Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Leos Janácek: Vec Makropulos
17. Juni 2006 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Regiemitarbeit
Ausstattung
Kostüme
Lichtgestaltung
Chorein
studierung

Emilia Marty
Kristina

Aufräumefrau
Kammerfrau
Albert Gregor
Dr. Kolenaty
Baron Jaroslav Prus
Vitek
Janek
Hauk-Schendorf
Maschinist
Philippe Jordan
Klau
s Michael Grüber
Ellen Hammer
Titiana Ma
selli/Barbara Bessi
Moidele Bickel
Jürgen Hoffmann
Jürg Hämmerli

Gabriele Schnaut
Martina Janková
Claude Eichenberger
Christine Zoller
Peter Straka
Rolf Haunstein
Alfred Muff
Volker Vogel
Boguslaw Bidzinski
Boiko Zvetanov
Stephan Bootz

Rezensionen
        Vox spectatricis:

Aargauer Zeitung:
Basler Zeitung:
Blick:

Der Landbote:
Neue Luzerner Zeitung:
Neue Zürcher Zeitung:
St. Galler Tagblatt:
Die Südostschweiz:
Tages-Anzeiger:
Zürcher Oberländer:
Zürichsee-Zeitung:
337 Jahre - und nichts für die
Unsterblichkeit getan
Den Tod als Freund umarmen
Umjubeltes Debüt
Die Unsterbliche will am Schluss
trotzdem sterben
Formel für das kurze Menschenleben
Tod des Traums von der ewigen Jugend
Wenn etwas zu lange währt
Verdammt zum ewigen Leben
Ein Alptraum von ewiger Jugend
Arme dreihundertjährige Schönheit
Verheerender Wunsch nach ewiger Jugend
Ein Albtraum von ewiger Jugend

       

Vox spectatricis

18. 6. 2006 / Siri Kohl

337 Jahre – und nichts für die Unsterblichkeit getan

Nein, etwas für die Unsterblichkeit getan (um das leicht sinnverdrehte „Don Carlos“-Zitat aus der Überschrift weiterzuführen) hat Elina Makropulos wirklich nicht. Sie wurde ihr lediglich aufgezwungen vom eigenen Vater, dem Leibarzt Kaiser Rudolfs II., der seinem Herrn im Jahre 1601 ein lebensverlängerndes Elixier schmackhaft machen wollte und den Befehl erhielt, es zunächst an der eigenen 16jährigen Tochter auszuprobieren. Der Mensch als Versuchskaninchen.

Nun, das Elixier wirkt, und Elina Makropulos wird eine gefeierte Opernsängerin, die unter wechselnden Namen jahrhundertelang auf den verschiedensten Bühnen steht (sie ist damit wohl das Idol all jener, die heute den schnellen Verschleiss von SängerInnen und das vorzeitige Ende von Karrieren beklagen). Doch zum aktuellen Zeitpunkt, 1922 (sie trägt nunmehr den Namen Emilia Marty), ist sie des ewigen Lebens überdrüssig, dessen Sinnentleertheit sie zum seelenlosen, eiskalten, manipulativen Monster gemacht hat. In einem dramatischen Schlussmonolog deckt sie nach einer komplexen Handlung ihre wahre Identität auf und gibt das lebensverlängernde Rezept – eben „Die Sache Makropulos“ – an die junge Sängerin Krista weiter. Diese, schockiert, will es nicht und verbrennt es; nun kann Elina Makropulos endlich sterben.

So komplex wie die Handlung ist die musikalische Sprache Leos Janáceks, die sich nur selten lyrische, breit ausgesponnene Melodiebögen gestattet und stattdessen Wort für Wort als kleinste sinnstiftende Einheit gestaltet. Doch beim Schweizer „Lokalmatador“ Philippe Jordan, der zum ersten Mal in Zürich eine Oper dirigiert, ist diese Komplexität in besten Händen, wird faszinierend klar durchleuchtet und dynamisch fein abgestuft, bis der Zuschauer nicht nur von der krimiartigen Handlung, sondern auch von deren musikalischer Umsetzung gebannt ist. Schade nur, dass man, um in der Handlung nicht den Anschluss zu verlieren, seine Aufmerksamkeit stärker als sonst den Übertiteln widmen muss; vielleicht würde es sich, um Jordans Arbeit voll zu würdigen, lohnen, noch eine Aufführung zu besuchen und diese mit geschlossenen Augen zu verfolgen.

Verpassen würde man visuell nicht viel, denn die Regiearbeit von Klaus Michael Grüber ist zwar werkdienlich in dem Sinn, dass sie die Entfaltung der Handlung nicht behindert; eine detaillierte Personenführung oder gar gestalterische Einfälle, die inhaltliche Komponenten des Werks auf erhellende Weise augenfällig machen, sucht man jedoch vergebens. Mich beschlich mitunter das Gefühl, dass dieser doch als einer der Grossen der Branche geltende Regisseur entweder vollkommen über seinem Wert gehandelt wird oder aber nur noch vom Ruhm vergangener Leistungen zehrt. Das Einheitsbühnenbild (Titina Maselli) – ein bahnhofsartiges Niemandsland mit einer Lokomotive, die am Schluss Richtung Rampe fährt und Emilia Marty quasi überrollt – trägt ebenfalls wenig zum tieferen Verständnis des Werks bei (verkompliziert dieses allerdings auch nicht). Emilia Martys Garderobe, in der die Diva Hof hält und sich ihre Verehrer versammeln, wird sinnigerweise mit Bühnenversatzwänden angedeutet, wie sie auf Probebühnen Verwendung finden.

Überhaupt hat das Stück neben der philosophischen („Ist ewiges Leben erstrebenswert?“) auch noch eine sehr bodenständig opernbezogene Inhaltsebene, in der u.a. gezeigt wird, wie hündisch manche „Fans“ ihre Opernstars verehren und wie diese ihnen im besten Fall mit milder Herablassung, im schlimmsten mit offener Verachtung begegnen. Für zeitgenössisches Anschauungsmaterial hierzu begebe sich der interessierte Leser nach einer Vorstellung an die Bühneneingänge verschiedener europäischer und amerikanischer Opernhäuser! Und Janácek bzw. Karel Capek, der Autor der Komödie (sic!), auf der das Libretto zu „Die Sache Makropulos“ basiert, hätten für ihre Protagonistin keinen treffenderen Beruf als Opernsängerin finden können, ist doch die Sehnsucht nach dem ewigen Leben in Form ewigen Ruhms in dieser Branche tagtäglich augenfällig (man denke an die Vergöttlichung – teilweise gar Vergötzung – einer Callas).

Wie lösten nun die Sänger ihren Anspruch auf Nachruhm ein? Gabriele Schnaut als Emilia Marty zumindest wird in Erinnerung bleiben, gestaltet sie doch eine zutiefst berührende, abstossende, Mitleid erregende, tragische Gestalt. Stimmlich zu Anfang in den Extremhöhen noch mit sehr scharfen Tönen und einem flatternden Vibrato kämpfend, fand sie zusehends in die Partie hinein und sang einen mitreissenden Schlussmonolog. Ihre schauspielerische Leistung nach der Pause war der sängerischen ebenbürtig – leider kann ich hier über den ersten Teil keine Aussagen machen, da ich auf der linken Seite des Hauses sass und Klaus Michael Grüber sämtliche Szenen der Marty im ersten Teil auf der linken Bühnenseite angesiedelt hatte. Meine Sicht auf das Bühnengeschehen wurde also durch den Balkon verdeckt, so dass ich in der Pause den Platz wechseln musste – und konnte, denn das schöne Wetter in Kombination mit der Fussball-WM und dem doch eher unbekannten Stück hatte für einige freie Plätze gesorgt. (An Herrn Grüber und alle anderen in Zürich arbeitenden Regisseure: Es ist keine Zeitverschwendung, eine/n Regieassistentin/ten in den zweiten Rang zu schicken und prüfen zu lassen, ob die Bühnenhandlung auch dort von den meisten Plätzen – und nicht nur in der ersten Reihe – zu verfolgen ist!)

