Aufführung
|

1. 6. 2003 (Première)
*
Musikalische Leitung: Vladimir Fedoseyev
Inszenierung und Ausstattung: Piero Faggioni
Chor: Jürg Hämmerli
Lichtgestaltung: Piero Faggioni
Choreographie: Mariano Brancaccio
*
La belle Dulcinée: Vesselina Kasarova
Don Quichotte: Ruggero Raimondi Sancho Pança: Carlos Chausson
Pedro: Jennifer O'Loughlin
Garcias: Tamara Gura
Juan: Rudolf Schasching
Rodriguez: Martin Zysset
1er servant: Kerem Kurk
2e servant: Sergey Aksenov
Bandits: Vladimir Jurlin, Thierry Duty, Manuel Adarve
SYNOPSIS / LIBRETTO français deutsch
|
Rezensionen
|
|

3. 6. 2003
Theater im Theater, von gestern
Massenets «Don Quichotte» im Zürcher Opernhaus
Schon im Roman von Cervantes ist Don Quichotte eine Gestalt aus anderer Zeit, Repräsentant eines überlebten Rittertums, Streiter für das Edle und Gute. Doch den Idealen, für die er eintritt, verdankt er seine Unsterblichkeit. Auch Piero Faggionis Inszenierung der «Don Quichotte»- Adaption von Jules Massenet ist nicht von heute. 1982 erlebte sie in Venedig ihre erste Premiere, elf weitere Einstudierungen auf drei Kontinenten folgten. Jetzt ist sie in Zürich angelangt. Eine Musteraufführung demzufolge, zeitlos wie der Ritter von der traurigen Gestalt? Nein, diese Einstudierung hat sich definitiv überlebt, und man versteht nicht, weshalb das Opernhaus in seiner mit «Hérodiade», «Werther» und «Thérèse» begonnenen Massenet-Retrospektive für «Don Quichotte», eines der Hauptwerke, gerade auf Faggioni verfallen ist.
Der italienische Theatermann hat als Regisseur, Ausstatter und Lichtgestalter in Personalunion der Comédie héroïque gleich einen doppelten Überbau verpasst. Ein pantomimisches Vorspiel (zur Entracte-Musik vor der Sterbeszene) zeigt Don Quichotte mit einem Folianten in einer Dachkammer: Der Held liest im Buch seines abenteuerlichen Lebens. Dieses Bild verwandelt sich dann in den eigentlichen Schauplatz, einen zum Kohlelager umfunktionierten Kornspeicher mit portalartiger Öffnung und Galerie. Allerdings muss man das Programmheft konsultieren, um dieses Bauwerk identifizieren zu können, denn Faggionis Bühne bleibt in allen fünf Akten dunkel und schummrig. Der zweite Überbau, nach der Rückblendeperspektive, besteht darin, dass die Handlung von einer Wandertruppe als Theater im Theater dargestellt wird. Auch das Publikum (in Kostümen aus der Entstehungszeit der Oper) fehlt nicht, unten, nahe am Geschehen, die Proletarier, oben auf der Galerie, distanziert, die reichen Bürger.
Wie viel Probezeit ist wohl investiert worden in die Organisation der vielköpfigen Statisterie und des Chores, das Timing des Armeschwenkens, die Erzeugung der Nebelschwaden und Projektionen, die Flügelschläge des Pegasus, die Bewegungen von Don Quichottes Rosinante und Sancho Pansas Esel, den Schneefall in der Sierra, das Rotieren der Windmühleräder, die Integration der Tanzszenen? Zeit, die offensichtlich bei der Ausarbeitung der Rollenporträts gefehlt hat. Dass Ruggero Raimondi sich auf der überfüllten Bühne als Protagonist behaupten kann, ist einerseits seiner natürlichen darstellerischen Autorität, anderseits seiner Vertrautheit mit der Inszenierung zu verdanken. Seine grossen, prägnanten Gesten und seine ausdrucksvolle Mimik bleiben auch unter solchen szenischen Gegebenheiten noch lesbar. Und wie er die Partie - 26 Jahre nach seinem Don-Quichotte-Début in Zürich - sängerisch gestaltet, hat imposantes Format: mächtig auftrumpfend in der Heldenpose, bezwingend suggestiv in der «Bekehrung» der Räuber, ergreifend zart im Schmerz nach Dulcinées Verweigerung und in der Sterbeszene.
Während Raimondi mit souveräner Meisterschaft «seinen» Don Quichotte gibt, fasziniert Vesselina Kasarovas Dulcinée-Début gerade deshalb, weil es die Mezzosopranistin auf dem Weg zu einem eigenen Rollenbild zeigt, einem Rollenbild, das ganz aus ihrem Stimmcharakter entwickelt ist. Kasarovas Dulcinée hat in Erscheinung und vokalem Volumen durchaus die Allüre der mondänen Kurtisane, aber was sie menschlich gross macht, ist die Empfindsamkeit, die sich in den subtilen Schattierungen ihres Timbres ausdrückt. Unvergesslich die Szene, da Dulcinée den Heiratsantrag Don Quichottes, der sich am Ziel seiner Träume glaubt, zurückweist. Da werden Lachen und Schmerz, Härte und Mitleid gleichsam in einem Atemzug Klang. Es schwingt in dieser «voix enjôleuse» so viel Melancholie und Sehnsucht mit, dass Dulcinée als Geistesverwandte, als weibliches Pendant Don Quichottes erscheint. Doch die Oper hätte noch eine dritte Hauptfigur, den treuen Diener und Freund Sancho Pansa. Ihn lässt Faggioni buchstäblich im Schatten stehen, obwohl Carlos Chausson die ihm neue Partie mit Hingabe und ebenso differenziertem wie intensivem Ausdruck singt.
Dass Alexander Pereira als musikalischen Leiter dieser Aufführung Vladimir Fedosejev verpflichtet hat, mochte zunächst trotz der russischen Aufführungstradition des 1910 von Schaljapin aus der Taufe gehobenen Werkes erstaunen. Fedosejev legitimiert die Wahl mit seiner grossen klanglichen Sensibilität und rhythmischen Geschmeidigkeit, und das Orchester setzt etliche solistische Glanzlichter. Die Forte-Teile allerdings klingen zu wenig durchgeformt, zu einförmig laut. - Was hätte mit dieser Besetzung aus Massenets letzter Oper werden können . . .
Marianne Zelger-Vogt
top
|

3. 6. 2003
Windmühlenkämpfe hinterm Gazevorhang
Mit Jules Massenets «Don Quichotte» beschwört das Zürcher Opernhaus eine legendäre Inszenierung. Leider können auch Legenden altern. Am Sonntag war Premiere.
Von Michael Eidenbenz
«Don Quichotte, c’est moi», sagt Regisseur Piero Faggioni selbstbewusst und ohne jede Ironie im Programmheft. Wie Recht er damit hat! Es ist tatsächlich ein Kampf gegen Windmühlen, den der italienische Regisseur hier ficht, ein Kampf gegen unsichtbare, längst von der Theaterwelt verschwundene Gegner. Ein grossherziges Gefecht mit veralteten Waffen gegen einen Zeitgeist, der angeblich keine geistigen Werte mehr kenne. Nur, und darin unterscheidet sich der Regieheld von seiner Identifikationsfigur, ist das Resultat keine tragikomische Satire, sondern sentimentale Nostalgie - und verstaubt.
Doch von vorne: Seit 21 Jahren gilt Faggionis Inszenierung als Massstab für Jules Massenets letzte, 1909 vollendete Oper. Sie hat dem einst von der Theaterwelt gnädig vernachlässigten Werk eine Renaissance beschert, die 1972 im Teatro la Fenice in Venedig begann und unterdessen rund um die Welt Erfolge feierte, wie die im Programmheft abgedruckten Presseausschnitte belegen wollen. Von allem Anfang an in der Titelrolle mit dabei: Ruggero Raimondi.
Nun will sich also auch das Zürcher Opernhaus am angeblich legendären Ruhm dieser Tat beteiligen und stellt seine versammelten Kräfte von Orchester, Chor, Statistenverein, Kinderschar, Ballett, aufwändigster Bühnenbildarbeit und Kostümschneiderei (auch die Ausstattung stammt von Faggioni) sowie eine prominente Besetzung, Raimondi inklusive, in den Dienst von Faggionis Botschaften, die da lauten: Das Leben ist ein Traum, heutzutage sind andere Regisseure nicht mehr zu seriöser Detailarbeit fähig, ausgeklügelte Lichteffekte sind per se interessant, und ein Gazevorhang vor der Szenerie verleiht dieser geheimnisvolle Tiefe. Einfache Botschaften, geradlinige Behauptungen, frei von jener dialektischen Spannung, die in Cervantes’ kapitalem Roman einst das Potenzial für weltliterarische Gültigkeit ausmachte.
