Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS
Claudio Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea
18. Februar 2005 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung

Poppea
Ottavia
Drusilla

Nutrice
Damigella
Fortuna
Virtú
Nerone
Ottone
Seneca
Arnalta
Lucano
Nikolaus Harnoncourt
Jürgen Flimm
Annette Murschetz
Heide Kastler
Martin Gebhardt

Juanita Lascarro
Francesca Provvisionato
Sandra Trattnigg
Kismara Pessatti
Eva Liebau
Eva Liebau
Irène Friedli
Jonas Kaufmann
Franco Fagioli
Laszlo Polgár
Jean-Paul Fouchécourt
Rudolf Schasching
Verzeichnis

Rezensionen
    Persönlicher Eindruck
einer Premièren-Besucherin
Ohne antikisierenden Faltenwurf
Erregungspotenzial der Macht
Nix verstaubt
Claudio Monteverdi für heute
Glück, Tugend oder eine Liebe zur Pizza
Intimes Bettgeflüster in Nahaufnahmen
Römische Zeitgenossen
Römisches Roulette
Götterkampf auf der Putzfrauen-Insel
Ein barockes Spiel ganz von unserer Zeit
Historik und Moderne in Harmonie
    

Vox spectatricis

20. 2. 2005 / Chantal Steiner

Weder Fisch noch Vogel
Vielleicht sollte ich zuallererst anmerken, dass ich kein grosser Fan von Barockopern bin, dass mir diesbezüglich die profunden Kenntnisse fehlen und dass daher meine Eindrücke für andere vielleicht nicht nachvollziehbar sind. Eventuell war ich auch ganz einfach nicht in der richtigen Stimmung, nach einem anstrengenden Arbeitstag, zur Vorstellung hetzend, eine dreieinhalbstündige Premiere zu geniessen. Meine Eindrücke können also von anderen stark divergieren.

Monteverdis "L'Incoronazione di Poppea" wurde vom bewährten Team Nikolaus Harnoncourt und Jürgen Flimm zur Aufführung gebracht, und zwar in einer Einrichtung von Harnoncourt. Offensichtlich gibt es von "Poppea" keine(n) Autographen, sondern nur zwei Manuskripte der Oper und das gedruckte sowie einige handschriftliche Libretti. Bei Harnoncourt wird Nerone von einem Tenor gesungen und nicht wie üblich von einem Counter.

Jürgen Flimm siedelt das zweifellos zeitlose Geschehen in den 70er Jahren an. Er benützt dazu die Drehbühne, welche die vielen Räume einer Villa jeweils ins Zentrum des Geschehens bringt. Allerdings ermüdet dies mit der Zeit, und vielfach ist das Rotieren dramaturgisch auch nicht wirklich nachvollziehbar, der Effekt verpufft. Die Bühne ist ästhetisch, die Personenführung durchdacht, alleine – eine Aussage konnte ich nicht entziffern und einige Dinge blieben mir komplett unerklärlich. Wieso trägt z.B. Ottavia Strapse, ist konstant mit einem Glas in der Hand zu sehen? Sie erscheint eher als Edelnutte denn als Kaiserin. Wenn schon jemand Strapse anziehen müsste, dann doch wohl eher Poppea. Oder will Flimm damit andeuten, dass Ottavia auch mittels ihres Körpers an die Macht gelangte? Ein Perpetuum mobile?

Auch wenn die Handlung im 20. Jahrhundert angesiedelt ist, Kaiserin und Kaiser sind immer noch Staatsoberhäupter, und so sollte man sie auch behandeln. Kein Untertan würde sich wohl erdreisten, im Bett der Kaiserin herumzulümmeln, unangemeldet in Neros Arbeitszimmer zu erscheinen etc. Die ganze Inszenierung ist für mich zu "lieb" und zu lau, die Amoralität des Librettos scheint nie durch, die paar Gags, die das Publikum zum Lachen animierten, sind meine Sache nicht, denn ich mag den heute so beliebten Comedy-Klamauk nicht.

Wenigstens wurde man sängerisch entschädigt. Die kurzfristig für die erkrankte Vesselina Kasarova eingesprungene Juanita Lascarro war eine Augenweide und erledigte ihre Aufgabe bestens. Die Bösartigkeit der Kurtisane, die sich zur Kaiserin emporschläft, konnte sie jedoch nicht vermitteln. Berührend waren die Liebesszenen, aber auch hier fehlte mir das Amoralische. Lascarro verfügt zwar nicht über eine extrem farbenreiche Stimme, vermochte aber durch ihre Interpretation das Publikum für sich einzunehmen. Jonas Kaufmann als Nerone sang differenziert, schön phrasierend, mit lyrischem Schmelz wie auch der nötigen Durchschlagskraft. Zudem ist er ein hinreissender Sängerschauspieler, der aber ebenfalls die wirkliche Bösartigkeit schuldig blieb. Francesca Provvisionato gefiel mit ihrem warmen Mezzo als "arme" verstossene Kaiserin, die so harmlos jedoch auch nicht ist, stiftet sie doch den Ex-Liebhaber Poppeas zum Mord an der Kurtisane an. Dieser Ottone wurde vom Countertenor Franco Fagioli verkörpert. Lag es an der Inszenierung, dass er zu blass blieb? Die Stimme an sich ist angenehm, aber - wie vieles an diesem Abend - etwas langweilig. Der Philosoph, Dichter und Mentor Nerones, Seneca, wurde von Laszlo Polgar hervorragend in Szene gesetzt. In dieser Rolle war er mit seinem warmen Bass als Stoiker bestens am Platz. Speziell zu erwähnen ist die Amme Poppeas, Arnalta, die mit dem Haute-Contre Jean-Paul Fouchécourt sängerisch brillant besetzt war. Schade, dass die Rolle etwas gar "tuntig" angelegt wurde.

Die vielen Nebenrollen waren - wie das bei Zürcher Premieren meist der Fall ist - sehr befriedigend besetzt. Speziell hervorzuheben wären da noch der kleine Junge Amor (Gregory Limburg), der als Drahtzieher fungiert, und die Fortuna von Eva Liebau.

Das Orchester "La Scintilla" traf mit seinen Original-Instrumenten am Premierenabend nicht immer den richtigen Ton, war aber unter Harnoncourt bestens disponiert. Aus den eingangs erwähnten Gründen kann ich mich über die Interpretation von N. Harnoncourt nicht ausführlich äussern.

Ich möchte allerdings den Abend unter "gepflegte Langeweile" verbuchen. Es gab nicht wirklich etwas auszusetzen, aber - nebst einigen wunderschönen Momenten - auch nicht wirklich viel, das einen begeistern konnte. Bezeichnend empfand ich folgende Begebenheit: Beim Heimfahren mit einem Bekannten sagte dieser mir ca.eine halbe Stunde nach Premierenschluss etwas erstaunt: "Du, ich habe die "Poppea" bereits vergessen"... Das ist wohl nicht im Sinne des Erfinders.

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Aargauer Zeitung

22. 2. 2005 / Torbjörn Bergflödt

Ohne antikisierenden Faltenwurf
Monteverdi revisited Harnoncourt/Flimms «Poppea» in Zürich

Die Monteverdi-Aufführungen in historisierender Lesart am Opernhaus Zürich in den Siebzigerjahren hatten eine Signalwirkung und Schubkraft besonderer Art. Dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle gelang es, den Komponisten ins Bewusstsein eines breiten Publikums zu rücken.

Das korrupte alte Rom von «L´incoronazione di Poppea» ist inzwischen schon mehrfach in die Gegenwart transponiert worden, und ohne antikisierenden Faltenwurf hat auch Jürgen Flimm nun die Oper in Zürich inszeniert. Neros «domus aurea» ist bei Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine moderne römische Villa, die Menschen von der gehobensten Schicht bis zur Dienerschaft beherbergt. Die von Kostümbildnerin Heide Kastler entsprechend typisierten Leute kommen mit ihrem Triebleben, mit ihren Machtgelüsten beziehungsweise Ohnmachtsgefühlen nicht klar. Die kaputte Ehe zwischen Nero und Ottavia scheint vor allem dem Ennui der Upper Ten geschuldet. Da hat es Poppea leicht, Nero zu erobern, der wie ein machistisch-schnöseliger Jungmanager ohne Bodenhaftung im Haus residiert.

