Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Leos Janácek: Das schlaue Füchslein
15. Oktober 2006 (Premiere)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreographie
Lichtgestaltung
Chorein
studierung

Füchslein Schlaukopf
Der Fuchs

Franzl
Sepp
Försterin/Eule
Das junge Füchslein
Schopfhenne
Specht/Wirtin
Eichelhäher/Grille
Heuschrecke
Förster
Pfarrer/Dachs
Schulmeister/Dackel
Haraschta
Gastwirt
Frosch
Mücke
Hahn
Adam Fischer
K
atharina Thalbach
Ezio Toffolutti
Darie Cardyn
Hans-Rudolf Kunz
Jürg Hämmerli

Martina Janková
Judith Schmid
Ana Maria Labin
Vida Mikneviciute
Liuba Chuchrova
Nicole Davidson
Rebeca Olvera
Kismara Pessatti
Wakako Ono
Rahel Lichdi
Oliver Widmer
Pavel Daniluk
Peter Straka
Valeriy Murga
Manuel Betancourt
Maurice Coens
Boguslaw Bidzinski
Miroslav Christoff

Rezensionen
        Vox spectatricis:
(Persönlicher Eindruck
Aargauer Zeitung:
Blick:
Der Bund
Der Landbote:
Neue Luzerner Zeitung:
Neue Zürcher Zeitung:
St. Galler Tagblatt:
Die Südostschweiz:

Tages-Anzeiger:
Zürcher Oberländer:
Auch Füchse haben Migräne
einer Premièren-Besucherin)
Vom Frosch geküsst
Ei, wie niedlich
Märchenhafte Fabel

Auge und Ohr am Waldboden
Eine tierisch verspielte Märchenoper
Ein Märchenwald aus dem Bilderbuch
Füchslein tollt im Märchenwald
Eine Oper, bei der sich Fuchs und Dachs gute Nacht sagen
Kleine Tiere und übergrosse Menschen
Waldesweben und Wonnemond
    

Vox spectatricis

16. 10. 2006 / Chantal Steiner

Auch Füchse haben Migräne

Die gestrige Premiere von Janáceks „Das schlaue Füchslein“ endete mit lautstarken Beifallskundgebungen des entzückten Publikums.

Dies, obwohl die Musik von Janácek sich einem nicht auf den ersten Augenblick erschliesst. Die letzte Produktion im Opernhaus fand 1988/89 statt, somit dürfte ich vielleicht nicht die Einzige sein, der dieses Werk zum ersten Mal begegnete. Aus diesem Grund werde ich mich heute vor allem auf mein „Bauchgefühl“ verlassen müssen, da ich mich ausserstande fühle, musikalische Wertungen abzugeben, weil mir Vergleichsmöglichkeiten fehlen.

Janácek vertonte vier Jahre vor seinem Tod das Libretto von Rudolf Tesnohlídek. Dieser war eher widerwillig an die Aufgabe gegangen, einige Skizzen aus dem Leben eines Fuchses – welche ein Zeichner namens Lolek auf die Redaktion einer Brünner Zeitung brachte – mit Texten zu versehen. Aber bei Waldspaziergängen sprang der Funke über, und ein Textbuch entstand, in dem die Atmosphäre des Lebensraums Wald hervorragend eingefangen wurde. Als Janácek durch Zufall der Text in die Hände fiel, gab er keine Ruhe, bis dieser für die Oper umgestaltet worden war und er ihn vertont hatte. Er selbst hielt diese Oper für sein bestes Werk.

Die Tiere besitzen alle sehr menschliche Züge, obwohl sie sich „tierisch“, d.h. der Vernunft gehorchend, benehmen. Füchslein Schlaukopf wird in jungen Jahren vom Förster gefangen und mit nach Hause genommen, wo sie sich gegen die Avancen des Dackels wie auch gegen die Hiebe der Försterin zur Wehr setzen muss. Später politisiert sie und versucht, die Hennen zur Rebellion gegen Mensch und Hahn aufzustacheln und ihnen ein Leben in Würde zu verschaffen; die Hennen gehen jedoch nicht darauf ein. Füchslein stellt sich tot und kann so den eingebildeten Hahn und die dummen Hennen töten und flüchten. Im Wald ergreift sie von der Wohnung des Dachses kurzerhand Besitz, indem sie ihn verscheucht, was ihr die Bewunderung der Waldbevölkerung verschafft.

Währenddessen sitzen der Förster, der Schulmeister und der Pfarrer in der Gaststube und sinnieren über eine junge Frau namens Terynka (die nie auftaucht), die ihr seelisches Gleichgewicht durcheinander gebracht hat.

Bei einem nächtlichen Spaziergang (Füchslein hat Migräne!) begegnet sie einem stattlichen Fuchs, beide verlieben sich ineinander. Die neidische Eule zetert über die Unmoral, so dass sie vor den Specht treten müssen, um sich trauen zu lassen. „Nach einigen Jahren“ ist eine ansehnliche Anzahl kleiner Füchse auf der Bühne zu bewundern. Leider tritt der Landstreicher Haraschta auf, der vor seiner Hochzeit mit Terynka eingekauft hat. Die Füchse spielen ihm einen Streich; wütend erschiesst der Landstreicher die Füchsin in einem Moment der Unaufmerksamkeit.

Im Gasthaus sitzen heute nur der Förster und der Schulmeister, beide zwischenzeitlich arg in die Jahre gekommen. Alle anderen sind an der Hochzeit. Die Wirtsfrau erzählt, dass Terynka einen wunderschönen Fuchspelz erhalten hat – da weiss der Förster, dass seine Füchsin tot ist. Er geht in den Wand, gibt sich den Erinnerungen hin und gewahrt ein Füchslein, das der „Mutter ganz aus dem Gesicht geschnitten ist“. Auch einem Frosch begegnet er wieder, wie zu Beginn des Stückes; es ist aber der Enkel des damaligen Frosches. So bleibt der Förster in nachdenklicher Pose zurück: Auch wenn die Menschen in der Natur etwas zerstören, so geht das Leben im Walde weiter – es erneuert sich stets. Ein Perpetuum mobile.

Als ich die Geschichte las, fragte ich mich, wie man so etwas heutzutage auf die Bühne bringen könne. Muss man dies chiffrieren? Getraut sich heute noch jemand, dem Publikum diese Oper als Parabel mit kostümierten Sängern vorzusetzen, und wenn ja, geht das auf? Es geht!