Frömmelnder Kitsch
Sie treffen sich immerhin mit Massenets Musik, die, im Einklang mit Henri Cains Libretto, Cervantes’ subversiven gesellschaftlichen Aussenseiter ihrerseits in mehreren Schritten zu einer Art Welterlöser umbiegt: Ein Gebet, von Orgel begleitet, und der frömmelnde Kitschtiefpunkt der Partitur stimmen eine böse Räuberbande gnädig. Dulcinée macht durch ihren verlachten Verehrer einen Gefühlswandel durch und erkennt in ihm zuletzt zwar immer noch einen Narren, aber immerhin einen vergeistigt sublimierten. Und Sancho Panso schliesslich erklärt am Ende seinen Herrn kurzerhand zu einem zweiten Jesus «im Apostelgewand». Es darf nun mal nicht anders sein in der betulichen alten Opernwelt: Das Gute muss eindeutig sein. Und das Gute ist bei Faggioni der Lebenstraum des Poeten Don Quichotte, der zur Ouvertüre schwelgend in seinen verstaubten Ritterbüchern liest. Die mit Flügeln zum Pegasus verwandelte Rosinante ist das Markenzeichen der Inszenierung. Und Don Quichotte selber ist der poetische Protagonist eines Theaters im Theater, das sich auf einer improvisierten Bühne in einem spanischen Getreidespeicher vor schaulustigem Volk in Kostümen aus Massenets Belle Epoque abspielt. Poesie also wäre gemeint - nach 21 Jahren ist daraus übersättigte Theaterromantik geworden.
Immerhin: Pittoreske Szenen gibts zu sehen. Charmant sind die Kinderritter auf ihren Rösschen, die als Kopfgeburten des «Chevalier de la longue figure» über die Bühne tänzeln. Iberophile Balletteinlagen, für einmal durchaus freiwillig komische Degenfechtereien, eine Räuberbande, die einer «Hotzenplotz»-Aufführung vom Hechtplatz-Theater entsprungen sein könnte, und ein zum Schattenspiel aufgeblähter drastischer Windmühlenkampf zu einem Stück fulminanter Orchestermusik bieten dem allenfalls kindlich staunenden Zuschauerblick Nahrung.
Erotische Zurückhaltung
Und auch dem - anspruchsvolleren - Ohr wird etliches geboten, freilich oft ebenso dick aufgetragen, wie es die Szenerie tut. Den vokal differenziertesten Auftritt hat als Dulcinée Vesselina Kasarova, die die glänzende Strahlkraft ihrer Stimme mit geradezu diseusenhafter Zurückhaltung als erotische Verlockung für ihre Verehrer präsentiert. Und selbst eine ihr von der Regie auferlegte flamencoartige Einlage meistert sie ohne grosse Peinlichkeit. Carlos Chausson gibt mit aufgedrehtem Komikwillen einen Bilderbuch-Sancho. Der Chor bewältigt die Tücken seiner Einsätze ohne allzu viel Einbusse an koordinatorischer Präzision, und Vladimir Fedoseyev führt das Orchester der Oper solide durch den Abend, Massenets Musik freilich eher herb parfümierend und in den spanischen Tanz- und Volksszenen reichlich handfest einfahrend. Dafür erhält So-locellist Luciano Pezzani dank des als Ou vertüre vorgezogenen Vorspiels zum letzten Akt gleich zweimal Gelegenheit, in einem Geschenk von einer Cellomelodie an die Tränenkanäle zu rühren.
Grosser Sänger, kleine Wirkung
Und Ruggero Raimondi? Noch immer schwingt er sich mit grotesker Würde auf sein Rosinante-Wägelchen, fuchtelt mit dem überlangen Speer und ist sich nicht zu schade, die konventionelle Opernpose für einmal mit etwas Komik zu drapieren. Doch wo ist an diesem Abend seine legendäre Bühnenpräsenz geblieben? Wo das grosse, freie Strömen seiner berühmten Stimme? Wo die kraftvolle Tiefe, wo die makellose Intonation und die agile Gestaltung? Wenige anrührende Momente gehen von dem zweifellos noch immer grossen Sänger aus, doch es scheint fast, als sei hier eine Sängerlegende in der Falle des legendären Ruhms gefangen. Don Quichotte aber ist keine Legende, weder eine fromme wie bei Massenet noch eine Inszenierungsantiquität wie bei Faggioni, sondern ein immer neu zu belebender, gegen den Weltgeist reitender göttlicher Narr. Diesem konnte das Publikum an diesem Abend nicht begegnen, es beschränkte seinen Applaus auf wohlwollende Höflichkeit.
|
3. 6. 2003
Schnee von gestern
von Roger Cahn
Ein faszinierendes Sängertrio in einer verstaubten Aufführung: Das Opernhaus Zürich spielt Jules Massenets «Don Quichotte». Das Publikum hat an der Premiere vom Sonntag höflich applaudiert.
Der «Ritter mit der jämmerlichen Gestalt» kämpft zusammen mit seinem Diener Sancho Pansa gegen Windmühlen, um das Herz seiner geliebten Dulcinea zu gewinnen. Der Komponist Jules Massenet nimmt in seinem Alterswerk den armen, edlen Don Quichotte zum Anlass, über seinen eigenen Tod zu sinnieren. Die wunderbare Geschichte wird dabei bloss als Staffage genutzt.
Höhepunkt der Aufführung: Zum Dank für das von den Banditen zurückeroberte Collier küsst die schöne Kurtisane den mutigen Helden höflich auf die Stirn. Von Liebe keine Rede, der Kuss bricht dem Ritter das Herz. Er will nur noch sterben.
Regisseur Piero Faggioni hatte 1982 in Venedig mit seiner Inszenierung dem Werk zum internationalen Durchbruch verholfen. Seither zieht er mit seinem Titelhelden, dem Bass-Bariton Ruggero Raimondi, um die Welt. Beide werden nicht jünger, frische Ideen fehlen - ein Erfolg setzt langsam Staub an.
Am Dirigentenpult in Zürich steht Vladimir Fedosseyev, ein Russe, dem die Interpretation französischer Musik nicht in die Wiege gelegt worden ist. Keine Spur von Transparenz und Leichtigkeit, die Massenets Musik zum Seelenbalsam machen können. Weil ihn die Partitur stark zu beschäftigen scheint, fehlt der Blick des Dirigenten auf die Szenerie. Folge: immer wieder Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben.
Bleiben als Positivpunkte eigentlich nur die drei Solisten: Überragend und ans Herz gehend Ruggero Raimondi als träumerischer, zerbrechlicher Ritter. Klangschön und bewegend - vor allem im zweiten Teil der Oper - Vesselina Kasarova als «la belle Dulcinée». Stimmstark und witzig Carlos Chausson als Sancho Pansa.
Fazit: Eine Story aus der Klamottenkiste der Literatur, ein alter Komponist und ein Regisseur, der mit seinem Werk seit über 20 Jahren durch die Welt tingelt - Oper nach dem Motto «Schnee von gestern».
|

3. 6. 2003
Spanien aus dem Freizeitpark
Massenets «Don Quichotte» am Opernhaus
Die Seventies sind grad gross in Mode. Auch das Zürcher Opernhaus setzt auf das Revival und brachte eine Inszenierung von Jules Massenets letzter Oper «Don Quichotte» auf die Bühne, die 1982 von Piero Faggioni für Venedig entworfen wurde. Und inzwischen Staub angesetzt hat.
REINMAR WAGNER
Haufenweise Trockeneis und Schneeflöckchen, Kinderscharen und pittoreske Tänzerpärchen, ein Pegasus mit schwingenden Flügeln als Höhepunkt, einige Anklänge an berühmte Bilder von Picasso und anderen und viele, viele Choristen und Statisten, die als graubraune Masse kaum wahrgenommen werden: Bilder, die vielleicht einem einfachen Gemüt poetisch erscheinen mögen oder die mit ihren pittoresken Massenszenen und den vielen Kinderchen auf Sympathiepunkte ausgehen, Bilder aber, die auf den zweiten Blick alle so verzweifelt an Disneyland erinnern: Alles unecht, falsch, nachgemacht ohne eigenes Leben, ein Spanien aus dem Freizeitpark, mit mystischen Kirchen und entrückten Gebirgslandschaften und vor allem abgetrennt vom Auditorium durch einen schwarzen Gaze-Vorhang, der für Atmosphäre und Tiefenwirkung sorgen soll, aber nichts weiter bewirkt als Distanz und Unschärfe.
Antiquiert
Es ist schon seltsam, wie sehr diese Aufführung antiquiert wirkt. Sie mag schon vor 20 Jahren nicht als Meisterstück der Regie-Avantgarde gegolten haben, aber die Begeisterung, die sie damals und auf den vielen Stationen, an denen diese «Opern-Legende» in der Zwischenzeit gezeigt wurde, auslöste, ist kaum nachvollziehbar. Und sogar die Lichtregie, für die ebenfalls Faggioni verantwortlich ist, die damals für ihre Präzision und ihren Stimmungsgehalt überschwänglich gelobt wurde, kommt uns heute platt und verschwommen vor. Auch das Zürcher Publikum, das allgemein traditionellen Inszenierungen nicht abgeneigt ist, konnte offenbar wenig damit anfangen, jedenfalls liess es sich ausser für den buffonesken Carlos Chausson in der sehr klamaukig aufgefassten Dienerrolle des Sancho Pansa kaum zu Begeisterungsstürmen hinreissen. Ein wenig besser fiel das Resultat aus, wenn Faggioni auf die Hauptpersonen fokussierte. Hier immerhin schaffte er es, die Emotionen seiner Figuren glaubhaft zu machen. Nicht von ungefähr wurde der vierte Akt zum Zentrum der Aufführung, wo sich Dulcinée und Don Quichotte wieder begegnen und beiderseits wirklich intensive Gefühle durchleben.