Die Aktualisierung durch Flimm zielt durchaus nicht an der Idee des Werks vorbei. Ein Problem ist indes, dass einem Personal und Ausstattung zu bekannt vorkommen, als dass noch viel Erkenntniszuwachs oder gar moralische Erschütterung möglich wäre. Mehr als eine anstrengungsfrei konsumierbare Gesellschaftskritik wird uns kaum vorgesetzt.

Jemand wahrt das Potenzial zur produktiven Irritation und lässt spannende Deutungsreste offen: Seneca, der Philosoph und Dichter und Lehrer Neros, der auf dessen Befehl in den Freitod geht. Der mit sonor strömendem Bass singende Laszlo Polgar hat die Chancen für eine kraftvolle Interpretation an der Premiere genutzt. Überhaupt offenbarte sich da ein hohes darstellerisches Niveau. Pech, dass Vesselina Kasarova krankheitshalber ausfiel, aber Juanita Lascarro gelang es (trotzdem), bei Poppea das Sowohl-als-auch von Machtgier und warm durchpulster Liebe fühlbar zu machen. Jonas Kaufmann als Nero bewegte seine Tenorstimme mit grosser Selbstverständlichkeit im Monteverdischen Idiom. Anrührend gelang es der Sopranistin Francesca Provvisionato, die «affetti» zu entbinden in den zwischen Sprechen und Singen aufgespannten «Klangreden» der gequälten Ottavia. Mit wendiger Stimme sang der Countertenor Franco Fagioli in der Rolle von Poppeas gehörntem Ehemann Ottone. Mit quecksilbrigem Spieltemperament gestaltete der als «haute-contre» im französischen Fach erfahrene Jean-Paul Fouchécourt die Rolle von Poppeas Amme Arnalta.

Mit seinem gestischen Dirigierstil befeuerte Nikolaus Harnoncourt das hauseigene Originalklang-Ensemble «La Scintilla» in nimmermüdem Elan. Es resultierte ein Klangbild zwischen linearem Melos und gezackter Affektrhetorik, perkussiver Aufgerautheit und weichem Sichverströmen.

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Basler Zeitung

22. 2. 2005 / Benjamin Herzog

Erregungspotenzial der Macht
Claudio Monteverdis «L’ Incoronazione di Poppea» am Opernhaus Zürich

Nikolaus Harnoncourt dirigierte und Jürgen Flimm inszeniert den moralzersetzenden Sieg der Liebe. Ohne Mickymäuse und ohne die erkrankte Vesselina Kasarova.

Geiz sei geil, versucht man uns seit einiger Zeit einzutrichtern. Ein zweimalig benutzter Teebeutel, ein Billigcomputer - das erotische Potenzial solcher Sparangelegenheiten scheint gross und hat die alte Erotik der Macht abgelöst. Beinahe. In Monteverdis 1643 uraufgeführter Oper bringt Poppea, die Mätresse des römischen Kaisers Nero, diesen dazu, seine eigene Frau zu verbannen. Somit ist der Platz an Neros Seite frei. Monteverdi verheimlicht den Aufstieg Poppeas nicht, ihre Krönung verrät er bereits im Titel: «L’Incoronazione di Poppea».

Machtansprüche
Spannungsgewinn erzielt ein Wettbewerb zwischen den allegorisch auftretenden Figuren Glück, Tugend und Liebe. Jürgen Flimm lässt die beiden Frauen und das Amor darstellende Kind dem Geschehen auf der Bühne folgen. Als Putzkraft, Pizzaservice, beschürzte Angestellte in Neros Domus Aurea, von Bühnenbildnerin Annette Murschetz als italienische Designvilla im Betonstil auf die Drehbühne gestellt; eine Protzhütte, die sowohl in einem eleganten Römer Vorort stehen könnte, wie auch an Zürichs Goldküste.

Nach dem Verschwinden der putzenden Allegorien dreht sich die Hausseite mit Neros Bettstatt nach vorne. Darin vorzufinden: der Kaiser (Jonas Kaufmann), ein Jungmanager in schwarzer Unterwäsche und heftiger Umarmung seiner Geliebten: Poppea, wegen Erkrankung Vesselina Kasarovas von Juanita Lascarro dargestellt. Das Paar hat einen Auftritt, der von Leidenschaft, Ungeduld und Zärtlichkeit gekennzeichnet ist. Ein starker Anfang, der einen vergessen lässt, dass Lascarro kurzfristig nur eingesprungen ist. Die junge Kolumbianerin kommt stimmlich nicht ganz an die krankheitsanfällige Primadonna heran, dafür aber lässt sie der Figur mehr Platz. Die süsse Sanftheit ihres Soprans täuscht nur vordergründig über dessen verführerische Fähigkeiten: Ihre Machtansprüche kann auch diese Stimme deutlich machen.

Liebeskind
Die Liebe siegt. Ihre moralzersetzenden Eigenschaften bricht Flimm mit einem Kniff. Der von Gregory Limburg gesungene Knabe Amor ist, so suggeriert er, nämlich das Kind Poppeas. Das Schlussbild, die «Incoronazione», vereint denn auch das Kaiserpaar und das triumphierende Liebeskind zur heilen Kleinfamilie. Die Geilheit des Machtzuwachses hat Ziel und Ruhe gefunden.

Rausch
Deutlich wird das Erregungspotenzial der Macht auch in einer Szene beleuchtet, die Nero und seinen Freund Lucano beim Feiern von Senecas Tod zeigt. Mit dem von einem hervorragenden László Polgár dargestellten Philosophen hat die letzte inkorrumpierbare Instanz verblutend die Bühne verlassen; einer, dessen exakt geführter Bass Unbeirrbarkeit darstellte. Nero und Lucano freuts. Eingedenk der nun sich darbietenden Möglichkeiten freier Liebes- und Machtausübung steigern sie sich in einen Rausch auf Neros Bürotisch, der homoerotische Züge trägt. Solche Eindeutigkeiten erlaubt die linear erzählende Inszenierung Flimms und sein Verzicht auf weitere «Allegorien» wie Mickymäuse, Freiheitsstatuen, Barbiepuppen, wie sie Nigel Lowery 2003 in seiner Basler «Poppea» benutzte.

Auch der Humor kommt hier nicht zu kurz, etwa in der Rolle der Amme Arnalta: Der unter einer blonden Perücke versteckte Haut Contre Jean-Paul Fouchécourt stöckelt so sicher auf seinen Absatzschuhen durch Neros Haus wie er stimmliche Souveränität und Spielwitz unter Beweis stellt.

Jungtalente
Die Besetzung ist exquisit: Nero (Jonas Kaufmann), ein Tenor mit baritonaler Stärke und brillanten Höhen, die verstossene Kaiserin (Francesca Provvisionato), schneidend furios bis zu ihrem berührend hingehauchten Abgang, Poppeas Exgeliebter Ottavio (Franco Fagioli) als in seinen Gefühlen erstickender Antiheld. Niemand fällt ab, auch die Jungtalente des Opernstudios machen ihre Sache gut.

Nikolaus Harnoncourt hat die als Gerüst überlieferte Musik eingerichtet, hat den Figuren charakteristische Instrumentalklänge zugeordnet, was in der nur von zwei Aktpausen unterbrochenen Oper hilfreich ist. Beweglich verfolgt das Orchester «La Scintilla» die schnellen, fliessenden Wechsel zwischen Begleitung und Initiative. Klar wird an diesem gelungenen Abend, dass die Liebe auch musikalisch Siegerin bleiben muss. Glück, Tugend lassen sich mit Tönen schwer darstellen. Die Liebe aber schon, und sei sie noch so amoralisch. Das ist etwas erschreckend und zugleich das Allerschönste.

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Blick

22. 2. 2005 / Roger Cahn

Nix verstaubt
Mit «L'Incoronazione di Poppea» zeichnet Claudio Monteverdi (1567 -1643) ein ungeschöntes Bild unserer Lust- und Frustgesellschaft. Im Zürcher Opernhaus musikalisch wie szenisch brillant umgesetzt. Herzhafter Applaus Freitag an der Premiere.

Um seine Geliebte - Edelnutte Poppea - zu heiraten, verstösst Diktator Nerone Gattin Ottavia. Er befiehlt seinem Thinktank-Guru, dem Philosophen Seneca, den Selbstmord und beseitigt alle, die seiner kriminellen Liebe im Wege stehen. Poppea nutzt die Schwäche ihres mächtigen Lovers für ihren gesellschaftlichen Aufstieg. Am Ende huldigt die breite Masse dem prominenten, erfolgreichen Paar.