Katharina Thalbach und ihr Ausstatter Ezio Toffolutti verstanden es, den Mikrokosmos Wald von der riesigen Bühne der Deutschen Oper Berlin (wo diese Inszenierung bereits mit Erfolg aufgeführt wurde) auf das kleine Opernhaus Zürich zu redimensionieren. Alles ist sehr detailgetreu – in der Art eines Zeichentrickfilms – wiedergegeben, bisweilen mit einem Hauch Skurrilität. Eine riesige Schnecke kriecht über die Bühnenumrandung, Fliegen surren herum, Stechmücken treiben ihr Unwesen, Libellen und ähnliches Getier fliegt durch die Luft (leider sieht man vom 2. Rang aus wiederum nur zappelnde Beine), Raupen, Eichhörnchen, Igel vergnügen sich… Kurz, alles ist da. Liebevoll gezeichnet, hervorragend umgesetzt. Das Libretto strotzt vor leiser Ironie, die hervorragend in die Inszenierung implementiert wird. Herrlich sind z.B. die Hühner gezeichnet, die lebensechter kaum sein könnten. Eine Inszenierung, die einfach nur Spass macht, und die das Ganze zu einem sehr vergnüglichen Abend werden lässt.

Auf der Bühne bewegen sich Unmengen von „Menschen“; es würde den Rahmen sprengen, diese alle namentlich aufzuführen. Für die homogene – wenn auch nicht überragende – sängerische Ensembleleistung seien deshalb nur einige der Hauptakteure herausgepickt: Für mich wurde die beste Leistung von Valeriy Murga als Landstreicher geboten. Sein wohlklingender, farbenreicher, runder Bass begeisterte mich vom ersten Augenblick an. Ebenfalls hervorragend war der Fuchs von Judith Schmid, mit warmem Mezzosopran gesungen. Martina Jankovás Füchsin war zwar zauberhaft gezeichnet, mit Leichtigkeit gesungen, allerdings fehlte mir etwas die Innigkeit, die Tiefe der Gefühle. Oliver Widmers Förster war darstellerisch ansprechend, allerdings ist seine Stimme sehr eindimensional und langweilig geworden, die Geschmeidigkeit geht ihm zwischenzeitlich fast gänzlich ab. Einzig in den paar wenigen lyrischen Momenten blitzte auf, was diese Stimme früher ausgezeichnet hat. Seinem Schlussmonolog fehlte leider ebenfalls jegliche Innerlichkeit. Entzückend waren die vielen Kinderrollen, allen voran der Frosch von Marlon Götz (mit perfekter Diktion bei seinen (gesprochenen) Einführungen vor dem Vorhang).

Das Orchester spielte – sofern ich das überhaupt beurteilen kann – unter Adam Fischer gewohnt souverän, mit Engagement und Differenziertheit. Ob es am Werk oder am Dirigenten lag, dass bisweilen Längen zu verzeichnen waren und mir der grosse Bogen etwas fehlte, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

Trotz dieser kleinen Negativpunkte: Endlich kam ich wieder einmal befriedigt aus einer Premiere heraus. Das Publikum war ebenfalls einhellig der Meinung, dass sich dieser Abend gelohnt hat!

top

   

Aargauer Zeitung

17. 10. 2006 / Christian Berzins

Vom Frosch geküsst

So viel Fuchs war noch nie. So kann man denn jedem, der wieder einmal wissen will, wie man vor vielen, vielen Jahren Opern inszeniert hat, empfehlen, nach Zürich zu fahren. Dort wird Leos Janáceks «Das schlaue Füchslein» gezeigt, eine 1920 komponierte Oper über eine Füchsin, die . . . ja was eigentlich? Eine Füchsin, die ein Rädchen ist im Welt- und also auch im Menschengeschen und sich doch bewusst ist, dass ihr Tun etwas verändert? Oder zeigt das Tier den Menschen, allen voran dem vermeintlich bösen Förster, wie das Leben zu meis tern wäre? Ist diese Füchsin eine Freiheitskämpferin mit einer gesellschaftspolitischen Botschaft?

Janáceks «Füchslein» ist eine vielschichtige Oper für Erwachsene. Regisseurin Ka tharina Thalbach aber sieht die Oper als einfaches Märchen über den Lauf des Lebens. Sie spielt liebevoll mit der in uns schlummernden Kindersehnsucht und zaubert Bilder auf die Bühne, der keine natürlichen Schranken gesetzt sind: Sie lässt aus einem Wald Tiere und Tierchen, bald Pilze und Bäume wuseln, dass es jedem Naturfreund warm ums Herz wird (Ausstattung: Ezio Toffolutti). Die Menschen stören dieses Tierleben nicht, sind sie doch so theatralisch naiv gezeichnet, dass zwischen Huhn und Bäuerin, zwischen Dachs und Pfarrer wenig Unterschied besteht. Selbst der die Handlung lenkende oder gar denkende Förster bleibt eine kindliche Märchenfigur, tritt nie reflektierend aus der Handlung heraus.

Janácek hatte während der Entstehung seiner Oper geschrieben: «Ich versenke mich ganz in der Natur, aber ich ertrinke nicht darin.» Thalbach ertrinkt lustvoll darin, sie taucht die so vielschichtige Handlung in den moosigen und dämpfenden Waldboden. Jeder Versuch, sich wenigstens gedanklich daraus zu befreien, wird mit einem Froschflossenschlag zunichte gemacht.

Das Auge gewöhnt sich bald an das Tiergewusel und kann die Aufmerksamkeit dem anderen wichtigen Organ des Opernfreundes, dem Ohr, übergeben. Gut so, denn Dirigent Adam Fischer hat das Orchester bestens vorbereitet und versinkt überhaupt nicht in der Waldidylle: Schon zu Beginn dirigiert er sehr bestimmt, fächert auf, betont auch die dunklen Seiten. Und er begleitet die Sänger sehr aufmerksam: Martina Janková ist eine tolle Füchsin mit vielen Zwischentönen, Oliver Widmer (Jäger) kann all diesen Feinheiten wenig entgegnen. Judith Schmid machts als Fuchs besser und umgarnt die Füchsin szenisch charmant und stimmlich sicher.

Natur-gemäss gabs viel Jubel - besonders für die Regisseurin.

top

   

Blick

17. 10. 2006 / Hans Uli von Erlach

Ei, wie niedlich

Wald und Blumen wie im Bilderbuch, darin wuseln putzige Tierchen. Am Zürcher Opernhaus wird Leo Janáceks vielschichtige Oper zum niedlichen Kindermärchen. Premiere war am Sonntag.

Die Handlung verführt, die Oper als Märchen zu sehen. Der Jäger fängt ein junges Füchslein. Statt es zu erschiessen, nimmt er es mit auf seinen Jägerhof. Doch das freiheitsliebende Tier kann sich nicht anpassen wie die gackernden Hühner und der dumme Dackel.

Das Füchslein schlägt quer, beisst dem Gockel den Kopf ab, bringt den Jäger und seine keifende Frau gegeneinander auf und flieht zurück in sein Reich, den Wald, wo Frosch, Raupe, Igel und Mücken in natürlicher Ausgewogenheit nebeneinander zirpen, quaken, summen. Nach einer Liebesnacht mit einem jungen Fuchs (Judith Schmid) wird das Füchslein Mutter.