Paraderolle
Der in Zürich (und weltweit) hochgeschätzte Bariton Ruggero Raimondi stand schon bei der ersten Aufführung 1982 in Venedig als Titelheld auf der Bühne. Eine veritable Paraderolle: Der edelmütige Ritter, der heldenhaft gegen Windmühlen kämpft, der kraft allein seiner Worte die Banditen besänftigt, der auch der koketten, unglücklich angebeteten Dulcinée ein paar verstohlene Tränen entlockt und der schliesslich an seinem durch die Liebe verletzten Herzen stirbt. Raimondi hat die Partie aber mit Sicherheit schon bezwingender gesungen, präsenter und sicherer in der Intonation. Immer noch zeichnete er einen anrührenden Titelhelden, überzeugend aber vor allem in seinen müden und resignativen Zügen. Vesselina Kasarova sang die Dulcinée, mit viel Souplesse, Koketterie und glockenreinen Koloraturen. Und sie machte deutlich: Die Carmen, die sie noch nie auf der Bühne gesungen hat, hat sie nicht nur in der Stimme, sondern auch in den Tanzbeinen, in ihrem Lächeln und in ihrem Charme.
Plakativ und platt
Aber auch bei ihr: Wie dieser schwarze Gazevorhang Bühne und Publikum trennte, konnte kein Funken springen: Es ist vor allem die optische Distanz, die stört, nicht so sehr die akustische. Die drei wichtigsten Stimmen kamen ohne Mühe durch den Vorhang, abgesehen von einigen sehr tief gesetzten Stellen. Raum erhielten sie auch genügend vom Orchester. Vladimir Fedoseyev hielt die Dynamik meistens auf sängerfreundlichem Niveau, ganz abgesehen davon, dass auch Massenet sich in seiner Orchesterbegleitung schon sehr erfinderisch gezeigt hatte, was schlanke Klangbilder betrifft, die dafür oft kontrastiert werden durch satte Tutti-Akzente. Solche Kontraste herauszuarbeiten hatte Fedoseyev keine Probleme. Aber dennoch ist Massenet sicher nicht sein Repertoire: Zu wenig Gespür entwickelte er für die vielseitige, delikate Palette der Klangfarben, für die Nuancen und Schattierungen der Instrumentation und für Finessen der Verschmelzung von Gesang und Begleitung. Er muss dieses Defizit gespürt haben und versuchte, mit dem Verstärken der rhythmischen Energie und dem Ausweiten des dynamischen Spektrums zu korrigieren. Mit dem Ergebnis, dass vieles plakativ und manches platt wurde, was nur in einem austarierten Zusammenspiel von typisch französischer Musikästhetik und Musizierweise sinnvoll und sinnlich wird.
|

3. 6. 2003
Eine Lanze für die Poesie
Es ist ein ewiges Bild: Don Quichotte zu Pferd, mit hoch ragender Lanze. Im Opernhaus Zürich ist Ruggero Raimondi der wunderbare, einfältige Abenteurer, der für die Poesie und Bühnenmagie sein Leben gibt.
Herbert Büttiker
War es ein Traum? Wir sitzen vor dem schwarzen Portalschleier, das Zwischenspiel, das Massenet für den Platz vor dem letzten Akt vorgesehen hat und das auch als «Méditation» bezeichnet werden könnte, eröffnet den Abend, und mit dem Gesang des Violoncellos beginnt die Verzauberung: Wie aus dem Dunkel einer rembrandtschen Leinwand taucht das Bild auf, Don Quichotte lesend, in seiner Bibliothek, dann aus noch tieferem Dunkel Pegasus, das weisse Flügelpferd. Der Ritter-Poet besteigt es und fliegt weg auf uns zu, ins Theater. Die Bühne ist nun ein Innenhof, dunkles Gemäuer, ein Gewoge von Menschen. Es ist Nacht, und erwartet wird vor einer kleinen Bretterbühne die Aufführung einer Truppe, die «Don Quichotte» spielen wird. Oder ist es doch Don Quichotte selber, der auftritt? So klar lässt sich das nicht trennen, Theater und Theater im Theater, Illusion, Wirklichkeit. Wie im Traum. Oder in der Bühnenkunst: Don Quichotte auf dem Holzpferd, der Kampf gegen die Miniatur-Windmühlen alles Effekte, die uns nicht täuschen, sondern gewinnen. Oder in der Malerei: Was Piero Faggioni, Regisseur, Ausstatter und Lichtmaler, mit unendlich differenzierter Beleuchtung aus der Dunkelheit der Bühne und aus den farbigen Kostümen wunderbar herausmodelliert, scheint von den grossen Malern des 17. Jahrhunderts zu kommen oder von Goya, dessen Fahne mit dem Maskenkopf aus «Entierro de la sardina» über die Bühne getragen wird und dessen «Koloss» im Hintergrund auftaucht, wenn Don Quichotte die Windmühle attackiert, in der er einen «schrecklichen Riesen» erkennt.
«Un fou sublime»
Auch Don Quichotte und Sancho Pansa treten uns in aller Detailtreue aus der malerischen Tiefe des Bildraums hervor. Aber in der vielfachen Brechung des Erzählerischen sind sie nun doch weit mehr als die Verkörperung aller bekannten Klischees. Von der blossen Illustration der Cervantes-Figur über das Doppelspiel als Dichter in der stillen Kammer und Darsteller auf der lärmigen Volksbühne mündet die Interpretation schliesslich in die Selbstdarstellung und die Reflexion eines Theatermenschen über seine Bühnenexistenz. Anders gesagt: So wie «Don Quichotte» als Spätwerk von Jules Massenet eine Meditation über das eigene Künstlertum war, ist der Abend auch eine Hommage an den Bassisten Ruggero und an das Operntheater, über das gesagt werden kann, was Dulcinée über Don Quichotte sagt: «Oui, peut-être est il fou, mais c'est un fou sublime.» Das begründet auch die anhaltende Faszination, die von dieser Inszenierung ausgeht, die schon um die halbe Welt gegangen und an vielen grossen Bühnen nachgespielt worden ist. Zum ersten Mal herausgebracht hat sie Piero Faggioni 1982 in Venedig mit Ruggero Raimondi in der Titelpartie. Aber eigentlich möchte man ihre Anfänge noch weiter zurück vermuten bei der Uraufführung (1910 in Monte Carlo mit Fjodor Schaljapin als Don Quichotte). Andererseits ist sie auch immer neu. Denn der Regisseur reist mit ihr und feilt weiter. Die Zürcher Einstudierung bedeutete eine weitere Runde mit Ruggero Raimondi, seinem Ur-Don-Quichotte, daneben aber vor allem die Arbeit an Rollendebüts in sämtlichen weiteren Partien, die Arbeit mit Chor, Statisten, Solotänzern und Ballettschule, die von Faggioni effektvoll ins Bild gerückt werden und sich, sei es darstellerisch oder musikalisch, in Hochform zu einem Ganzen fügen.
Der dicke Bauch, la Belle Figure
Glänzend vorab die beiden Hauptrollen-Debüts. Carlos Chausson gibt einen Sancho Pansa wie aus dem Buch, und als ob er, der markig-hagere Komödiant, für diese Partie, für die er sich einen Bauch umschnallen muss, geschaffen wäre. Die für ihn neue Breitspurigkeit mag da und dort vielleicht noch ein wenig gemacht wirken, aber die Mimik ist köstlich, die ihm eigene Lakonik im stimmlichen Ausdruck wunderbar treffend, und die Wandlung vom mürrischen Diener zum treuen Beschützer seines Herrn gestaltet er mit bewegender Stimmfülle und Ausdruckskraft. Ein vokales Feuerwerk zündet Vesselina Kasarova als Dulcinée gleich mit ihrem ersten Auftritt. Musikalisch gibt es ein wenig die Tendenz zum Extremen, zu gar abgedunkelten Tiefen und zu Pianopassagen, die sich zu verlieren drohen, aber das bedeutet wenig. Noch bevor der Chevalier de la Longue Figure auftritt, ist sie glänzend präsent, die noble Dame de la Belle Figure. So hat sie Massenet gewollt: die Frau, nicht in der Einbildung des halluzinierenden Ritters, sondern in ihrer verführerischen Pracht und den melancholischen Schatten, die diese wirft. Das musikalische Ambiente Spaniens Carmen gab dafür Koloratur und Melismatik vor: eine sängerische Bravour, die Vesselina Kasarova mit ihrem beweglichen und klangschönen Mezzosopran zum Funkeln bringt und die sie auch temperamentvoll in ihre Glieder fahren lässt. Ihre prekäre Seelenlage wird aber nicht minder deutlich, und wie sie die Zerrissenheit zwischen Spott und Schmerz zum Ausdruck bringt, mit der Dulcinée Don Quichottes lächerlichen Heiratsantrag zurückweist, trägt dann bei zur grossartigen Wirkung der Peripetie dieser Oper. Don Quichotte geht hier, am Ende des vierten Aktes, sozusagen aufrecht zusammengebrochen und gestützt von Sancho Pansa, von der Bühne. Ruggero Raimondi ist hier, im stummen Spiel, ganz Darsteller, und davon lebt die Figur überhaupt, von der Sensibilität, mit der Raimondi ihren Stolz und ihre Demut, ihre Naivität und Weisheit, Skurrilität und Würde, Stärke und Hinfälligkeit ineinander mischt. Aber noch entscheidender ist die Klanggestalt, zu der Raimondi den traurigen Ritter macht: mit dem samtenen, dunkel-gereiften Timbre. Das leuchtet in den Momenten des in sich gekehrten Monologisierens wie für sich selber, im visionären Pathos des «fou sublime» glüht es heftig auf, und es verströmt sich in voller Wärme, wenn sich sein Don Quichotte seinem Gegenüber zuwendet, seien es Kinder oder Banditen, sei es die angebetete Dulcinée, sein Diener oder auch sein alter Klepper Rosinante. In dieser Deckungskraft von Musikalität und Menschlichkeit, die das Geheimnis dieser Figur ausmacht, feiert auch Raimondis Kunst einen Triumph.