Neben Gabriele Schnauts Leistung müssen die anderen Sänger zwangsläufig abfallen (das Wort „Starvehikel“ könnte für „Die Sache Makropulos“ erfunden worden sein), doch verdienen speziell Alfred Muff als Baron Jaroslav Prus und Martina Janková als junge Sängerin Krista an dieser Stelle ein grosses Lob. Muff gestaltet den Baron zwar poltrig wie üblich, singt aber angenehm differenziert, etwa in der Szene, in der er erfährt, dass sein Sohn sich wegen seiner unerfüllten Liebe zur Marty das Leben genommen hat. Martina Janková gestaltet mit frischem Sopran und natürlichem Spiel eine junge Frau, die an der Schwelle zur Sängerkarriere steht und von den Leistungen der Marty tief beeindruckt, von ihren Allüren aber abgestossen ist.

Auch Boiko Zvetanov als einem vergangenen Alter Ego der Marty bis zum Irrsinn verfallener Baron Hauk-Schendorf und Rolf Haunstein als Anwalt Dr. Kolenaty (als einziger Nicht-Rollendebütant) halfen, den Abend packend zu gestalten. Peter Straka als Albert Gregor, der die Marty ebenfalls verzweifelt liebt, hatte sich als allergiebedingt indisponiert entschuldigen lassen, brachte seine Partie aber abgesehen von einigen verrutschten Spitzentönen hervorragend zu Gehör.

Am Ende gab es frenetischen Jubel für die Hauptdarstellerin und den Dirigenten und immer noch begeisterten Applaus für das Sängerensemble, der beim Erscheinen des Regieteams zu höflichem Klatschen abflaute (danach zeigte sich Grüber nur noch zusammen mit dem Ensemble, wohl um auch am Jubel teilzuhaben). Die Zürcher Erstaufführung der „Sache Makropulos“ hat dem Haus einen sehr gelungenen Abend beschert.

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Aargauer Zeitung

19. 6 . 2006 / Torbjörn Bergflödt

Den Tod als Freund umarmen

Opernhaus Zürich. Erstmals ist hier «Die Sache Makropulos» von Leos Janacek gespielt worden. Doch Karel Capeks Krimikomödie bleibt statisch.

Das Wissen darum, dass unser Dasein hienieden endlich ist, mag ja zwar nicht immer angenehm sein. Aber wie wärs, bitte, wenn das Leben weiter und weiter ginge? Da bekommt doch der Sensenmann beinahe schon ein freundliches Antlitz.

In der Kriminalkomödie «Die Sache Makropulos» des tschechischen Autors Karel Capek sucht die 1585 geborene Sängerin Emilia Marty nach jenem Geheimrezept ihres Vaters, des Leibarztes von Kaiser Rudolf dem Zweiten, für ein lebensverlängerndes Mittel, das sie seinerzeit als Versuchskaninchen hatte schlucken müssen.

Namen, Länder und Männerbeziehungen wechselnd, ist Emilia als junge und schöne Frau durch die Jahrhunderte geirrt und hat als Mutter eines unehelichen Sohnes den Anstoss zu einem seit 1827 wogenden Erbschaftsstreit zwischen den Familien Gregor und Prus gegeben. Jetzt, 1922, wird das Geheimnis gelüftet und gegen das Rezept entschieden: Es wird verbrannt.

Capeks Landsmann Leos Janacek hat den Dreiakter zu einer gleichnamigen Oper verwandelt und, wie in anderen seiner Werke auch, eine starke Frauenfigur gestaltet. Während bei Capek die Hauptperson als kaltes Ungeheuer endet, gönnt ihr Janacek die wärmenden Strahlen des Mitleids.

Musikalisch verzichtet er in dem Dialogstück auf Folkloristisches und setzt dafür umso rigoroser auf seinen eigentlichen Personalstil in der Arbeit an kleinen und kleinsten, der Sprechmelodie abgelauschten Motivzellen. Formbildend wirken vor allem Wortwiederholungen oder das Weiterwandern motivischen Materials in den Part des gross besetzten Orchesters.

In einem Aufsatz hat Adorno «Die Sache Makropulos» mit Kafka verschaltet, und in einer kafkaesken Lesart hätte sich die Geschichte gewiss auch auf die Bühne bringen lassen. Regisseur Klaus Michael Grüber, Ellen Hammer (Regiemitarbeit), Titina Maselli und Barbara Bessi (Bühne) und Moidele Bickel (Kostüme) sind das 1926 uraufgeführte Werk mehr von seiner magisch-kreatürlichen Seite her angegangen.

Auf der Bühne mit einer Bahnhofhalle als Grundraum dominiert eine stets gegenwärtige mächtige Lokomotive, die womöglich die (über)lange Lebensreise von Emilia anzeigt und vor die sich diese, den Tod umarmend, am Ende wirft. Die Kostüme verweisen auf die frühen 1920er-Jah-re und stützen die nichtpsycholo gisierend gestalteten Charakterporträts. Zwar scheint eine gewisse inszenatorische Statuarik dieser Oper angemessen, und es kommt ja auch zu Phasen einer belebteren Groteske - aber insgesamt gelingt es Grüber etwas zu wenig, die Geschichte spannend zu erzählen.

Die Emilia von Gabriele Schnaut profitiert stark von den Vorzügen der grossen, raumfüllenden Stimme der Wagner- und Strauss-Sängerin. Peter Straka und Alfred Muff gaben an der Premiere profilierte Prozess-Gegenspieler in dem leidenschaftlichen Albert Gregor (eine mitunter unbarmherzig hoch steigende Tenorpartie) und dem baronesken Jaroslav Prus. Rolf Haunstein, der am Ende der Vorstellung zum Souffleurkasten ging und die dort herausgereichte Hand schüttelte, liess der Partie des Anwalts Kolenaty wortartikulatorische Disziplin angedeihen. Die Rolle des greisen Erotomanen Hauk-Sendorf war bei Boiko Zvetanov bestens aufgehoben.

«Die Sache Makropulos» ist erstmals in Zürich gespielt worden. Zum Haus-Debüt trat auch der junge Schweizer Dirigent Philippe Jordan an. Unter seiner Hand erwuchsen im Orchestergraben zum Beispiel zart tonig fliessende Streicherklänge wie aber auch, wo geboten, «undomestiziert» scharfkantige Akkordblöcke, Blechfanfarenmotive und Paukenschläge.

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Basler Zeitung

20. 6. 2005 / Verena Naegele

Umjubeltes Debüt

«Die Sache Makropulos» von Janácek in Zürich

Es ist ein spektakulärer Abend. «Die Sache Makropulos» am Zürcher Opernhaus fasziniert nicht dank grosser Gesten, sondern dank feiner Nuancen und einer differenzierten Farbigkeit in Musik und Regie.

Der Dirigent Philippe Jordan hat sich für sein Debüt am Opernhaus Zürich wahrlich keinen Klassiker ausgesucht. Und trotzdem wurde «Die Sache Makropulos», eine eher selten gespielte Oper von Leos Janácek, zum bejubelten Einstand des jungen Schweizer Dirigenten. «Mit meinem Vater Armin Jordan verbindet mich die Affinität zum Klang, zur Klangkultur». Wie Recht Philippe Jordan damit hat, demonstrierte er in Janáceks Meisterstück.

Mit schier unerschöpflichen kompositorischen Mitteln gelingt Janácek eine tiefenpsychologische Deutung der Figuren. Trotz der Kleinzelligkeit und der rezitativisch gestalteten Faktur trägt die Musik mit Farbigkeit und differenzierter Rhythmik durch das Stück. Jordan agierte und reagierte trotz einigen Unsauberkeiten mit dem Ensemble in bestechender Manier, betonte die Nuancen und baute doch alles auf den bewegenden Schlussmonolog der Emilia Marty hin: Das Outing einer Frau, die nach 300 Jahren «ewigen» Lebens genug hat und in den Tod geht.

reife. Gabriele Schnaut verleiht dieser Reifezeit einer verdammten Frau vokal und darstellerisch eine zu Herzen gehende Kraft. Erstaunlich, wie sie ihre zu starkem Vibrato neigende Stimme immer wieder zu bändigen und ins Piano zurückzunehmen vermag, wie sie aber auch unkontrollierte Ausbrüche wagt. Mit solch differenziertem Agieren in Ton und Spiel steht oder fällt «Die Sache Makropulos», ein Konversationsstück, in dem über zwei Stunden lang kaum etwas passiert, und das doch wie ein Krimi abläuft.

