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OPERNKRITIK

Richard Heuberger:
Der Opernball

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OPERA GUIDE
OPERA REVIEW


Aufführung


(Theater am Stadtgarten, Winterthur)
3. 9. 2004
(Première)
*
Musikalische Leitung: Theodor Guschlbauer
Inszenierung: Helmut Lohner
Bühnenbild/Kostüme: William Orlandi
Lichtgestaltung: Franz Orban
*
Angèle: Noëmi Nadelmann
Paul Aubier: Deon van der Walt
Marguérite: Christiane Kohl
Georges Duménil: Daniel Kirch
Hortense: Eva Liebau
Henri
: Katharina Peetz
Beaubuisson: Waldemar Kmentt
Madame Beaubuisson: Renate Steiger
Féodora: Liuba Chuchrova
Philippe: Herbert Prikopa


SYNOPSIS - LIBRETTO - HIGHLIGHTS

Rezensionen



6. 9. 2004

«Am allerschönsten ists zu Haus!»

Heubergers «Opernball» in Winterthur

TORBJÖRN BERGFLÖDT

Man wünscht ihr nichts Schlechtes, aber sitzt man in einer Operettenaufführung, kommt sie halt doch wieder, die viel gestellte ketzerische Frage: Kann, darf, muss diese Gattung wirklich noch sein heute, oder ist ihr Verfallsdatum abgelaufen?

Der Dreiakter «Der Opernball» in einer Koproduktion von Opernhaus Zürich, Theater Winterthur und Musikkollegium Winterthur ist kaum dazu angetan, derlei grundsätzliche Zweifel zu zerstreuen. Die Inszenierung von Helmuth Lohner, die sich von jeder regietheatralischen Anwandlung frei weiss, bietet Operette so, wie man sich eine solche eben vorstellt. Immerhin sind Gags der plumpen Sorte meistens vermieden, wird das Stück also mit Humor auch der feineren Sorte garniert. «Der Opernball» ist ja überhaupt, als Werk, intimer, kammermusikalischer, graziöser geraten als gewisse andere einschlägige Beispiele aus der «goldenen» Ära der Operette, wobei hier die Fassung einer Neubearbeitung von Robert Herzl und Rudolf Bibl gegeben wird.

Angenehme Augenreize
Das 1898 in Wien uraufgeführte Stück erzählt davon, wie zwei Frauen ihre Männer auf die Treueprobe stellen. Was sie nicht wissen, ist, dass ein Kammermädchen die Oberspielleitung an sich gerissen hat und auch ein hormonbeduselter junger Marinekadett und ein von seiner Gattin an der kurzen Leine gehaltener Rentner zu Techtelmechtels in die Chambres séparées entschwinden. Am Schluss die allgemeine Erkenntnis: «Am allerschönsten ists immer zu Haus!»

William Orlandi hat für den Abend eine Ausstattung von erlesener Harmlosigkeit ersonnen. Unter den Prämissen der Regie erfüllen Bühne und Kostüme die Anforderungen ans Stück immerhin untadelig, und das Auge wird mit angenehmen Reizen versorgt. Noëmi Nadelmann, Christiane Kohl, Eva Liebau, Katharina Peetz, Renate Steiger und Liuba Chuchrova, Deon van der Walt, Daniel Kirch und Waldemar Kmentt sangen und spielten an der Premiere im Theater Winterthur ansprechend und mit passender Typenkomik. Für ein wunderbar treffendes Genre-Idiom sorgt Herbert Prikopa in der Sprechrolle des Oberkellners Philippe. Unter der kompetenten musikalischen Leitung von Theodor Guschlbauer agierte das Orchester Musikkollegium Winterthur mit einiger pulsierender Spiel-Verve und einigem kantablem Sentiment.