Trauer, spanischer Schwung
«J'ai lutté pour le bien, j'ai fait la bonne guerre!» Don Quichottes Fazit vor seinem Tod mochte auch Massenets eigenes sein, der 1910 wusste, dass seine Zeit vorbei war. Der Klang seines Orchesters changiert zwischen der Trauer über eine versinkende Welt und dem Aufbäumen in lebenstrunkener Vergessenheit. Unter der Leitung von Vladimir Fedoseyev entfaltete sie die kostbar gehaltene Farbigkeit in allen Nuancen, die die Inszenierung so stimmig auffängt. Aber eine gewisse Statik bremst auch ihren spanischen Schwung auch dies aber im Einklang mit dem Szenischen, das alles bunte Spektakel hinter dem schwarzen Portalschleier in der Ferne hält, in einer Ferne freilich, die Poesie und Bühnenmagie bedeutet.
|

3. 6. 2003
Oper und die Kunst des Karikierens
Premiere von Jules Massenets Oper «Don Quichotte» im Opernhaus Zürich
In der auf lange Sicht geplanten Massenet-Wiederbelebung des Opernhauses Zürich hatte am Sonntag Massenets letzte und zu seiner Zeit sehr erfolgreiche Oper «Don Quichotte» Premiere. Nach «Hérodiade», «Werther» und «Thérèse» lässt «Don Quichotte» noch einmal den feinfühligen Tragikomiker Massenet aufklingen, der in seiner Jugend ja zuerst mit Komödien Erfolge feierte.
Mit Ruggero Raimondi konnte die ausgesprochen anspruchsvolle Titelpartie des träumerischen Ritters ideal besetzt werden. Vladimir Fedoseyev und der Regisseur Piero Faggioni sorgten für eine plastische, real-traumhafte Szenerie von subtiler Sentimentalität.
Die schöne Dulcinea
Die unsterbliche Figur des fahrenden Ritters Don Quijote des spanischen Dichters Miguel de Cervantes Saavedras (1547-1616) hat viele Komponisten inspiriert. Massenet liess sich aber nicht von Cervantes, sondern von einer damals sehr erfolgreichen Dramatisierung des Stoffes von Jacques Le Lorrain anregen. Genial fand Massenet bei Le Lorrain, dass er Cervantes Dulcinea, eine hässliche Wirtsmagd, durch die originelle und bildhübsche Dulcinea ersetzte. Kein Wunder, war doch Massenet selbst ein unverbesserlicher Bonvivant. Dabei entging ihm aber der eigentliche Clou der Geschichte, die Tatsache nämlich, dass sich der «Ritter von der traurigen Gestalt» eben in eine Phantasiewelt hineinsteigert und sich gerade nicht in die reale Schönheit verliebt. So aber steht er an der Kippe zu einem lächerlichen, alten Gockel. Doch Massenet gelingt es in seiner feinfühlig psychologisierenden Schreibweise, die abstrus-tragische Gestalt des phantasierenden Ritters pointiert und eindringlich zu erfassen und sie meisterhaft mit dem einfältigen Realismus des Sancho Panza zu kontrapunktieren. Seine Kunst des Karikierens beruht auf eklektischen Elementen. So zum Beispiel in Don Quichottes Ständchen «très amoureusement», bei dem er sich auf einer Mandoline begleitet. In Anlehnung an die Wagnersche Leitmotivtechnik durchzieht diese «Leitmelodie» die ganze Oper in mehreren Varianten und greift in die Handlung ein. Oder dann Don Quichottes feierlicher Auftritt im vierten Akt, im «alten» Tempo di menuetto maestoso, eine rührende Parodie seiner selbst.
Spott und Sentimentalität
Vladimir Fedoseyev gelingt eine einfühlsame Deutung dieser Gratwanderung zwischen Illusion, Sentimentalität und realem Spott. Zwar weist Massenets Musik einige Plattitüden und etwas gar viel Süssliches wie allzu dominante Harfenklänge auf, doch es gibt auch echt erschütternde Momente. Einer gehört Vesselina Kasarova als Dulcinée, deren ambivalentes Wesen als vermeintlich fröhliche, glanzvolle Kurtisane plötzlich einbricht. Ihre Arie im vierten Akt, in welcher sie dem erfolgreich zurückkehrenden und um ihre Hand bittenden Don Quichotte ihre echte Bewunderung ausdrückt, um ihm gleichzeitig eine Absage und damit den Todesstoss zu erteilen, singt sie mit betörender Eindringlichkeit und gefühlvoller Echtheit. Dazu die zarten Orchesterfarben, von Fedoseyev mit subtiler Zurückhaltung zum Leuchten gebracht - es stockt einem der Atem. Doch die Oper gehört ja eigentlich den Männern, den ganz unterschiedlichen Bassstimmen des Don Quichotte und des Sancho Panza. Dieses Schillern in den dunklen Farben, diese weichen melodischen Wendungen und die unendlich vielen Nuancen im Ausdruck verlangen höchste technische und gestalterische Reife. Ruggero Raimondi zählt zu den grossen Sängerdarstellern dieser Riesenpartie, in welcher er 1977 unter Nello Santi in Zürich debütierte. Raimondi kennt die Regungen dieser tragikomischen Figur sehr genau und weiss immer im richtigen Moment vom Komischen zum innerlich Heroischen, vom wild Kämpfenden zum Enttäuschten, vom Liebesbegehren zum Sterbenden zu wechseln. Nichts wird überzeichnet, nichts wird verpasst, jeder Moment ist durchdacht und echt gestaltet. Dem Don-Quichotte-Charakter kommt auch seine baritonale Stimme entgegen, die den grossen Atem in der weit ausgebreiteten Tiefe ebenso tragend auszuströmen weiss, wie sie die leichteren, aber immer hintersinnigen melodischen Wendungen pointiert zur Geltung zu bringen vermag. Raimondi schien sich auch in der Inszenierung von Piero Faggioni sehr wohl zu fühlen, die auf eine reale, überdimensionierte Traumwelt setzt.
Traumwelt auf der Bühne
Faggioni entwickelt die Geschichte mit gut motivierten Lichteffekten aus der Studierstube des Don Quichotte heraus, in welcher der Lesende in Erinnerungen schwelgt und zu träumen beginnt. Ein riesiges geflügeltes Pferd schwebt in der Ouvertüre heran und trägt ihn fort. Die charakteristischen Reittiere, das Pferd von Don Quichotte und der Esel von Sancho Panza, werden in Originalgrösse auf Rollen herumgezogen und sind durch Scharniere gut beweglich. So kann der Kopf des Pferdes Zustimmung nicken oder Neinwippen, er kann entspannt hängen oder aufgerichtet hohe Aufmerksamkeit mimen. Daneben der trottlige Esel von Sancho, dem liebenswürdigen einfachen Knappen. Carlos Chausson verleiht ihm in diesem Rollendebüt eine sympathische, pointiert viel sagende Gestalt und hebt sich damit von der spottenden Gesellschaft um Dulcinée wirkungsvoll ab. Chausson singt mit warmem Strahl und schimpft mit einfachem Gemüt über die Weiber. Echte Knappen-Grösse mimt er in der Verzweiflung über den sterbenden Herrn im fünften Akt, und das mit erschütternder Hingabe.
Chor markant eingesetzt
Umgeben werden diese «komischen» Protagonisten von einem Heer von Choristen, spanischen Tänzern, Kindern und vielen Statisten. Das Volksfest, bei welchem Dulcinée sich feiern lässt, wird üppig ausgelebt. Von schlichter, musikalisch einfühlsamer Präsenz sind dabei die beiden Solotänzer Fabiana Maltarolli und Ákos Sebestyén, die im Wirrwarr des Volksfestes ruhige Akzente setzen. Der Chor (Einstudierung Jürg Hämmerli) tritt szenisch markant auf, setzt sich zum Zuschauen auf den Boden und greift dann plötzlich wieder ins Geschehen ein. Musikalisch ist er trotz dieser langen Präsenz auf der Bühne ungemein agil, klanglich raffiniert und dynamisch gut dosiert. Vladimir Fedoseyev weiss eben auch grosse Chöre sicher und subtil zu führen. Das Premierenpublikum war begeistert und feierte alle Beteiligten mit Bravo-Applaus.
Sibylle Ehrismann
|

3. 6. 2003
Ein Spanien aus dem Freizeitpark
Verstaubt «Don Quichotte»-Inszenierung am Opernhaus Zürich fiel komplett durch
Die Eighties sind grad gross in Mode. Auch das Zürcher Opernhaus setzt auf das Revival und brachte eine Inszenierung von «Don Quichotte», die 1982 für Venedig entworfen wurde.