Die Zeit ist ein zentraler Faktor, den Regisseur Klaus Michael Grüber metaphorisch geschickt mit einer Dampflokomotive im Raum andeutet (Bühne: Titina Maselli und Barbara Bessi). Und Grüber macht schon gar nicht den Versuch, «Action» ins Geschehen einzubringen, vielmehr konzentriert er sich auf eine feinziselierte Personenführung.

In diese Differenzierung passen auch die Kostüme von Moidele Bickel, wunderbar das an die Turandot erinnernde Divenkleid Emilias im zweiten Akt, prägend das glutorange Frottiertuch, unter dem sie sich resigniert versteckt.

feinheit. Es sind diese Finessen, die den Figuren auf der Bühne Konturen verleihen. Köstlich der irre kleine Hauk-Sendorf mit trippelnden Schritten und schrillem Tenor (Boiko Zvetanov). Rasend und verzweifelt Albert Gregor, der von Peter Straka wegen Indisposition etwas eindimensional gesungen wurde.

Diese knappen, auch musikalisch scharf und schroff gezeichneten Begleitfiguren machen den Weg frei für Emilia Marty, eine der faszinierenden Janácekschen Frauengestalten: Ihre in der Angetrunkenheit, bei dem alles rhythmisch aus dem Tritt gerät, endlich aufbrechende Verzweiflung, mit der die Sinnlosigkeit ewigen Lebens klar wird.

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Blick

19. 6. 2006 / Hans Uli von Erlach

Die Unsterbliche will am Schluss trotzdem sterben

Mit «Die Sache Makropulos» liefert das Opernhaus einen fulminanten Auftakt der Zürcher Festspiele. Der Schweizer Dirigent Philippe Jordan (31) gab am Samstag mit dem skurrilen Werk ein begeisterndes Opernhaus-Debüt.

Jordan hielt das Orchester von der ersten bis zur letzten Sekunde unter Hochspannung. Grell, scharf und manchmal ironisch schildert die Musik die Geschichte. Oft klingt sie wie Sprache. Dann wieder hat sie qualvoll sehnsüchtige, fast romantische Bögen. Ein musikalisch ausserordentlicher Abend.

Was Leos Janácek 1929 vertonte, ist reinstes absurdes Theater. Es geht um die Primadonna Emilia Marty, die nach dem Rezept für das Lebenselixier sucht, das ihr Vater Hieronymus Makropulos im Jahr 1601 erfunden hatte. Den Trank hat sie damals selbst ausprobiert. Resultat: Heute ist sie 337 Jahre alt.

Jetzt verliert der Zauber seine Wirkung, Emilia fühlt ihr Ende nahen. Als sie das Rezept endlich findet, will sie es nicht mehr. Sie sehnt sich nach dem Tod. Die Philosophie der kafkaesken Geschichte: Nur ein Leben, das seine Grenzen hat, hat auch einen Sinn.

Gabriele Schnaut ist eine hinreissende Emilia. Mit oft metallischer Stimmgewalt und schauspielerischer Höchstleistung irritiert und dominiert sie alle übrigen. Sie ist umgeben von einem perfekt besetzten Ensemble. Klaus Michael Grübler hat die Oper als expressives, surreales Theater inszeniert.

Eine riesige Dampflokomotive steht den ganzen Abend bedrohlich auf der Bühne. Symbol für Emilias endlose Reise? Am Schluss steigt sie jedoch nicht ein, sondern wirft sich unter das dampfende Ungetüm.

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Der Landbote

19. 6. 2006 / Herbert Büttiker

Formel für das kurze Menschenleben

Das Leben ist kurz, also muss es intensiv sein: Das sagt Janáceks Musik immer, in «Vec Makropulos» sagt es zudem die Geschichte mit der 337-jährigen (!) Operndiva im Zentrum. Und auch die Festspielpremiere des Opernhauses - unter der Leitung von Philippe Jordan mit Elan musiziert - sagte es.

In Leos Janáceks faszinierender Opernkollektion hat «Vec Makropulos» den schwersten Stand: das Sperrige der komplexen Geschichte, die Konversationsmusik von grossartiger Leuchtkraft, aber auch spröder Vokalität, eine suspekte Hauptgestalt, in deren Schicksal man sich weit schwerer einfühlt als in dasjenige einer Jenufa oder Katja Kabanova – solches lässt die 1926 uraufgeführte zweitletzte Oper Janáceks hintanstehen. Das Opernhaus Zürich hat sie bisher noch nie gespielt.
Aber «Vec Makropulos» ist auch visionäres Musiktheater von höchster Eindringlichkeit, eine Herausforderung für eine anspruchsvolle Bühne, lockend und vor allem lohnend, wie sich an dieser Premiere auch zeigte: Grosser Erfolg für Gabriele Schnaut in der äusserst anspruchsvollen Hauptpartie, für die sie das Kaliber des hochdramatischen Soprans im ganzen Spektrum (eingeschlossen einiges an Schärfe und übermässigem Vibrato), vor allem aber auch darstellerischen Facettenreichtum ins Spiel brachte. Damit hauchte sie einer der schillerndsten Opernfiguren das widersprüchliche Leben ein: Die Operndiva Emilia Marty ist ewig jung und abgestorben zugleich, attraktiv, aber erschreckend kalt. Im Zerfall am Ende wird sie gross und menschlich, und gross ist auch Gabriele Schnauts künstlerische Bewältigung der strapaziösen Schlussszene.

Souveräner Einstand
Grosser Erfolg auch für das Inszenierungsteam um Klaus Michael Grüber, der sich auf eine prägnante Personencharakterisierung konzentriert, unterstützt durch die genaue Kostümarbeit von Moidele Bickel. Dass sich die Personenführung mit dem Surrealismus der Bühnenkonzeption – eine Bahnhofshalle mit Lokomotive – aber letztlich wenig verbindet, mag mit besonderen Umständen zu tun haben: Die Bühnenbildnerin, die italienische Künstlerin Titiana Maselli, die im Februar 2004 gestorben ist, konnte diesen atmosphärischen Raum weder in die Regie einbringen noch modifizieren; umgesetzt wurde die Konzeption von Barbara Bessi.

Ein grosser Erfolg war der Abend vor allem für den jungen Schweizer Dirigenten Philippe Jordan: viel präzise Spannung in der kaleidoskopartigen Kleinteiligkeit dieser Musik, viel Transparenz in der sich aufspaltenden Instrumentation, kraftvoll herausgearbeitete Rhythmik, die Dynamik steil, aber kontrolliert, der musikalische Fluss motorisch stark, aber immer gehalten und offen für die feinen lyrischen Zwischentöne, an denen die Partitur reich ist – all das fügte sich zu einem begeisternd souveränen Einstand am Opernhaus.

Brillante Porträts
Die Oper ist kurz, aber sie handelt von einer langen Biografie: Elina Makropulos ist die Tochter eines Alchemisten, der für Kaiser Rudolf ein Lebenselixier herstellte und dieses an ihr testete. Da sie schwer erkrankte, liess der Kaiser ihren Vater einsperren, sie aber überlebte und steht jetzt, 1922, in ihrem 337. Altersjahr. Aber nun lässt die Wirkung des Elixiers nach, und das Rezept ruht in einem fremden Archiv. Im Stück, das die beiden letzten Tage der Sängerin Emilia Marty zeigt, geht es jedoch zunächst um etwas ganz anderes.

Ein schon seit fast hundert Jahren tobender Rechtsstreit um eine Millionen-Erbschaft zwischen den Familien Gregor und Prus soll eben in diesen Tagen zur endgültigen Entscheidung kommen. Prager Anwälte und Bür ger stehen im Rampenlicht und erhalten geschärftes Profil durch die bewährten Kräfte des Opernhauses: der Kanzleigehilfe mit Volker Vogel, der Advokat Dr. Kolenaty mit Rolf Haunstein, der Ankläger Albert Gregor mit Peter Straka, dessen Kontrahent vor Gericht Baron Jaroslav Prus mit Alferd Muff, ein lächerlich zerrütteter alter Verehrer der Diva mit Boiko Zvetanov – allesamt brillant gezeichnete Porträts mit satirischem Einschlag, zu denen sich anrührend auch das junge Liebespaar Janek (Boguslaw Bidzinski) und Krista (Martina Jankova) gesellt.

