiefst gespaltenen Figur aus, lässt sie noch die leiseste Gefühlsregung Klang werden. An Expressivität und Kraft mangelt es auch Eva Meis Vitellia nicht, doch geht diese bisweilen auf Kosten der intonatorischen Reinheit und klanglichen Weichheit. In der Partie des Annio, mit der Vesselina Kasarova 1989 während ihrer Zürcher Anfänge Aufsehen erregt hatte, präsentiert sich jetzt Liliana Nikiteanu. Mit sorgsam differenzierten Klangfarben zeichnet sie die Figur gleichsam als einen zweiten, jüngeren, weniger gefühlstiefen Sesto. Malin Hartelius als die vom Kaiser kurzfristig umworbene Servilia bekräftigt ihre unverbrüchliche Liebe zu Annio mit ausnehmend klar geführtem, bei aller Schlankheit substanzreichem Sopran.
Den schwierigsten, weil letztlich nur passiven Part hat Tito, der schändlich hintergangene, trotzdem menschliche Milde statt herrscherliche Strenge übende Kaiser. Dass Jonas Kaufmanns Tenor eher dunkel gefärbt ist und über dramatische Kraft verfügt - während seine lyrischen Qualitäten zu sehr auf den Piano-Bereich beschränkt bleiben -, könnte der Rolle geschärftes Profil verleihen. Doch dem steht eine Personenregie (Jonathan Miller) entgegen, die sich in blossen Andeutungen ergeht - der unentschlossene Kaiser hat manchmal einen Zug ins Lächerliche, in der Beziehung zwischen Tito und Sesto scheint kurz eine homoerotische Komponente auf, aus Sesto und Vitellia könnte am Schluss vielleicht doch noch ein Paar werden - und im Übrigen den Dingen ihren Lauf lässt. Auch der vokal eindrückliche Chor ist bloss Staffage. Den äusseren Rahmen der Handlung bildet eine klassizistisch strenge Bühnenarchitektur, bestehend aus einem drehbaren Rundbau, um den sich spiralförmig eine breite Treppe windet, dahinter eine Wand aus kleinen Fensterquadraten, die als Projektionsfläche für den Brand von Rom dient. Wie in früheren Zürcher Arbeiten von Isabella Bywater wirken die verschiedenen Bauteile - jedenfalls aus Parkettperspektive - disproportioniert. Akzente setzen die Kostüme: Anzüge, Roben und Uniformen, die auf die dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts anspielen.
Durchgeformt im Grossen wie im Detail ist die Aufführung in ihrem orchestralen Teil. Franz Welser-Möst lässt die Musik in wohlausgewogener Balance zwischen Spannung und Entspannung fliessen, er hält den Ton schlank und biegsam, und die Instrumentalisten wissen sich auch in den solistischen Teilen ins beste Licht zu setzen. Hier wird dem Ideal von Natürlichkeit, Konzentration und Schlichtheit aufs Schönste nachgelebt und der von Nikolaus Harnoncourt geprägten letzten Zürcher «Tito»-Einstudierung eine echte Alternative entgegengesetzt.
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26. 4. 2005 / Reinmar Wagner
Sängerisch eines Kaisers würdig
In Mozarts «La Clemenza di Tito» am Zürcher Opernhaus überzeugt vor allem das Ensemble
Alexander Pereira bleibt dem Zürcher Opernhaus also erhalten, und die Premiere von Mozarts «La Clemenza di Tito» vom Sonntag war paradigmatisch für seine Intendanz: bescheidene Inszenierung, aber ein wahres Sängerfest.
Einmal mehr bewies Dirigent Franz Welser-Möst, wie lebendig und detailreich, agil und reaktionsschnell er noch immer mit «seinem» Zürcher Orchester umgehen kann. Einfach grandios, wie sich Können, Intuition und Wissen bei ihm immer wieder aufschwingen zu musikalischen Höhenflügen, denen man viel länger folgen möchte.