Reinmar Wagner
Haufenweise Trockeneis und Schneeflöckchen, Kinderscharen und pittoreske Tänzerpärchen, ein Pegasus mit schwingenden Flügeln als Höhepunkt, einige Anklänge an berühmte Bilder von Picasso und anderen und viele, viele Choristen und Statisten, die als graubraune Masse kaum wahrgenommen werden: Bilder, die vielleicht einem einfachen Gemüt poetisch erscheinen mögen, die aber auf den zweiten Blick alle so verzweifelt an Disneyland erinnern.
Alles ist unecht, falsch, nachgemacht, ohne eigenes Leben, ein Spanien aus dem Freizeitpark, mit mystischen Kirchen und entrückten Gebirgslandschaften und vor allem abgetrennt vom Auditorium durch einen schwarzen Gaze-Vorhang, der für Atmosphäre und Tiefenwirkung sorgen soll, aber nichts weiter bewirkt als Distanz und Unschärfe. Es ist schon seltsam, wie sehr diese Aufführung antiquiert wirkt. Sie mag schon vor zwanzig Jahren nicht als Meisterstück der Regie-Avantgarde gegolten haben, aber die Begeisterung, die sie damals und auf den vielen Stationen, an denen diese «Opern-Legende» in der Zwischenzeit gezeigt wurde, auslöste, ist kaum nachvollziehbar. Und sogar die Lichtregie, für die ebenfalls Faggioni verantwortlich ist, die damals für ihre Präzision und ihren Stimmungsgehalt überschwänglich gelobt wurde, kommt uns heute platt und verschwommen vor. Auch das Zürcher Publikum, das allgemein traditionellen Inszenierungen nicht abgeneigt ist, konnte offenbar wenig damit anfangen, jedenfalls liess es sich ausser für den buffonesken Carlos Chausson in der sehr klamaukig aufgefassten Dienerrolle des Sancho Pansa kaum zu Begeisterungsstürmen hinreissen. Ein wenig besser fiel das Resultat aus, wenn Faggioni auf die Hauptpersonen fokussierte. Hier immerhin schaffte er es, die Emotionen seiner Figuren glaubhaft zu machen. Nicht von ungefähr wurde der vierte Akt zum Zentrum der Aufführung, wo sich Dulcinée und Don Quichotte wieder begegnen und beiderseits wirklich intensive Gefühle durchleben. Eine veritable Paraderolle für den in Zürich (und weltweit) hochgeschätzten Bariton Ruggero Raimondi.
Der edelmütige Ritter kämpft heldenhaft gegen Windmühlen, besänftigt kraft allein seiner Worte die Banditen, entlockt der koketten, unglücklich angebeteten Dulcinée ein paar verstohlene Tränen und stirbt schliesslich an seinem durch die Liebe verletzten Herzen. Raimondi hat die Partie aber mit Sicherheit schon bezwingender gesungen, präsenter und sicherer in der Intonation. Immer noch zeichnete er einen anrührenden Titelhelden, überzeugend aber vor allem in seinen müden und resignativen Zügen. Vesselina Kasarova sang die Dulcinée mit viel Souplesse, Koketterie und glockenreinen Koloraturen. Aber auch bei ihr: Wie dieser schwarze Gazevorhang Bühne und Publikum trennte, konnte kein Funken springen: Es ist vor allem die optische Distanz, die stört, nicht so sehr die akustische. Die drei wichtigsten Stimmen kamen ohne Mühe durch den Vorhang, abgesehen von einigen sehr tief gesetzten Stellen. Raum erhielten sie auch genügend vom Orchester. Vladimir Fedoseyev hielt die Dynamik meistens auf sängerfreundlichem Niveau, ganz abgesehen davon, dass auch Massenet sich in seiner Orchesterbegleitung schon sehr erfinderisch gezeigt hatte, was schlanke Klangbilder betrifft, die dafür oft kontrastiert werden durch satte Tutti-Akzente.
Solche Kontraste herauszuarbeiten hatte Fedoseyev keine Probleme. Aber dennoch ist Massenet sicher nicht sein Repertoire: Zu wenig Gespür entwickelte er für die vielseitige, delikate Palette der Klangfarben, für die Nuancen und Schattierungen der Instrumentation und für Finessen der Verschmelzung von Gesang und Begleitung. Er muss dieses Defizit gespürt haben und versuchte, mit dem Verstärken der rhythmischen Energie und dem Ausweiten des dynamischen Spektrums zu korrigieren. Mit dem Ergebnis, dass auch musikalisch vieles plakativ und manches platt wurde.
|

3. 6. 2003
Die Tragödie einer Illusion
Eindrückliche Premiere von Jules Massenets «Don Quichotte» im Zürcher Opernhaus
Vor einem Vierteljahrhundert war sie im Opernhaus Zürich das letzte Mal zu sehen, Massenets Comédie-Héroique in fünf Akten. In der 21-jährigen Inszenierung verbindet Piero Faggioni nun altes Regiehandwerk und neues Lichtdesign zum aufwändigen Gesamtkunstwerk.
HANSPETER RENGGLI
Traurige Clowns, bemitleidenswerte Narren, Pierrots und Outlaws aller Art bevölkerten um 1900 die Theater. Eine der faszinierendsten Figuren hatte Jacques Le Lorrain 1904 mit Don Quichotte in seinem Drama «Le Chevalier de la Longue Figure» nach Cervantes Roman geschaffen. Aber auch er, dieser «fou sublime», dieser Narr mit Würde und Grösse, wäre in Vergessenheit geraten, hätte nicht Jules Massenet 1909 nach Lorrains Vorlage eine stilistisch vielschichtige Oper geschrieben.
Massenets Don Quichotte hat wenig mit der bekannten Romanfigur gemeinsam. Sein Leben bewegt sich auf der Grenzlinie zwischen Illusion und Wirklichkeit. Neu gezeichnet ist insbesondere die Figur der vom schwärmerischen Ritter angebeteten Dulcinée, die nun als schöne, kecke junge Frau ins Leben Don Quichottes tritt.
Weit gereiste Inszenierung
Der italienische Erfolgsregisseur und Filmemacher Piero Faggioni, langjähriger Assistent und Weggefährte Antonionis und Viscontis, hat die in Zürich gezeigte Inszenierung bereits vor über zwanzig Jahren geschaffen und in über fünfzehn Theatern mit beispiellosem Erfolg erprobt: eine «alte» Inszenierung also, über die die Avantgarde schon längst hinweggeschritten wäre, wüsste sie nicht zu verzaubern. Faggioni ist auch sein eigener Ausstatter (Bühnenbild und Kostüme), er ist aber insbesondere ein Meister des Lichts. Sein Don Quichotte spielt mehrheitlich in einem grossräumigen Innenhof mit andalusischer Galerie und maurischen Elementen. Das Volk rahmt hier das Geschehen im Halbdunkel ein, bald aktiv, aber auch als Publikum. Dadurch wird Don Quichottes abenteuerliche und hoffnungslose Werbung um Dulcinée zum Theater im Theater.
Piero Faggioni erzählt die Geschichte zugleich als Rückblenden eines gescheiterten, in seinen Illusionen getrogenen Menschen: Das erste und das letzte Bild zeigen den sterbenden Antihelden auf seinem Bücherthron. Das erste endet mit Don Quichottes Besteigung seines Pferdes Rosinante, das sich in der Illusion des träumenden Ritters in den geflügelten Pegasus verwandelt, das letzte den Sterbenden mit der Illusion von ewiger Jugend und Liebe. Ein schwarzer Schleier verhüllt zudem den gesamten Bühnenraum, der die Konturen bricht, eine irreale Welt erscheinen und das Drama zum Traumspiel werden lässt.
Mit Kasarova und Raimondi
Seit vielen Jahren begleitet Ruggero Raimondi Faggionis Inszenierung, was sichtlich zu einer Identifikation mit Figur und Werk geführt hat. Raimondi interpretiert mit leicht verschleierter, nie forcierter Stimme, wodurch er dem traurigen Narren einen nachhaltig-rührenden Charakter verleiht. Massenet hat in seiner letzten Oper eine vielschichtige Musik geschrieben, die in die Klangsinnlichkeit des Fin de siècle ebenso alte Töne wie Chansons aus dem Operettengenre mischt. Vesselina Kasarova als Dulcinée hat diese musikalischen Ausdrucksweisen auch stimmlich zu bewältigen, und sie tut dies mit ihrem dunklen Timbre herausragend. So erscheinen die leicht dahingeworfenen Chansons der Koketten ebenso glaubhaft wie das klagende Arioso der sichtlich vom Pathos ihres Verehrers Berührten. Selbst der quirlige und unter der Last des weltfremden Ritters leidende Sancho Pansa wird nicht auf die buffoneske Dimension reduziert. Der herausragende spanische Bariton Carlos Chausson versteht in der Verteidigung seines Meisters auch Mitgefühl zu wecken.