Regisseur Jürgen Flimm gestaltet jeden Moment spannend bis ins Detail. Annette Murschetz hat ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen: ein Stahlbau mit Salon, CEO-Office, Dachterrasse, rotem Love-Salon. Alles angeordnet auf einer Drehbühne, so dass die Handlung rund ablaufen kann. Die sinnlichen Kostüme von Heide Kastler unterscheiden die Mächtigen von den Schwachen oder die Lust vom Frust.

Dirigent Nikolaus Harnoncourt verzichtet auf Schönklang zugunsten von Handlung und Spannung. Das 18-köpfige Ensemble auf der Bühne hat einen konsequenten Sprechgesang verinnerlicht, die Sängerinnen und Sänger agieren wie in bestem Schauspiel.

Vesselina Kasarova musste am Tag vor der Premiere leider wegen Angina absagen. Die junge Kolumbianerin Juanita Lascarro sprang ein, sie konnte nicht - wie alle andern - ihre Poppea mit Harnoncourt minutiös vorbereiten. Trotzdem: Ihre Poppea wirkt glaubhaft, als Figur passt sie in diese Produktion.

Weil das Zürcher Opernhaus den Text über der Szenerie einblendet, lässt sich das muntere Spiel konsequent verfolgen. Und man stellt mit Vergnügen fest, wie barock die Moral unserer heutigen Spassgesellschaft eigentlich ist.

Fazit: Idealer Einstieg in die Welt des Musiktheaters und schlagendes Argument gegen jene, die behaupten, Oper sei ein verstaubtes Medium.

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Der Bund

22. 2. 2005 / Tobias Gerosa

Claudio Monteverdi für heute
Mit «Incoronazione di Poppea» knüpft das Opernhaus Zürich am legendären Monteverdi-Zyklus der 1970er-Jahre an

Anders als in Jean-Pierre Ponnelles Barockwelt vor dreissig Jahren setzt Jürgen Flimms neue Inszenierung auf eine äusserliche Modernisierung. Und Nikolaus Harnoncourt ist nach wie vor Garant für eine äusserst lebendige und frische Interpretation.

Amoralischer geht es kaum. Was Claudio Monteverdi und sein Librettist vor über 350 Jahren für ihre Oper «L’incoronazione di Poppea» geschrieben hatten, untergrub jede sittliche Ordnung: Die Hure Poppea erreicht ihr Ziel und wird im himmlisch schönen Schlussduett von Nero zur Kaiserin erhoben.

Monteverdi setzt dramaturgisch auf grösstmögliche Kontraste, lässt Liebesleid und -freude auf kleinstem Raum aufeinander prallen - Harnoncourt erweist sich als Meister darin, diese Kontraste hörbar zu machen und trotzdem nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Von den 24 Personen, die fast alle gleich wichtig sind, ist keine nur sympathisch oder unsympathisch. Immer wieder werden moralische Einwände durch die Musik unterlaufen. Regisseur Jürgen Flimm betont in seiner Inszenierung denn auch, dass es keineswegs nur um eine antike Story geht.

Kongeniale Bühne
Zwar ist Neros Palast noch mit «Domus Aurea» angeschrieben, er sieht in seinem Betonschick und mit den runden Fenstern jedoch aus wie das Berliner Kanzleramt. Je nach Drehung der Bühne sieht man ins Schlafzimmer, in Neros Büro, Ottavias Schlafzimmer oder immer wieder ins Vorzimmer mit schlafenden Bittstellern. Kongenial, wie Annette Murschetz’ Bühnekonstruktion durch frühzeitiges Weiterdrehen fliessende, fast filmische Übergänge zwischen den Szenen ermöglicht. In seiner Regie hat Flimm sichtbar sorgfältig an ganz individuellen Rollenporträts gearbeitet. Wie noch die letzten Soldaten auch szenisches Profil bekommen, ist bestechend und sorgt zusammen mit witzigen Details nicht nur bei Franco Fagiolis tragikomischem Ottone, Laszlo Polgars profundem Seneca oder Jean-Paul Fouchécourts köstlichem Arnalta für konstante Aufmerksamkeit.

Leider hat sich dabei allerdings auch eine gewisse gut geölte Beliebigkeit eingeschlichen. Die Götter, deren Wette im Prolog die Handlung erst auslösen, wirken als Putzkolonne (oder einmal als Pizzaservice) so unmotiviert wie gelegentliche Auftritte der Statisterie. Und spätestens wenn ihn die Barocktrompeten übertönen, fragt man sich, auch wenn er bestechend singt, warum Irène Friedli (Virtù) und Eva Liebau (Fortuna) einen Amor der Zürcher Sängerknaben zur Seite gestellt bekommen haben.

Zentrale Einspringerin
Nicht alle Szenen sind so packend gelungen wie die erotisch aufgeladenen Duette zwischen Nero und Lucano (Rudolf Schasching) oder Nero und Poppea. Dabei sah es bei ihr lange kritisch aus. Vesselina Kasarova, die ihr Rollendebüt hätte geben sollen, sagte krankheitshalber ab. Die Einspringerin Juanita Lascarro machte optisch eine wunderbare Figur. Mit ihrem hellen, wenig individuell gefärbten Sopran rettete sie dankenswerter Weise zwar die Vorstellung, blieb gegenüber Francesca Provvisionato als gerade im Leisen glühend intensiver Ottavia vokal allerdings ein zu schwaches Gegengewicht. Dass sie interpretatorisch auch dem faszinierend abstossenden Nero von Jonas Kaufmann noch nicht gleichwertig war, kann man ihr nicht vorwerfen. Im Schlussduett hätte sie seine betörenden Piani allerdings mitmachen dürfen.

Musikalische Sternstunde
Nikolaus Harnoncourt und das Orchestra La Scintilla liefern allerzarteste Grundlagen und bereiten eine musikalische Sternstunde. Harnoncourt, der eine Mischung aus den beiden erhaltenen Fassungen der Oper erstellt hat, hält die Szenen mit seiner unglaublichen Präsenz und dem mit je zwei Cembali, Harfen und Theorben gross besetzten Continuo straff zusammen. Wunderbar, wie natürlich die Wechsel von rezitativischem Sprechgesang zu ariosen Teilen von statten gehen. Einmal mehr erweist sich Harnoncourt als Glücksfall und trägt mit seiner Interpretation auch über schwächere Passagen der Inszenierung hinweg.

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Der Landbote

21. 2. 2005 / Torbjörn Bergflödt

Glück, Tugend oder eine Liebe zur Pizza
Monteverdi revisited, Folge zwei: Nach Harnoncourt-Grübers «Ulisse» zeigt das Zürcher Opernhaus nun Harnoncourt-Flimms Version der «Poppea». Ein schlüssiger Abend, weich und aufgeraut, der allerdings, was die Regie von Jürgen Flimm betrifft, nur wenige Tiefendimensionen aufreisst.

Es ist nicht so, dass Werke des «Divino Claudio» nicht vorher schon zur Neudiskussion gestellt worden wären. Aber die Monteverdi-Aufführungen in historisierender Lesart am Opernhaus Zürich unter der Intendanz von Claus Helmut Drese in den siebziger Jahren hatten doch eine Signalwirkung und Schubkraft besonderer Art. Mit den drei erhaltenen Opern sowie mit den «theatralen» Stücken aus dem Achten Madrigalbuch gelang es dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle, den Komponisten ins Bewusstsein eines breiten Publikums zu rücken. Inzwischen ist Monteverdi keine Rarität auf der Opernbühne mehr; gerade die jüngste Zeit hat gezeigt, dass die Pflege seiner Werke zum Courant normal geworden ist.

Anstatt sie aus ihrer Handlungszeit heraus zu entwickeln, werden freilich die Opern heute meist lieber zur Jetztzeit aufdatiert. So ist das korrupte alte Rom von «L'incoronazione di Poppea» schon mehrfach in die (womöglich ja noch verdorbenere) Gegenwart transponiert worden, und ohne antikisierenden Faltenwurf hat auch Jürgen Flimm nun die Oper in Zürich inszeniert. Neros «domus aurea» ist bei Flimms Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine moderne römische Villa, die Menschen von der gehobensten Schicht bis zur Dienerschaft beherbergt. Die von Kostümbildnerin Heide Kastler entsprechend typisierten Leute kommen mit ihrem Ehe- und Triebleben, mit ihren Machtgelüsten beziehungsweise Ohnmachtsgefühlen nicht klar. Die kaputte Ehe zwischen Nero und Ottavia scheint vor allem dem Ennui der Upper Ten geschuldet. Da hat es die schöne Poppea leicht, Nero zu erobern, der wie ein machistisch-schnöseliger und hormonbeduselter Jungmanager ohne Bodenhaftung und Selbstkontrollmechanismen im Haus residiert.