Lebendigkeit und Detailreichtum, dynamische Kontraste auf kleinstem Raum und eine mitreissende Dramatik zeichneten dieses Zusammenspiel von Dirigent und hoch motiviertem Orchester aus, das nur noch übertroffen wurde, wenn Vesselina Kasarova als Sesto ihre Arien-Runden in einsamer Höhe drehte. Was hier zwischen der Sängerin und Welser-Möst und auch der wunderschön spielenden Soloklarinettistin Rita Meier an musikalischen Ideen und Ausdrucksnuancen mit dem Tempo und Esprit eines virtuosen Ping-Pong-Spiels hin- und hergereicht wurde, ist nur mit olympischen Dimensionen zu fassen.
Wandlungsfähige Stimmen
Irdischer begann Eva Mei als Vitellia den Abend. Aber ihre letzte Arie, die eine von Mozarts berührendsten Szenen ist, sang sie mit so grosser Intensität und Ausdruckskraft, dass alle Unsicherheit von vorher vergessen war. Liliana Nikiteanu als Annio sang gewohnt sicher und temperamentvoll, Jonas Kaufmann in der Titelrolle brillierte mit seinem überaus wandlungsfähigen, farbigen und wenn nötig auch strahlkräftigen Tenor. Vom jungen österreichischen Bass Günther Groiss-böck als Publio hätten wir sehr gerne mehr gehört, während Malin Hartelius als Servilia, die weniger mit dynamischen Kontrasten spielen konnte, bei aller Schönheit ihrer Stimme ein wenig blass blieb.
Flämmchen statt Grossbrand
Dennoch war dieser «Tito» ein ungetrübtes Sängerfest, dem szenisch nichts auch nur annähernd Vergleichbares an die Seite gestellt wurde. Jonathan Miller suchte erklärtermassen die menschliche und alltägliche Dimension hinter den antiken Herrscherfiguren, wie sie Mozart in seiner Musik so genial wie nie zuvor in der Geschichte der Opera seria ausdrücken konnte.
Es gab auch Ansätze zu lebensecht-menschlichem Verhalten in Millers Personenführung, aber wirklich weit ist er damit nicht gekommen, wirklich berührend wurden diese Figuren nicht - oder wenn, dann durch die Musik, und dafür könnten sie auch einfach an der Rampe stehen. Was sie die meiste Zeit auch taten. Weder zur individuellen Charakterisierung noch bei den Arrangements der Szenen zerriss diese Regie grosse Stricke: Millers Chor schlurfte beim Brand des Kapitols auf die Bühne, als hätte jemand ein Kerzlein angezündet. Die ästhetischen Video-Flammen von Timo Schlüssel waren allerdings auch nicht dazu angetan, Dramatik zu verbreiten. Zudem verstellte ein riesiger Turm mit antikisierenden Säulen die Bühne. Er lässt sich drehen, was aber auch keine weiteren Einsichten bringt, es sei denn, man interessiert sich für die Konstruktion der statisch gewagten Wendeltreppe, die Isabella Bywater ihm an die Seite geklebt hat.
Heikle Dialogfassung Einschneidendste Zutat zu Mozarts letzter Opernpartitur war nicht Millers Inszenierung, sondern die Dialogfassung der Rezitative, die Iso Camartin für diese Produktion vornahm. Die Secco-Rezitative, die Mozart unter grossem Zeitdruck einem seiner Schüler - wahrscheinlich Franz Xaver Süssmayr - überliess, sind zwar im Vergleich zu Mozarts Arien und Ensemble nicht gerade inspiriert, sondern ziemlich schematisch im Stil der Zeit, aber so ungoutabel schlecht nun auch wieder nicht, dass man sie dringend hätte ersetzen müssen.
Der Romanist Camartin hat versucht, im Italienisch der Entstehungszeit der Oper Dialoge zu schreiben, die näher an das Innenleben der Figuren herankommen. Das ist nur zum Teil gelungen. Einerseits ist auch nicht alles an Camartins neuem Text wirklich originell, nicht selten wirken seine Sätze sogar unfreiwillig komisch. Zum anderen sind herausragende Sänger in der Regel nur sehr mittelmässige Sprecher, was ausser bei Jonas Kaufmann auch in dieser Premiere zutraf. Auch hier allerdings hätte eine aufmerksamere Regie einige Peinlichkeiten vermeiden können.