Wen erstaunt, dass noch der eine oder andere Fehltritt den ansonsten nachhaltigen Eindruck des Abends trübt, dass die schnellen Ensembles noch an Präzision gewinnen könnten es sind dies die Risiken eines überproduktiven Hauses. Insgesamt aber bleibt diese eigenwillige Inszenierung aus Alt und Neu ebenso bewegend wie die sichere musikalische Leitung von Vladimir Fedoseyev beispielhaft.
|
3. 6. 2003
Eine angestaubte «Legende»
Wenig begeisternder «Don Quichotte» am Zürcher Opernhaus
Die Seventies sind gerade gross in Mode. Auch das Zürcher Opernhaus setzt auf das Revival und brachte eine Inszenierung von Jules Massenets letzter Oper «Don Quichotte» auf die Bühne, die 1982 von Piero Faggioni für Venedig entworfen wurde. Und inzwischen Staub angesetzt hat.
von reinmar wagner
Haufenweise Trockeneis und Schneeflöckchen, Kinderscharen und pittoreske Tänzerpärchen, ein Pegasus mit schwingenden Flügeln als Höhepunkt, einige Anklänge an berühmte Bilder von Picasso und anderen und viele, viele Choristen und Statisten, die als graubraune Masse kaum wahrgenommen werden: Bilder, die vielleicht einem einfachen Gemüt poetisch erscheinen mögen, oder die mit ihren pittoresken Massenszenen und den vielen Kinderchen auf Sympathiepunkte ausgehen, Bilder aber, die auf den zweiten Blick alle so verzweifelt an Disneyland erinnern: alles unecht, falsch, nachgemacht ohne eigenes Leben, ein Spanien aus dem Freizeitpark, mit mystischen Kirchen und entrückten Gebirgslandschaften und vor allem abgetrennt vom Auditorium durch einen schwarzen Gaze-Vorhang, der für Atmosphäre und Tiefenwirkung sorgen soll, aber nichts weiter bewirkt als Distanz und Unschärfe.
Kaum nachvollziehbare Begeisterung
Es ist schon seltsam, wie sehr diese Aufführung antiquiert wirkt. Sie mag schon vor 20 Jahren nicht als Meisterstück der Regie-Avantgarde gegolten haben, aber die Begeisterung, die sie damals und auf den vielen Stationen, an denen diese «Opern-Legende» in der Zwischenzeit gezeigt wurde, auslöste, ist kaum nachvollziehbar. Und sogar die Lichtregie, für die ebenfalls Faggioni verantwortlich ist, die damals für ihre Präzision und ihren Stimmungsgehalt überschwänglich gelobt wurde, kommt uns heute platt und verschwommen vor.
Auch das Zürcher Publikum, das allgemein traditionellen Inszenierungen nicht abgeneigt ist, konnte offenbar wenig damit anfangen, jedenfalls liess es sich ausser für den buffonesken Carlos Chausson in der sehr klamaukig aufgefassten Dienerrolle des Sancho Pansa kaum zu Begeisterungsstürmen hinreissen. Ein wenig besser fiel das Resultat aus, wenn Faggioni auf die Hauptpersonen fokussierte. Hier immerhin schaffte er es, die Emotionen seiner Figuren glaubhaft zu machen. Nicht von ungefähr wurde der vierte Akt zum Zentrum der Aufführung, wo sich Dulcinée und Don Quichotte wieder begegnen und beiderseits wirklich intensive Gefühle durchleben.
Die Stimmen litten unter der Inszenierung
Der in Zürich (und weltweit) hoch geschätzten Bariton Ruggero Raimondi stand schon bei der ersten Aufführung 1982 in Venedig als Titelheld auf der Bühne. Eine veritable Paraderolle: der edelmütige Ritter, der heldenhaft gegen Windmühlen kämpft, der kraft allein seiner Worte die Banditen besänftigt, der auch der koketten, unglücklich angebeteten Dulcinée ein paar verstohlene Tränen entlockt und der schliesslich an seinem durch die Liebe verletzten Herzen stirbt.
Raimondi hat die Partie aber mit Sicherheit schon bezwingender gesungen, präsenter und sicherer in der Intonation. Immer noch zeichnete er einen anrührenden Titelhelden, überzeugend aber vor allem in seinen müden und resignativen Zügen. Vesselina Kasarova sang die Dulcinée mit viel Souplesse, Koketterie und glockenreinen Koloraturen. Und sie machte deutlich: Die Carmen, die sie noch nie auf der Bühne gesungen hat, hat sie nicht nur in der Stimme sondern auch in den Tanzbeinen, in ihrem Lächeln und in ihrem Charme.
Aber auch bei ihr: Wie dieser schwarze Gazevorhang Bühne und Publikum trennte, konnte kein Funken springen. Es ist vor allem die optische Distanz, die stört, nicht so sehr die akustische. Die drei wichtigsten Stimmen kamen ohne Mühe durch den Vorhang, abgesehen von einigen sehr tief gesetzten Stellen. Raum erhielten sie auch genügend vom Orchester. Vladimir Fedoseyev hielt die Dynamik meistens auf sängerfreundlichem Niveau, ganz abgesehen davon, dass auch Massenet sich in seiner Orchesterbegleitung schon sehr erfinderisch gezeigt hatte, was schlanke Klangilder betrifft, die dafür oft kontrastiert werden durch satte Tutti-Akzente.
Defizite herausgespürt
Solche Kontraste herauszuarbeiten hatte Fedoseyev keine Probleme. Aber dennoch ist Massenet sicher nicht sein Repertoire: Zuwenig Gespür entwickelte er für die vielseitige, delikate Palette der Klangfarben, für die Nuancen und Schattierungen der Instrumentation und für Finessen der Verschmelzung von Gesang und Begleitung. Er muss dieses Defizit gespürt haben und versuchte, mit dem Verstärken der rhythmischen Energie und dem Ausweiten des dynamischen Spektrums zu korrigieren. Mit dem Ergebnis, dass vieles plakativ und manches platt wurde, was in einem austarierten Zusammenspiel von typisch französischer Musikästhetik und Musizierweise sinnvoll und sinnlich wird.
|
4. 6. 2003
Musealer Opernabend
Jules Massenets «Don Quichotte» am Opernhaus Zürich
Trotz musikalisch hochklassiger Kräfte vermag Piero Faggionis «Don Quichotte»-Inszenierung in Zürich kaum zu berühren. Zu veraltet präsentiert sich die weit gereiste Inszenierung. Der Applaus am Sonntag blieb flau.
Tobias Gerosa
Der Dirigent Vladimir Fedoseyev, bei uns bekannt durch seine Auftritte an den Bregenzer Festspielen, wagt sich im Zürcher Opernhaus auf ganz anderes Gebiet. Der bei Massenet immer drohenden Gefahr der süsslichen Sentimentalität entgeht er durch straffe Tempi, deutliche rhythmische Vorgaben und einen Schuss russischer Erdigkeit im Klang. In der Zurücknahme des klangschön und warm spielenden Orchesters gelingt es ihm auch, den Sängern ein fast immer ideales Klangbett zu bereiten. Dass der Funke an diesem Abend nicht überspringt, liegt nicht an ihm.
Wenn im Pop Kreationen der 80er-Jahre heute neu herausgebracht werden, brauchen sie eine Aktualisierung, einen neu unterlegten Beat. In der Originalform sind sie Oldies. Einen solchen bringt das Opernhaus Zürich nun als Premiere auf die Bühne. Nicht nur 21 Jahre hat Piero Faggionis «Don Quichotte»-Inszenierung auf dem Buckel, sondern auch eine Weltreise durch zwölf Städte. Die exemplarische, zeitlose Aufführung, wie sie das Programmheft aufdringlich zu erwecken sucht, ist darin nicht (mehr?) zu sehen. Zu überholt erscheint die Ästhetik, die man nur noch in Operntempeln jenseits der Alpen anzutreffen glaubte.
Üppige Genreszenen
Statistengruppen und Balletteinlagen verbreiten Aktionismus. Von Faggionis Idee, das 16. Jahrhundert Cervantes’ mit dem frühen 20. Massenets zu verbinden, ist wenig zu sehen. Auch die «Theater im Theater»-Situation bleibt ausserhalb des meist engen Lichtkegels und im wahrsten Sinn des Wortes unterbelichtet. Umso greller stechen die Genreszenen des spanischen Festes mit ihrer üppigen Ausstattung (auch von Faggioni) heraus - nicht zu Gunsten eines geschlossenen Gesamteindruckes.
Die Idee, das Stück mit dem Vorspiel zum letzten Akt und in demselben mit Büchern voll gestopften Dachzimmer beginnen zu lassen, in welchem Don Quichotte am Schluss auch sterben wird, ist durchaus schlüssig. Doch wo Faggioni auf (bewusst theatralisch gemachte) Traumbilder setzt, tut er zu viel des Guten: er dramatisiert, wo die Musik Innerlichkeit vorgeben würde.
Die Vermutung liegt nahe, dass es vor allem Ruggero Raimondi war, der diese Inszenierung wünschte. Seit 1982 hat er in ihr immer wieder gesungen - man merkt ihm die Vertrautheit an. Auch wenn er sich mit Fedoseyev noch nicht über alle Tempi ganz einig ist und seine Stimme nicht mehr die frühere Geschmeidigkeit besitzt: Raimondi ist noch immer ein eindrücklicher Protagonist - ein wahrer «fou sublime», wie Dulcinée einmal singt.
