Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS
Georg Friedrich Händel: Giulio Cesare in Egitto
2. April 2005 (Première)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Choreinstudierung

Cleopatra
Sesto
Cornelia

Giulio Cesare
Tolomeo
Achilla
Nireno
Curio
Marc Minkowski
Cesare Lievi
Margherita Palli
Marina Luxardo
Jürgen Hoffmann
Jürg Hämmerli

Cecilia Bartoli
Anna Bonitatibus
Charlotte Hellekant
Franco Fagioli
Martin Oro
Alan Ewing
Jose Lemos
Gabriel Bermudez
Verzeichnis

Rezensionen
   Persönlicher Eindruck
einer Premièren-Besucherin
Die Kriegskarawane zieht weiter
Kostümfest für Kleopatra
Kleopatra im Disneyland
Jubel im Opernhaus
Barockoper mit Kunststoffhelden
Bartoli als farbig schillernde Kleopatra
Schwarz-weiss und blutrot
Barock-Show aus Ägypten
Stimmzauber und allerlei Plunder
Jede Verzierung ist ein Vergnügen
Hochspannung im Plastik-Ägypten
Halbszenisch - ganz musikalisch
     

Vox spectatricis

3. 4. 2005 / Chantal Steiner

Balsam für die Seele

Mit gemischten Gefühlen ging’s gestern in die Oper. Schon wieder Barock, vier Stunden, praktisch keine Striche, 6 hohe Stimmen (davon 3 Countertenöre): Etwas gar viel für mich, die mit Barock wenig anfangen kann und vor allem die tiefen Stimmlagen mag! Und das alles bei schönstem Frühlingswetter! Der Grund, weshalb ich trotz dieser Vorbehalte in die Oper pilgerte, lag beim Dirigenten. Er hatte mir bisher stets Sternstunden vermittelt – vielleicht würde es auch heute so sein?

Um es vorweg zu nehmen: Musikalisch war der Abend ein Leckerbissen sondergleichen. Von der ersten Sekunde packte mich das Werk, die Spannung verliess mich während der ganzen Aufführungsdauer nie, und es wurde ein unvergesslicher Opernabend. Sicherlich kann man Barock nicht mit Barock vergleichen, Monteverdi ist nicht Händel, Harnoncourt nicht Christie und Christie nicht Minkowski. Trotzdem – was mir bei Harnoncourt (oftmals) und Christie fehlt, ist bei Minkowski jeweils da: sprühende Leichtigkeit, sinnnliche Töne, Dynamik, Spannung, betörende Momente. Minkowski stand ein bestens disponiertes Orchester "La Scintilla" zur Verfügung sowie ein Sängerensemble, das keine Wünsche offen liess. Minkowski konnte von diesen Sängern alles fordern, selbst zartestes, fast schon nicht mehr hörbares Piano – und dies auch noch mit Orchesterbegleitung. Diese zarten Töne ergriffen mich mehr als nur einmal, und ich konnte meine Rührung schwer beherrschen.

Franco Fagioli als Cesare war eine wirkliche Überraschung. In der "Poppea" gefiel mir zwar seine Stimme, er wirkte aber larmoyant und blass. Schon damals fragte ich mich, ob das an ihm oder an der Inszenierung lag. Seine Stimme ist für einen Countertenor erstaunlich weich, sinnlich und besitzt "Körper" – einer Altstimme sehr ähnlich. Auch wenn seine Stimme vielleicht noch etwas an Durchschlagskraft vermissen lässt und eher klein ist (er ist noch sehr jung), meisterte er sowohl die Koloraturen wie auch die lyrischen Teile mit Bravour. Charlotte Hellekant als Cornelia verkörperte die Rolle der unglücklichen Frau des ermordeten Pompeo eindrücklich; eine schöne Erscheinung mit einer wunderbar warmen Altstimme. Im Zusammenspiel mit ihrem Sohn Sesto, welcher von der Mezzosopranistin Anna Bonitatibus gesungen wurde, ergaben sich die schönsten Momente. "Giulio Cesare" ist eine typische Barockoper, in der praktisch nur Einzelarien gesungen werden. Man tritt auf, singt – und tritt wieder ab. Eines der wenigen Duette findet am Ende des 1. Aktes zwischen Cornelia und Sesto statt: Für "Son nato/a a lagrimar/sospirar" alleine würde sich der Opernbesuch schon lohnen. Die beiden Frauenstimmen ergänzen sich optimal und bringen die ganze Verzweiflung in einer Art und Weise zum Ausdruck, dass dieser Moment eindrücklich haften bleibt.