Die mit verführerischem Schwarz aufwartende Ottavia, versengt von Eifersuchtsgefühlen, verdient (auch bei Flimm) nicht unser ungeteiltes Mitleid, stiftet sie doch, bevor sie von Nero in die Verbannung geschickt wird, Poppeas gehörnten Ehemann Ottone an, die diesem noch immer teure Gattin umzubringen.Drusilla, Ottones verstossene und nun wieder installierte Geliebte, hilft dabei bereitwilligst, aber der Liebesgott vereitelt den Anschlag.

Gute und schlechte Anteile
Die Oper «Poppea», geschrieben für das zweite bürgerliche Theater Venedigs und uraufgeführt 1642 oder 1643, verlässt die myth(olog)ische Stofftradition und behandelt ein realgeschichtliches Thema. Dieses bleibt allerdings nicht Selbstzweck. Denn die Menschen, die der Librettodichter Giovanni Francesco Busenello in dem dreiaktigen Charakter- und Intrigendrama mit Prolog auf die Bühne stellt, sind letztlich die reichen Fürsten und die Politiker Italiens. (Solche Kritik war bei zahlendem Publikum in der Republik Venedig offenbar möglich.) Die neuerliche Aktualisierung durch Flimm zielt insofern durchaus nicht an der Idee des Werks vorbei. Wie die Geschichte vom römischen Kaiserhof in die Gegenwart geholt ist, erscheint in sich schlüssig. Auch werden durch die Art, wie der Regisseur seine Figuren charakterisiert, diese nicht denunziert. Was sich mit Monteverdi-Busenellos Welttheater trifft, in dem die Leute nicht schwarz-weiss gezeichnet sind, sondern schlechte und gute Anteile gemischt aufweisen.

Ein Problem ist indes, dass einem Personal und Ausstattung zu bekannt vorkommen, als dass noch viel Erkenntniszuwachs oder gar moralische Erschütterung möglich wäre. Mehr als eine anstrengungsfrei konsumierbare Gesellschaftskritik setzt uns Flimm kaum vor. Per Drehbühnenmotor werden Räume des mondänen Hauses heran- und wieder weggefahren, die ihre Rätsel schnell preisgeben. Schöner wohnen und beiwohnen: Das Schlafgemach von Nero und seiner Geliebten zum Beispiel zeigt elegante Kühle und etwas verruchtes Rot. Noch Fragen? «Fortuna», «Virtù» und «Amore», die das Spiel anschiebenden allegorischen Personifikationen aus dem Prolog, durchwandern den Abend in wechselnder Aufmachung und Funktion, von der kleinen Putzequipe bis zur Pizzeria-Crew. Gut gemacht, gewiss. In seiner Sofortverdaulichkeit aber auch ein etwas banaler Einfall. Ein Running Gag: die Schlafsucht von Vertretern unterer Chargen, etwa eines der Wachsoldaten. Dass uns die hinzuerfundene Assistentin der Göttinnen wie ein Scriptgirl vorkommt, ist kaum zufällig: Diese «Poppea» beerbt das Kino.

Jemand wahrt das Potenzial zur produktiven Irritation und lässt spannende Deutungsreste offen: Die in der Tat «stoische» Art und Weise, wie Seneca gezeichnet wird, der Philosoph und Dichter und Lehrer Neros, der auf dessen Befehl in den Freitod geht, hebt diese Gestalt aus ihrer zeitgeistgesättigten Umgebung heraus und gibt ihr etwas Verstörendes. Der mit sonor strömendem Bass singende Laszlo Polgar hat die Chancen genutzt für eine gesammelte, kraftvolle Interpretation.

Sprechen und Singen
Einer der Vorteile der szenischen Umsetzungsweise ist die zwanglose Souplesse, mit der sich das zahlreiche Personal zusammenführen und aneinander vorbeiführen lässt. Dabei offenbarte sich an der Premiere ein hohes darstellerisches Niveau. Zwar hatte Opernhaus-Direktor Alexander Pereira das Pech, die krankheitsbedingte Abwesenheit von Vesselina Kasarova vermelden zu müssen. Die Sängerin, die als Penelope im «Ulisse» überzeugt hatte, wurde kurzfristig ersetzt durch Juanita Lascarro. Dieser Sängerin gelang es (trotzdem), bei Poppea das Sowohl-als-auch von Machtgier und warm durchpulster Liebe fühlbar zu machen. Der Part des Nero, den man heute mit verschiedenen Stimmfächern besetzt, wurde hier vom Tenor Jonas Kaufmann verkörpert, der sein sehr ansprechendes Organ mit grosser Selbstverständlichkeit im Monteverdischen Idiom bewegte. Anrührend gelang es der Sopranistin Francesca Provvisionato, die «affetti» zu entbinden in den zwischen Sprechen und Singen aufgespannten «Klangreden» der gequälten Ottavia. Mit wendiger Stimme sang der Countertenor Franco Fagioli in der Rolle des fleissig klagenden Ottone. Überzeugend wirkten auch Sandra Trattnigg als Drusilla, Andreas Winkler als der Mozarts Cherubino vorwegnehmende jugendliche Valletto und Eva Liebau als seine Freundin, Kismara Pessatti als Ottavias Amme, Rudolf Schasching als Neros Dichterfreund Lucano und weitere Interpreten. Mit quecksilbrigem Spieltemperament gestaltete der als «haute-contre» im französischen Fach erfahrene Jean-Paul Fouchécourt die Rolle von Poppeas Amme Arnalta. Gregory Limburg von den Zürcher Sängerknaben sang mit erstaunlichem Können die Partie des «Amore». Die Differenz im Volumen zu Irène Friedli («Virtù») und Eva Liebau («Fortuna») war dennoch zu gross, wobei Harnoncourt es überraschenderweise auch zuliess, dass das Orchester den Knabensopran einmal gnadenlos zudeckte.

In der «Poppea» agiert nicht mehr das farblich ungemein reichhaltig aufgefächerte «Intermedienorchester» wie noch im «Orfeo» von 1607. Das Instrumentalensemble entspricht im Vergleich hiermit mehr einer stark aufgestockten Continuo-Besetzung. Nikolaus Harnoncourt befeuerte das immer noch vielfältig besetzte Originalklang-Orchester «La Scintilla» des Opernhauses Zürich mit seinem taktstocklos gestischen Dirigierstil in nimmermüdem Elan, Einsatzimpulse nach hierhin, dorthin und dahin entsendend. Es resultierte ein Klangbild zwischen linearem Melos und gezackter Affektrhetorik, perkussiver Aufgerautheit und weichem Sichverströmen.

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Neue Luzerner Zeitung

22. 2. 2005 / Urs Mattenberger

Intimes Bettgeflüster in Nahaufnahmen
Harnoncourt kehrt mit Monteverdi nach Zürich zurück: «L'Incoronazione di Poppea» ist in der Inszenierung von Jürgen Flimm so lebensnah wie grosses Gefühlskino.

Vor bald 30 Jahren war der Monteverdi-Zyklus, den Nikolaus Harnoncourt in Zürich dirigierte, eine internationale Sensation. Er brachte dem Pionier der historischen Aufführungspraxis Anerkennung weit über die Alte-Musik-Szene hinaus. Und er entdeckte Claudio Monteverdi als Begründer der Oper für die Gegenwart neu.

Die Auswirkungen verdeutlicht jetzt gleich doppelt die Produktion, mit der Harnoncourt mit Monteverdi ans Zürcher Opernhaus zurückkehrt. Was auch für die musikalische Gestaltung gilt, kommt heute unmittelbar im ganz anderen Regiestil zum Ausdruck. Damals hatte Jean-Pierre Ponnelle mit barock verkünstelter Bilderlust ein Werk aus der Frühzeit der Operngeschichte rehabilitiert.