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6. 9. 2004

Operette Plüsch & Prunk

von Roger Cahn

Nimmt ein Regisseur eine Wiener Operette ernst, kann ein vergnüglicher Abend entstehen. Helmut Lohner liefert den Beweis: Richard Heubergers «Der Opernball» ist nicht umwerfend, aber unterhaltsam. Premiere war am Freitag im Theater am Stadtgarten Winterthur.

Zwei Frauen arrangieren für sich und ihre Gatten am Opernball in Paris ein Spiel um eheliche Treue. Eine Nacht auswärtiges Amüsement bringt jedoch die Erkenntnis: Am schönsten ists zu Haus. Nur das Dienstmädchen kommt auf seine Rechnung. Das tönt verstaubt und déjà vu.

Trotzdem vertraut der Wiener Theaterprofi Helmut Lohner diesem Stoff und inszeniert ein Feuerwerk an Ideen, hervorragend sekundiert durch eine zeitgemässe Plüsch- und Prunk-Ausstattung von William Orlandi.

Operette verlangt schauspielende Sänger und singende Schauspieler. Davon gibts Hervorragendes in beiden Kategorien: Die Schweizer Operndiva Noëmi Nadelmann glänzt als weinerlich Naive vom Lande, ihre Komplizin Christiane Kohl zieht die Fäden und lässt die Ehemänner - komisch Deon van der Walt, etwas chargiert Daniel Kirch - tanzen.

Bei den Schauspielern stiehlt Herbert Prikopa als Oberkellner mit perfektem Spürsinn für das Setzen von Pointen allen die Show. Renate Steiger («Lüthi & Blanc») wirkt daneben als geizige Alte gar bieder.

Ein Abend zum Geniessen, das Szenische dominiert die Musik. Ausser einem Ohrwurm - «Gehn wir ins Chambre séparée» - fiel dem weitgehend unbekannt gebliebenen Komponisten nicht viel Originelles ein.

Fazit: Kein Grund, sich zu schämen, wenns einem gefällt.

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6. 9. 2004

SAISONERÖFFNUNG IM THEATER WINTERTHUR: «DER OPERNBALL» VON RICHARD HEUBERGER

Oper, Liebeskarussell und Walzertakt

Reizvolle Musik, pointierte Dialoge, amüsantes Treiben: Das Opernhaus Zürich entreisst Heubergers «Opernball» dem Vergessen und rückt ihn im Theater Winterthur zur Saisoneröffnung ins rechte Licht.

Herbert Büttiker

«Gehen wir ins Chambre Séparée ...»: der Aufforderung folgt im «Opernball» sozusagen das gesamte Bühnenpersonal – vier Paare in verquerer Paarung. Es muss eine Devise sein, die überhaupt vielfür sich hat: Nach der Uraufführung in Wien von 1896 wurde die Melodie zum Schlager, die Operette zum ganz grossen internationalen Erfolg für den Komponisten Richard Heuberger (1850–1914). Aber wenn es auch heute so scheint, einzig um den «Opernball» zu schreiben, ist dieser nicht auf die Welt gekommen. Sein Schaffen bediente alle Gattungen von der Kammermusik bis zur Oper, und darüber hinaus war er ein geachteter Chorleiter und Dirigent, Schubert-Biograf und Hanslicks Nachfolger als Musikkritiker – alles in allem eine herausragende Persönlichkeit im Musikleben Wiens um die Jahrhundertwende. Geblieben ist von diesem vielfältigen Wirken einzig die erste seiner sechs Operetten. Aber auch dem «Opernball» mit seinem Hymnus auf das ominöse Séparée konnte man hier zu Lande schon lange nicht mehr begegnen, im Opernhaus Zürich nicht mehr seit fast vierzig Jahren. Eine Wiederentdeckung also und eine der gewiss lohnenden Art also, die das Opernhaus nun im Theater Winterthur präsentiert.