Cecilia Bartoli als Cleopatra gefiel mir stimmlich so gut wie schon lange nicht mehr. Sie liess die Stimme – auch in den virtuosen Passagen – strömen, übte keinen unnötigen Druck aus, so dass das Vibrato im Rahmen blieb. Man mag vielleicht bemängeln, dass Bartoli auf der Bühne immer die Bartoli bleibt (sei es nun als Cenerentola, Rosina oder eben Cleopatra), aber Cleopatra war – obwohl sie Königin war – noch ein sehr junges Mädchen, und daher störte mich die Naivität in der Darstellung nicht. Die Counterstimmen von Martin Oro als Tolomeo (Ptolomäus; Gegenspieler Caesars und Cleopatras) und von José Lemos als Nireno (Vertrauter Cleopatras) sind sicherlich Geschmackssache – für einige Opernbesucher immer noch etwas gewöhnungsbedürftig –, aber beide bekundeten keine Mühe in ihren schwierigen Partien. Ihre Stimmen entsprachen eher dem Bild, das viele von einem Countertenor haben: viriler als jene von Fagioli, aber mit weniger Schmelz.

Auch die beiden tiefen Partien, Gabriel Bermúdez als Curio und Alan Ewing als Achilla, der in Cornelia verliebte Mörder von Pompeo, standen den übrigen Protagonisten in nichts nach. Eine exquisite Sängerleistung von A bis Z!

Und was soll man von der Inszenierung sagen? Sie bekam einige heftige Buhs, die ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Von Lievi ist man Schlechteres gewohnt! Lievi interpretiert zwar nichts, lässt das Ganze in Las Vegas spielen, einer Kulisse, wo man heute den ganzen Zauber des Orients antreffen kann, ohne sich von heimischen Gepflogenheiten zu weit entfernen zu müssen. Er lässt m.E. die Oper als "Theater im Theater" abrollen. Wie bereits angedeutet, treten die Protagonisten auf, singen und treten wieder ab. Ihre ganzen da–capo–Arien werden jeweils auf zwei Podesten links und rechts gesungen. Personenführung ist nicht wirklich da; aber es stört (mich) nicht. Bei der musikalischen Leistung war ich froh, dass nicht billiger Aktionismus den Eindruck trübte; man konnte sich voll auf die Sänger und das Orchester konzentrieren.

Schöne Einfälle und Ironie konnte man Lievi nicht absprechen. Wunderschön die Szene, in der Cleopatra die Götter der Liebe anfleht und in der sie – umringt von einem Teil des Orchesters – in einer Kugel wie eine überirdische Gestalt erscheint.

Ob dieses (ästhetische, jedoch nicht deutende) Konzept aufgegangen wäre, wenn das Musikalische nicht in einem so hohen Masse gestimmt hätte, das wage ich zu bezweifeln. Trotzdem: Für mich war der Abend ein absolut unerwartetes Highlight, das mich darin bestärkt, jeweils auch bei anfänglichen Vorbehalten den Weg ins Opernhaus zu wagen.

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Aargauer Zeitung

4. 4. 2005 / Torbjörn Bergflödt

Die Kriegskarawane zieht weiter
Oper Händels «Giulio Cesare in Egitto» in Zürich ins Mark der Töne geführt

Dirigent Marc Minkowski hat eine neue Händel-Opern-Darbietung am Opernhaus Zürich durchglüht und durchpulst. Viel Beifall an der Premiere.

Die Barockopernpflege glänzt am Zürcher Opernhaus. Und zwar nicht durch Abwesenheit. Als jüngster Streich reiht sich nun «Giulio Cesare in Egitto» in die Serie vor allem musikalisch gelungener einschlägiger Aufführungen der letzten Jahre. Dies in einem Haus, das zu lange von den Zinsen des legendären Monteverdi-Zyklus gelebt hat. Als musikalischer Leiter wirkt an dem, mit Pause gerechnet, gut vierstündigen Abend wiederum ein Spezialist des Faches. Es ist der Franzose Marc Minkowski, der die dreiaktige Opera seria von Georg Friedrich Händel mehrfach dirigiert und mit seinen Musiciens du Louvre auch auf CD aufgenommen hat.

«Giulio Cesare in Egitto» steht in einer eher galant ausgerichteten stofflichen Traditionslinie zwischen Cor-neille und Shaw, wobei die Welt von Kleopatras Ägypten-Sinnlichkeit verbunden wird mit den politischen Händeln um den Imperator Cäsar, Kleopatras Bruder Ptolemäus und dessen Feldherrn Achilla.

Der Musik Beine gemacht
Hinzu kommt der Handlungsstrang um Witwe und Sohn von Pompejus, die auf Rache sinnen, weil Cäsars ehemaliger Widersacher von den Ägyptern enthauptet worden ist. Wunderbar nun, wie an der Premiere in Zürich die Sängerinnen und Sänger den Radius der Empfindungen und Gedanken der Figuren abschritten, die Noten von innen her belebten, sich ins Mark der Töne begaben, um die vielen Schätze zu heben. Und wunderbar, wie Minkowski die Musik befeuerte, ihr Beine machte, so- dass sie, bei herauspräparierter Tanzmetrik, beinahe zu swingen begann.

Der Umstand, dass 1724 am Londoner Haymarket Theatre auch Kastraten mitgewirkt hatten, schafft eine gewisse Varietät in den Besetzungsmöglichkeiten. In Zürich sangen jetzt unter anderem drei Countertenöre, darunter der überaus gurgelflinke und, etwa in den ariosen Betrachtungen vor der Urne des Pompejus, auch bewegend affektstarke Franco Fagioli als Cäsar und Martin Oro als windig-wendiger Ptolemäus. Cecilia Bartoli spannte die Rolle der Kleopatra auf ins weiträumige Dreieck eines an Ausdruckstiefen reichen Lamento-Gesangs, einer koloraturengespickten Bravour und eines auch szenisch ausgespielten neckischen Witzes. Brava!