Demgegenüber verlegt Jürgen Flimm «L'Incoronazione di Poppea» in die Gegenwart. Tatsächlich ist die Geschichte um eine bedingungslose Leidenschaft, die zu Liebesverrat führt und gesellschaftliche Ordnungen zerstört, von zeitloser Aktualität: Kaiser Nero, besessen von der Liebe zur machthungrigen Hure Poppea, verstösst seine Gemahlin und setzt sich auch über jede (Staats-)Räson hinweg, als er sie zur neuen Kaisergattin macht.

Realitätsnah wie im Film
Flimm siedelt die Handlung im schicken High-Society-Milieu an, in das sich selbst die Nebenfiguren integrieren lassen. Die allegorischen Figuren des Prologs etwa treten als spitzmäulig rivalisierende Putzequipe auf, Neros Soldaten werden als Bodygards karikiert, der Hausherr selbst ist ein vergnügungssüchtiger Geschäftsmann, der seine Macht schamlos zur eigenen Triebbefriedigung ausnutzt.

Flimms Schauspielregie wirkt dabei so natürlich und realitätsnah, als wären wir im Kino. Und auch die Drehbühne von Annette Murschetz bringt ein filmisches Element ins Spiel: Die manchmal in Zeitlupe gedehnten Drehungen der Bühne simulieren Kamerafahrten durch einen repräsentativen Empfangsraum, das mit Büchern vollgestapelte Studierzimmer oder das verlassene Schlafzimmer von Neros Gattin Ottavia. Und das Raumgefüge ist so raffiniert ineinander verschachtelt wie das komplizierte Beziehungsgeflecht mitsamt betrogenen Ehefrauen und -männern.

Gleichsam die innerste Zelle des ganzen Gefüges ist das im Erdgeschoss vor sich hin dämmernde Lustzimmer für die Schäferstündchen Neros mit seiner Geliebten Poppea. Das zärtliche Nachspiel im Duett des ersten Aktes ist nicht nur ein Beispiel für Flimms lebensnahe Personenregie. In solch intimen Momenten wird deutlich, in welche Richtung sich Harnoncourts Dirigat in den letzten Jahren entwickelt hat. Natürlich prallen auch jetzt die für Monteverdi charakteristischen Ausdruckskontraste heftig aufeinander. Aber zur demonstrativen Affektrhetorik tritt hier eine Natürlichkeit im Ausdruck, die sich Flimms Regiestil nahtlos anschmiegt und auch Momente einer unglaublichen Ruhe und Gelassenheit zulässt. Das Duett der beiden Liebenden im ersten Akt ist da ein bis in feinste Regungen hinein musikalisiertes Bettgeflüster. Ins Extrem gesteigert wird dieser musikalische Naturalismus im dritten Akt, wenn Harnoncourt in der Abschiedsklage von Ottavia die Pausen als Ausdruck sprachloser Verzweiflung bis zum Zerreissen spannt.

Verführung statt Hinterlist
Das reich besetzte Barock-Orchester La Scintilla gestaltet dieses Drama virtuos und lässt doch viel Raum für das sprechende Singen der zahlreichen, vorzüglichen Sängerdarsteller. Mag sein, dass unter diesen die Erkrankung von Vesselina Kasarova an der Premiere einen unerwartet neuen Akzent gesetzt hat: Juanita Lascarro brachte in der Rolle der Poppea das Kunststück fertig, sich in nur zwei Tagen in dieses ausgefeilte Regiekonzept einzufügen. Aber ihr betörend weicher Sopran gab der Liebesintrigantin vorab verführerische und kaum hinterlistig kämpferische Züge. Dass sie dadurch auch stimmlich zu einer idealen Partnerin von Jonas Kaufmanns Nero wurde, nahm dem Drama etwas von seiner Spannung. Zum Schluss zu Recht ungeteilter, begeisterter Applaus für die Aufführenden wie für das Leitungsteam.

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Neue Zürcher Zeitung

21. 2. 2005 / Marianne Zelger-Vogt

Römische Zeitgenossen
Monteverdis «Incoronazione di Poppea» im Opernhaus Zürich
Aufführungen von Werken Claudio Monteverdis gehören heute zum Opernalltag. Doch eine Monteverdi-Premiere im Zürcher Opernhaus weckt noch immer besondere Erwartungen. Denn von hier hat 1975 mit «Orfeo» die glanzvolle Wiederentdeckung dieses erstaunlichen ÂŒuvre für die Bühne ihren Ausgang genommen - eine Pioniertat des damaligen Intendanten Claus Helmut Drese und des kongenialen Interpretenteams Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle. Dass Harnoncourt jetzt bei «L'incoronazione di Poppea» (wie vor drei Jahren bei der Neuproduktion von «Il ritorno d'Ulisse in patria») wieder am Pult steht, zeugt von Kontinuität, verdeutlicht aber zugleich, wie sehr sich die Dinge gewandelt haben.

Triumph der Liebe
Die von Harnoncourt in einem Programmheft- Beitrag kommentierte Einrichtung der «Poppea»- Partitur scheint mit jener von 1977 wie auch mit der von ihm geleiteten Salzburger Einstudierung von 1993 weitgehend identisch zu sein. Doch die Musik klingt diesmal anders. Die elektrisierende Attacke, das rhythmische Feuer, die heftigen Einwürfe, die einen damals regelrecht überfallen hatten, sind einer verfeinerten, ruhigeren Sprache gewichen. Aufs Neue aber staunt man, mit welcher Selbstverständlichkeit La Scintilla, das im hoch gefahrenen Orchestergraben spielende Spezialensemble des Opernhauses, diese Sprache beherrscht, welche Farbenfülle es den alten Instrumenten entlockt, wie dezidiert es die Handlung kommentiert, auch wenn am Premierenabend nicht immer letzte Präzision erreicht wurde.

Warum wollte der Funke dann doch nicht springen? Dass die Titelpartie wegen Erkrankung von Vesselina Kasarova kurzfristig umbesetzt werden musste, war zweifellos ein gravierendes Handicap. Juanita Lascarro hat die Rolle der Einspringerin mit Geschick und Intuition gemeistert, doch das Kraftzentrum, das die dank Schönheit und Machtinstinkt auf den Kaiserthron gelangende Poppea sein müsste, konnte sie auch deshalb nicht werden, weil die Farb- und Ausdruckspalette ihres etwas matten Soprans beschränkt ist.

Geht es dem Dirigenten und dem Regisseur Jürgen Flimm - er war schon bei der Salzburger «Poppea» Harnoncourts Partner - überhaupt darum, die Macht zügelloser Leidenschaft, lodernder Sinnenfreude und rauschhafter Sexualität zu zeigen? Ist es ihnen nicht vielmehr um die sittlichen und gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen zu tun? Dass der Gott Amor, der hier nicht nur im Prolog auftritt, sondern zusammen mit Fortuna (Eva Liebau) und Virtù (Irène Friedli) in wechselnden Verkleidungen das Geschehen beobachtet, mit einem hübschen, aber naturgemäss zarten Knabensopran besetzt ist, scheint eher dramaturgisch denn musikalisch begründet zu sein: Die Figuren der Oper haben sich von den Göttern längst emanzipiert; obwohl sie historische Namen aus der römischen Kaiserzeit tragen, leben sie heute. Darin vor allem besteht der Wandel gegenüber der «Poppea»-Inszenierung des ersten Zürcher Monteverdi-Zyklus, der einer üppig barocken Bildsprache verpflichtet war. Auf der Bühne von Annette Murschetz wohnen die Personen Wand an Wand in einem luxuriösen Appartementhaus. Da gibt es, auf zwei Ebenen verteilt, Schlafzimmer - sinnlich rot das von Poppea, kühl weiss jenes der Noch-Kaiserin Ottavia -, ein Chefbüro, eine Halle mit Teich, Sitzungszimmer, eine Terrasse.