Das Glück der Endlichkeit
Alle geraten sie in den Bann des Opernstars Emilia Marty, den sie verehren und begehren, und die glamouröse Sängerin wiederum rückt ins Zentrum des Rechtsstreits, weil sie alles weiss über verschollene Testamente und Verwandtschaftsbeziehungen: denn sie selber hat in einer ihrer früheren Existenzen mit dem Kind einer heimlichen Beziehung den Ausgangspunkt für den Streit geliefert. Jetzt aber interessiert sie sich weniger für das Geschick des jüngsten Abkömmlings ihres Sohnes als für den Verbleib des Rezepts. Um ihre eigene Haut zu retten, ist sie nach über 300 Jahren Lebenserfahrung zynisch desillusioniert genug, die Männer zu gängeln und über Leichen zu gehen (Janek tötet sich).

Doch wie sie das Ziel erreicht, erkennt sie auch die Sinnlosigkeit des ewigen Lebens, und mit ihrem Schlussmonolog lässt der alte Janácek die visionäre Kraft seiner Musik aufblühen, die das Leben im Hier und Jetzt feiert. Sein Fazit: «Wir sind glücklich, weil wir wissen, dass unser Leben nicht lange währt. Deshalb ist es notwendig, jeden Augenblick zu nutzen. Alles in unserem Leben ist Hasten und Sehnen» – Hasten und Sehnen: das ist auch eine Formel für Janáceks Stil der gedrängten Expressivität, des hymnischen Aufleuchtens im ekstatischen Moment. Von dieser Vitalität war auch die Premiere geprägt und entsprechend der Applaus.

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Neue Luzerner Zeitung

20. 6. 2006 / Bruno Rauch

Tod des Traums von der ewigen Jugend

Janáceks Oper «Makropulos» erstmals in Zürich: Im sperrigen Werk um ewige Jugend bringt Dirigent Philippe Jordan (32) Licht ins Dunkle.

In Janáceks vorletzter Oper geht es um ein Elixier, das ewige Jugend verleiht. Und um einen Erbprozess, der sich über Generationen hinzieht. Das Libretto, basierend auf einer Komödie von Karel Capek, ist derart komplex, dass es sich lohnt, die Story vorgängig zu studieren.

Die Sängerin Emilia Marty hat über dreihundert Jahre unter verschiedenen Namen in ganz Europa gelebt. Jetzt, 1922, kehrt sie nach Prag zurück, um die Wirkung des Lebenstranks zu erneuern. Dazu benötigt sie jenes Rezept, das ihr Vater Makropulos, Leibarzt Kaiser Rudolfs II., 1585 erfunden hatte. Und geht dafür buchstäblich über männliche! Leichen, bis sie selbst tot zusammenbricht.

Reise durch die Zeit
Am Samstag hatte das Werk nun erstmals am Opernhaus Zürich Premiere. Eine vage Bahnhofhalle, beleuchtet von zwei Reihen Pendellampen, wird von einer gigantischen Lokomotive in Frontalansicht beherrscht: Chiffre für die Lebensfahrten, Symbol für die Dynamik der Zeit? Ein zur Hälfte rot beziehungsweise blau bemalter Gazevorhang gliedert die Bühne in zwei Bereiche, abwechselnd von den Scheinwerfern der Lok beleuchtet. Zum Schluss setzt sich die Maschine dampfend in Bewegung; die inzwischen gealterte Protagonistin wird buchstäblich von ihrem eigenen Schicksal überrollt.

Rot und Blau sind auch die dominierenden Farben ihrer Kostüme, während die übrigen Figuren von Moidele Bickel zurückhaltend im Stil der 1920er-Jahre eingekleidet wurden. Wenige Versatzstücke, nur schemenhaft erkennbar, suggerieren die jeweiligen Schauplätze: Aktenturm, Wandtelefon und Sessel für die Advokatur; Rückansichten von Kulissen fürs Theater, wo die Diva auftritt; Schrankkoffer für ihr Hotelzimmer. Das lässt dem Ensemble genügend Aktionsraum, was Klaus Michael Grübers Regie subtil und sinnfällig nützt. Das permanente Dämmerlicht schafft eine stimmige, wenn auch etwas gleichförmige Atmosphäre, die manches im doppelten Sinn im Dunkeln belässt.

Vokale Tour de force
Inhaltliches und musikalisches Zentrum des Abends ist Gabriele Schnaut als grossartige Emilia Marty. Mit unglaublicher Präsenz bewältigt sie die gewaltige Partie und gewinnt der schillernden Gestalt mit schneidend kaltem und auch lyrisch weichem Stimmtimbre dämonische und verletzliche Facetten ab. Ihr Zerfall, gezeichnet von Alkohol und Zynismus, wird zum erschütternden Höhepunkt des Abends.

Trotz angekündigter Indisposition setzt Peter Straka als Emilias Verehrer (und unwissentlich ihr) Nachfahre Albert seinen etwas brüchig gewordenen Tenor mit packender Intensität ein. Der Luzerner Alfred Muff verleiht dem gegnerischen Baron Prus berechnendes Profil, Rolf Haunstein gibt einen untadeligen Anwalt Kolenaty. Unter den zahlreichen kleineren gut besetzten Rollen berührt Boiko Zvetanov als irre gewordener Ex-Liebhaber.

Philippe Jordan gelingt es, Farbreichtum und Sprödigkeit der dichten Partitur wunderbar herauszuarbeiten. Bei aller gesteigerter Expressivität und fulminanter Attacke belässt sein energetisches Dirigat den Sängern Raum und Atem für die in diesem Werk so wichtige deklamatorische Prägnanz.

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Neue Zürcher Zeitung

19. 6. 2006 / Peter Hagmann

Wenn etwas zu lange währt

«Vec Makropulos» von Leos Janácek im Opernhaus

337 Jahre alt zu werden - das ist vielleicht doch nicht der dringendste der Wünsche. Jedenfalls nicht, wenn man Emilia Marty gesehen hat alias Elian MacGregor alias Elina Makropulos. Die über drei Jahrhunderte, welche die berühmte Sängerin unter der Einwirkung eines lebensverlängernden Elixiers - ihr Vater, Leibarzt des habsburgischen Kaisers Rudolf II. in Prag, hatte es im ausgehenden 16. Jahrhundert an seiner Tochter ausprobieren müssen - auf unserer schönen Erde verbracht hat, liessen sie stumpf und zynisch werden. Wenn sie ein junges Liebespaar sieht, fragt sie nur, ob sie sich schon gehabt hätten, aber eigentlich sei es ja egal, es bringe ohnehin nichts. Einen Tabubruch nach dem anderen begeht sie, ihre Umgebung gerät mehr und mehr aus der Fassung, doch schliesslich ist sie auch das leid. Sie stirbt, endlich, ihren wohlverdienten Tod.

Die eine und die anderen
«Vec Makropulos», die Komödie von Karol Capek, die Leos Janácek in den Jahren 1923 bis 1925 in Musik setzte, kann nur funktionieren, wenn die Besetzung der Hauptrolle stimmt. In der Neuinszenierung des Stücks, die das Opernhaus Zürich anlässlich der Eröffnung der Zürcher Festspiele herausgebracht hat, ist das in glücklichem Mass der Fall. Auch Gabriele Schnaut ist eine sehr bekannte und seit langem geschätzte Sängerin; wenn sie ihre Stimme erhebt, klingt ihre ganze Erfahrung im Umgang mit den hochdramatischen Partien von Wagner und Strauss an, werden Erinnerungen wach an die grossartigsten Liebestode und Opferszenen. Emilia Marty ist bei ihr eine egozentrisch verschnupfte und theatralisch aufbrausende Diva - und das kommt alles aus einem so genuinen Temperament heraus, dass das riesige Vibrato, das die Töne förmlich oszillieren lässt, schon fast nicht mehr stört.