Katalog an stilisierten Zeichen
Hervorragend freilich auch die Cornelia von Charlotte Hellekant und Anna Bonitatibus als Sextus sowie, als Achilla, Alan Ewing mit seinem substanzstark strömenden «schwarzen» Bass. Die Spezialformation La Scintilla der Oper Zürich bot agiles Hochdruckmusizieren und horchte Händels Melos ab mit ganz wachen Ohren. Cesare Lievi (Inszenierung), Margherita Palli (Bühnenbild) und Marina Luxardo (Kostüme) haben der Musik nirgendwo wehgetan, und die Personenführung steckt die Positionen der handelnden Gestalten plausibel ab. Ausstattungsmässig wirkt das allerdings doch etwas zu sehr wie ein Katalog an herbeiassoziierten stilisierten Zeichen. Das Breitbandangebot umfasst unter anderem Pyramiden und Mosaike, Panzerwagen und Schiffsschrauben, einen monumentalen Totenschrein und gewellte Neonröhren (die zu einem Las Vegas hinübergrüssen mögen). Es gibt neben einem prägenden Pop-art-Element den Schattenrisseffekt und das farbdramaturgische Signal - auch bei den leicht bemühten Kostümen. Das Spektakelhafte einer Barockbühne kommt zum Zug. Am Schluss rundet sich die Inszenierung, indem, wie zu Beginn Panzerwagen rollen: Die Geschichte der Kriege ist mit dem Kapitel «Cäsar in Ägypten» noch nicht zu Ende geschrieben.

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Basler Zeitung

4. 4. 2005 / Sigfried Schibli

Kostümfest für Kleopatra
Händels «Giulio Cesare» am Opernhaus Zürich

Es ist Händels reichhaltigste Opernpartitur und eine der sängerisch anspruchsvollsten Barockopern überhaupt. Am Zürcher Opernhaus kommt «Giulio Cesare in Egitto» in einer Idealbesetzung zur Aufführung.

Am Ende kniete der Dirigent vor seinem Klangkörper nieder. Marc Minkowski konnte in der Tat mehr als zufrieden sein mit dem Orchester «La Scintilla» aus Musikerinnen und Musikern des Opernhaus-Orchesters, die sich für spezielle Zwecke in Barockspezialisten verwandeln. Man hörte ausnehmend musikalisch artikulierende Hörner, farbenreiche Holzbläser und vibratolos-kompakte Streicher. Wenngleich Minkowskis expressiver Dirigierstil nicht immer zu ganz homogenen Einsätzen führte, war das Ergebnis aus dem Zürcher Orchestergraben höchst beachtlich.

An Inspiration von der Bühne war denn auch kein Mangel. Mit Cecilia Bartoli als Kleopatra und dem erst 24-jährigen Countertenor Franco Fagioli in der Titelpartie verfügt die Zürcher Produktion über ein Traumpaar für die beiden Hauptpartien. Bartoli, im spätbarocken Repertoire mit seiner Betonung des Technisch-Virtuosen ganz in ihrem Element, legt atemberaubend saubere Koloraturen hin, zeigt sich sowohl virtuosen als auch innigen Arien gewachsen. Modellhaft vereinigt ist beides in ihrer Dacapo-Arie «Piangerò la sorte mia» im dritten Akt der über dreistündigen Oper. Bis zuletzt zeigt die Bartoli keine Ermüdungserscheinungen, sondern gestaltet ihren Part mit hoher Präsenz und Glaubwürdigkeit. Da lässt sich nicht einfach eine Starsängerin in eine Opernproduktion verpflanzen, sondern verkörpert eine grossartige Musikerin ihre Rolle mit jeder Faser ihrer Person.

ERHABEN
Der römische Feldherr Giulio Cesare könnte leicht neben ihr verblassen - doch der Countertenor Franco Fagioli sorgt für eine der angenehmen Überraschungen des Abends. Der junge Argentinier erweist sich nicht nur als glänzender Schauspieler, sondern gibt seine Riesenpartie mit einer Sicherheit und Musikalität, die ihn als ebenbürtigen Partner der grossen Cecilia erscheinen lassen. Das Schlussduett der beiden ist einer der Höhepunkte der Aufführung. Das ungleiche andere Paar, die Witwe Cornelia von Charlotte Hellekant und ihr Sohn Sesto der Mezzosopranistin Anna Bonitatibus, steht Bartoli und Fagioli kaum nach. Mit etwas stimmlicher Mühe kann sich daneben Martin Oro als Tolomeo behaupten, während Alan Ewing in der Basspartie des blutrünstigen Achilla kaum Wünsche offen lässt.