Die Drehbühne führt uns vor Augen, wie nicht nur die Schauplätze, sondern auch die Personen miteinander verflochten sind: der Kaiser Nerone in seinem Liebes- und Machtrausch - Jonas Kaufmann gibt ihn als Latin Lover mit kultiviertem, agilem Tenor -, der Philosoph Seneca, der, ein Opfer Poppeas, von Nerone in den Tod getrieben wird - grossartig, wie ihn László Polgár zwischen eitler Phrasendrescherei und würdevollem Ernst changieren lässt -, die betrogene Kaiserin Ottavia, die als Anstifterin eines Mordanschlags auf ihre Rivalin Poppea zwar kein Mitleid verdient, mit ihrer Abschiedsszene dank der vokalen Brillanz von Francesca Provvisionato aber für einen Höhepunkt sorgt, Poppeas Ehemann Ottone sodann, ein lächerlicher Schwächling mit kunstvoll geführter Countertenor-Stimme (Franco Fagioli), der sich bei seiner Ex-Geliebten Drusilla (durchaus attraktiv: Sandra Trattnigg) zu trösten sucht, dazu das stattliche Gefolge von Konsuln, Tribunen, Freunden, Bewachern, nicht zu vergessen Andreas Winklers pubertär verliebter Valletto, ein Vorfahre von Mozarts Cherubino, und die zwei in scharfem Kontrast gezeichneten Vertrauten Ottavias und Poppeas (Kismara Pessatti als Amme und - ein weiteres Glanzlicht - Jean-Paul Fouchécourt als mondäne Arnalta). Alle spielen sie, von Heide Kastler standesgemäss und typengerecht gekleidet, ihren Part in dieser skandalösen Love-Story.

Zerfall der Moral
Wie mag «L'Incoronazione di Poppea» bei ihrer venezianischen Uraufführung 1643 oder 1642 auf ein Publikum gewirkt haben, das zuvor nur mythologische Gestalten auf der Bühne erlebt hatte und sich nun erstmals mit realistisch gezeichneten, wenn auch historischen Figuren konfrontiert sah, mit Figuren überdies, die jeglicher Moral spotteten? Flimm macht sich die Antwort leicht. Um die Modernität des Werkes zu demonstrieren, versetzt er die Handlung einfach in die Gegenwart, mit den szenischen Versatzstücken und der darstellerischen Nonchalance, die im Gegenwartstheater gängig sind. Doch was er uns sagen will mit diesem Stück, in dem der Textdichter Busenello alle Höhen und Niederungen menschlicher Existenz durchmisst, bleibt im Ungewissen.

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St. Galler Tagblatt

21. 2. 2005 / Bettina Kugler

Römisches Roulette
Amor setzt die Moral aufs Spiel: Monteverdis «Poppea» triumphiert am Opernhaus Zürich

Mehr als 25 Jahre nach seinem gefeierten Monteverdi-Zyklus dirigiert Nikolaus Harnoncourt erneut «L’incoronazione di Poppea» in Zürich. Inszeniert hat diesmal Jürgen Flimm - mit brillanten Sängerdarstellern.

Mag Amor im skandalträchtigen Libretto von Giovanni Busenello auch seine Wette gewinnen und am Ende über die Göttinnen der Tugend und des Schicksals triumphieren: Im Fall der mit höchster Spannung erwarteten Zürcher Neuinszenierung von Monteverdis letzter Oper «L’incoronazione di Poppea» jedenfalls, mehr als fünfundzwanzig Jahre nach der Massstäbe setzenden Produktion von Nikolaus Harnoncourt und Regisseur Jean-Pierre Ponnelle im selben Haus, hatte die launische Fortuna ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.

Nero im Dreh-Loft
Noch eine knappe Stunde vor Beginn der Premiere am Freitagabend war szenisch geprobt worden. Nach nervenaufreibenden Wochen mit immer neuen, erkältungs- und grippebedingten Ausfällen musste kurzfristig Ersatz für Primadonna Vesselina Kasarova gesucht werden. In nur einem einzigen Probentag hatte Juanita Lascarro mit Jürgen Flimms komplexer, psychologisch subtiler Personenregie vertraut zu werden - und sich in jener kühl gestylten, labyrinthisch verschachtelten römischen Luxusvilla zurechtzufinden, in der sich die Geschicke bereits im Vorspiel in einem Höllentempo zu drehen beginnen.

Aber sie wäre wohl keine rechte Poppea, hätte Juanita Lascarro nicht die Gelegenheit gepackt, ihr Glück zu machen: geht es doch hier um Macht und Eros, um rücksichtslose Leidenschaft, die hoch hinaus will. Den liebesblinden Ehrgeiz verkörperte sie denn auch mit starker Bühnenpräsenz, wenn auch vielleicht nicht mit der betörenden dynamischen Nuancierungskunst einer Kasarova.

Suggestiv musiziert
Am Dirigentenpult steht wie 1979 Nikolaus Harnoncourt; das damals neu gegründete hauseigene Barockorchester La Scintilla hat sich längst Meriten erworben und besticht auch nun durch sprechendes, die Affekte auf der Bühne so farbig wie suggestiv reflektierendes Musizieren - umso mehr, als es auch optisch aufgewertet ist. Der Graben ist auf halber Höhe, was zu Beginn den Sängern Mühe macht.

Andererseits ermöglicht die Nähe erst jene aus den Affektschattierungen heraus entfalteten nahtlosen Übergänge von Parlando, rezitativischem und ariosem Singen, die Monteverdis Partitur so lebendig und berührend machen - mögen die Figuren auch noch so verwerflich sein. Hat sich das Auge einmal mit der ständig bewegten, durch Parallelaktion viel Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Szenerie vertraut gemacht, verdichten sich die musikalischen Höhepunkte, verschärft sich die Feinzeichnung auch in den kontrastreich besetzten Gesangspartien. Expressiv, vom aus dem Nichts geholten Ansatz bis zu dramatischem Vibrato gestaltet etwa Francesca Provvisionato die Ottavia; etwas blass bleibt Franco Fagioli als eifersüchtiger Ottone. Harnoncourts mässige Tempi tragen viel zur wachsenden inneren Spannung bei.

Weil die Zustände im Alten Rom den Karrieregelüsten, den Ränkespielen und seelischen Abgründen der Gegenwart Flimms Lesart zufolge gleichen, hat Bühnenbildnerin Annette Murschetz die «domus aurea», Neros Heim und Machtzentrale, als Musterhaus für Trend-Architektur gebaut,von Menschen in Sneakers und Designerklamotten bevölkert (Kostüme: Heide Kastler). Ein zweistöckiges Loft, in dem Tür an Tür geliebt und gelitten, regiert und telefoniert wird; ein Vorzeigedomizil für einen Yuppie-Kaiser, wie der Tenor Jonas Kaufmann ihn lebensecht, in Lackschuhen und Hosenträgern und mit stetig wachsender Stimmpotenz gibt.

Die Götter sind hier die Putzkolonne, überall haben sie ihre Augen: ein kluger Regie-Eingriff in die allegorische Rahmenstruktur der Oper. Der Amor wurde mit einem Sopran der Zürcher Sängerknaben (souverän: Grigory Limburg) besetzt, der unaufgeregt und mit göttlichem Ernst Neros Liebesgeschäfte regelt.

Aufregend nahe
Alte Musik und moderne Szenerie vertragen sich durchweg gut in Flimms Inszenierung, die (im Gegensatz zu Nigel Lowerys schriller Basler «Poppea») nicht auf Soap-Ästhetik und disparate Einfälle, sondern auf eine übergreifende Idee setzt und zeitlos psychologisiert. So rückt er Monteverdis Musik aufregend nahe - mit einer Identifikationswucht, wie sie die Oper in Zeiten des Kinos nur selten erreicht.

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Die Südostschweiz

22. 2. 2005 / Olivier Berger

Götterkampf auf der Putzfrauen-Insel
Nikolaus Harnoncourt setzt in Zürich Claudio Monteverdis «Poppea» die Krone auf

Das Opernhaus Zürich zeigt seit Freitag «L'incoronazione di Poppea». Der Musik vermag noch nicht einmal die Regie von Jürgen Flimm den Garaus zu machen.

Die Grippe ist auch am Ensemble des Opernhauses Zürich nicht spurlos vorbeigegangen: Gleich zwei Rollen mussten am Sonntagabend bei der zweiten Aufführung von Claudio Monteverdis «Incoronazione di Poppea» umbesetzt werden: Maria Costanza Noccentini sang den Part der Drusilla quasi als Playback zum pantomimischen Spiel von Sandra Trattnig. Und die Hauptdarstellerin Vesselina Kasarova hatte schon bei der Premiere vom Freitag passen müssen und wurde in dieser und am Sonntag von Juanita Lascarro mehr als würdig vertreten.