Letztes Gold
Hier knüpft «Der Opernball» an das «Wiener Blut» zur Saisoneröffnung vor zwei Jahren an. Die Strauss’sche Verbindung von Liebeskarussell und Walzertakt prägt auch diese letzte Operette der so genannten «Goldenen Ära». In mancher Beziehung scheint hier noch einmal vor allem auch die «Fledermaus» in den Typen und Handlungsmustern durch, und dass die Goldene Ära noch immer eine Art Wiener Klassik war, macht die Mozartnähe einzelner Figuren und Szenen (Billetdoux-Terzett der Frauen) deutlich. Aber ebenso hören wir den Hochglanz der Belle Epoque, wenn im Walzer zur Eröffnung des Ballaktes die Harfen glitzern.
Der titelgebende Opernball steht wie das Fest des Prinzen Orlowsky als Schlachtfeld der (Möchtegern-)Lebemänner im Zentrum des Dreiakters, und deren Wahlspruch «Man lebt nur einmal in der Welt, je toller, desto lieber!» versucht sich hier wie dort in der Turbulenz der Ballmusik zu erfüllen. Mit Unterschieden: Heuberger verzichtet auf den Chor, und entsprechend bleibt der kollektive Rausch aus, und das Spiel ist sozusagen kammermusikalisch in viele Einzelstimmen auseinander dividiert.

Drei Tenöre
Nicht wenige als drei Ehemänner-Tenöre wandeln hier vermeintlich souverän auf dem Pfad der Untugend und wissen nicht, dass sie nur von ihren Ehefrauen an der Nase herumgeführt werden. Dass diese die Kontrolle über die Versuchsanordnung verlieren, da die Kammerzofe ebenfalls in einem rosaroten Domino zum Ball erscheint, ist dann wieder eine Sache für sich ... Jedenfalls bewirkt die Vervielfältigung der Figuren manche Parallelaktion, aber gerade die musikalischen und textlichen Wiederholungen sind als dramaturgisches Prinzip immer wieder von heiterer Wirkung: eine souveräne Ironisierung der Komödienmechanik.
Aber selbst unter der Voraussetzung, dass alle immer nur das eine wollen: für Kontrast unter den Figuren ist gesorgt, und die Aufführung berücksichtigt das mit glücklicher Rollenbesetzung. Von den drei Tenören gibt Daniel Kirch mit einigem Pep, aber auch Druck Georges Duménil, den Routinier der Eskapaden. Deon van der Walt spielt mit solidem Pantoffelheldentenor Paul Aubier, den sozusagen dem jungen Eheglück knapp entwachsenen Anfänger, und Waldemar Kmentt verkörpert als alter Hase und mit dem alten Glanz seiner Stimme Beaubuisson, den in Eh (r)e Ergrauten. Nun entkommt er dem wachsamen Auge der strengen Gemahlin doch einmal, aber nur um festzustellen, dass er sich alles doch ganz anders vorgestellt hat.
Gespielt wird diese Gemahlin von Renate Steiger, die rollengemäss vor allem mit keifender Prosa auffällt. Mit schönem Sopran fällt dagegen Christiane Kohl als Marguerite Duménil auf, die sich keine Illusionen über die Männer mehr macht, und mit grosser Stimme rückt Noëmi Nadelmann Angèle Aubier in den Mittelpunkt, die ihre Illusionen am Opernball verliert. Ein wenig auch diejenigen von sich selbst: Angèle ist die Partie der Solonummern und durchaus ein schillerndes Wesen, und das führt Noëmi Nadelmann als Darstellerin mit starkem Bühnentemperament dazu, die Farben zwischen sanft und rabiat, treuherzig und raffiniert in Stimme und Spiel ausladender zu wechseln, als für die Glaubwürdigkeit der Figur ideal ist.