Martina Janková ist in der Titelrolle schlicht bezaubernd, trotz naturalistischem Fuchskostüm durch und durch ausdrucksvoll. Der Flirt der zwei Füchse ist eine der schönsten Liebesszenen der Opernliteratur.

Tragisches Ende: Das Füchslein wird vom Landstreicher erschossen. Weiser Trost: Der Zyklus der Natur sorgt für ein Weiterleben. Die Menschen jedoch kommen schlecht weg. Die moralischen Instanzen des Dorfes, Pfarrer, Lehrer, Wirt und Jäger, entpuppt Janácek als tumbe Lüstlinge.

Regisseurin Katharina Thalbach zeigt die herzige Oberfläche der Oper. Wie sie jedes Tier mit typischen Bewegungen charakterisiert, ist köstlich und vom Ensemble mit Hingabe gespielt. Plump sind die eindimensionalen Menschen-Typen. Selbst dem Jäger (Oliver Widmer) fehlt es an Nuancen.

«Das schlaue Füchslein» ist eine gesellschaftskritische Fabel. Davon spürt man wenig. Am wenigsten im realistisch gemalten Bühnenbild. Selbst Janáceks wunderbar expressive, fein gegliederte Musik an der Schwelle zur Moderne klingt unter Dirigent Adam Fischer einfach schön, aber wenig konturiert.

top

   

Der Bund

17. 10. 2006 / Tobias Gerosa

Märchenhafte Fabel

Märchenhafter Augenzauber mit Tiermasken, tanzenden Mückenschwärmen und putzigen Tierkindern, dazu ein Dirigent, der das Orchester süffig schwelgen lässt, und ein stimmiges Ensemble: Leos Janáceks «Schlaues Füchslein» feierte in Zürich eine einhellig umjubelte Premiere.

Fünfzehn Premieren stemmt das Opernhaus Zürich pro Saison - die neuste Produktion, Leos Janáceks «Abenteuer der Füchsin Schlaukopf», besser bekannt unter dem Titel «Das schlaue Füchslein», kam mit vollständig anderer Besetzung allerdings schon vor gut fünf Jahren an der Deutschen Oper Berlin heraus (dem Haus mit der Kontroverse um den aus Terrorangst abgesagten «Idomeneo»). Spielte man dort noch die deutsche Übersetzung, hat man für die Zürcher Neueinstudierung glücklicherweise wieder das tschechische Original gewählt.

Die Faszination von Janáceks ganz der gesprochenen Sprache angeschmiegten Musik erschliesst sich in Übersetzungen einfach nicht. Das fällt sogar auf, wenn man vom Tschechischen nichts versteht, vor allem wenn Muttersprachler neben Fremdsprachigen singen wie in Zürich Martina Jankova in der Titelpartie der jung gefangenen, dann ausgebrochenen und schliesslich als vielfache Mutter getöteten Füchsin Schlaukopf. Jankova singt und spielt mit anrührender Natürlichkeit, die sie zu einer idealen Besetzung macht.

Positive Naivität
Katharina Thalbach hat mit dieser Inszenierung den Quereinstieg in die Opernregie geschafft. Ihre Inszenierung besticht ganz direkt durch ihre Farbigkeit und einer positiv verstandenen Naivität, die dem Stück durchaus angemessen ist. Janácek bringt den natürlichen Rhythmus von Werden, Sein und Vergehen am Beispiel des Waldes auf die Bühne: ein Mikrokosmos von Tieren und Pflanzen, eine (fast) heile Welt, in die der Mensch als missmutiger, erbärmlicher Säufer und Vor-sich-hin-Existierer eindringt.

Revolution gegen den Gockel
Ezio Toffoluttis üppige Ausstattung, die ihre Theatralität durch Zweidimensionalität betont und gleichzeitig vorgibt, illusionistisches Bilderbuch zu sein, macht das überdeutlich, wenn der Förster durch einen riesenhaften, zertrampelnden Bergschuh oder einen nicht minder grossen Gewehrlauf präsent ist.

Hier, wie in der Szene, wo die gefangene Füchsin die Hühner zur Emanzipation, ja Revolution gegen ihren Gockel aufruft, würde im Stück noch mehr soziale Sprengkraft stecken.

Genaues Gewimmel
Thalbach nimmt dies in feinen Verfremdungen auf: Wenn der Gockel in einer Art Uniform erscheint, der Wachhund im Blaumann oder die Hühner ihre Eier brav wie am Fliessband selber abliefern. Da ist kein Zeigfinger, aber wer hinter die bunten Bilder schauen will, kann die Risse erkennen.

In der Musik sucht man sie eher vergebens. Adam Fischer setzt ganz auf spätromantischen Schönklang und gibt dem also sperrig geltenden Janácek erstaunlich viel Süffigkeit, blendet dafür aber Kanten aus und ebnet rhythmische Aspekte bei mässiger Exaktheit ein. Mehr denn als Gestalter erweisen sich Fischer und das Opernhausorchester diesmal als Begleiter der Bühne.

Die Phantasie in den Wimmelszenen, die witzigen kleinen Überleitungen vor dem Vorhang während der Umbauten und die charakteristisch tierischen Bewegungsmuster (Choreografie Darie Cardyn) machen Spass, weil sie durchwegs genau erarbeitet sind.

Prägnante Stimmen
So bekommen die drei Dutzend kleinen und kleinsten Rollen alle ihr Profil, wobei die zentrale Wald- und Tierwelt oft rein instrumental geschildert wird und die zweifelhaften Menschen die grössten Partien zu singen haben. Oliver Widmer (Förster) und Peter Straka (Schulmeister und Dackel - eine der vielen Doppelrollen, die allerdings keine über das Praktische hinausreichende Bedeutung haben) verleihen ihren Rollen auch vokal starke Ausprägung.

top

   

Der Landbote

17. 10. 2006 / Herbert Büttiker

Auge und Ohr am Waldboden

Viel Applaus für «Das schlaue Füchslein», das in Zürich als grosses Ausstattungstheater gezeigt wird und an der Premiere mit wachsender musikalischer Verve begeisterte.