Magistral musiziert
Die Influenza hätte wohl noch eine breitere Schneise in die Besetzungliste der ersten Zürcher «Poppea» seit 25 Jahren schlagen können: Der Begeisterung des Publikums hätte das kaum einen Abbruch getan. Der eigentliche Star dieser Produktion ist nämlich ohnehin die zeitlos faszinierende Musik Monteverdis in der Interpretation von Dirigent Nikolaus Harnoncourt, der das gleiche Werk schon vor einem Vierteljahrhundert - damals als Teil eines Aufsehen erregenden Monteverdi-Zyklus - auf die Zürcher Bühne gebracht hatte.

Harnoncourt nähert sich der vom Komponisten kaum festgelegten Instrumentierung der «Poppea» mit dem nötigen Gleichgewicht von Zurückhaltung und Kreativität. Die starke und exzellent musizierende Continuo-Gruppe ergänzt die Dirigenten-Legende dezent mit melodiösen Einfällen - stets der Handlung dienend und die Sänger unterstützend. Am Sonntag leitete Harnoncourt das virtuose und hoch musikalische Orchester La Scintilla des Opernhauses mit höchster Präzision und viel Spass an der Musik. Letzteres kam vor allem in den Szenen mit der kurzfristig aus Italien angereisten Noccentini zum Ausdruck, deren Gesangspart der Maestro zwecks besserem musikalischem Verständnis zwischen Solistin und Orchester stumm mitsang.

Sängerisch gab es am sonntäglichen Auftritt nichts zu mäkeln. Aus dem ohnehin starken Ensemble ragten Jonas Kaufmann als Nero, Francesca Provvisionato als Ottavia und vor allem der unverwüstliche Laszlo Polgar als Seneca heraus. Jean-Paul Fouchécourt und Kismara Pessati als Ammen bestachen vor allem durch ihr komisch-mimisches Talent, und Tino Canziani von den Zürcher Sängerknaben meisterte die Rolle des Amor trotz seines jugendlichen Alters mit Bravour und Verve.

Besonders gut gelungen sind Ensemble und Orchester die Unterscheidungen zwischen den drei Gesangsarten, welche Monteverdi für seine «Poppea» vorschwebten: das «recitar cantando», das «cantar recitando» und das «cantare». Hier ist Harnoncourts in zahllosen Aufführungen Alter Musik seit den späten Sechzigern entwickelte Handschrift unverkennbar.

Flimms Pseudo-Modernität
Ein Ärgernis erster Güte ist bei der Zürcher «Poppea» allerdings die Inszenierung von Jürgen Flimm. Der Regie-Guru und langjährige Intendant des Hamburger Thalia-Theaters verlegt die Handlung aus der Feder von Giovanni Busenello aus dem Alten Rom in die heutige Zeit - oder in das, was Flimm dafür hält.

Die Göttinen Fortuna und Virtù sind Putzfrauen im Motel-artigen Gebäudekomplex (Bühne: Annette Murschetz), der sich vor der Pause nach rechts und danach - warum auch immer - nach links dreht. Vor Neros im Chrom-Leder-Schick gestalteten Büro dämmern somnambule Gestalten sinnlos vor sich her. Und Ottavia, die verschmähte Gattin, tritt - man hats befürchtet - in Strapsen auf. Flimm lässt kaum einen optischen Code des Regietheaters der Achtzigerjahre aus.

Auch wenn derartige Pseudo-Modernisierung ziemlich nervt: Der Musik Monteverdis und deren Lesart durch Harnoncourt vermag das nichts anzuhaben. Und um die Musik geht es schliesslich auch bei dieser «Poppea».

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Tages-Anzeiger

21. 2. 2005 / Thomas Meyer

Ein barockes Spiel ganz von unserer Zeit
Eine Art Revival: Nikolaus Harnoncourt dirigiert am Opernhaus noch einmal Monteverdis «L'incoronazione di Poppea», überzeugend unterstützt von Jürgen Flimm.

So kehrt er an den Ort der Tat zurück. Vor bald dreissig Jahren hatte am Zürcher Opernhaus die Claudio-Monteverdi-Renaissance auf der Bühne begonnen, mit Nikolaus Harnoncourt am Dirigentenpult. Ihr Höhepunkt, die eigentliche Entdeckung, war «L'incoronazione di Poppea», Monteverdis mutmasslich letzte Oper von 1642.

Zwar hatte uns der frühe «Orfeo» im Jahr zuvor die immense musikalische Bedeutung dieses Komponisten nicht nur für die Operngeschichte aufgezeigt, aber mit der «Poppea» entfaltete sich ein faszinierendes Drama shakespeareschen Ausmasses, voll farbiger, amoralischer und daher zutiefst menschlicher Figuren, jenseits mythischer Bedeutungen, voller Leben. Umso wichtiger war, dass Regisseur Jean-Pierre Ponnelle ganz auf diese Figuren setzte. Gewiss hatte er sein Konzept mit einem Rahmen barockisierenden Theaters, mit bunten Rüstungen und derlei mehr, so wie sich der Barock die Antike aneignete, aber zuallererst agierten Figuren aus Fleisch und Blut, die uns ganz mozartsch vorkamen mit ihren Widersprüchlichkeiten und die zuweilen der Commedia dell'Arte entsprungen schienen. Das war ganz natürlich gespielt, unverstellt, ohne steife Rituale und ohne die vielen Gags, die bei Ponnelle bald nachdrängten.

Das wiederholen zu wollen: welche Kühnheit! Die prächtige begeisternde Naivität jener Darbietung ist nicht mehr zu beleben, und doch gelang am vergangenen Freitagabend im Opernhaus mehr als eine seichte Rekonstruktion. Das vor allem, weil der Regisseur der Neuinszenierung, Jürgen Flimm, spätestens seit Ponnelles Tod der bevorzugte Partner Harnoncourts, diesmal auf ähnliche Qualitäten wie einst Ponnelle setzt: auf die Figuren, die in dieser Oper lebendig sind wie nur selten auf der Opernbühne.

Seine Szenerie erinnert in nichts an ein barockes Spiel, es ist ganz von unserer Zeit - was keinen Moment stört. Annette Murschetz hat eine Drehbühne (und damit ein wunderbares Sinnbild auch für das Ränke- und Intrigenspiel der Macht) eingerichtet, die sich, den oft raschen Szenenwechseln entsprechend, leicht verändern lässt: Vom Schlafzimmer der Poppea geht es mit einer Drehung zum Bett der Kaiserin Ottavia, von da ins Arbeitszimmer Nerones oder in die Attikawohnung Senecas. An sich hat man Ähnliches in diversen Inszenierungen an der Pfauenbühne der Marthaler-Ära gesehen, auch in der Ausstattung: modern, chic und unpersönlich, etwas schmuddelig, und ständig von Personen bevölkert, die dort eigentlich wenig zu suchen haben. Die drei allegorischen Gestalten des Werks - Tugend, Schicksal und Liebe - verwandeln sich durch die Kostüme von Heide Kastler in Putzfrauen. Seis drum. Es trägt nur wenig zur Deutung dieser drei Gestalten bei, die bei Flimm doch etwas stiefmütterlich behandelt sind, so als könne er wenig damit anfangen. (Zum Glück hatte Harnoncourt weitere Göttergestalten schon vor dreissig Jahren aus seiner Version herausgestrichen.)

Keinen Moment fremd
Schliesslich bringt uns die moderne Kleidung und Ausstattung die Personen doch auf ganz direkte Weise näher, sie bewegen sich darin so frei, als hätten wir ein Drama aus unserer Zeit vor uns. Und weil diese Gestalten jenseits des historischen Rom aktuell sind, weil Flimm sie uns höchst lebendig und leidenschaftlich vorführt, erscheint einem dieses Drama auch keinen Moment fremd. Monteverdis Dramaturgie kommt zum Tragen: Wir haben es, so wünschte er es sich, mit Menschen zu tun. Und Flimm enthält sich allen Gag- und Ideenfirlefanzes, der diese Handlung nur stören würde.