Allerdings dominiert Gabriele Schnaut mit dem durchaus auf Kraftentfaltung bauenden Verständnis ihrer Partie das Geschehen derart, dass sich auch die Umstehenden in diese Richtung gedrängt fühlen - nicht nur zu ihrem Vorteil. Über weite Strecken wird in dieser Aufführung so sehr gebrüllt, dass der Konversationston, den Janácek in ganz eigener Weise musikalisch gefasst hat, verloren geht. Als Albert Gregor, ein mehr oder weniger entfernter Nachfahre der Emilia Marty, agiert Peter Straka mit anhaltendem Überdruck (und dazu kam an der Premiere eine Indisposition). Sein Konkurrent Jaroslav Prus kommt bei Alfred Muff zwar zu herrlich voluminösem Klang, aber auch zu einförmiger Gestaltung. Während Rolf Haunstein den an seinem Mandat klebenden Advokaten Kolenaty mit wenig Kontur versieht und auch der Janek von Bogusaw Bidziski unscheinbar bleibt. Lichtblicke bieten Martina Janková, welche die junge Krista mit anrührend einfachem Ton singt, und Boiko Zvetanov, der den überdrehten Hauk-Schendorf zu einer klassischen Narrenrolle macht - vor allem aber Volker Vogel, der die marginale Partie des juristischen Faktotums durch seine ganz stille und zugleich eindringliche szenische Präsenz aufwertet.

Womit auch hier, wie so oft im Opernhaus Zürich, eine Titelrolle durch ein bisweilen etwas schmächtiges Ensemble garniert ist. Und dem entspricht, was aus dem Orchestergraben kommt. Dort gibt der junge, aber schon sehr umworbene Schweizer Dirigent Philippe Jordan sein Début - und auch er setzt auf Lautstärke. In der gewiss ehrlichen Absicht, dem Stück die komödiantische Harmlosigkeit auszutreiben und zu unterstreichen, dass Janáceks Musik dem Stoff noch ganz andere Dimensionen abringt. Die Ouverture hebt vielversprechend an, stellt sie doch das Kantige und das Warme in Janáceks Tonsprache spannungsvoll nebeneinander. Doch in der Folge dröhnt es vornehmlich, und dies in einer Kraft, die dem kleinen Raum wenig entspricht. Das müsste nicht sein; Kanten ergeben sich ja nicht ausschliesslich aus Lautstärke, da tun auch Farbgebung und Artikulation ihre Dienste. Das Orchester der Oper Zürich hätte ausserdem gut und gern noch ein, zwei Proben brauchen können. Viel Zeit zur Perfektionierung bleibt nämlich nicht, es gibt in dieser Saison nur mehr fünf weitere Vorstellungen.

Die grosse Müdigkeit
Wenn der Vorhang aufgeht, blickt man auf eine hübsche Dampflokomotive, die geradewegs in den Zuschauerraum zu fahren droht (am Ende setzt sie sich denn auch in Bewegung). Die verstorbene italienische Künstlerin Titiana Maselli, die das von Barbara Bessi ausgeführte Bühnenbild entworfen hat, und die Kostümbildnerin Moidele Bickel verankern das Stück in seiner Entstehungszeit, was nicht ohne Reiz ist und zu optisch attraktiven Lösungen führt. Die szenische Ausgestaltung der einzelnen Figuren, für die der Regisseur Klaus Michael Grüber hätte sorgen sollen, bleibt aber wenig fassbar. Grüber ist ein Meister der Feinzeichnung, den nur schätzen kann, wer genau hinschaut. Hier gab es nun allerdings wenig zu entdecken; es war, als hätte die Müdigkeit, die sich der Emilia Marty alias Elian MacGregor alias Elina Makropulos bemächtigt hat, auf den Regisseur durchgeschlagen. So steht auch diese Produktion im Widerspruch zur Hochpreispolitik und zur forcierten Imagepflege des Hauses; sie ist über weite Strecken zweitklassig.

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St. Galler Tagblatt

19. 6. 2006 / Verena Naegele

Verdammt zum ewigen Leben

Eine Janacek-Entdeckung eröffnet die Zürcher Festspiele: «Die Sache Makropulos»

Es ist ein spektakulärer Abend: Am Opernhaus imponiert Janaceks «Die Sache Makropulos» nicht dank grosser Gesten, sondern durch feine Nuancen und Farbigkeit in Musik und Regie.

Philippe Jordan, der Shootingstar der Dirigentenszene, hat sich für sein mit Spannung erwartetes Debüt am Opernhaus Zürich wahrlich keinen Klassiker ausgesucht. Und trotzdem wurde «Die Sache Makropulos», eine eher selten gespielte Oper von Leos Janacek aus der Reifezeit, zum bejubelten Einstand des jungen Schweizers.

«Mit meinem Vater Armin Jordan verbindet mich die Affinität zum Klang, zur Klangkultur», sagte Philippe Jordan zuvor. Wie Recht er damit hat, demonstrierte er eindrücklich in Janaceks Meisterstück.

Krimi um eine Familie
Mit schier unerschöpflichen kompositorischen Mitteln gelingt Janacek eine tiefenpsychologische Deutung der Figuren. Trotz der Kleinzelligkeit und der stark rezitativisch gestalteten Faktur trägt die Musik mit Farbe und sprechender, differenzierter Rhythmik durch das Stück.

Jordan agierte und reagierte trotz einiger Unsauberkeiten insgesamt in bestechender Manier mit dem Sängerensemble, betonte die Nuancen und baute doch alles auf den bewegenden Schlussmonolog der Emilia Marty hin: Das Outing einer Frau, die nach 300 Jahren «ewigen» Lebens genug hat und in den Tod geht. Gabriele Schnaut verleiht dieser Reifezeit einer verdammten Frau vokal und darstellerisch eine verinnerlichte, zu Herzen gehende Kraft. Erstaunlich, wie sie dabei ihre zu starkem Vibrato neigende Stimme immer wieder zu bändigen und ins schlanke Piano zurückzunehmen vermag, wie sie aber auch scheinbar unkontrollierte Ausbrüche wagt. Mit solch differenziertem Agieren in Spiel und Ton steht oder fällt «Die Sache Makropulos», ein Konversationsstück, in dem eigentlich über zwei Stunden lang kaum etwas passiert und das doch wie ein Krimi abläuft.

Da wird über den seit 100 Jahren geführten Prozess der Familien Prus gegen Gregor gestritten, den Emilia Marty durch ihre scheinbar hellseherischen Fähigkeiten zu einer neuen Dimension führt: Sie weiss, wo das seither verschollene Testament liegt, das Klarheit bringt – sie lebte ja schon damals. Die Zeit ist zentraler Faktor des Stücks, den Regisseur Klaus Michael Grüber geschickt mit einer Dampflokomotive und einem Wandtelefon als zeitgebundene und zugleich zeitentrückende Metaphern andeutet (Bühne Titina Maselli und Barbara Bessi). Und Grüber macht schon gar nicht den Versuch, «Action» ins Geschehen einzubringen, vielmehr konzentriert er sich auf fein ziselierte Personenführung.

Scharf erkannte Figuren
In diese Differenzierung passen auch die Kostüme von Moidele Bickel, wunderbar das an Turandot erinnernde Divenkleid Emilias im zweiten Akt, prägend das glutorange Frottiertuch, unter dem sich Emilia resigniert versteckt. Es sind diese Finessen, die den Figuren auf der Bühne die Konturen verleihen: köstlich der irre kleine Hauk-Sendorf mit trippelnden Schritten und schrillem, klar geführtem Tenor (Boiko Zvetanov), rasend und verzweifelt der verliebte Albert Gregor, der von Peter Straka wegen Indisposition etwas eindimensional gesungen wurde.