LÄPPISCH
«Giulio Cesare» gehört zu den Händel-Opern, die immer wieder für fantasievolle Regielösungen Anlass gaben. Noch nicht vergessen ist Herbert Wernickes poetische Basler Produktion; aber auch die bald dreissig Jahre zurückliegende Frankfurter Aufführung mit Horst Zankl am Regie- und Nikolaus Harnoncourt am Dirigentenpult behauptet ihren Platz in der Erinnerung des Händel-Freundes. Von ihr scheint der italienische Regisseur Cesare Lievi zumindest darin angeregt zu sein, dass er gern solistische Instrumente (Horn, Violine) als «handelnde Personen» auf der Bühne platziert.

Ansonsten hat Lievi mit seinem Ausstatterinnen-Team wenig Erhellendes zu dem Werk beigetragen. Die Römer werden als eitle Nobel-Militärs mit anachronistischen Schusswaffen gezeigt, während die amerikanisierten Ägypter durch knallbunte Kostüme lächerlich gemacht werden. Durch Spielzeugpanzer und Raketen wird dem Stoff eine harmlose Comic-Strip-Ästhetik übergestülpt, und dass Cecilia Bartoli in mindestens fünf verschiedenen Kostümen auftritt, ist eher ein Tribut an ihren Rang als Primadonna als ein szenisch überzeugendes Moment.

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Blick

4. 4. 2005 / Hans Uli von Erlach

Kleopatra im Disneyland
Hinreissende musikalische Hits und eine römisch-ägyptische Love- und Machtstory machen «Giulio Cesare» zur populärsten Händel-Oper. Auch in Zürich wird sie trotz plakativen Unterhaltungselementen der Renner der Saison werden.

Über vier Stunden Barockoper ohne Längen! Das Kunststück gelingt dank dem Dirigenten Marc Minkowski. Jede seiner lebhaften Gesten ist Bewegung gewordene Musik. Das reisst das hervorragende Barockorchester «La Scintilla» ebenso mit wie das Publikum.

Händels Musik ist ein geniales, bühnenwirksames Feuerwerk von Rhythmen und Gefühlen. Sie illustriert ebenso betörend die zu Tode betrübte Lage der gefangenen Kleopatra, die vorwärts drängende Kampfentschlossenheit von Cäsar wie ironisch die Winkelspiele seines Widersachers Ptolemäus. Der römischen Witwe Cornelia und ihrem Sohn Sextus widmet Händel die schönsten Trauer- und Rachearien. Ihr Duett im ersten Akt ist nur einer von vielen Hits, die lange nachklingen. Charlotte Hellekant und Anna Bonitatibus wurden hier zur Entdeckung des Abends.

Dem jungen Countertenor Franco Fagioli scheint die anspruchsvolle Titelrolle noch eine Nummer zu gross. Sängerisch meistert er sie am Ende mit Bravour. Darstellerisch ist sein Cäsar ein weinerlicher, unentschlossener Feldherr.

Superstar Cecilia Bartoli liefert das, wofür man ihr längst nachrennt: atemberaubende, perfekte Koloraturakrobatik und jene fast nur gehauchten, wunderbar verinnerlichten Töne. Dazwischen lässt sie, eher un-passend, auch ihrem Talent für Komik freien Lauf. Eigentlich ist sie keine Kleopatra, sondern vor allem die Bartoli. Aber dafür ist man ja da.

Das komische Element passt zur Regie von Cesare Lievi und vor allem zur plakativen, bunten Ausstattung. Mit leichter, eher oberflächlicher Hand inszeniert wird die Oper zu einer Revue zwischen Pop-Art und Disneyland. Das hat mindestens Unterhaltungswert.

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Der Bund

4. 4. 2005 / Tobias Gerosa

Jubel im Opernhaus
So packend kann, so packend muss Händel sein: «Giulio Cesare» am Opernhaus Zürich

Gute vier Stunden dauert Händels Giulio Cesare am Opernhaus. Der Dirigent Marc Minkowski sorgt mit seinem Gestaltungswillen, dramatischen Sinn und seiner unerschöpflichen Energie dafür, dass in jedem Moment Hochspannung herrscht. Die Regie Cesare Lievis schafft dazu mit jungem Ensemble um Cecilia Bartoli augenzwinkerndes Understatement.

Solcher Jubel war selten im Opernhaus wie für Marc Minkowski nach dem Finale der samstäglichen Premiere von Georg Friedrich Händels «Giulio Cesare» (Julius Cäsar). Unkonventionell, mittänzelnd und die Musik gestisch formend begleitend, trägt und reisst er Sänger und Instrumentalisten mit. Glücklich, wer einen Platz mit Sicht auf den Dirigenten hat! Doch Minkowski geht es nicht um Showgehabe, er lebt die Affekte mit und prägt so in dieser farbigen Partitur einen äusserst mitreissenden Händel-Stil. Natürlich sucht er Extreme: Die raschen Tempi sind wirklich rasend, die ruhigen als grosser Kontrast dazu sehr langsam. Triumphierende Stellen markiert er mit der Sportlergeste der in die Höhe gereckten Faust, einzigartig sind die an die Grenze des technisch Möglichen gehenden Piani, die etwa im Duett von Anna Bonitatibus’ brillantem Sesto und Charlotte Hellekants inniger Cornelia oder der grossen Szene Cleopatras für Gänsehaut sorgen. Doch bei aller Energie, Sinnlichkeit und risikofreudigem Musizieren wirkt die Musik durchgestaltet und in jedem Moment ausbalanciert.