Lebendig genug geht es zu, eben wie bei Shakespeare: Da gibt es heuchlerische Philosophiestudenten und obrigkeitsmüde Soldaten, eine resignierende Alte (Kismara Pessatti) und daneben die Amme der Poppea, Arnalta, eine Rockrolle, die Jean-Paul Fouchécourt skurril überdreht, es gibt die treuherzig liebende Drusilla (Sandra Trattnigg) und den zwischen seinen Gefühlen hin und her gerissenen Ottone (gekonnt unschlüssig der Countertenor Franco Fagioli), schliesslich den überlegenen Stoiker Seneca (László Polgár) und vor allem die tragische Intrigantin Ottavia. Ihr verleiht Francesca Provvisionato eine stilles Pathos, das von feinsten Seufzern aus zu grosser Geste aufsteigt. Selbst die Falschheit kann hier Grösse entwickeln. Da Harnoncourt den Nerone in seiner Bühnenfassung von einem Tenor singen lässt, erleben wir mit Jonas Kaufmann tatsächlich einen virilen lateinischen Macho, der zudem verführerisch singt.

Ein guter Ersatz für Kasarova
Zur Premiere packte sich die Grippe die Protagonistin: Schade natürlich, doch man hatte Glück im Unglück. Wenn man nicht wüsste, dass Vesselina Kasarova sechs Woche detailliertest an der Rolle der Poppea geprobt hat und dass sie allein mit ihrer so souveränen Gestaltungsweise sicher eine höchst persönliche Note hineingebracht hätte, man würde an diesem Abend wenig vermissen. Juanita Lascarro, die innerhalb von zwei Tagen einsprang, geht voll in diesem Konzept auf, spielt leicht und anzüglich, sie strebt ganz kindlich und direkt an die Macht, und sie singt leise und intensiv. Ein guter Ersatz.

Das überhaupt einmal mehr: dieses wunderbar leise Singen und Deklamieren. Es gewinnt an diesem Abend allmählich wieder die alte Bedeutung. Zunächst musste sich das Ohr erst wieder an den Klang des auf Publikumshöhe hochgefahrenen Orchesters La Scintilla gewöhnen, zunächst klang das auch eine Spur zu laut - aber allmählich wurde dieses Ensemblespiel doch immer intimer. Und dann waren alle die Eigenschaften jenes Musizierens wieder vereinigt, das uns vor bald dreissig Jahren so fasziniert hatte: dieses leichte verspielte Agieren, Rezitieren und Singen, das den Worten und Tönen so viel Platz lässt, dass sie sich auf kleinstem Raum entfalten können.

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Zürcher Oberländer

21. 2. 2005 / Sibylle Ehrismann

Historik und Moderne in Harmonie
Premiere von Monteverdis «L'Incoronazione di Poppea» mit Dirigent Nikolaus Harnoncourt im Opernhaus Zürich

In der Geschichte der Oper steht Claudio Monteverdi ganz am Anfang. Er erlebte nicht nur den Wechsel von der höfischen Opernproduktion zum öffentlichen Haus, wo man Eintritt bezahlen musste und was zu rentieren hatte. Als Komponist vollzog er auch eine Entwicklung vom mythologischen Stoff zur Vermenschlichung seiner Figuren. «L'Incoronazione die Poppea» ist denn auch die erste Oper, die mit dem römischen Kaiser Nero und seinen Frauen einen historischen Stoff über sinnliche Begierde eines Machthabers schrieb. Es macht einen heute noch schaudern, wenn man hört und sieht, mit welch knappen und feinen Tönen hier die seelischen Grausamkeiten des mächtigen, sinnenbegierigen Kaisers geschildert werden.

Problematische Grippewelle
Die Dramatik liegt hier im subtilen Wechsel von «recitar cantando» (Sprechen auf Tönen), «cantar recitando» (sprechendes Singen) und dem «cantare», dem eigentlichen Gesang. Diese drei Arten der Ausführungen, so Harnoncourt im Programmheft, können fallweise sogar von Takt zu Takt wechseln. Das erfordert ein Umdenken der Interpreten, denn in dieser minutiösen Ausgestaltung und Durchdringung finden sich bei keinem anderen Komponisten der Musikgeschichte. Es war deshalb besonders heikel, dass ausgerechnet diese Produktion von einer argen Grippewelle heimgesucht wurde, die während der fünf Probewochen fast alle Sänger irgendwann ins Bett riss. Und schliesslich musste nach intensiver und subtiler Probenarbeit Vesselina Kasarova nach der Generalprobe aussteigen. Der Kolumbianerin Juanita Lascarro, welche die Partie kürzlich in Frankfurt gesungen hat, gelang in dieser kurzen Zeit eine szenisch wie musikalisch souveräne Integration.

Drehbühne mit Villa
Überraschenderweise geht auch die Modernisierung auf, die Jürgen Flimm bis ins Detail durchdacht vornimmt. Das Bühnenbild (Annette Murschetz) auf der Drehbühne zeigt die diversen Räume in modernem Design, eine Art heutige Villa. Interessant ist nicht nur, dass man durch runde Luken auch Einblick in die hinteren Räume hat. Die Drehbühne erlaubt auch den schnellen Wechsel der Szenerie, verlangt doch Monteverdi oft nahtlose Übergänge, ja manchmal sogar Überlappungen von einer Szene zur anderen. In dieser Veralltäglichung der Geschichte, die von den relativ schlichten, aber schönen modernen Kostümen von Heide Kastler noch betont wird, geht jedoch eine wichtige dramaturgische Komponente verloren: diejenige von repräsentativer Macht - Nero ist schliesslich Kaiser über das Römische Reich - und der niederen Triebe. Doch das Eintauchen in die Intimität dieser Musik, in die Schattierungen der Stimmführung, in die sparsame, aber wirkungsvolle Instrumentation wird einem auch von der Szenerie her leicht gemacht. Flimm führt die Figuren feinfühlig im musikalischen Duktus; auch einzelne Gesten entsprechen dem musikalischen Verlauf. So gehen modernes Design und historische Musik in ganz natürlicher Harmonie einher. Das Orchester La Scintilla des Opernhauses Zürich ist spürbar auf Harnoncourt, seinen Initianten, eingespielt. Der Continuoklang ist homogen und agil, der der Streicher weich und innig.
Im hochgefahrenen Orchestergraben kann man die alten Instrumente gut sehen: die Lauten, die Schalmeien, die Holzflöten, das Cembalo und die historischen Bässe. Tatsächlich ist der Instrumentalpart der «Poppea» nicht viel mehr als ein Continuo. Doch auch hier gibt es Meister: Continuospieler mit Phantasie und sprechender Gestik. Harnoncourt konzentrierte sich stark auf die Stimmen, ja auf die Worte und schmiegte den musikalischen Part ganz darauf ein. Sehr schön gelangen auch die fliessenden Wechsel zum «cantar», wo jeweils auch der Orchesterklang an Farbe und Dichte gewann. Einzig die sehr schwer zu intonierenden Schalmeien leisteten sich vor allem zu Beginn noch auffällig starke Patzer.

Berauschender Liebhaber
In der Rolle des Nerone debütierte der junge Münchner Tenor Jonas Kaufmann mit überzeugender, zuweilen gar betörender Ausstrahlung und schillernder Farbgebung. Er ging ganz im berauschten Liebhaber auf und fand in den Duetten mit seiner geliebten Poppea zu vibrierendem Schmelz. Juanita Lascarro wirkte als Poppea trotz des enormen Drucks locker, selbstbewusst und stilsicher. Im Wechsel von der verführerischen zur machtgierigen Frau fand sie viele Facetten. Ihr gegenüber vermochte auch Francesca Provvisionato als von Nero verbannte Ehefrau Ottavia mehr zu geben als die tragisch Betrogene. Mit starker Haltung und seelischer Präsenz wirkte sie mit ihrer strahlenden Mezzostimme bis zum Schluss schön und souverän.

Starke Stimmen
Selten sind die gut in ein Ensemble integrierten Countertenöre. Franco Fagioli fand in seinem Rollendebüt als der von Poppea betrogene Ottone ein verblüffend natürliches, weinerliches und verspieltes Profil, das keine Überzeichnung nötig hat. Prägend ist auch der Auftritt von Jean-Paul Fouchécourt in der komischen Altuspartie der Poppea-Amme Arnalta, welche er mit bohrendem Timbre und markanter Präsenz gestaltete. Grossartig dazu die tiefe Bassstimme von Lászlê Polgár, der als in Ungnade gefallener Nero-Berater Seneca eine alles grundierende Gelassenheit ausstrahlte. Auffallend waren zudem die quirlige Stimme von Sandra Trattnigg in ihrem Drusilla-Debüt und die junge, eigenwillige Altistin Kismara Pessatti als Amme der Kaiserin.

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