Die Musik zu Janaceks 1924 uraufgeführter Tieroper «Das schlaue Füchslein» ist in ihren Elementen immer wieder betörend schlicht, aber wie sie sich kaleidoskopartig entfaltet im vielfältigen Wechsel der Harmonien und Rhythmen macht sie zur Avantgarde ihrer Zeit. Aber darin geborgen ist auch das kleine Genrebild des Wald- und Tierlebens, das Summen der Fliegen, der Gesang der Vögel, und dieses Zusammengehen von grossem sinfonischem Gestus und Naturlaut gehört zur Faszination dieser Oper, und ihr gilt es auch szenisch gerecht zu werden. Die Inszenierung im Opernhaus Zürich, die einer Produktion der Deutschen Oper Berlin aus dem Jahr 2000 nachgebildet ist, leistet Grandioses auf der einen Seite: sozusagen mit Auge und Ohr am Waldboden. Etwas zu kurz kommt der Blick in den Makrokosmos, kommt das Ohr für Janaceks sinfonischen Naturhymnus voller Melancholie und Ekstase. An ihrer klanglichen Vergegenwärtigung durch Chor und Orchester liegt es nicht. Unter der Leitung von Adam Fischer musizieren sie mit poetischer Souplesse und tänzerischem Flair.

Katharina Thalbach, die Schauspielerin, die eine erfolgreiche Regiekarriere gestartet hat, hält sich mit aller Liebe, mit Detailfreude und Humor an die Erzählung, und der Ausstatter Ezio Toffolutti geht ihr mit unglaublicher Phantasie zur Hand, und möglicherweise auch umgekehrt. Nicht alle Schlauheiten der Füchsin werden präzis nachgezeichnet (die Überlistung des Hahns!), aber viel Köstliches im Einzelnen, von der Schnecke, die über das Bühnenportal wandert, bis zur Stechmücke, die den Kopf des Försters anbohrt, gibt es zu sehen, und überaus bewundernswert sind die vielfältigen Tiermasken in ihrer Schönheit und Skurrilität.

Tierische Spielfreude
Der Eindruck, dass das Dickicht der Fauna und Flora der Bühne die Atmosphäre verdrängt, mag mit der Schwierigkeit zu tun haben, die materialreiche Ausstattung auf die relativ kleine Zürcher Bühne zu übertragen. Aber es hat auch mit Entscheidungen der Regie zu tun. Das zeigt etwa die Verwandlungsmusik im ersten Akt. Der deftig-komische Auftritt der Hühner beendet den Zauber der geheimnisvollen Enthüllung der Identität von Füchsin und Frau allzu schnell. Die Choreografie (Darie Cardyn), die sich hier für einmal zur Revue verfestigt, trägt in den Waldbildern mit viel Einzelaktion zum Eindruck betriebsamer Vordergründigkeit bei. Diese bedeutet aber natürlich auch Spielfreude für eine grosse Zahl Beteiligter, für die Mitglieder der Ballettschule für das Opernhaus, die als Fliegen umherschwirren, für Mitglieder des Opernstudios, die in allen Gattungen, als Heuschrecke, Schopfhenne oder Mensch zum Einsatz kommen, und für zahlreiche Ensemblemitglieder in grösseren und kleineren Partien.

Um nur die wichtigsten zu nennen, deren Charakter sich durch Nähe und Ferne zum Wald definiert: Betrunken stolpern der Schulmeister und der Pfarrer mit ihren unglücklichen Liebesgeschichten über Stock und Stein und erhalten komisches Format von Peter Straka und Pavel Daniluk. Mit Verschlagenheit und mit guter Beute bewegt sich Harasta, der Wilddieb, durchs Dickicht. Die entsprechende Durchsetzungskraft gibt ihm hervorragend Valeriy Murga. Ein eigentliches Doppelleben führt der Förster, der als Hausherr über Frau, Hund und Hühner regiert, aber sich am liebsten im Wald aufhält. Oliver Widmer gibt den Schwerenöter ohne komische Übertreibung, aber auch ein wenig blass. Zu sich selber kommt die Figur im grossen Monolog der Schlussszene, auch wenn die Zeichen (der Schuh) hier verquer gesetzt sind und die Inszenierung diese eigentliche Hauptfigur des Stücks überhaupt wenig hinterfragt.

List und Lust
Einfach hat es die Regie mit der zweiten Hauptfigur: Martina Jankova ist mit hellem, geradem, in der Höhe auch schneidendem Sopran darstellerisch und musikalisch ein Ausbund füchsischer Lebendigkeit. Ob mit oder ohne Tiermaske wie in der Liebesszene mit dem drolligen Liebhaber (Judith Schmid) strahlt sie vor List und Lust zwischen revolutionärer Pose vor den dummen Hühnern und anmutiger Hingabe an ihre nachkommenreiche Familie.

top

     

Neue Luzerner Zeitung

17. 10. 2006 / fs - sfd

Eine tierisch verspielte Märchenoper

Mit der Märchenoper «Das schlaue Füchslein» ist dem Opernhaus Zürich ein Publikumshit gelungen. Die Premiere wurde bejubelt.

Schon lange bevor Dirigent Adam Fischer den Orchestergraben betritt, tummelt sich ein junges Füchslein am Bühnenrand und lugt immer wieder neugierig in den Orchestergraben. Es ist dasselbe, das in der Oper «Das schlaue Füchslein» von Leos Janácek vergeblich der Mücke nachjagt und vor dem Frosch in holder Unschuld das Mammi fragt, ob man das essen kann. Aber da ist längst der Förster in die Waldidylle tanzender, kriechender und fliegender Lebewesen gedrungen, packt das zappelnde Ding und schleppt es nach Hause, als Spielgefährten für seine beiden Lausbuben.

Mit dem Erscheinen des Jägers schiebt sich bedrohlich ein überdimensionierter Stiefel in den Wald. Am Schluss, wenn das inzwischen erwachsene und mit einem eleganten Fuchs verheiratete Füchslein längst totgeschossen ist, erscheint der Stiefel wieder und zertritt rücksichtslos einen Pilz. Der Kreis hat sich geschlossen, aber der ewige Kreislauf von Geburt, Werden und Vergehen geht weiter.

Aufwändige Bühne
Die Inszenierung, die am Sonntagabend am Opernhaus Premiere hatte, ist keine eigentliche Neuinszenierung, sondern eine Übernahme von der Deutschen Oper Berlin, wo Janáceks 1924 in Brünn uraufgeführtes Werk im Juni 2000 zur Premiere kam. Die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach und ihr italienischer Bühnen- und Kostümbildner Ezio Toffolutti haben das Stück für Zürich jedoch neu eingerichtet. Auch die sehr aufwändigen Bühnenbilder und Kostüme wurden für Zürich neu hergestellt. Katharina Thalbach entführt das Publikum in den Mikrokosmos der Fauna und Flora des Waldes. Die Bühne stellt eine riesige Vergrösserung einer kleinen Fläche Waldbodens dar.

In neun Episoden, manchmal mit kleinen Zwischenspielen verbunden, vertonte Janácek mit einer äusserst vielschichtigen Partitur die märchenhafte Geschichte vom Füchslein, das schlauer ist als die Menschen.