Zu Unrecht ausgebuht
Es ist ganz stark, dieses musikalische Fundament, das den neuen Zürcher «Giulio Cesare» trägt und vorwärts treibt. Das muss es auch. Zwar sind die Rezitative musikalisch und szenisch sehr überzeugend gestaltet, doch in den langen Arien steht die Handlung immer wieder still. Cesare Lievi hat zusammen mit Bühnenbildnerin Margherita Palli einen zu Unrecht ausgebuhten Weg gefunden, das spannend zu gestalten.

Die Bühne bleibt weitgehend leer. Zu Anfang fahren ein paar stilisierte Panzer daher, als dekorative Elemente werden Raketen hereingerollt, später sind es Buchsbaumwürfel oder Schilf in Wolkenkratzerform: Alles mit einem Augenzwinkern und in klobig-protziger Ausführung, wie man sie von grossen Shows kennt. Die Römer kommen im Schneeweiss von Operettensoldaten daher: Invasoren, ihrer Sache sicher. Die bunten Ägypter wirken ihnen gegenüber ziemlich verkleidet (Kostüme: Marina Luxardo). Man könnte Lievi vorwerfen, in seiner Regie keine Interpretation zu liefern, doch er kompensiert das so gelungen auf der Schneide zwischen feiner Ironie und psychologischer Personenzeichnung schwankend, dass es kaum ins Gewicht fällt.

Lebensechte Figuren
Lievi übersetzt das barocke Maschinen- und Affekttheater in eine heutige unterhaltsame und doppelbödige Form, deren Oberfläche in funkelndem Show-Glanz erstrahlt. Und doch entstehen dabei lebensechte Figuren, wie man sie in Barockopern selten zu sehen bekommt. Franco Fagiolis Cesare ist weniger historischer Held als zwischen politischen Repräsentationspflichten und Gefühlen hin- und hergerissener Mann – vokal wie darstellerisch überzeugt der gerade einmal 22-jährige Countertenor mit einer reichen und virtuos gehandhabten Farbpalette.

Absolut überzeugend
Darin können die andern beiden Counter (Martin Oro als ägyptischer Herrscher Tolomeo und José Lemos als Nireno) vokal nicht ganz mithalten – umso besser aber die drei Frauen. Cecilia Bartoli, der einzige übrig gebliebene Star, fügt sich als Cleopatra sehr gut ins Ensemble ein. Ihre Arien bestechen durch immense Musikalität und Ausdrucksreichtum – wenn trotzdem etwas Bedenken bleiben, dann deshalb, weil sie mit ihrer brodelnden Intensität stilistisch eine ganz andere Note ins schlank singende, auch darstellerisch absolut überzeugende Ensemble einbringt. Aber glücklich, wer solche Probleme und einen Marc Minkowski hat! Dies sind die Attraktionen, die über manche mediokre Aufführung hinwegzutrösten vermögen.

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Der Landbote

4. 4. 2005 / Herbert Büttiker

Barockoper mit Kunststoffhelden
Opera seria? «Cesare» ist in der Zürcher Inszenierung auch deren Parodie. Händel nennt sein Werk schlicht «An Opera» und lässt vieles offen. Eindeutig Marc Minkowski: Er brennt ein musikalisches Feuerwerk ab.

Caesar besiegt Pompeius und will jetzt Ägypten ordnen, wo Kleopatra mit ihrem Bruder Ptolemäus um die Regentschaft streitet. Willkür herrscht: Ptolemäus und sein General Achillas ermorden den geschlagenen Pompeius, werden aber als Rivalen um dessen schöne Witwe Cornelia zu Feinden. Ihr Sohn Sextus greift ein und rächt den Vater. Achillas und Ptolemäus sterben, Caesar setzt Kleopatra als Königin ein. Händels «Giulio Cesare in Egitto», 1724 uraufgeführt und als eine der aufwendigsten Produktionen einer der grössten Erfolge und ein Repertoirestück seiner Zeit, mischt die Historie in einer szenenreich verwickelten Intrigenhandlung auf, und mit der Liaison von Caesar und Kleopatra hält ein komödiantisches Element Einzug: Die berechnend kokette Ägypterin verführt den Kriegshelden als Dienerin verkleidet und mit musikalischem Spektakel als Göttin auf dem Parnass.

Wie viel «Opera seria», wie viel ironisches Gezwinker, wie viel humanistischer Ernst, wie viel Unterhaltung in Händels «Opera» liegen – diese Frage darf jede Inszenierung neu beantworten. Das macht den Reiz der modernen Beschäftigung mit der Barockoper auf der Bühne aus und ist die subtile Herausforderung im Umgang mit der über dreistündigen Arienkette, deren einzelne Glieder vielfarbig schillern – in zündendem Passagenwerk und in die Tiefe lotendem Legato. Damit weiss das Zürcher Virtuosen-Ensemble viel anzufangen, dass es von Cesare Lievis Regie immer überzeugend positioniert wird, mag man bezweifeln.