Da ist aber auch der blasse, ganz im Schatten des Vaters stehende Janek (Boguslav Bidzinski), der dominante, herrschaftlich gekleidete Jaroslav Prus (Alfred Muff), der nach einer erpresserisch erkauften Liebesnacht beim Ankleiden konstatieren muss: «Kalt wie Eis.» Es sind diese knappen, auch musikalisch scharf und schroff gezeichneten Begleitfiguren, die den Weg frei machen für Emilia Marty, eine der vielen faszinierenden Janacek'schen Frauengestalten: Ihre in der Angetrunkenheit, bei der auch das Orchester rhythmisch aus dem Tritt gerät, endlich aufbrechende Verzweiflung und Einsamkeit, mit der die Sinnlosigkeit ewigen Lebens und die Berechtigung des Todes klar wird.

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Die Südostschweiz

19. 6. 2006 / Werner Pfister

Ein Alptraum von ewiger Jugend am Opernhaus

80 Jahre lang wartete das Zürcher Opernhaus, bis es Janáceks vielleicht unbarmherzigste Oper auf die Bühne zu bringen wagte. Das Warten hat sich gelohnt: eine grossartige Produktion, eine absurde Seelenschau der Sonderklasse.

Unglaubliche 337 Jahre ist sie alt, wenn sie die Bühne betritt: die gefeierte Operndiva Emilia Marty - ewig jung, Männer verführend, nie verblühend, aber im Innern etwa so resonanzlos künstlich, wie es Plastikblumen sind. In ihrer Kindheit wurde sie gezwungen, ein lebensverlängerndes Elixier einzunehmen. Nun geht dessen Wirkung seinem Ende entgegen, weshalb Emilia - wir schreiben mittlerweile das Jahr 1922 - nach Prag zurückkehrt und mitten in einen Erbschaftsprozess platzt.

Licht in die Akten kann nur Emilia bringen. Und genau darum geht es in Leos Janáceks Oper «Vec Makropulos» («Die Sache Makropulos»), die derzeit an den Zürcher Festspielen aufgeführt wird: Es geht um ein schrittweises Aufdecken der Vergangenheit, was zum Teil spannend wie ein Krimi ist. Und gleichzeitig geht es um Emilia selber, um die Enthüllung ihres absurden Lebensgeheimnisses und - damit verbunden - um die Frage, ob der Traum von ewiger Jugend, von uns allen geträumt, in Wirklichkeit nicht ein Alptraum ist.

Humane Subtilität
Ein durchaus aktuelles Thema also; eine Oper, die im grossstädtischen Leben spielt, in der Anwaltskanzlei, der Hotelsuite, der Theatergarderobe. Ungefähr das sehen wir auch auf der Bühne - mehr Andeutung zwar als Deutung und insgesamt etwas augenfeindlich, was das einfallslose Dauerschwarz des Bühnenraums anbelangt. Auf punktgenaue Reduktion ist Klaus Michael Grübers hellwache Inszenierung angelegt, die schnörkellos ins Bild setzt, was die Handlung erfordert, indem Schicht um Schicht ihrer psychologischen Tiefendimension mit respektvoller, ja humaner Subtilität freigelegt wird.

Denn der Traum von ewiger Jugend, das ist ein seelenzerfressender Alptraum im Zeitalter des technischen Fortschrittsglaubens. Dieser mag jene rauchende Dampflokomotive legitimieren, vor deren Räder sich Emilia Marty wirft nach einem berührenden Schlussmonolog über das Glück des endlichen Menschenlebens. Denn gerade in seiner Begrenztheit liege sein Sinn; «aber in mir ist das Leben stehen geblieben».

Starkes Ensemble
Gabriele Schnaut, die ihr mit immensem Beifall quittiertes Debüt als Emilia Marty gab, spielte das mit ausserordentlicher Intensität und sang mit jenem schwermetallisch-dramatischen Timbre, das zwar perfekt zur Seelenlosigkeit ihrer Existenz passen mag, manchmal aber fast nur noch vokales Gekeife ist. Alfred Muff stellte den Jaroslav Prus ganz als Pragmatiker dar - auch stimmlich ein Mannsbild vom Scheitel bis zur Sohle. Trotz einer Indisposition vermochte Peter Straka als Albert Gregor spielend glaubhaft zu machen, warum er (und darin seinem Vater gleich) der nicht fassbaren Persönlichkeit Emilia Martys hoffnungslos verfällt. Dasselbe Schicksal, diesmal aber mit tödlichem Ausgang, ereilt auch Janek Prus, von Boguslaw Bidzinski überzeugend als verschüchterter Weichling dargestellt. Grossartig ist schliesslich auch Martina Janková in der Rolle der jungen Opern-Elevin Krista, schwankend zwischen der Neigung zum Beruf und zur Liebe, gleichsam eine Emilia Marty am Anfang ihrer Karriere und doch, zum Schluss der Oper, das Rezept fürs Elixier zerreissend.

Das eigentliche Ereignis aber war Janáceks Musik, eine Musik der Kanten, Schärfen und Schroffheiten. Unter den Händen des jungen Schweizer Dirigenten Philippe Jordan entfalteten sich ihre sprechmotivischen Strukturen in der Tat als «Fensterchen zur Seele» (Janácek), entfaltete sich aber auch ihr starkes lyrisches Potenzial. Alles war da: Klangpracht, Detailschärfe, rhythmische Härte, ein authentischer, durchaus bekenntnisvoller Ton. Immer wieder schien diese Musik zu ungeahnten Höhenflügen abzuheben, und das auf weit gespannten Schwingen emotionaler Bewegtheit. Expressiv, in herben Farben leuchtend, überwältigend schön; gleichzeitig innig und kristallklar, gefühlstief und unsentimental. Mit Philippe Jordan stand ein Experte am Pult, dem nichts entging; auch für ihn frenetischer Applaus.

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Tages-Anzeiger

19. 6. 2006 / Thomas Meyer

Arme dreihundertjährige Schönheit

Erstmals ist im Opernhaus Leo Janáeks Oper «Die Sache Makropulos» zu sehen. Klaus Michael Grüber überlässt die Regie fast ganz dem Orchester.

Den ganzen Abend über steht sie unbeweglich im dunklen Hintergrund, die altmodische Dampflok, und man fragt sich, was sie da soll. Erzählt wird in diesem Stück von einem Leben, das seit 337 Jahren währt, das nicht enden will und das in seiner Todlosigkeit gelangweilt stehen bleibt. Elina Makropulos, Tochter des Leibarztes von Kaiser Rudolf II., seit über 300 Jahren unsterblich dank eines Elixiers ihres Vaters, ist nach Prag zurückgekehrt, weil sie das Rezept, das sie einst einem Liebhaber gab, wieder braucht, um ihre Unsterblichkeit zu erneuern. Im Erbkonflikt mitden Nachkommen ebendieses Liebhabers schliesslich erkennt sie endlich den Sinn des Sterbens und stirbt.

Ein absurder Stoff, der viel Hintersinn birgt, ist «Vec Makropulos», eine tragische Kriminalkomödie von Karel apek, die Leo Janáek vertont hat und die 1926 in Brünn uraufgeführt wurde. 1922 spielt das Stück, in einer Gegenwart also (was für eine Oper allein schon ungewöhnlich ist) und doch in der Vergangenheit, die keinen Sinn hat, weil die Zukunft für die Hauptdarstellerin gleichgültig geworden ist.

Eine Opernsängerin mit wechselnden Namen ist diese Elina Makropulos zudem, sie ist, just etwa so alt wie die Form der Oper selber, eine Diva, was der Rolle einen besonderen Reiz verleiht. Denn Janáeks «Die Sache Makropulos» ist wie Schönbergs «Moses und Aaron», Richard Strauss' «Capriccio», ja auch Puccinis «Turandot» ein Werk, das die Gattung Oper an einem ihrer Enden nochmals spiegelt. Sprachgesang, parlar cantando: Das ist Musik, die der Sprechmelodie abgelauscht ist. Folgerichtig ist es, dass diese Hauptfigur denn auch von einer Diva verkörpert wird: Gabriele Schnaut, aus grossen Wagner- und Strauss-Rollen auch in Zürich bekannt, hat eine grosse Stimme und ist eine imposante Erscheinung. Und die leichte Schärfe in ihrer Stimme ist gerade dazu angetan, die schneidende Kälte dieser Person darzustellen, die nur momenteweise Gefühle zulässt. Diese Darstellung gelingt Gabriele Schnaut stimmlich und über weite Strecken auch darstellerisch höchst überzeugend.