Dass Opernsänger sich lieber mit Rezitativen für die grossen Arien und Szenen warmsingen, als vom Sprechen direkt in virtuose Koloraturen zu springen, war hingegen dank der Professionalität dieses Ensembles nicht zu spüren.
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26. 4. 2005 / Susanne Kübler
Die Musik zum Sprechen bringen Mozarts «La Clemenza di Tito» ist ein Werk, das aus jedem Rahmen fällt. Im Zürcher Opernhaus war das eher zu hören als zu sehen.
In den Wörterbüchern gilt Vollkommenheit als Synonym für Perfektion, auf der Bühne öffnet sich eine Kluft zwischen den Begriffen. Es ist durchaus nicht perfekt, wie Vesselina Kasarova in der Hosenrolle des Sesto hinter dem Orchester hersingt, wenn dieser sich aufmacht, den Kaiser Tito umzubringen. Aber vollkommener könnte man das innere Drama dieses Sesto nicht darstellen. Zerrissen zwischen der Freundschaft zu Tito und der Liebe zu Vitellia, die ihm das Attentat befiehlt, täte er alles, um sich nicht entscheiden zu müssen. Sogar das Orchester bremsen.
Abhängigkeit und innere Freiheit - das zentrale Thema von «La Clemenza di Tito» hat auch die Entstehung des Werks geprägt. Mozart komponierte es 1791, wenige Monate vor seinem Tod, als Auftragswerk für die Krönung Leopolds II. zum böhmischen König. Er griff dafür auf ein Metastasio-Libretto zurück und damit auf die Form der Opera seria, die damals schon längst aus der Mode gekommen war. Er setzte noch einmal einen Kastraten ein (eben in der Rolle des Sesto), obwohl auch diese Stimmgattung am Ende war. Und er erzählte eine Geschichte, die ihre Aktualität ebenfalls verloren hatte: Ein Herrscher, der in übermässiger Milde einer unwilligen Liebe viel Glück mit einem anderen wünscht, der den Verrat des Freundes verzeiht und die Intrigen seiner Beinahe-Gattin entschuldigt, passte kaum mehr in die Zeit der Französischen Revolution.
Straff und frei Das Werk sei schon zu seiner Entstehungszeit ein Relikt gewesen, befand deshalb noch Wolfgang Hildesheimer in seiner Mozart-Biografie von 1977. Erst in den letzten Jahren hat man es allmählich als mozart-würdig anerkannt, als eine Oper, die sich der alten Formen mit beträchtlicher Freiheit bedient. Denn «La Clemenza di Tito» ist alles andere als eine klassische Opera seria: Zahlreiche Arien wurden gestrichen, dafür kamen Ensembles dazu; die Personen, die im Original der Reihe nach ihre Seelenzustände offenbaren, kommen ins Gespräch miteinander. Caterino Mazzolà habe durch seine Bearbeitung des Librettos «eine wahre Oper» aus dem Metastasio-Stück gemacht, hat Mozart einst geschrieben. Auch er hat die Tradition nicht als Tradition zelebriert, sondern sie den aktuellen Bedürfnissen angepasst.
Es ist in diesem Sinn keineswegs ein Sakrileg, wenn Franz Welser-Möst die nicht von Mozart stammenden, stets als uninspiriert kritisierten Rezitative kurzerhand gestrichen hat. Stattdessen sprechen die Sänger die von Iso Camartin leicht gekürzten und modernisierten Texte. Der musikalischen Geschlossenheit der Aufführung tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Welser-Möst dirigiert, als ob er den sprechenden Gestus auch in die Musik hineintragen wollte: Straff, wo es sein muss, frei, wo es sein kann, und insgesamt mit einer Natürlichkeit, als ob er alle Vorurteile gegenüber der Steifheit der Opera seria widerlegen wollte. Dass insbesondere die Bläser ihre attraktiven Partien zu geniessen wissen, zeichnet sich schon in der Ouvertüre ab, und der Kontakt zur Bühne ergibt sich ungezwungen. Und einwandfrei, wo der Inhalt nichts anderes verlangt.