Tschechisch gesungen
Dirigent Adam Fischer führt das Orchester der Oper Zürich und die vielen Beteiligten auf der Bühne umsichtig durch die komplexe Partitur. Gesungen wird tschechisch, der Muttersprache von Martina Jankova, welche die Titelrolle singt. Szenenapplaus erhielten vor allem die Kinder, die in Tanz-, Sprech- und Singrollen auftreten.

top

    

Neue Zürcher Zeitung

17. 10. 2006 / Marianne Zelger-Vogt

Ein Märchenwald aus dem Bilderbuch

Leos Janáceks «Schlaues Füchslein» im Zürcher Opernhaus

Der Ursprung von Leos Janáceks «Schlauem Füchslein» ist eine Bilderserie. Der Brünner Journalist und Schriftsteller Rudolf Tsnohlídek schrieb dazu eine frei erfundene Erzählung, die seine Zeitung in Fortsetzungen veröffentlichte. Einer der begeisterten Leser war Janácek, der aus der Bildergeschichte eine Oper machte. Er, der andächtige und genaue Beobachter der Natur, sah in dem Stoff mehr als eine Tiergeschichte. Aus den «Abenteuern der Füchsin Schlaukopf», die als Jungtier vom Förster gefangen wird, sich später befreit, mit dem galanten Fuchs eine Familie gründet und schliesslich dem Landstreicher zum Opfer fällt, wurde bei ihm eine Parabel von Freiheit und Gefangenschaft: Freiheit, wie sie in erfülltem Eros - bei allen Gefahren - dem Naturgesetz innewohnt, Gefangenschaft, welche aus gesellschaftlicher Konvention und bürgerlicher Moral resultiert. So verschmilzt die Füchsin für den Förster, den Schulmeister und den Pfarrer mit den unterdrückten Wunschbildern ihres sexuellen Verlangens.

Die Inszenierung von Katharina Thalbach (Regie) und Ezio Toffolutti (Ausstattung) orientiert sich jedoch mehr an der Quelle, der Bildergeschichte. Sie macht aus der Bühne des Opernhauses einen üppigen Märchenwald, in dem es wimmelt von farbenprächtigem fliegendem, kriechendem, stelzendem, hüpfendem und watschelndem Kleingetier (für die artgerechte Bewegungsregie hat Darie Cardyn gesorgt). Die Sponsoren, die diese Aufführung dem Zürcher Tierschutz zum Jubiläum seines 150-jährigen Bestehens widmen, haben mit der vor sechs Jahren für die Deutsche Oper Berlin kreierten Produktion auf die richtige Karte gesetzt.

Dass Thalbach und Toffolutti von den Tieren aus der Tierperspektive erzählen, zeigen sie schon damit an, dass sie den Schuh, den Kopf, die Hand und das Flintenrohr des Försters in riesigem Format nachbilden. Die Menschen selbst erhalten deutlich weniger Profil als die Tiere, ja ihre Gesichtszüge erscheinen maskenhafter als die phantasievoll gestalteten Masken der Tiere. Der Schulmeister (Peter Straka) und der Pfarrer (Pavel Daniluk) geraten zu Karikaturen, während der Förster als eigentlicher Partner der Füchsin schemenhaft bleibt. Oliver Widmers tragender, im Ausdrucks- und Farbspektrum aber begrenzter Bariton und seine steife, schematische Motorik unterstreichen das noch. Allerdings ist auch Martina Jankovás Füchsin mehr von liebenswert naiver denn von erotisch verführerischer Art, und mit ihrem hellen, leichten Sopran gerät sie rasch an Grenzen, wenn das Orchester in den Lyrismen und in der Klangpracht von Janáceks Musik schwelgt. Denn Adam Fischers Dirigat zeichnet sich zwar durch strömenden Bewegungsfluss, nicht aber durch klangliche Feinarbeit und rhythmische Schärfung aus.

So, wie die Inszenierung angelegt ist, muss die Liebes- und Hochzeitsszene von Füchsin und Fuchs zum Höhepunkt der Oper werden, und sie wird es hier nicht zuletzt dank Judith Schmid, die dem Werben des füchsischen Kavaliers mit ihrem farbensatten Mezzosopran und ihrer sprechenden Gestik vielschichtig Ausdruck gibt. Der Schluss der Oper dagegen wirkt in Thalbachs Regie eher belanglos. Nachdem er mit dem Schulmeister nochmals im putzigen Wirtshaus pokuliert hat, kehrt der Förster an den Ort seiner ersten Begegnung mit dem Füchslein zurück und trifft eines von dessen Kindern. Alles scheint wie zuvor, nur dass der Förster alt geworden ist und das Füchslein laufen lässt. Von der metaphorischen Dimension dieser Szene, in der Janácek den ewigen Naturkreislauf von Werden und Vergehen, von Ende und Neubeginn komponiert hat, vermittelt das Waldidyll auf der Bühne kaum etwas. Dem Entzücken des Premierenpublikums tat dies keinen Abbruch, der Beifall für das vielköpfige Ensemble war verdientermassen gross und herzlich. Und das Opernhaus hat wieder eine Produktion im Repertoire, die sich auch für Kinder eignet. Allerdings kann man sich fragen, ob unter diesem Aspekt nicht eine deutsche Fassung der tschechischen Originalsprache vorzuziehen wäre, ungeachtet der Bedeutung von Janá?eks Sprachmelodik. Die deutsche Übertitelung und ein paar vor dem Vorhang deutsch gesprochene Dialoge sind nicht mehr als ein Notbehelf.

top

      

St. Galler Tagblatt

17. 10. 2006 / Verena Naegele

Füchslein tollt im Märchenwald

Katharina Thalbach inszeniert Janaceks «Das schlaue Füchslein» am Opernhaus Zürich

Bunt ist der Wald, märchenhaft verspielt sind die Tiere. Katharina Thalbachs Inszenierung von Janaceks «Schlauem Füchslein» führt in eine längst vergangen geglaubte Zeit – und verzaubert trotzdem.

Wenn sich der Vorhang zum ersten Mal hebt, präsentiert sich dem Publikum eine kleine, kunterbunte Schatzkiste: Gemächlich schleicht eine Weinbergschnecke quer über den Bühnenboden, aufgeregt sirrt eine Libelle durch die Luft und aufgebracht stellt ein Igel seine Stacheln. Mittendrin steht der Förster (Oliver Widmer) und weiss sich ob dem prächtigen Treiben kaum zu helfen. Märchenland ist angesagt, denn Ausstatter Ezio Toffoluti «komponiert» Bilderbuchlandschaften von wahrhaft ergötzlichem Witz.

Nur manchmal, wenn sich der Förster etwa in einem übergrossen, die halbe Bühne beanspruchenden, gulliverartigen Schuh als Trampel im «Mikrokosmos Waldboden» präsentiert, droht das Ganze zu kippen, und man beschwört die Opernhausarchitekten Helmer und Fellner, warum sie nur eine so kleine Bühne gebaut haben. Sonst aber darf ein Abend lang geschmunzelt werden, ob der aufgeplusterten Hennen auf der Hühnerleiter etwa, die im choreografischen Takt ihre Eier legen.