Erotik, Ehe und Geschäft
Mit ihrem klar fokussierten Sopran – eine Stimme, die aufhorchen lässt – und mit vifem Spiel macht Eva Liebau deutlich, dass die Kammerzofe Hortense die kernigste Figur im Stück ist, patent in vielen Duett-Lagen. Ihr zur Seite macht Katharina Peez mit vollem Mezzosopran gute Figur als der junge Henri, der gewiss kein unwürdiger Nachkomme Cherubinos ist. So problematisch beziehungsweise eben komisch sich die Erotik bei denen gestaltet, die es mit Eheverhältnissen und -hindernissen zu tun haben, so fröhlich nimmt sie ihren Lauf bei diesen zwei. Es verwundert deshalb nicht, dass sie es sind, die sich und uns mit dem berühmten süssen «Rendezvous-Duettino» betören, und dass bei ihnen das Chambre Séparée seinen Zweck erfüllt – und zwar billig, weil da wenig soupiert wird. Das wiederum bedeutet eine Grenzerfahrung für den Oberkellner und Logenverwalter Philippe, als der Herbert Prikopa mit kolossaler Statur und ebensolchem Überblick über das intime Wechselspiel von Erotik und Geschäft magistral schaltet und waltet.
Was die Erfahrung, die dem Stück zu Grunde liegt, überhaupt betrifft, so liegt sie in der Erkenntnis Marguerites, dass die Gattung Ehemänner nur in zwei Kategorien zerfalle: in solche, die sich erwischen lassen, und die, die sich nicht erwischen lassen. Oder wir können uns an das halten, was Helmut Lohner zum Libretto hinzugedichtet hat (ein Männer-Terzett aus «Das Baby» mit neuem Text reichert den musikalisch dünnen dritten Akt an): Die Welt ist in Ordnung, solang Männer noch Männer sind.

Vorstadt und Belle Epoque
Wichtiger aber ist die Erkenntnis, dass ein solches Stück von den Rollen lebt, und dafür ist – Nestroy lässt ja des Öfteren grüssen – Helmut Lohner als Regisseur ein Mann vom Fach. Seine Inszenierung hält sich an die Vorstadt, und mit Lizenzen zum Chargieren ist er grosszügig. Aber er erliegt nicht der Versuchung, zu viel «Oper» zu machen (zu wenig ist es allenfalls in der choreografischen Organisation des Ballaktes). William Orlandis Ausstattung zitiert in Kostüm und Dekoration mit leichter Hand die Belle Epoque, und das effektvolle Opernfoyer verdient den Szenenapplaus, den ihm das Premierenpublikum gespendet hat.
Am Amüsement, das im Gesamtverlauf durchaus auch einige Schwankungen ertrug, hatte das Orchester des Musikkollegiums entscheidenden Anteil. Auch wenn es über lange Dialogszenen hin zu schweigen hatte: es ist reich gefordert und bestimmt das musikalische Geschehen mit effektvoller Rhythmik, geschmeidiger Walzermelodik und einer mit Bläsernstimmen differenziert ausgearbeiteten Begleitung. An einer gewissen Sprödigkeit mochte die Akustik des Theaters ihren Anteil haben, aber Theodor Guschlbauer animierte das Ensemble im Graben und auf der Bühnen zu gut koordiniertem und prägnantem Spiel: Im Ohr bleibt nicht nur «Gehen wir ...».

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6. 9. 2004

Renaissance der Operette?

Richard Heubergers «Opernball» in Winterthur

Beschwingt und erheiternd sollte der Beitrag des Zürcher Opernhauses zum 25. Geburtstag des Winterthurer Theaters am Stadtgarten sein. Liegt es am Stück oder an der Inszenierung, dass auf Heubergers «Opernball» eher flaue Stimmung herrscht?