Die Sängerinnen und Sänger wissen die Vorlage zu schätzen, nicht nur die grossartige Vesselina Kasarova, die mit einer Nuance, einem winzigen Zögern oder einem kleinen Leuchten in der Stimme Welten auftun kann. Jonas Kaufmann zeigt Tito als perfekten, aber nicht vollkommenen Herrscher; immer wieder lässt er die unbeirrbare Güte irritierend wirken. Er ist ein bisschen Dandy, ein bisschen Macho (wie schon kürzlich als Nero in der «Poppea»), und vor allem ist er ein ausdrucksstarker Sänger und Sprecher. Unverkrampft gestaltet er, mit starkem, variablem Tenor, und einzig ein paar Koloraturen weisen darauf hin, dass diese Partie ihre Tücken hat.
Modernistische Kosmetik Eva Mei dagegen ist gerade bei den Koloraturen in ihrem Element. Zierlich wirkt ihre Vitellia, wenn sie singt, und zickig, wenn sie spricht (die italienische Muttersprache ist zweifellos ein Vorteil). Einen starken Auftritt hat auch Liliana Nikiteanu als expressiv verzweifelter Annio. Und dann gibt es noch Malin Hartelius als virtuos liebreizende Servilia und Günther Groissböck, der den gestrengen Publio mit warmem Bass schon fast zum Sympathieträger macht: Am vokalen Niveau ist wieder einmal rein gar nichts auszusetzen.
Die Regie von Jonathan Miller, der mit Welser-Möst in Zürich schon die «Zauberflöte» und die «Entführung» herausgebracht hat, fällt dagegen wieder einmal ab. Zwar hat die Ausstatterin Isabella Bywater einen stimmungsvollen Einheitsraum gebaut - mit einem drehbaren, römisch stilisierten Turm mit spiralförmiger Treppe und mit halb transparenten Aussenwänden, auf denen nach Sestos Anschlag die Flammen lodern. Aber dass die Protagonisten Kostüme aus dem Italien der 30er-Jahre tragen, hat nichts mit Aktualisierung und schon gar nichts mit Interpretation zu tun. Es ist modernistische Kosmetik, also das Gegenteil dessen, was Mozart mit seiner Komposition vorgeführt hat.
Immerhin: Es ist eine gewisse Regieleistung, die Abwesenheit zündender Ideen nicht mit Gags zu überspielen. Miller lässt den Figuren ihren Raum, diese wissen auch im Stehen etwas anzufangen mit sich, und der Chorauftritt ist nicht nur musikalisch erfreulich, sondern auch szenisch sorgfältig gestaltet. Die Buhs, die es nach der Premiere gab, wären bei anderen Inszenierungen schon dringender gewesen. Es gibt Schlimmeres als eine schöne konzertante Aufführung in stimmigem Rahmen.
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26. 4. 2005 / Sibylle Ehrismann
Zwischen Opera seria und Singspiel
Premiere von «La Clemenza di Tito» unter Leitung von Franz Welser-Möst am Opernhaus Zürich
Franz Welser-Möst wagt im Opernhaus Zürich eine eigenwillig moderne Version von Mozarts später Opera seria «La Clemenza di Tito». Zum einen spielt er in der kleinen Orchesterbesetzung auf modernen Instrumenten, zum andern wurden die gerne etwas langfädig wirkenden Secco-Rezitative durch Sprech-dialoge ersetzt. Ein interessantes Experiment in sängerischer Starbesetzung, in welcher vor allem Vesselina Kasarova als Sesto brillierte.
Erinnerung an «Zauberflöte»
Eigentlich ist es ja unmöglich. Es gibt keine einzige italienische Oper, in welcher gesprochen wird. Die Sprechdialoge stammen vom deutschen Singspiel, und ab und zu fühlt man sich in dieser Produktion auch an die «Zauberflöte» erinnert. Dementsprechend irritiert und stört das Sprechen auch, doch weshalb soll man das in dieser alttradierten und von Mozart bereits überholten Seria-Gattung nicht mal versuchen? Kommt dazu, dass die Secco-Rezitative ja nicht von Mozart sind. So eigentümlich dieses Experiment von der Gattung her auch sein mag, die von den Protagonisten schauspielerisch sehr gut gesprochenen italienischen Dialoge verliehen dem Stück eine erfrischend vitale Note. Diese Vitalität vermochte aber Regisseur Jonathan Miller ganz und gar nicht szenisch umzusetzen. Sein nobles Bühnenbild mit einem drehbaren Turmbau in der Mitte ist grau in grau, die hohe Fensterchen-Wand im linken Hintergrund ist erleuchtet, und dort kommt auch die Video-Produktion des brennenden Kapitols unterkühlt ästhetisch zum Tragen. Die Figuren, die ja auch schauspielernd sprechen müssen, wirken oft wie bestellt und nicht abgeholt, stehen allein gelassen da und wissen nicht, wohin mit sich.