Von Menschen und Mücken
Toffolutis Kostüme geben Katharina Thalbach Attribute zur Charakterisierung der Figuren in die Hand, mit denen die Regisseurin wunderbar spielt. Auch die Menschen erhalten in ihren kurzen Auftrittsequenzen überraschende Konturen. Oliver Widmer ist ein tollpatschig naiver Förster mit beweglich schlank geführter Stimme, Pavel Daniluk ein leicht heruntergekommener Pfarrer mit mächtigem Bass und Peter Straka ein liebestoller Lehrer mit stählern timbriertem Tenor. Straka bekommt in der Verwandlungsmusik vom Wirtshaus zum Wald vor dem weissen Vorhang auch einen schwierigen Soloauftritt, den er zu einer brillanten «Sauf-Pantomime» nutzt.

Überhaupt setzt Thalbach die Verwandlungen sehr gezielt ein, kreiert sogar neue Texte, die der junge Frosch mit riesig aufgesperrtem Maul oder eine Schar sirrender Mücken theatralisch köstlich vortragen. Von der Bühne könnte man also tausend liebevolle Details erwähnen, die manchmal allerdings auch verpuffen. Einiges wirkt zu wenig scharf in den Konturen, und die eigentlich choreografisch geschickt auf die Musik abgestimmten Gesten sind manchmal unpräzise. Dies lag aber weniger am Ensemble auf der Bühne, als vielmehr daran, was aus dem Orchestergraben zu hören war.

Klangvolle Tierstimmen
Janaceks Musik ist vielschichtig in der Struktur, seine stilistische Eigenart der «Melodie des gesprochenen Wortes», des Skizzierens von seelischen Vorgängen und lautmalerischen Tieräusserungen ist höchst komplex. Doch trotz der Kleinzelligkeit und der stark rezitativisch gestalteten Faktur, trägt die Musik mit Farbigkeit und differenzierter Rhythmik durch das Stück.

Adam Fischer aber setzt in seinem Dirigat zu sehr auf den grossen Bogen und die weiterführende Gestik. Was dabei etwas auf der Strecke bleibt sind die kleinzelligen Konturen, die durch Taktwechsel intendierten rhythmischen Schärfen.

So wirkt die Musik zwar blühend, aber etwas flach und ohne die Janaceksche Tiefendimension. Damit hat auch das grosse Sängerensemble bei gewissen Einsätzen zu kämpfen, meistern aber insgesamt mit Bravour die schwierigen Klippen.

Besonders zu erwähnen ist das Fuchspaar: Martina Jankovà mit leichter, beweglicher Stimme, die einzig in der Höhe gegenüber dem lauten Orchester manchmal forcieren muss; Judith Schmid als Fuchs mit wunderbar weich und klar geführtem Mezzosopran. Das anrührende Werben des liebestollen Fuchses um Füchslein Schlaukopf wurde so musikalisch wie szenisch zum Highlight des Abends.

top

     

Die Südostschweiz

17. 10. 2006 / Reinmar Wagner

Eine Oper, bei der sich Fuchs und Dachs gute Nacht sagen

Ein wunderhübsch farbiges Märchenspiel hat Katharina Thalbach am Opernhaus Zürich aus Janáceks Oper «Das schlaue Füchslein» gemacht. Bei der Premiere am Sonntag war allerdings musikalisch noch nicht alles sattelfest.

Ein Hahn und seine Hühner, ein Eichelhäher, ein Dachs und ein Dackel, eine Grille, eine Heuschrecke, ein Frosch, ein Specht und eine Eule, eine Mücke und ein ganzer Kinderchor junger Füchse lässt Janácek in seinem «Opernidyll» neben dem Füchslein Schlaukopf aufmarschieren. Kein kunterbunter Kinderzoo soll das jedoch sein, sondern ein durchaus philosophisches Werk über Liebe, Alter, Abschied und den Lebenskreislauf der Natur.

Ansatzweise hat das auch das Inszenierungsteam in Zürich - die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach und der phantasievolle Ausstatter Ezio Toffolutti - gesehen: Sie spielen lustvoll mit der Doppelexistenz von Tier und Mensch. Die Kostüme zeigen nicht einfach süsse Tierchen, sondern Mischwesen, die sich tierisch bewegen und doch wie Menschen sind.

Kind im Erwachsenen freut sich
Aber nur dezent lässt Thalbach die Erwachsenenwelt hinter dem wunderschön süss inszenierten Kindermärchen anklingen. Gerade so, dass eine Ahnung von den Tiefendimensionen des Stücks erfassbar bleibt. Vordergründig - und da darf sich das Kind im Erwachsenen und natürlich noch viel mehr das Kind selbst nach Herzenslust freuen - tummelt sich die Tierwelt in wunderschön nachgezeichneten Kostümen und Bewegungsabläufen. Eine Schnecke kriecht sogar der Decke entlang und ein Fliegenschwarm sorgt nicht nur für Bewegung auf der Bühne, sondern - zusammen mit einem umwerfenden Frosch - auch für Theateraktion in den Umbaupausen: Fast alles Kinder notabene, die unter den Kostümen stecken.

Die Produktion entstand im Jahr 2000 für die Deutsche Oper Berlin. Die Adaption von der riesigen Berliner Bühne auf die überschaubaren Verhältnisse in Zürich ist gelungen. Als grosses Plus kommt hier die tschechische Sprache (mit Übertiteln) hinzu, ohne die Janáceks Musik ein wichtiges idiomatisches Element fehlt. Er war bereits 67 Jahre alt, als er im Jahr 1921 an die Komposition seiner siebenten Oper ging. Seine anderen musikdramatischen Werke basieren auf bedeutenden Werken der tschechischen und russischen Literatur.

Der Stoff des «Schlauen Füchsleins» hingegen stammt aus einer Comic-Serie, deren Folgen täglich in einer Brünner Zeitung erschienen. Die Musik ist lyrisch und bizarr zugleich, impressionistische Stimmungen der zartesten Art wechseln mit grellen Lichtblitzen und harschen Akzenten. Wie er in anderen Opern die Sprachmelodie der Menschen in der Musik nachzeichnete, so geht hier Janácek noch einen Schritt darüber hinaus und bringt auch die Tierlaute in die Musik der jeweiligen Figuren ein, am witzigsten bei der schnatternden Hühnerschar im Försterhaus.

Musikalisch fragwürdig
Davon, diese Farben, Stimmungen und Naturlaute nachzuzeichnen, war die Zürcher Produktion bei der Premiere noch weit entfernt. Der Dirigent Adam Fischer wählte zügige Tempi, allerdings vermochte er dem Orchester viel zu oft noch nicht klar zu machen, wie genau er sie sich vorstellte: Für dieses Orchester unüblich viele Wackler und Patzer waren das Resultat.