Die Musik folgt der Sprache
Und das mit allen Gefühlswechseln, denn die eigentliche Herausforderung von «Vec Makropulos» ist: Es ist ein Konversationsdrama (glücklicherweise erscheint heutzutage der deutsche Text in Übertiteln). Der Autor selber bezweifelte, ob es sich zur Oper eigne, liess den Komponisten dann aber gewähren. Gelegentlich ist diese Operntauglichkeit auch später bemängelt worden, und doch ist gerade diese Sprachnähe das Spannende an dem Werk. Janáek folgt der Sprache quasi Satz für Satz, nicht nur im Singduktus, sondern auch im wunderbar farbigen und vielschichtigen Orchestersatz. Von Partikel zu Partikel verändert sich die Textur, manche überlagern sich, das Klangbild ist ungemein sprunghaft, extreme Klangvaleurs werden aufgesucht und ausgelotet. Das darf man nicht glätten, und doch sollte der Fluss der Konversation gewahrt bleiben. Eine heikle Aufgabe, die das Opernhausorchester unter der Leitung des jungen Philippe Jordan insgesamt mit Flexibilität bewältigt, wenn auch im Detail noch Abstriche zu machen wären. Dass dieses Ensemble auf Risiko spielt, wird der Musik freilich viel eher gerecht als eine wohlabgerundete Interpretation.

Vielleicht könnte man sogar sagen, dass sich das Wesentliche im Orchester abspielt. Von daher ist es konsequent, dass Regisseur Klaus Michael Grüber nicht zu viel aus dem Bühnengeschehen machen will, dass sich das Stück über lange Zeit nur im vorderen Teil der Bühne bewegt. Im Hintergrund scheint sich freilich stets etwas zu regen. Was das soll? Es stört zumindest nicht. So wie sich die Kostüme von Moidele Bickel der Epoche anpassen (der Janek von Boguslaw Bidziski sieht aus, als wäre er einem Stummfilm entsprungen), so folgt auch die Personenführung dem Konversationston. Das wirkt in diesem Ensemble wohltuend unaufgeregt, genau geführt. Zu nennen wäre da vor allem Alfred Muff (als Baron Prus), dann der leicht indisponierte und deswegen entschuldigte Peter Straka (als Albert Gregor), Rolf Haunstein (als Anwalt Kolent), Boiko Zvetanov (als skurriler Graf Hauk) sowie Martina Jankova (als junge Sängerin Krista, der es schliesslich obliegt, das Rezept des Elixiers zu zerstören).

Der Tod steht ihr gut
Sie alle gruppieren sich locker um die fast übermächtig zentrale Rolle der Elina Makropulos, sie halten aber auch das Stück in Gang. Erst am Schluss, wenn diese ihr Geheimnis enthüllt und die anderen Personen zur Staffage werden, öffnet sich der Raum in die Tiefe. Das Bühnenbild, das von der 2004 verstorbenen Künstlerin Titina Maselli konzipiert und von Barbara Bessi umgesetzt wurde, verliert seltsamerweise gerade da an Wirkung. Das Bühnengeschehen friert ein, als müsse es nun doch noch einer tiefsinnigen und effektvollen Symbolik im Schlussbild zu ihrem Recht verhelfen. Aha! Jetzt endlich setzt sich die Lok in Bewegung und nimmt langsam, aber unaufhaltsam die Protagonistin mit in den Tod.

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Zürcher Oberländer

19. 6. 2006 / Sibylle Ehrismann

Verheerender Wunsch nach ewiger Jugend

Das war ein Abend der Superlative. Die Zürcher Premiere von Janáceks schwierigster Oper «Die Sache Makropulos» wurde am Samstagabend in jeder Hinsicht zu einem überwältigenden Erfolg.

Der junge Schweizer Dirigent Philippe Jordan packte die Herausforderung dieser komplexen und vielschichtigen Partitur mit souveräner Gestaltungskraft, Regisseur Klaus Michael Grüber inszenierte mit meisterhafter Ökonomie und musikalisch-gestischer Präzision, und die Sängerin Gabriele Schnaut gab mit der Emilia Marty ein sängerisch wie szenisch grandioses Rollendebüt.

Leos Janácek hat mit seinen Opern «Jenufa» und «Katja Kabanowa» Seelengemälde von leidenschaftlicher Grösse geschaffen. Er, der die Frauen liebte und verehrte, hat seinen weiblichen Protagonisten aber nicht nur Grösse, sondern auch irdisches Leben, ja volkstümliche Echtheit verliehen. Und kein zweiter Opernkomponist hat - mit Ausnahme vielleicht von Benjamin Britten - seine Musik derart präzise und intensiv aus der tschechischen Sprache heraus entwickelt wie er, aus ihrem natürlichen Klang und ihrer rhythmischen Eigenart heraus.

Kleinste motivische Zellen
In seiner 1926 uraufgeführten Oper «Die Sache Makropulos» treibt er diese stilistische Eigenart ins Extrem: Janacek verzichtet gänzlich auf volkstümliche Klänge und lyrische Melodien. Er arbeitet vielmehr mit kleinsten motivischen Zellen, die er aus dem Sprachrhythmus heraus gewinnt. Das Libretto hat er ja auch selber eingerichtet, auf die gleichnamige Komödie von Karel Capek. Diese enge Verzahnung kleinster Zellen führt zu einer komplexen Partitur und zu einem Gesang, der zwischen Sprechen und Singen hin und her pendelt.

Die Geschichte ist surreal und offenbart eine erschütternde Wahrheit. Die gefeierte Hofopernsängerin Emilia Marty ist jung und schön, eine Operndiva von mysteriöser Ausstrahlung mit vielen Verehrern. Dennoch weiss sie über den hundertjährigen verbitterten Erbschaftsstreit und den Toten von damals überraschenderweise jedes Detail. Ganze zwei Stunden lang lässt sich Janacek Zeit, um im Grenzgang zwischen Gegenwart und Surrealität die unmögliche Wahrheit ans Licht zu bringen: Emilia Marty wurde vor über 300 Jahren als Tochter des griechischen Kaisers geboren und ist nun wegen eines medizinischen Experiments unsterblich.

Doch Emilia ist mit ihren 337 Jahren sehr einsam geworden, sie hat keine Seele mehr, die Unsterblichkeit hat ihr jeden Sinn und jede Lust für das Leben geraubt. Gabriele Schnaut ist fast ununterbrochen auf der Bühne. Anfangs spielt sie noch mit ihren Verehrern, sie könnte jeden haben, und der junge Janek nimmt sich sogar das Leben, weil sie seine Liebe nicht erwidert. Das alles lässt sie kalt, sie macht einfach weiter, ewig jung, schön und begehrenswert. Doch ganz allmählich und immer deutlicher bricht ihre Einsamkeit durch. Sie hat schon so viele Männer gehabt, wovon sie auch viele Wunden trägt, und das Leben ist in ihr zum Stillstand gekommen.
Bravourös gespielt

Gabriele Schnaut vermag diese grossartige Partie mit enormem Stehvermögen und bewundernswerter Agilität zu gestalten. Man nimmt ihr jeden Satz ab, mag er noch so unmöglich sein, und der Wechsel zwischen Operndiva und Mensch spielt sie bravourös aus. In dem Moment, als sie sich entschliesst, die Wahrheit zu sagen, kippt die Musik rhythmisch leicht aus dem Lot. Sie ist betrunken, sie will nicht mehr, die surreale Vergangenheit bricht aus ihr heraus. Im Orchester wird das alles im kleinsten Detail und im grossen Bogen miterzählt. Die letzte Steigerung dauert sicher ein halbe Stunde, und die Musik steigert und steigert und steigert sich mit bezwingender Stringenz bis zu Emilias selbstgewolltem Tod.