Nähe und Distanz fehlen
Das Beziehungsgeflecht unter den Figuren wird kaum sichtbar, Nähe und Distanz kommen gar nicht vor, Berührung ist tabu. Auch der hervorragend singende Chor (Einstudierung Ernst Raffelsberger) erscheint immer links und rechts vom Turm, und jeder steht immer genau an demselben Ort. Nichts gegen ruhigere, konventionellere Regien, aber derart uninspiriert und langweilig sollte das nicht sein. Zum Glück sind die Kostüme von Isabella Bywater sehr schön und vielsagend gewählt. Sie hat die Linie der 1930er Jahre gewählt: Zwei wunderschöne elegante Kleider für Vitellia, welche den Verrat an Titus anzettelt, um selber Kaiserin zu werden. Zu spät erkennt sie, dass Titus sie ja heiraten und zur Kaiserin machen will. Eva Mei singt dieses Rollendebüt mit starker Bühnenpräsenz und stimmlicher Grösse. Ihr Ringen zwischen Hass und Liebe, und vor allem ihre hinreissend gesungene «Reue-Arie» gehören zu den packendsten Momenten des Abends.
Hinreissende Kasarova
Daneben, in legerem schwarzem Anzug, der ihr hörige Sesto. Vesselina Kasarova singt diese das Geschehen dominierende Partie mit hinreissender Pianissimo-Virtuosität, mit echter Hingabe an jeden Ton. Der Verrat und versuchte Mord an seinem Freund, dem Kaiser, vollbringt er aus höriger Liebe zu Vitellia. Dieses bittende Schmeicheln in der Stimme, dieses verzweifelte Lieben nimmt man Kasarova in jedem Moment ab. Dann die ergreifende Arie, in welcher sich Sesto zum Verrat durchringt: Ein grossartiger Zwiespalt der Gefühle, musikalisch grandios begleitet von der Klarinettistin aus dem Orchestergraben.
Innige Gefühle
In der zweiten Hosenrolle besticht auch Liliana Nikiteanu in ihrem Debüt als Annio, als enger Freund von Sesto. Temperament- und liebevoll zugleich gestaltet sie diese Innigkeit der Gefühle mit agiler Leichtigkeit und stimmlicher Intensität. Dazu passt die helle, reine Stimme von Malin Hartelius ausgezeichnet, welche die Servilia mit wenigen, aber hinreissenden Auftritten porträtiert. Am meisten Mühe mit dem Wechsel vom Gesprochenen zum Gesungenen hatte Jonas Kaufmann als Titus, der die Milde verkörpert. Seine Stimme sprach nur schwer an, entfaltete dann aber grossen Atem, eindrückliche Zwischentöne und heftige Gefühle. Dass Titus und sein Begleiter Publio (überzeugend von Günther Groissböck) in hellen Anzügen und schliesslich in italienischer Faschisten-Montur samt Militärorden auftreten, wirkt ziemlich daneben. Titus, der Inbegriff der Milde, der allen verzeiht, den findet man sicher nicht unter den erfolgreichen Kriegsherren und Faschisten. Diese Anspielung der Regie ging nicht mal im Lächerlichen auf. Und auch der Chor wirkte derart «gestellt» und steif, dass seine Wirkung über das rein Musikalische nicht hinausging.