Und auch die Spieler selbst schienen noch nicht jede ihrer Phrasen wirklich zu beherrschen. Auch die Dynamik war kaum ausgereift: Noch zu oft öffnete Fischer einem undifferenzierten Forte-Klang Tür und Tor, der einerseits die Sänger fast permanent an den Rand ihrer stimmlichen Leistungsfähigkeiten trieb und andererseit die bei Janácek so wichtigen Farbnuancen zudeckte oder verschwimmen liess. Ob man lieber das impressionistische oder das moderne Element in dieser Partitur betonen will, ist Geschmackssache. Aber das pauschale, dicke, spätromantische Klangbild, das Fischer an der Premiere vom Sonntag entstehen liess, passt sicher nicht zu dieser Oper.

Zurückhaltung wäre auch der Solisten wegen angebracht, denn Martina Jankova mit ihrer zweifellos schönen, aber leichten Stimme kann in der Titelrolle nur bestehen, wenn sie genügend Spielraum zur Gestaltung erhält. Weniger stark unter Adams Räder kamen Oliver Widmer als Förster, Peter Straka als Schulmeister und Judith Schmid als Fuchs - aber auch ihnen würde man von Herzen mehr Freiheiten gönnen.

top

   

Tages-Anzeiger

17. 10. 2006 / Thomas Meyer

Kleine Tiere und übergrosse Menschen

Leo Janáceks Oper «Das schlaue Füchslein» ist am Zürcher Opernhaus in einer verspielten Neuinszenierung von Katharina Thalbach zu erleben.

Er habe auf einer Wanderung durch die Hohe Tatra nicht nur die auf Dauer allzu eintönige Sprachmelodie der Finken notiert, sondern auch die «wütende Rede» von Wasserfällen. Leo Janáek (1854-1928) hörte in die Natur hinein und verband mit ihren Geräuschen Charaktere, Gefühle, ja sogar eine gewisse Dramatik; er fand im Mikrokosmos ein Universum und spürte den ewigen Lebenszyklen nach.

Diesen Lebenswillen mag er selber als Gegenbild zu der eigenen mit Verbitterung erfahrenen Hinfälligkeit des Lebens und des Alterns empfunden haben, und gerade das drückt sich in seiner Oper von 1921 bis 1923 aus: «Das schlaue Füchslein» («Pihody liky Bystrouky», in Zürich tschechisch gesungen und deutsch übertitelt). Janáek selber verfasste das Libretto nach einer Erzählung von Rudolf Tsnohlídek. Auf der einen Seite gibt er der Natur eine Stimme: Da ist das Füchslein (wunderbar licht und spielerisch gesungen von Martina Janková), das von einem Förster gefangen wird, bei den Menschen aufwächst, aber wieder in die Freiheit davonläuft, das im Wald mit einem stattlichen Fuchs (Judith Schmid) eine Familie gründet und schliesslich von einem Wilderer erschossen wird. Es ist eine Natur, die sich ständig erneuert. Der Förster begegnet am Schluss einem Jungen seiner Füchsin und erkennt so den Kreislauf des Lebens.

Geheime Liebe zum Füchslein
Daneben scheinen die Menschen nur schlecht zu altern: Wir sehen einen versoffenen Pfarrer (Pavel Daniluk), einen frustrierten Schulmeister, der seine Liebe nicht findet (eindrücklich: Peter Straka), oder den skrupellosen Wilderer (Valeriy Murga), der seiner Angebeteten den Fuchsschwanz als Muff schenken will. Elende Gestalten allesamt; einzig der Förster (ein gelassen gestaltender Oliver Widmer) bringt Verständnis für die Natur auf, ja er hegt eine geheime Liebe zu dem Füchslein, obwohl es ihm alle Hühner getötet hat.

Eine starke und zweifelnde Ambivalenz durchzieht das Stück. So schlicht das Werk auf der einen Seite erzählt - es scheint äusserlich auf Artifizielles völlig verzichten zu wollen -, so enthält es doch eine geradezu mystische Komponente. Als Kinderoper wäre es dank der fabelartigen Elemente auch denkbar, wäre der Tod darin nicht so präsent. Wie lässt sich das auf die Bühne bringen, wie ist es zwischen Tier- und Menschenwelt anzusiedeln?

Zauberhafte Natur
Die Regisseurin Katharina Thalbach hat dafür zusammen mit dem Ausstatter Ezio Toffolutti eine bezaubernde Lösung gefunden. Bereits vor einigen Jahren stellte sie ihre Vision des Werks erfolgreich an der Deutschen Oper Berlin vor. Diese Produktion enthält sich glücklicherweise des auf Opernbühnen gängigen Symbolismus und konzentriert sich auf die Geschichte selber, die sie wie ein Bilderbuch aufspannt. (Das Programmbuch zu dieser Inszenierung, die zum 150-Jahr-Jubiläum des Zürcher Tierschutzes zu Stande kam, enthält übrigens auch Tiergeschichten von Lotty Schellenberg.)

Federleicht und verspielt wirkt alles in dieser Natur, selbst wenn der Alltag dieser Tiere und Tierchen doch mühsam und voller Angst ist. Auf wunderbare Weise kreucht und fleucht alles durcheinander: Heuschrecke und Schmetterling, Igel und Dachs, Mücken und Raupe, und was die Schnecke anstellt, muss man gesehen haben. In dieser zauberhaften Welt gibt es überall etwas zu entdecken. Für das Opernhaus bedeutet es neben all den Kostümen und Kulissen auch einen beträchtlichen personellen Aufwand mit rund zwanzig Minirollen, bei denen auch das Opernstudio, das Ballett, die Ballettschule und ein Zusatzchor involviert sind. Dieses Gewimmel jedoch stimmt bis in die letzten Bewegungen hinein. Die Choreografin Darie Cardyn hat sie auf charaktervolle Weise ausgearbeitet, hat Janáek-gemäss hingeschaut in die Welt der Tiere - und das alles doch bühnengerecht umgeformt.

In diesen Mikrokosmos hinein tritt nun ein riesiger Stiefel, dem der lebensgrosse Förster entspringt. Die Grössenordnungen prallen aufeinander und werden dabei von der Erzählung her doch geschickt ineinander verschränkt. Die verschiedenen Dimensionen dringen ins Bewusstsein. Grob sind die Bewegungen des Menschen, rauer ist der Tonfall dieses denkenden Tiers. Die Welten sind nicht kompatibel. Karg ist der Hinterhof, wo der Mensch seine Hühner hält und wo ein Dackel seiner Einsamkeit nachsinnt. Ein Füchslein hat dort nichts verloren. Das gräuliche Wirtshaus schliesslich ist erst recht der Ort einer dumpfen Schwermut.