«Gehn wir ins Chambre séparée» - diesem Schlager hat es Richard Heubergers Operette «Der Opernball» zu verdanken, dass sie zumindest dem Titel nach noch immer bekannt ist. Nicht nur musikalisch, auch dramaturgisch bildet das verführerische Duettino das Herzstück des Werks. Im ersten Akt geht es darum, den Ballbesuch vorzubereiten. Da die raffinierte Marguerite (Christiane Kohl) ihrer gutgläubigen Freundin Angèle die Untreue ihres Gatten beweisen will, schicken sie den beiden Ehemännern übers Kreuz anonyme Einladungsbriefe - ein «Così fan tutte»-Experiment unter umgekehrten Vorzeichen. Und schon lässt sich Paul mittels einer Depesche in dringenden geschäftlichen Angelegenheiten wegrufen. Das Zusammentreffen auf dem Ball kompliziert sich, weil die Herren nicht nur zwei, sondern drei rosa Dominos vorfinden - auch das Kammermädchen hat Lust auf ein Abenteuer bekommen und ihren jungen Verehrer Henri (Katharina Peetz) herbestellt. Als weiterer Gast erscheint der seinem häuslichen Drachen entfliehende Geizhals Beaubuisson. Da die verfügbaren Séparées schon besetzt sind, gerät der durchtriebene Oberkellner Philippe arg ins Schwitzen. Begreiflich, dass es einigen Aufwand erfordert, die Intrige im dritten Akt aufzuklären. Und einen Gefängniswärter Frosch wie in der «Fledermaus», auf die Heuberger und seine Librettisten gefährlich oft rekurrieren, gibt es nicht und somit auch keinen neuen Energieschub.

Keine leichte Aufgabe für den Regisseur Helmuth Lohner. Er behilft sich mit einigen musikalischen Einlagen und textlichen Retuschen, vor allem aber mit Routine: Operette wie anno dazumal, ohne Ironie und Augenzwinkern, dafür mit viel Handgreiflichkeit. Ein Glück, dass sich das Hauptopfer, die Kammerzofe Hortense, dank der darstellerischen und vokalen Agilität Eva Liebaus zur Wehr zu setzen weiss. Überhaupt lässt das Ensemble wenig zu wünschen übrig, sieht man von der mangelhaften Stimmführung Daniel Kirchs (Duménil) ab. Besonders markante Rollenporträts steuern Altmeister Waldemar Kmentt als Beaubuisson und Renate Steiger als dessen Gattin bei. Einen urwienerischen Pariser Oberkellner gibt Herbert Prikopa. Deon van der Walt verleiht dem biederen Lebemann Aubier nicht nur tenorale, sondern auch komödiantische Souplesse, während Noëmi Nadelmann, stimmlich nicht optimal disponiert, etwas forciert die naive Provinzlerin mimt. Das Orchester Musikkollegium Winterthur wagt sich unter Theodor Guschlbauers Leitung beherzt und spielfreudig auf das Feld der leichten Muse, lässt aber keine Funken sprühen. Dies bleibt den Bühnenbildern von William Orlandi vorbehalten - einem neubarocken Salon und einem spontan beklatschten Theaterfoyer mit Logentüren. Die Ausstattung dürfte auch im Zürcher Opernhaus Effekt machen, wo Heubergers Operette nach der Winterthurer Aufführungsserie ab dem 12. September in gleicher Besetzung nachgespielt wird, zu wesentlich höheren Preisen.

Marianne Zelger-Vogt

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6. 9. 2004

Stilsicherer Balzgesang im notorischen Chambre séparée

Etwas für Operettenliebhaber: die Saisoneröffnung des Zürcher Opernhauses mit Richard Heubergers «Der Opernball».

Von Michael Eidenbenz

Für Richard Heuberger ist es ein hartes postumes Schicksal. Da hatte der Mann ein Leben lang seriöse Chorwerke und Sinfonien komponiert, ist an diversen Opern gescheitert und als Musikkritiker respektiert worden, und dann bleibt der Nachwelt von ihm nichts als seine Operette im Gedächtnis. Für die Nachwelt selber ist es weniger tragisch. «Der Opernball» genügt durchaus als Vermächtnis Heubergers, der statt als Wagner- oder Brahms- nun eben als Johann-Strauss-Epigone in die Geschichte eingegangen ist.