Dirigent mit Sinn für Details
Musikalisch jedoch kam man an diesem Abend voll auf seine Rechnung. Franz Welser-Möst dirigierte mit viel Sinn für die Details, für den schlichten Fluss und die Natürlichkeit von Mozarts Musik. Die Proportionen wirkten ausgewogen, der Ausdruck innig und echt, nur die Orchestertuttis hatten etwas gar Heftiges und Lautes, vor allem auch mit den modernen Instrumenten. Neben der hochkarätigen Klarinettistin vermochten die überhaupt sehr gut disponierten Bläser agil und weich mitzugestalten, und die Streicher verliehen dem Geschehen vor allem in der Zurückhaltung eine magisch homogene Klangaura.
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26. 4. 2005 / Werner Pfister
Zwischen Mozart und Mussolini
«La clemenza di Tito» von Mozart erneut am Opernhaus - zum ersten Mal mit gesprochenen Rezitativen
Wo immer «La clemenza di Tito» auf die Bühne kommt, stets muss sich diese Oper verteidigen. Muss nicht gerade ihre Unschuld beweisen, aber ihre Existenzberechtigung, Ihre Lebensfähigkeit. In der Zürcher Neuproduktion tut sie das zumindest musikalisch mit hinreissend überzeugenden Argumenten.
Eigentlich war es bereits ein verstaubtes Gipsfigurenkabinett - jenes Personen- und Affekt-Arsenal nämlich, aus dem die Gattung der «Opera seria» jahrzehntelang ihre barocken Bühnen-Allegorien zusammenzubasteln pflegte und auf das Mozart im Sommer 1791 wiederum zurückgriff, als gälte es, ein längst versunkenes Zeitalter noch einmal neu aufleben zu lassen. Genau das ist seither die Frage, wenn über «Tito» diskutiert wird: Wie viel Leben in diesen Opernfiguren wirklich steckt - oder eben nicht mehr steckt.
Die Antwort, die Regisseur Jonathan Miller in seiner Zürcher Neuinszenierung gibt, ist eindeutig: Diese Figuren bersten beinahe vor lauter Emotionen, tragen in sich selber, aber auch in Konfrontation miteinander einen veritablen Krieg der Gefühle aus, und das einen ganzen Opernabend. Statt äusserer Handlung, in die alle Figuren verstrickt wären, statt dieser komplizierten Handlungsmechanik der «Opera seria» mit ihren vielfach und zuweilen ins Unglaubliche verschlungenen Um- und Nebenwegen inszeniert Jonathan Miller fast ausschliesslich das Innenleben der Figuren. lm Vordergrund stehen die individuellen Gefühle, die Handlung ist in den Hintergrund - und dort ins Andeutungshafte - verbannt.
Sprechen und Singen Unterstützt wird diese szenische Individualisierung und Emotionalisierung durch die Dialogfassung, die Iso Camartin speziell für die Zürcher Neuinszenierung erstellt hat. Bekanntlich komponierte Mozart die vielen Rezitative der Oper nicht selber (weil er sie für nebensächlich hielt?), sondern überliess das einem seiner Schüler (möglicherweise Süssmayr). Da sie nachweislich nicht das künstlerische Niveau von Mozarts eigener Musik haben, ist die Idee, diese Rezitative in stark gestraffter Form als gesprochene Texte zu inszenieren, nicht a priori absurd. lm Gegenteil, es funktioniert nahtlos. lm gesprochenen Theater begegnen sich die Figuren; hier geraten sie - von Jonathan Miller mit subtiler Zurückhaltung, ja mit augenfälliger Zartheit inszeniert - aneinander, hier kommt es zu Konflikten. Sobald indes die Musik einsetzt, klingt ausschliesslich das Innere der Figuren an, eröffnen sich Seelen- und Gefühlswelten in Tönen; die Handlung bleibt stehen, das Theater wird statisch. Wie gesagt, das ist mit einer Zartheit inszeniert, die einige Premierenbesucher offenbar mit einfallsloser Langeweile verwechselten und den Regisseur zum Schluss kräftig ausbuhten: nicht ganz zu Recht, wie ich meine.
Kannitverstan Die Szene spielt nicht im antiken Rom, sondern, den Kostümen nach zu urteilen - die Frauen in luxuriösen Abendkleidern, die Männer in hochgestiefelten Uniformen -, im Rom der zwanziger oder dreissiger Jahre. Zuweilen sieht die Ausstattung ein bisschen nach Mussolini-Operette aus. Dieser Eindruck wird optisch durch den dreh- und über eine spiralförmige Rundtreppe auch begehbaren Turm unterstützt, der klotzig in der Bühnenmitte thront: faschistische Architektur nennt man das wohl.