Dekoration ist alles
Achilla überbringt Cesare den Kopf des Pompeo in einer bunten Schachtel. Sie ist wohl leer: Dekoration ist alles. Margherita Palli (Bühnenbild) und Marina Luxardo (Kostüme) haben (die) ganze Arbeit geleistet. Zur Ausstattung gehören grosse seitliche Regale, die wechselnd Objekte und Figurinen präsentieren, dazu eine Hinterbühne als Strasse, auf der Raketenbasen und Truppen vorbeifahren oder Tempelsäulen stehen. Von der Decke hängen Schiffsschrauben, von der Seite her erscheint als Schablone das Kriegsschiff und auch die Pyramide – als skurril verfremdetes Zitat erscheint Ägypten in einem leuchtfarbenen Kunststoffzeitalter.

Die barocke Ausstattungsoper (dafür ist «Giulio Cesare» ein berühmtes Beispiel) mit den Mitteln der Revue-Ästhetik parodiert: auch das ist Stil – und Phantasie erst recht. Aber die Vergröberung bekommt dem Personal der Oper nicht eben. Tolomeo ist in seinem Streifenkostüm ein Comic-Depp und als Kleopatras, Cesares und Sestos Gegenspieler ein Witz – mit dem Nachteil, dass die manchmal forcierte Altusstimme von Martín Oro im gleichen Licht erscheint: als Karikatur. Mit brillantem Stimmeinsatz windet sich Cecilia Bartolis Kleopatra zwar traumwandlerisch mühelos über diese Sphäre hinaus, aber die Aura der legendären Gestalt findet sie kaum. Eher ist sie die Italiana in Egitto der Opera buffa: Wenn ihr Cesare in den Krieg zieht, muss sie ihn beim Abschied noch ein wenig kitzeln. Franco Fagioli verfügt über einen stabilen und wendigen Countertenor für die Auftritte des Imperators in weisser Marineuniform. Die Bühne gibt ihm aber wenig Statur, und vor allem wenn er sich dann doch ein wenig versteift durch die hürdenreichen Arienpassagen arbeitet, wirkt er im skurrilen Dekor weder staats- noch traummännisch.

Wettkampf der schnellen Noten
Die berühmte Liebesgeschichte scheint überhaupt ein Wettkampf der schnellen Noten zu sein, aber Händelsche Largos stellen dem heroischen Paar auch die Momente von grossartiger lyrischer Verdichtung bereit, philosophische Nachdenklichkeit und Vanitas-Einsicht für Caesar im Recitativo accompagnato, ein bewegendes Stück wie «Piangerò la sorte mia» für Kleopatra: Momente, die den Figuren innere Grösse geben und noch mehr geben könnten, wenn sie nicht sentimental überladen würden. Weniger Ergriffenheit, mehr Ton wünschte man sich da manchmal.

Wie packend Ausdruck sein kann im ganzen dynamischen Spektrum, auch im Pianissimo, wenn die Balance stimmt, führt eindrücklich Anna Bonitatibus in der Partie des Sesto vor, man darf sagen für Zürich die Entdeckung des Abends. Natürlich ist Sesto auch eine geradlinige, von einem einzigen Gefühl beseelte und deshalb wirkungssichere Figur, aber die dramatische Inbrunst, die Lebendigkeit hat hier auch ein Organ: eine frische Sopranstimme, die kontrolliert und gelöst Phrasen formt und Attacken freisetzt. Als ernste, auch im glamourösen Galakleid von aller Hollywood-Parodie unberührte Figur gestaltet die Mezzosopranistin Charlotte Hellekant eindrücklich die Cornelia, und ein Intrigant von ernst zu nehmendem Gewicht ist trotz aller Buntscheckigkeit seiner Erscheinung Alan Ewing, dessen Bariton die erforderliche Beweglichkeit und Schwärze hervorragend verbindet. Das ist umso erfreulicher, als er der einzige Hauptpartie im Brustfach ist. In Nebenpartien vervollständigen der Countertenor José Lemos (Nireno) und der Bariton Gabriel Bermudez (Curio) die Besetzung.

Funken und Fragezeichen
Die vielen hohen Stimmen haben ein starkes Fundament. Was Händel an Energien in die Bassfiguren gelegt hat, spielt das Orchester aus: Dafür hat Marc Minkowski einen phantastischen Griff, und das Opernhaus-Barockensemble «La Scintilla», das seinem Namen Ehre macht, sprüht Funken. Nichts wackelt im rhythmischen Furioso und Temporausch, in dem die Solisten Unglaubliches leisten, Sänger wie Instrumentalisten. «Cesare» ist eine reich ausgestattete Partitur, ein ganzes Orchester steht in der Parnass-Szene auf der Bühne, und die Inszenierung lässt auch die solistischen Arienbegleitungen von Violine und Horn auf der Bühne spielen: alles hoch virtuos, so dass man die Frage, ob dieses Ausreizen der Extreme (auch bei den langsamen Tempi) nicht den Gesangsstimmen an die Substanz geht, fast nicht stellen mag. Aber wenn die szenische Aufführung ihre Buhs einstecken musste, darf auch die musikalische im Jubel ein paar Fragezeichen haben.