Das Opernhaus Zürich hat sich zur traditionellen Saisoneröffnung im Theater Winterthur also einen lockeren Stoff vorgenommen, in dem es um den üblichen champagnertrunkenen Ballabend samt Katermorgen und um die Frage geht, wer eigentlich gestern genau mit wem im notorischen Chambre séparée verschwunden war. Das Personal dazu ist gattungstypisch vollständig versammelt. Es gibt das vermeintlich treue und das vermeintlich in «moderner Ehe» lebende Pärchen; den Alten, der sich nach dreissig anstrengenden Ehejahren auch mal einen Jux machen will (Kammersänger Waldemar Kmentt chargiert stilsicher) und dabei von Liuba Chuchrova als Animiergirl Féodora gehörig ausgenommen wird, sowie den Ehedrachen, dem Renate Steiger gebührend keifendes Profil schenkt. Natürlich gibts das frivole Dienstmädchen der temperamentvollen Eva Liebau in gegenseitiger Verführungsabsicht mit dem Marinekadetten Henri (Katharina Peetz liefert die Hosenrollen-Jungmännerparodie souverän ab) und den mit allen Wassern gewaschenen, Herbert Prikopa auf den Leib geschnittenen Oberkellner, dem Diskretion alles ist, solange das Trinkgeld stimmt.

Zürich-Wien-Connection
Das Libretto knittelt derweil vor sich hin - «wo, wo, wo ist der rosa Domino?» oder «dieser Hummer macht mir Kummer» - und Helmuth Lohner sorgt mit sicherer Regiehand und mit der profunden Kenntnis jahrzehntelanger Komödienerfahrung dafür, dass das Ganze abschnurrt wie am Schnürl. Nicht alles ist gleich lustig, manchmal erschlagen Altherrenwitzchen die ohnehin aufgedrehte Atmosphäre, und etliche Pointen riecht man schon um Meter gegen den parfümierten Wind voraus. Auch dies gehört zum Stil, den vernünftigerweise weder Lohners Inszenierung noch William Orlandis Ausstattung mit Fin-de-Siècle-Salon, Foyertreppen im Ballraum und zeitgemässen Kostümen je in Frage stellen.

Die Zürich-Wien-Connection spielt also einmal mehr. Denn auch dem Dirigenten Theodor Guschlbauer ist der Stil offenkundig vertraut. Dass Heubergers musikalische Ambitionen über die schlichte Nummernoperette hinaus auch kompliziertere Ensembles, gekonnt instrumentierte Begleitungen und mit der zitierenden Wiederaufnahme von Melodieerinnerungen gar im eigentlichen Sinn musikdramatische Techniken umfasst, nehmen Guschlbauer und das Orchester Musikkollegium Winterthur als gelegentliche Herausforderung an.

Schliesslich gibts ausser dem Wunschkonzert-Evergreen «Gehn wir ins Chambre séparée» noch einiges Hübsches zu singen. Eine prächtige Heul-Arie beispielsweise für Noëmi Nadelmann, die ihre Bühnenpräsenz als keusche Angèle an der Seite des imposant komödiantischen Deon van der Walt als Gatte Paul ausspielen kann. Und Daniel Kirch und Christiane Kohl geben glaubhaft jene «moderne Ehe» vor, die dem Publikum ein bisschen Seitensprungfrivolität schenkt, ohne dass die Operettenbiederkeit ernsthaft gefährdet wäre: Reue und Versöhnung folgen auf dem Fuss, die Welt bleibt in Ordnung.

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6. 9. 2004

Klassische Operette, leider von vorgestern

Im Theater Winterthur feierte am Freitag fast traditionsgemäss die erste Opernhaus-Produktion der Saison Premiere

Es ist bereits etwas wie eine Tradition: Die Saison der grossen Schweizer Theater beginnt mit einer Opernhaus-Produktion im Theater Winterthur. Dem Publikum ausserhalb Zürichs traut man dabei ebenso traditionell wenig Interesse an zeitgemässem Theater zu. Richard Heubergers Operette «Der Opernball» von 1898 könnte klassischer, altmodischer kaum inszeniert sein. Regisseur Helmut Lohner setzt auf harmlose Unterhaltung und Texttreue.