Was das allerdings mit Mozart zu tun hat, mit der «clemenza» von Titus, also seiner Milde, seiner Güte, das will nicht einleuchten. Und noch weniger überzeugt das «lieto fino» dieser Inszenierung: Eigentlich stehen alle vor einem Scherbenhaufen; Freundschaftsschwüre und Liebesbeziehungen sind gebrochen und zerstört worden; jeder ist zum Schluss allein gelassen in seiner eigenen Einsamkeit gefangen. (Titus singt sogar von diesem Schicksal der Einsamkeit); todtraurig das Ganze. Aber davon ist auf der Bühne nichts zu sehen, sondern das pure Gegenteil: Gleich zwei Ehen stiftet Titus, nonchalant und lässig und längst nicht mehr milde und gütig aus löblicher Herrscher-Weisheit, sondern aus dröger Dummheit. Kannitverstan.
Wolkenlos Musikalisch indes ist diese Neuinszenierung ein einziges Juwel. Das beginnt mit dem ersten Takt der Ouvertüre, beginnt mit Franz Welser-Möst und dem Orchester der Oper Zürich, verhältnismässig klein besetzt (zwei Kontrabässe, vier Celli etc.), aber umso deutlicher, echt «wortgewandt» artikulierend, dass es eine pure Freude ist. Hier kommt die Affektsprache Mozarts zu ihrem vollgültigen Recht; hier herrscht ein wolkenloses Perfektionsklima des Musizierens - das überzeugendste Argument für die Lebensberechtigung dieser Oper. Alles ist ausgewogen und aufwühlend zu gleichen Teilen, auch in den Extremen der Exaltation; Mozart alles andere als penibel und proper und putzig, sondern voll von kraftstrotzender, muskulöser Dramatik.
Ebenso überzeugend die Sängerinnen und Sänger, ideal besetzt alle Rollen. Vesselina Kasarova als Sesto loben hiesse, Eulen nach Athen tragen, ist er doch längst eine ihrer Favoritrollen. Dennoch; die pure stimmliche Glut, das pathetische Aufbegehren in ihrem humanen Timbre, die samtweichen Piani einer fast stimmlosen Verzweiflung, dazu ein schauspielerisches Talent der Sonderklasse - das alles ist hinreissend und macht das Zuhören und Zuschauen zum überwältigenden Erlebnis.
Authentisch Kaum ein Tenor reisst sich um den Titus (bereits der Sänger der Uraufführung beklagte sich, weil Mozart ihn mit einer ungünstigen Partie bedacht habe) - Jonas Kaufmann indes, der sie in dieser Neuproduktion zum ersten Mal singt, hat damit eine ideale Partie gefunden. Die metallisch geschärften Höhen seiner Stimme, ihre pure Durchschlagskraft, aber auch ihre Koloraturgewandtheit und überhaupt der baritonale Glanz seines Tenors kommen hier zu bester, gleichsam zu «authentischer» Entfaltung. Ein glorreiches Debüt. Das gilt auch für Liliana Nikiteanu als Annio, wo sich jugendliches Draufgängertum und spontane Aufrichtigkeit des Singens ideal ergänzt, makellos in der Stimmführung, klug in der Phrasierung, stilsicher im Ausdruck.
Auch Eva Mei debütiert in der Rolle der Vitellia. Faszinierend ihre klare, dabei nie ausdruckslose, sondern zu imposanten dramatischen Steigerungen fähige Sopranstimme; und wenn sie da und dort etwas unterkühlt klingen mag, passt das zur (stolz zur Schau gestellten) Unnahbarkeit dieser Vitellia. Malin Hartelius gibt die Servilia mit anrührender Natürlichkeit, und Günther Groissböck - er singt den Publio ebenfalls zum ersten Mal - vervollständigt mit seinem kernigen, aber gleichwohl kantablen jungen Bass dieses ideale Mozart-Ensemble durchaus adäquat.
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