Gegenstück zur «Sache Makropulos»
Diese Bilder blenden, so klar und stimmungsvoll sie sind, doch nicht die Ambivalenz aus. Sie denunzieren nicht. Thalbachs Umsetzung erzählt auf lebensfrohe Weise. Damit bildet «Das schlaue Füchslein» ein Gegenstück zur letzten Leo-Janáek-Premiere des Zürcher Opernhauses: Die nur wenig später entstandene Oper «Die Sache Makropulos», im Juni von Klaus Michael Grüber inszeniert und leider jetzt nicht wieder aufgenommen, handelt vom todlosen Leben einer Operndiva, die erst zum Schluss in ihr Sterben einwilligen kann. Was dort schwer daherkommt, ist im «Schlauen Füchslein» ganz leicht erzählt. Die nicht einmal zwei Stunden, die diese drei ohne Pause gespielten Akte dauern, verfliegen im Nu. Adam Fischer präsentiert die Musik schwungvoll und differenziert. Vielleicht fehlt etwas die Schärfe und Prägnanz, die Philippe Jordan mit dem Orchester der Oper Zürich bei «Die Sache Makropulos» herausgearbeitet hat, und vom Parterre aus gehört, überdeckt Fischer zumindest am Anfang ein wenig die Stimmen, besonders den Förster Oliver Widmers; aber allmählich lichtet sich der Klang, und Leo Janáeks Tonsprache tritt in ihrer Pracht hervor.

top

Impressum
Kontakt

Zürcher Oberländer

17. 10. 2006 / Werner Pfister

Waldesweben und Wonnemond

Tiere, die sich wie Menschen benehmen - das tönt gefährlich nach Disneyland. Nicht bei Katharina Thalbach. Sie führt Mensch und Tier als Parabel vom ewigen Kreislauf der Natur vor: schlichtweg genial.

«Tiere sind schon darum merkwürdiger als wir, weil sie ebenso viel erleben, es aber nicht sagen können. Ein sprechendes Tier wäre nicht mehr als ein Mensch», sagte einmal Elias Canetti.

Als Janácek 1920 im Brünner Tagblatt auf Stanislaw Loleks Tier-Comic «Die Füchsin Bystrouschka» stiess, ging er bereits auf die 70 zu. Drei Jahre zuvor erst hatte er Kamilla Stösslová kennen gelernt. Die junge Frau - bereits verheiratet - wurde seine letzte (unerfüllte) Liebe, was ihn das eigene Älter- und Abgeschobenwerden umso gewaltiger spüren liess. Einsamkeit machte sich breit um ihn, ein Gefühl der Isolation, der Gespaltenheit der menschlichen Existenz.

Die Menschen in seiner neuen Oper «Das schlaue Füchslein» (1924 in Brünn uraufgeführt) leiden alle unter dieser Gespaltenheit - der Förster und seine Frau, der Schulmeister und der Pfarrer, der Gastwirt und die Gastwirtin. Dieser moralisierenden, in die Jahre gekommenen Menschenwelt, der es nur in ihren Wunschvorstellungen gelingt, zu einer unverkrampften Lebensweise zu kommen, stellt Janácek seine Tierwelt gegenüber. Diese haust in den Weiten des Waldes frei und ungebunden und mahnt in ihrem kreatürlich ungespaltenen Dasein den Menschen daran, was ihm zur Ganzheitlichkeit seiner Existenz fehlt.

Der gefallene Mensch
Denn der Mensch ist aus dem Naturzusammenhang herausgefallen, sieht sich als Zentrum der Welt und seine Individualität als deren Angelpunkt. Er hat keinen Blick dafür, wie wenig wichtig alles individuelle Leben für die Existenz von Leben an sich ist, für den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. In diese «kreatürliche», gleichsam präexistente Daseinsform scheint sich der bejahrte Janácek zurückzusehnen - jedenfalls kündet seine Musik von diesem Sehnen, emotional so reichhaltig und mitfühlend wie sonst in keiner seiner Opern.

Das alles bebildert Ezio Toffolutti mit einer überlebensgrossen Natur, gesehen aus der Mikro-Perspektive der kleinen Tiere im Wald. Ein Schuh des Försters nimmt die halbe Bühne ein, wird lebensbedrohend für die am Boden kriechende Insektenwelt. Blumen wachsen meterhoch; eine Schnecke kriecht das Bühnenportal hinauf und hinunter; Mücken, Grillen, Heuschrecken, Libellen summen und surren und fliegen (!) um die Wette; der Igel stellt wiederholt seine Stacheln.

Die verlorenen Blütenträume
Reinstes Bewegungstheater, von Katharina Thalbach als ein tierisch vergnügliches Waldweben inszeniert und von Darie Cardyn ebenso pfiffig choreografiert. Das lebt und webt und tanzt und taumelt, dass es nur so eine Lust ist. Unvergleichlich der Auftritt des Hahns und seiner Lieblingshenne, sich plusternd vor reiner Lebens- und Liebeslust. Und wenn es dann still wird im Wald, der Wonnemond über den Jungfuchs und das Füchslein Schlaukopf strahlt, entspinnt sich eine Liebesgeschichte so zart und rein, so wunderbar verspielt und ernst zugleich, wie das vielleicht nur eine Frau zu inszenieren vermag.

Plötzlich begreift man als Zuschauer, was einen da ergreift: eine Sehnsucht nach den Blütenträumen der Kindheit von einst. Ein ungemein bewegendes Spiel - und grossartig gespielt vom Ensemble des Zürcher Opernhauses. Über 30 Partien listet die Partitur auf, dazu einen Kinderchor der kleinen Füchse, einen Jugendchor der Hennen und viele Ballett tanzende Fliegen. Martina Jankova ist ein ebenso resolutes wie liebreizendes Füchslein Schlaukopf, Judith Schmid ein draufgängerischer, vollmundig verführerischer Jungfuchs. Oliver Widmer findet als Förster neben den polternden Tönen auch die nachdenklichen: Ihm allein ist es beschieden, im Schlussmonolog zu einer wunderbar gerundeten, «kreatürlichen» Gelassenheit zu finden.

Begeistertes Publikum
Peter Straka und Pavel Daniluk haben als Schulmeister und Pfarrer eindrückliche Auftritte im Wirtshaus; Valeriy Murga bringt als Harasta von allem Anfang bedrohliche Untertöne mit ins Spiel - letztlich ist er es, der die Füchsin erschiesst. Unter der umsichtigen Leitung von Adam Fischer spielt das Orchester der Oper Zürich vor allem die Naturszenen derart klangsensibel und innig, dass man mitunter fast ein paar Tränen zerdrückt. Was ist das für eine expressive, überwältigend schöne Musik. Lang anhaltender Beifall für alle zum Schluss und für Katharina Thalbach frenetische Bravo-Rufe.

top