Sündenmetropole Paris
Operette ist per se Klischee, auch im «Opernball»: Das biedere Provinzehepaar kommt in die Sündenmetropole Paris und findet dort, was es insgeheim zu finden hoffte: Frivole Zofen, keifende Alte und gefährliche Affären. Wer am Schluss halbwegs gut dasteht, ist das niedere Paar, das die Hierarchie für einen einzelnen Abend des Rausches ausser Kraft setzen konnte und die (lustvolle) Bigotterie aufdeckt. Das könnte man anarchisch frech ausspielen. Könnte, denn trotz der frischen Eva Liebau als Zofe Hortense und Katharina Peetz als draufgängerischem Henri bleibt die Inszenierung brav und überhaupt nicht aufrührerisch.

Solide, aber nicht mehr
Denn die Wiener Schauspiellegende Helmut Lohner als Regisseur erhebt nicht den Anspruch, mehr als ganz direkt den Text zu inszenieren und sich dabei auch nicht zu sehr auf die Stimmungen der Musik einzulassen. Das Ergebnis ist solide, streckenweise witzig und manchmal, wie in den langen Dialogpassagen des zweiten Aktes, auch eher zäh und absehbar.

Eine ganze Menge Séparées
Wie auch die Ausstattung von William Orlandi. Er setzt für den Salon des ersten und dritten Aktes auf Trompe-l'oeuil-Pracht und für den zweiten auf eine doppelte geschwungene Showtreppe in Rot und Gold mit einer ganzen Menge Séparéetüren, aufgefüllt mit einer Menge Statisten in Ballverkleidung und Herbert Prikopa als schmierigem Oberkellner, über dessen Humor man geteilter Meinung sein kann.

Eine Wiener Legende
Wäre da nicht eine dritte Wiener Legende, die Sängerinnen und Sänger blieben alle in ihren schematischen Rollen gefangen. Als Rentier Beaubuisson bringt Waldemar Kmentt auch nach über 50 Jahren auf der Bühne noch soviel Stilsicherheit und Würde auch im Komischen auf die Bühne, dass sich andere ein Stück davon abschneiden könnten. Etwa die beiden Ehemänner, die sich beim Opernball nur zu gerne von ihren verkleideten Gattinnen übers Kreuz verführen lassen. Daniel Kirch (Georges) und Deon van der Walt (Paul) bekommen wenig Gelegenheit, ihre Tenöre vorzuführen, nutzen diese aber zu manchem Schluchzer.

Ihren beiden Frauen stellen die angezweifelte Treue ihrer Gatten mit einer Wette auf die Probe (Mozarts «Cosi fan tutte» lässt grüssen). Christiane Kohl nimmt man die überlegen lässige Marguerite dabei mehr ab als der edel phrasierenden Noëmi Nadelmann die aufgesetzt naive Angèle mit ihren exaltierten Weinkrämpfen.

Zwischentöne fehlen
Dass die Partitur sich manchmal über die Schemen der Operettenkonvention wegsetzt und in Instrumentierung und Stimmungszeichnung einen durchaus eigenen, reizvollen Ton findet, wird bei Theodor Guschlbauer und dem Orchester Musikkollegium Winterthur bei allem Schmäh nur zum Teil hörbar. Rhythmisch federnd und mit trockenen Attacken fegen sie durch die fast drei Stunden. Leise wird's kaum je, und Zwischentöne muss man sich selber vorstellen.

Man bekam allerdings auch den Eindruck, dass die Produktion noch die eine oder andere Probe brauchen könnte, bis alle Abläufe ganz stimmen. Wenn sie ab Mitte September dann im Opernhaus gezeigt wird, dürften dann auch sie sitzen.

Tobias Gerosa

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