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Neue Luzerner Zeitung

5. 4. 2005 / Fritz Schaub

Bartoli als farbig schillernde Kleopatra
Alle Register ihres grossen Könnens kann die italienische Mezzosopranistin in der sanft modernisierten Barockoper Händels ziehen.

Der römische Feldherr Julius Cäsar begibt sich nach Ägypten, wohin der von ihm besiegte Pompeius geflohen ist. Um ihn endgültig zu schlagen? Nein, um sich mit ihm auszusöhnen. Daher ist seine Empörung gross, als ihm der Heerführer Achillas im Auftrag des ägyptischen Königs das Haupt des ermordeten Pompeius überbringt, in der irrigen Meinung, dadurch Cäsar für den König günstig zu stimmen. Mit den Affekten des Zorns, der Empörung (Cäsar), der Trauer (Pompeius' Gattin Cornelia) und der Rachsucht (Pompeius' Sohn Sextus) hebt Georg Friedrich Händels Oper an und leitet eine ganze Kette von Affekt-Ausbrüchen und jäh wechselnden Situationen ein, die während beinahe vier Stunden auf Auge und Ohr des Zuschauers und Zuhörers niederprasseln.

Aufgebrochene starre Formen
Denn die Zürcher Neuinszenierung gibt «Giulio Cesare in Egitto» ungekürzt, mit allen Dacapos der Arien. Muss dies nicht zu tödlicher Langeweile führen? Vor zwanzig Jahren hätte man sich noch kaum vorstellen können, dass eine solche Opera seria, in der es nur Rezitative und Arien, kaum Duette und schon gar nicht Ensembles gibt, einen Opernbesucher von heute zu fesseln vermöchte. Wenn eine Händel-Oper trotzdem auf die Bühne gebracht wurde, dann geschah dies meist in (gekürzten) Bearbeitungen und womöglich in statischen, antik ausstaffierten Inszenierungen.

Heute geht man andere Wege, bricht die starre barocke Form auf, und diesen Weg geht auch die Zürcher Neuinszenierung von Cesare Lievi (Inszenierung), Margherita Palli (Bühnenbild) und Marina Luxardo (Kostüme). Da erscheint etwa Cäsar, in eine moderne weiss-schwarze Uniform gekleidet, mit Panzern im Gefolge, da schwingt Sextus eine Pistole, da hängen drohend Raketen (oder Schiffsschrauben?) von oben herab - dies nicht plump, sondern beinahe spielerisch, als Zeichen in einem weit gehend abstrakten Raum (die in der Operngazette gross angekündigte Las-Vegas-Ausstattung beschränkt sich auf ein paar angedeutete ägyptische Formen und Figuren). All dies dient lediglich als Hintergrund für die sich schier pausenlos folgenden Intrigenspiele und sich anbahnenden Liebeskonflikte. Denn daran waren Händel und sein Librettist Nicola Francesco Haym interessiert und konnten nicht genug tun im Erfinden unablässig wechselnder Aktionen.

Durchglühte Barockmusik
Den Ausschlag gibt dabei die Musik, die zum Inspiriertesten und Herrlichsten gehört, was Händel eingefallen ist. Wenn dann noch ein von der Händelschen Kunst so überzeugter und seine Überzeugung so impulsiv vermittelnder Dirigent wie Marc Minkowski am Pult steht und die Besetzung so gut ist wie jetzt in Zürich, so kann nichts mehr schief gehen. Zwar verriet das auf historische Instrumente spezialisierte Orchestra La Scintilla des Opernhauses Zürich in der Ouvertüre noch kaum, dass es in einer ungewöhnlich grossen Besetzung im erhöhten Orchestergraben Platz genommen hatte, und klang anfänglich ziemlich rau.

Der Countertenor Franco Fagioli alias Julius Cäsar sang die ersten Verse - darunter immerhin das aus einem späteren historischen Kontext übernommene «Veni, vidi, vici» - noch verhalten. Doch das änderte sich im Laufe der Aufführung, einer Aufführung, die mit dem entspannt aufdrehenden Orchester spätestens in der Parnass-Szene einen ersten Höhepunkt erreichte.

Alle Facetten
Eine Steigerung konstatierte man auch bei den Solisten, von denen namentlich Anna Bonitatibus (Sextus) durch ihren dramatischen Einsatz imponierte. Sie war stimmlich ihrer gut aussehenden Partnerin Charlotte Hellekant (Cornelia) überlegen, was sich nicht zuletzt im wunderbaren Duett zeigte. Zu wahrhaft sinnlicher Glut aber erhob sich das musikalische Geschehen bei den Auftritten Cecilia Bartolis als Kleopatra, die zuerst die Liebe als Mittel der Intrige einsetzt (unter dem Namen Lydia), dann aber selbst von der Liebe (zu Cäsar) ergriffen wird.