Musikalisches Ereignis
Dulcinée wird bei Vesselina Kasarova zu einer Schwester Carmens. Wie Kasarova jeden Ton formt und mit subtilstem Ausdruck aufzuladen versteht, ist ein Ereignis. Ob sie nun Kurtisane oder Edle sei, wird aus der Regie zwar nicht klar. Kasarova macht aber in jedem Moment deutlich, wie widerstrebend echt Dulcinées Gefühle gegenüber ihrem Verehrer Don Quichotte, der langen, anachronistischen Figur, sind. Eine gewisse szenische Reserve blieb beim Rollendebüt allerdings noch spürbar.
Weniger geglückt ist Carlos Chaussons Debüt als Sancho Pansa. Ruhige, getragene Linien sind nicht unbedingt seine Sache. So wie ihm ein künstlicher Bauch vorgeschnallt wurde, klingt auch die Stimme künstlich abgedunkelt und verliert ihre Kernigkeit. Wie immer, wenn die Regie zu wenig klare Vorgaben gibt, neigt er zu übertrieben buffoneskem Spiel.
Nach der Pause blieben einige Sitze leer, zu sonnig war der Abend, zu wenig packend die Oper. Gegen das Sommerwetter dürfte diese Produktion einen schweren Stand haben.
|

3. 6. 2003
Ein Hauch von Tourneetheater im Subventionsbetrieb
Jules Massenets letzte Oper «Don Quichotte» am Zürcher Opernhaus
Von Sigfried Schibli
Manchmal lohnt es sich wirklich, auch das Kleingedruckte zu lesen. «Diese Aufführung wurde produziert von Opera Multimedia Promotion Limited», steht ganz unten auf dem Besetzungszettel. Dann werden die Firmen genannt, welche die plastischen Teile, die Requisiten, Schuhe und Perücken angefertigt haben. Sind die Aufführungen im Zürcher Opernhaus denn nicht von A bis Z Produktionen dieses stolzen Hauses? Offensichtlich nicht immer. Zürich hat eine Produktion von der Stange eingekauft, und diese Stange tut es schon ziemlich lang: Seit 1982 tourt der italienische Opernregisseur (oder eben -produzent) Piero Faggioni mit ein und derselben Aufführung durch die Opern-Welt.
Viele Lampen und wenig Licht Begonnen hatte er vor 21 Jahren in Venedig, zuletzt war er im Februar mit seinem «Don Quichotte» in Turin und dazwischen in Barcelona, Paris, Rom, Tokio und Gott weiss wo noch. Jetzt ist Zürich dran mit seinem Opernhaus. Das Programmheft - auch dies ein Novum - zitiert über volle 19 Seiten aus den Premierenkritiken. Ein Hauch von Gastspieltheater, von Tourneebetrieb streift unsere hoch subventionierte Theaterkultur.
Die Subventionsphilosophen dürfen sich die Köpfe zerbrechen, ob das alles mit unserm System der Hochkulturförderung vereinbar ist. Wann kommen Tourneeveranstalter wie Fredy Burger und Thomas Dürr in den Genuss staatlicher Kultur-Millionen? Nun ist dieser Piero Faggioni nicht irgend- ein Unternehmer, sondern zumindest auch ein flammender Anhänger und gründlicher Kenner dieser letzten Oper von Jules Massenet, der man nicht anhört, dass sie zu Beginn des «expressionistischen Jahrzehnts» des 20. Jahrhunderts entstanden ist, 1910. Er hat, sagt er, seit zwanzig Jahren an seiner Inszenierung gefeilt, sie fortwährend dem bühnentechnischen Fortschritt angepasst und präsentiert sie, was ja hinsichtlich der Tantiemen nicht ganz belanglos ist, immer wieder als Neueinstudierung, als echte Premiere. Vor allem auf seine Lichtregie bildet er sich mächtig was ein, und fürwahr: Eine so düstere, so häufig im Halbdunkel ertrinkende Operninszenierung, in der es so sinnlos flimmert und flackert, sieht man nicht alle Tage.
Viel Getue und wenig Inhalt
Der inszenatorische Grundeinfall ist der: Die bekannte Geschichte vom Ritter Don Quichotte, der sich in die schöne Dulcinea verliebt hat und sie durch allerlei Heldentaten zu erobern versucht, und seinem Diener Sancho Pansa, in dessen Armen der von Dulcinea verschmähte Liebhaber am Ende sein Leben aushaucht - diese Geschichte ist nicht «Wirklichkeit», sondern ein Stück Theater auf dem Theater. Die engere Handlung spielt sich inmitten eines Bühnenpublikums ab, die beiden unglücklichen Helden reiten auf geräderten Reittieren ein wie im Kindertheater. Die rivalisierenden Ritter sind grimmige Schwarzbärte und die Maid voller Liebreiz. Pferd und Esel nicken beifällig, wenns sein muss. Das alles wird begleitet von allerlei bühnentechnischem Getue und Getöse. «Monumental Opera» haben das andere Bühnen-Unternehmer auch schon genannt. Den Gedanken zum Stück, die persönliche Sicht, die These zum Stück sucht man vergebens.
Immerhin wird diese Fast-Tourneeproduktion in Zürich von hauseigenen Kräften aufgeführt. Ruggero Raimondi hat den Don Quichotte zwar schon in der 1982er-Produktion von Faggioni und danach immer wieder gegeben; doch Vesselina Kasarova hat die Dulcinea zuvor noch nie gesungen und Carlos Chausson den Sancho Pansa auch nicht. Es singt der Zürcher Opernchor und es spielt das Opernhausorchester unter Vladimir Fedossejew.
Viel Gesang und viel Gefühl
Während Raimondis Bassbariton die Spuren des Alters nicht verbergen kann und intonatorisch öfter daneben- liegt, ist Chausson ein glänzender Sancho Pansa und vor allem Kasarova eine unerhört differenzierte Dulcinea. Weit davon entfernt, die Rolle auf eine einzige Dimension zu reduzieren, breitet sie ein weites Ausdrucksspektrum vor dem Publikum aus, ist bald die in der Tiefe gurrende Verführerin, bald die schnöde Hochmütige. Sie spielt die Rolle der «Schwester Carmens» perfekt. Ihr stehen alle erdenklichen stimmlichen Mittel zu Gebote, die der Komponist in diese Figur gelegt hat.
Massenet ist nicht nur der berühmt-berüchtigte Komponist der geigerischen «Méditation» aus «Thaïs», sondern hat unter anderem auch ein schmelzendes Cellosolo komponiert, das dem Regisseur und Bearbeiter Faggioni so gut gefallen hat, dass er es in seiner Stückversion gleich zweimal spielen lässt.
Musikalisch lässt sich das durchaus hören. Das Orchester spielt unter Fedossejew mit kräftigem Strich auf, eher behäbig als schnell, aber auch durchaus zartfühlend in den vielen liedhaften Abschnitten. Eine Massenet-Renaissance wird von dieser Aufführung gleichwohl nicht ausgehen können. Dazu bräuchte es neben den achtbaren musikalischen Leistungen eine Inszenierung, die nicht aus der Konserve, sondern aus einem intellektuellen Konzept stammt.
|

3. 6. 2003
Der heilige Narr
Die Zürcher Oper spielt Jules Massenets "Don Quichotte"
Zürich, Dezember 1977. Der Abend eines großen Sängers. Ruggero Raimondi erstmals als Jules Massenets Don Quichotte, in der Partie, die immerhin ein Schaljapin 1910 in Monte Carlo kreiert hatte. Mehr als der Gala-Auftritt einer Koryphäe des Opern-Jet-Set, beinahe auf Anhieb die Idealverkörperung des glücklich-unglückseligen Edelmanns, der nur das Beste im Sinn hat - mit weit aufgerissenen, nachgerade kindlich staunenden Augen und einem überwältigend eloquenten, immer wieder zärtlich akzentuierenden basso cantante.
Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, wieder "Don Quichotte" in Zürich, wieder Raimondi, nun in der Inszenierung Piero Faggionis, die seit ihrer Premiere 1982 in Venedig zwischen Paris und Tokio, Washington und Barcelona drei Kontinente gesehen hat - ein "Don Quichotte"-Verwertungsunternehmen, hinter dem sich die ehedem Ponnelle'sche Regie-Vervielfältigungsmaschinerie fast verstecken kann, und allüberall mit Raimondi. Der beeindruckt auch als Anfangs-Sechziger noch, die Stimme nur wenig reduziert, nur wenig unbeweglicher, unflexibler. Freilich, er verfährt nun routinierter. Die Gewohnheit heischt ihren Tribut. Man findet ihn gut, ist aber nicht mehr hin und weg.
Vesselina Kasarova, die ihren Weltruhm in Zürich begründete, ist "La belle Dulcinée", zu der das unansehnliche Bauernmädchen des Cervantes bei Massenets Stofflieferant Jacques Le Lorrain wurde: Aus der von Quichotte lediglich erträumten Schönheit wurde eine in der Tat überaus ansehnliche Kurtisane, die sich ob seines Heiratsantrags - angetrübten Gewissens - kringelt. Die Kasarova gurrt diese Schwester Carmens wie die Berganza in ihren besten Tagen. Als Sancho Pansa watschelt Carlos Chausson im allzu erprobten Buffo-Gang durch die Inszenierung: ein knarziger Spielbass, bis er aufgerufen ist, seinen "Maître" mit gewaltigem Pathos hochzustilisieren. Zu jenem heiligen Narren, der den Bedürftigen hilft, das Träumen lehrt und das Gute sät. Chausson wächst da beträchtlich.