Janaceks Ausloten harmonischer und stimmlicher Grenzbereiche weiss Philippe Jordan ohne Härten und ohne Übertreibung voll auszuschöpfen. Tiefes Blech mischt sich immer wieder ein, die Bläser werden überhaupt stark gefordert, und der Streicherklang passt sich dem Gesprochenen eigentümlich an. Dass Jordan bei dieser kleinzelligen Struktur den grossen Bogen nie aus den Augen verliert, ist grosse Klasse. Interessant ist aber auch, wie Klaus Michael Grüber seine Figuren ganz in die Musik hineinbettet, ihre Gestik präzise aus ihr entwickelt und mit einer Reduktion aufs Wesentliche die Spannung noch zu steigern vermag.

Herrliche Kostüme
Es sind die herrlichen Kostüme, welche Moidele Bickel für Emilia entworfen hat, die die Szenerie sinnig beleben: die prunkvolle chinesische Schleppe mit Drachenmotiv - eine Anspielung auf Turandot - die rosa Feder-Boa, das schwarze Samtkleid und der Kopfschmuck - diese Frau spielt alle Fazetten aus. Auch der Bühnenraum der in der Zwischenzeit leider verstorbenen italienischen Künstlerin Titina Maselli spielt mit transparenter Malerei, einer überdimensionierter Dampflokomotive als Sinnbild für die Moderne, und mit mysteriösem Licht. Alles greift an diesem Abend ineinander, es stimmt in sich, modern und erschütternd. Eine Komödie über den Wunsch nach ewiger Jugend kippt in die menschlichste Tragödie, und alle ziehen an einem Strang.

Gelungene Rollendebüts
Von den vielen gelungenen Rollendebüts seien hier nur die grösseren Partien erwähnt: Martina Jankova singt die Krista mit lichter klarer und lebensfreudiger Stimme, und ihr Geliebter Janek, der sich das Leben nimmt, wird von Bog uslaw Bidzinski mit überzeugender «stotternder» Naivität dargestellt. Auch Peter Straka vermag als Emilias UrUrUrUrUr-Enkel Gregor den unglückseligen Burschen, der sich in seine Urahnin verliebt hat, mit weicher und agiler Stimme betörend darzustellen

Einen seiner glanzvollsten Auftritte hatte Boiko Zvetanov als irrer Komödiant Hauk-Sendorf, während Rolf Haunstein als Dr. Kolenaty einen musikalisch wie szenisch sehr präzise agierenden Pedanten abgibt. Und Alfred Muff vermag als Baron Prus und Vater des dummen Janek einen souverän prägenden Patriarchen-Charakter auszuspielen. Es gab stürmischen Bravo-Applaus für die ganze Crew.

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Zürichsee-Zeitung

19. 6. 2006 / Werner Pfister

Ein Albtraum von ewiger Jugend

80 Jahre lang wartete das Opernhaus, bis es Janaceks vielleicht unbarmherzigste Oper erstmals auf die Bühne zu bringen wagte. Doch das Warten hat sich gelohnt: eine beeindruckende Produktion, ein Seelenstriptease der Sonderklasse.

Unglaubliche 337 Jahre ist sie alt, wenn sie die Bühne betritt: die gefeierte Operndiva Emilia Marty, ewig jung, Männer verführend, nie verblühend, aber im Innern etwa so resonanzlos künstlich, wie es Plastikblumen sind. In ihrer Kindheit wurde sie gezwungen, als Probandin jenes lebensverlängernde Elixier einzunehmen, das ihr Vater Hieronymus Makropulos, der griechische Leibarzt des Habsburger Kaisers Rudolf II., erfunden hatte. Nun geht die Wirkung dieses Elixiers (Vec Makropulos) seinem Ende entgegen, weshalb Emilia - wir schreiben mittlerweile das Jahr 1922 (das Entstehungsjahr der Komödie «Vec Makropulos» von Carel Capek, auf der Janaceks Oper basiert) - nach Prag zurück kehrt, wo sie das Rezept dort wieder zu finden hofft, wo sie es einst sicher glaubte: bei ihrem einstigen Liebhaber Baron Ferdinand Prus. Aus dieser Liebschaft ging damals ein unehelicher Sohn hervor, und einer von dessen Nachkommen, der junge Albert Gregor, kämpft gegen die Nachkommen der Prus einen bereits hundert Jahre währenden Kampf um deren respektive um sein Erbe.

Licht in die Vergangenheit kann nur Emilia bringen. Und genau darum geht es in Janáceks Oper: um ein schrittweises Aufdecken dieser Vergangenheit, um das Ausfindigmachen von Belegen und Beweisen, was zum Teil spannend wie ein Krimi ist. Und gleichzeitig geht es um Emilia selber, um die Enthüllung ihres absurden Lebensgeheimnisses und, damit verbunden, um die Frage, ob der Traum von ewiger Jugend, von uns allen geträumt, in Wirklichkeit nicht ein Albtraum ist.

Ein durchaus heutiges Thema also; eine Oper, die im grossstädtischen Leben spielt, in der Anwaltskanzlei, der Hotelsuite, der Theatergarderobe. Ungefähr das sehen wir auch auf der Bühne (nach Entwürfen der der 2004 verstorbenen italienischen Malerin Titina Maselli), mehr Andeutung zwar als Deutung und insgesamt etwas augenfeindlich, was das einfallslose Dauerschwarz des Bühnenraums anbelangt. Auf punktgenaue Reduktion ist indes Klaus Michael Grübers hellwache Inszenierung angelegt, die schnörkellos ins Bild setzt, was die Handlung erfordert, indem Schicht um Schicht ihrer psychologischen Tiefendimension mit respektvoller, ja humaner Subtilität freigelegt wird.

Denn der Traum von ewiger Jugend, das ist ein seelenzerfressender Albtraum im Zeitalter des technischen Fortschrittsglaubens. Dieser mag jene rauchende Dampflokomotive legitimieren, vor deren Rädern sich Emilia Marty wirft nach einem berührenden Schlussmonolog über das Glück des endlichen Menschenlebens. Denn gerade in seiner Begrenztheit liege sein Sinn; «aber in mir ist das Leben stehen geblieben».

Grossartiges Ensemble
Gabriele Schnaut, die ihr mit immensem Beifall quittiertes Debüt als Emilia Marty gab, spielte das mit ausserordentlicher Intensität und sang mit jenem schwermetallisch-dramatischen Timbre, das zwar perfekt zur Seelenlosigkeit ihrer Existenz passen mag, manchmal aber fast nur noch vokales Gekeife ist. Alfred Muff stellte den Jaroslav Prus ganz als Pragmatiker dar, auch stimmlich ein Mannsbild vom Scheitel bis zur Sohle.

Trotz einer Indisposition vermochte Peter Straka als Albert Gregor spielend glaubhaft zu machen, warum er (und darin seinem Vater gleich) der nicht fassbaren Persönlichkeit Emilia Martys hoffnungslos verfällt. Dasselbe Schicksal, diesmal mit tödlichem Ausgang, ereilt auch Janek Prus, von Boguslaw Bidzinski überzeugend als verschüchterter Weichling dargestellt. Grossartig Martina Janková in der Rolle der jungen Opernelevin Krista, schwankend zwischen der Neigung zum Beruf und zur Liebe, gleichsam eine Emilia Marty am Anfang ihrer Karriere und doch, zum Schluss der Oper, das Rezept fürs Elixier zerreissend.

Ein Experte am Pult
Das eigentliche Ereignis aber war für mich Janaceks Musik, eine Musik der Kanten, Schärfen und Schroffheiten. Unter den Händen des jungen Schweizer Dirigenten Philippe Jordan entfalteten sich ihre sprechmotivischen Strukturen in der Tat als «Fensterchen zur Seele» (Janacek), entfaltete sich aber auch ihr starkes lyrisches Potential. Alles war da: Klangpracht, Detailschärfe, rhythmische Härte, ein authentischer, durchaus bekenntnisvoller Ton. Immer wieder schien diese Musik zu ungeahnten Höhenflügen abzuheben, und das auf weit gespannten Schwingen emotionaler Bewegtheit. Expressiv, in herben Farben leuchtend, überwältigend schön; gleichzeitig innig und kristallklar, gefühlstief und unsentimental. Mit Philippe Jordan stand ein Experte am Pult, dem nichts entging; für ihn frenetischer Applaus.

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