Am Zürcher Opernpult steht wieder einmal Vladimir Fedoseyev. Er lässt diesmal etwas pauschal auftragen, wo's dem allgegenwärtigen spanischen Tanz- und Liedkolorit gilt, und feinfühliger, wo Stimmungswerte und Massenets wehes, warmes Melos gefragt sind. Den gewinnenden - und nicht selten mit Strauss' nur wenig jüngerem "Rosenkavalier" verglichenen - Konversationston realisiert der russische Dirigent gewandt, das poetische Sentiment nicht minder.
Inszenierung, Ausstattung und - überaus minutiöse - Lichtregie: eben Faggioni. Dass diese Version von Massenets "Comédie-héroique" seit mehr als 20 Jahren weltweit geordert wird, verwundert angesichts ihres kaum mehr als soliden und in der ewigen Reanimation auch etwas abgeschliffenen Handwerks denn doch etwas. Und das Theater auf dem Theater, das permanente Spiel vor einem Publikum auf der Bühne: Es untergräbt die Erkenntnis, dass wir's im "Don Quichotte" im Grunde mit einem abendfüllenden Dialog des generösen Helden mit seinem zu menschlicher Größe wachsenden Diener zu tun haben. Unterm Dach beginnt's, und dort endet das idealistische Streben des "Chevalier de la Longue Figure" (dies Le Lorrains Schauspieltitel) auch - das Leben ein Traum, aus dem Schmökern in den uralten Folianten der Mansarde abgeleitet. Den genial instrumentierten, fast in Berlioz-Nähe siedelnden Kampf mit den Windmühlenflügeln verschenkt Faggioni so sehr, dass das Publikum buchstäblich nicht weiß, wann zu klatschen ist.
Ein weiterer Akt spielt sich im außerordentlich merkwürdigen Programmheft ab. Viele Gedanken Faggionis darin, gute Gedanken, der panischen Ressentiments wider Gott und die (Theater-)Welt zum Trotz - bloß, kennte man sie nicht, nähme man ihre szenische Vergegenwärtigung nicht wahr. Und: Selten ist man einem so unangenehm, ja peinlich auf einen - nicht eben epochalen - Regisseur fixierten Heft begegnet. Mag der auch noch so sehr auf die venezianische Erstinszenierung im Juli 1982 abheben und die Platzierung des wehmütig vor sich hin trauernden Vorspiels zu Akt fünf mit seiner melancholischen Cello-Kantilene als Auftakt des Abends zur Errungenschaft erklären - die Basler Aufführung im Mai desselben Jahres war mit dieser durchaus sinnvollen Idee vorausgegangen. Wozu Archive doch gut sind.
Heinz W. Koch
top
|
Interview
|

31. 5. 2003
Vor der Premiere
Dasselbe empfinden in «Don Quichotte»
Vesselina Kasarova und Ruggero Raimondi in Zürich
Beide zählen zu den Grossen ihres Fachs. Dennoch erscheint es als besondere Konstellation, wenn sie gemeinsam in Jules Massenets «Don Quichotte» am Opernhaus Zürich auftreten: Während der Bassist Ruggero Raimondi die Titelpartie seit 25 Jahren im Repertoire führt, gibt die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova als Dulcinée ein Début. Über ihre Zusammenarbeit äussern sie sich im Gespräch mit Thomas Baltensweiler.
Haben Sie bereits vor dem Zürcher «Don Quichotte» gemeinsam auf der Bühne gestanden?
Raimondi: Vesselina war eine blutjunge Sängerin, als sie in «Boris Godunow» meinen Sohn Fjodor verkörperte.
Kasarova: Das war in der Wiener Staatsoper, vor mindestens zehn Jahren. Ich erinnere mich sehr gut, wie fasziniert ich von der Persönlichkeit Raimondis war. Er ist nicht nur Sänger, sondern auch ein Schauspieler mit viel Charisma.
Raimondi: Danke! Vesselina war ein gehorsamer Sohn, und man hat gemerkt, dass sie eine grosse Zukunft vor sich hat. Jetzt haben wir uns in Zürich wieder getroffen. Vesselina Kasarova ist die Dulcinée, von welcher der Regisseur Piero Faggioni und ich immer geträumt haben.
Die Inszenierung von Piero Faggioni ist zwar neu für Zürich; sie war aber mit Ihnen, Herr Raimondi, bereits in mehreren Städten zu sehen. Wo überall?
In Paris, Rom, Barcelona, Tokio, Parma - ich weiss selber nicht mehr, wo überall. Insgesamt waren es zwölf Städte, und ich hoffe, dass unsere Dulcinée uns an weitere Orte folgen wird. Zum ersten Mal gezeigt wurde die Produktion 1982 in Venedig. Seither hat Faggioni sie weiterentwickelt. Die Ausstattung, die anfangs sehr einfach gehalten war, ist reicher geworden.
Dennoch: Verliert es nicht an Reiz, ständig in derselben Inszenierung aufzutreten?
Raimondi: Gewiss, die Grundideen bleiben sich gleich. Doch wurde gerade für Vesselina Kasarova einiges abgewandelt. Sie bringt neue menschliche Werte, einen Sinn für Humanität ein. Die schönen Worte von Don Quichottes Serenade amüsieren ihre Dulcinée, sind aber gleichzeitig tief in die Seele der Figur gedrungen. Das wiederum verändert die Art, wie sich mein Don Quichotte seiner Angebeteten nähert. Er wird echter, weniger marionettenhaft.
Was ist das Besondere an der Inszenierung von Faggioni? Schliesslich wurde sie ja auf der halben Welt gespielt.
Raimondi: Alles ist genau bedacht, nichts wirkt komisch oder billig. Faggioni lotet die Tiefe der Figuren aus. In Japan hat mich eine Zuschauerin gefragt, weshalb man denn so weinen müsse bei dieser Inszenierung. Ich glaube, es liegt daran, dass sie die Sensibilität der Menschen unmittelbar anspricht.
Frau Kasarova, Sie singen zum ersten Mal die Dulcinée. Wie empfinden Sie es, in eine schon bestehende Inszenierung einzusteigen?
Ich gehe die Sache mit viel Respekt an und versuche natürlich, mich anzupassen, zu verstehen, was Faggioni vorgesehen hat. Am Anfang waren die Proben für mich schwierig; ich musste rasch lernen, wo ich zu stehen habe, denn für Faggioni, der die Produktion schon mehrfach herausgebracht hat, war ja alles von vornherein klar. Andrerseits habe ich auch meine eigene Auffassung der Rolle. Die Dulcinée ist intelligent, erotisch, melancholisch und zuletzt zu tragischem Schmerz fähig. Faggioni sieht, welche Möglichkeiten ein Sänger hat, und verändert die Regie dann jeweils ein wenig.
Herr Raimondi, in der Spielzeit 1977/78 haben Sie den Don Quichotte erstmals gesungen, am Zürcher Opernhaus übrigens. Wie sehen Sie heute die Figur?
Don Quichotte repräsentiert in meinen Augen den Idealismus eines Sängers oder Schauspielers. Der Geist der Kaufleute ist ihm völlig fremd. In seiner Güte vollbringt er Wunder. Dulcinée erkennt die Grösse seiner Liebe, weist ihn aber als Mann ab.
Kasarova: Am Schluss, wenn das geschieht, tut es mir selber weh. Denn ich glaube, dass Dulcinée von Don Quichotte fasziniert ist, weil er anders ist als die anderen. Aber ihre Zuneigung gilt letztlich einem Ritter ihrer Phantasie, für den der wirkliche Don Quichotte lediglich das Sprachrohr abgibt. Die Rollenverhältnisse sind bei Jules Massenet gegenüber Cervantes umgekehrt: Bei Cervantes ist es Dulcinée, die in der Phantasie Don Quichottes existiert. Das Thema der Liebe eines älteren Mannes zu einer jüngeren Frau finde ich übrigens durchaus aktuell.
Raimondi: Als Massenet, alt und krank, «Don Quichotte» schrieb, war er in eine jüngere Mezzosopranistin verliebt. Das Werk hat also auch einen autobiographischen Bezug.
Neben einem so erfahrenen Don Quichotte das Rollendébut als Dulcinée zu geben - was bedeutet das für Sie, Frau Kasarova?
Ich finde es schwierig, aber positiv. Man hat natürlich auch Angst, dass man die Leute enttäuschen könnte - doch lieber nicht daran denken! Allerdings ist es auch motivierend für mich, mit guten Partnern arbeiten zu können. Als ich noch studierte, hätte ich mir nicht träumen lassen, zusammen mit jemandem wie Ruggero Raimondi aufzutreten.
Frau Kasarova, Sie sind Bulgarin; Sie, Herr Raimondi, Italiener; Piero Faggioni ist Italiener; der Dirigent Vladimir Fedoseyev ist Russe - und der Komponist Franzose. Wird man etwas von der Internationalität der Produktion spüren?
Raimondi: «Don Quichotte» wurde für den russischen Bassisten Fjodor Schaljapin geschrieben. Musik ist eine internationale Sprache, da spielt es keine Rolle, woher die Sänger oder das Orchester kommen.
Kasarova: Entscheidend ist auch nicht, ob wir jedes Wort des Textes verstehen, denn die Gefühle werden durch die Musik ausgedrückt. Entscheidend ist, dass wir bei der Zusammenarbeit alle dasselbe empfinden.
|