Der italienische Publikumsliebling liess alle Facetten der schillernden Figur von bravouröser Koketterie bis zu tief emotionalem Ausdruck spielen, machte die Wandlung und den Aufstieg von der oberflächlichen Verführerin zur Geliebten Julius Cäsars und zur ägyptischen Königin überaus glaubhaft und setzte der Aufführung die Krone auf.

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Neue Zürcher Zeitung

4. 4. 2005 / Peter Hagmann

Schwarz-weiss und blutrot
«Giulio Cesare» von Händel im Opernhaus Zürich

Vierzig Nummern sind es, die meisten davon Da-capo-Arien, und selbst wenn einige von ihnen wegfallen, wie es im Opernhaus Zürich der Fall ist, dauert der Abend seine guten vier Stunden. Das muss einem nicht lang werden, kann es aber sehr wohl. In «Giulio Cesare», der vor einem Hintergrund an Egoismus und Gewaltanwendung ausgebreiteten Liebesgeschichte zwischen Cäsar und Kleopatra, ist Georg Friedrich Händel zu seinem Besten gelangt; zugleich aber ist eine Aufführung dieses prunkvollen Grosswerks von 1724 mit Anforderungen verbunden, denen heute kaum mehr zu genügen ist.

Die vokale Technik zum Beispiel, sie kann einen nur erschauern lassen. Schwierigkeiten sondergleichen bietet nicht nur die Da-capo-Arie, bei der ein erster Formteil nach einem im Tonfall andersartigen Mittelstück wiederholt und mit stilgerechten Verzierungen versehen werden soll. Probleme schafft auch die unglaubliche Geläufigkeit, die instrumentale Agilität eins zu eins in den Bereich des Singens überträgt und durch eine Vielzahl an technischen Verfeinerungen ergänzt. Niemand beherrscht dieses Feld so souverän wie Cecilia Bartoli; ihre Verkörperung der Kleopatra setzt der Produktion der Zürcher Oper ein ganz besonderes Glanzlicht auf. Leichtfüssig hebt sie an mit «Non disperar» im ersten Akt, wo sie im Dacapo eine unglaubliche Palette an gewagten Verzierungen ausbreitet. Bereiche des gehauchten Pianissimo erreicht sie in den Momenten der Verzweiflung im zweiten Akt, während sie im Finale ein wahres Feuerwerk an Koloraturen zündet.

Cecilia Bartoli zu haben, reicht aber nicht - und das ist die Crux. Nicht weniger als drei Männerrollen hat Händel für Kastraten geschrieben; heute werden diese Partien gerne Altisten übertragen, und mit Franco Fagioli hat das Opernhaus Zürich für die Partie des Cäsar einen jungen Sänger gewinnen können, der manche Hoffnung weckt. Die Technik beherrscht er blendend - allein: Für eine derart gewichtige Partie ist er noch keineswegs so weit. Brillant perlen die Läufe, wenn er zu Beginn den Ägypter Achilla (Alan Ewing) seinen Zorn spüren lässt; bei der Trauer um seinen ermordeten Widersacher Pompejus eine halbe Stunde später fehlt es ihm aber noch klar an Empathie und Gestaltungsvermögen. Noch problematischer die Auftritte von Martín Oro (Tolomeo) mit seinem unschönen Timbre und von José Lemos (Nireno), der mit den Registerwechseln kämpft. Gute Figur macht Gabriel Bermúdez in der kleinen Rolle des Curio. Weniger gilt das für Charlotte Hellekant (Cornelia), die musikalisch farblos bleibt, und Anna Bonitatibus (Sesto) mit ihrem penetranten Vibrato.

Insgesamt herrscht anhaltender vokaler Überdruck, was auf Kosten des differenzierten Gestaltens geht. Das mag auch dem Dirigenten Marc Minkowski anzulasten sein, der mit feurigem Temperament bei der Sache ist, im Zuspitzen der Kontraste aber gern des Guten zu viel tut. Anders als bei der schönen Aufnahme, die Minkowski und die Musiciens du Louvre im November 2002 im Konzerthaus Wien erstellt haben (Deutsche Grammophon 474213-2), klingt das Orchester La Scintilla der Oper Zürich an manchen Stellen rau und ungeschlacht, und nicht immer treten die konzertierenden Instrumente, die Händel so phantasievoll einsetzt, mit dem nötigen Gewicht in Erscheinung. Wie viel instrumentaler Reiz von dieser Partitur mit ihren vier prächtigen Waldhörnern und der reizvollen Bühnenmusik ausgeht, ist aber durchaus zu erfahren.

Schwarz-weiss - das findet sich auch auf der Bühne von Margherita Palli und in den Kostümen von Marina Luxardo. Dazu kommt Rot, denn «Giulio Cesare» ist ja eine blutige Geschichte. Und kommt eine Fülle an dekorativen Elementen, die vor allem dazu dienen, den Krieg und die mit ihm verbundenen Strukturen ins Lächerliche zu ziehen. Allerdings machen aufgedonnerte Uniformen, Spielzeugpanzer und phallische Raketen noch keine Interpretation aus - vor allem, wenn die Ausgestaltung der einzelnen Figuren so unverbindlich bleibt, wie es bei Cesare Lievi der Fall ist. Händeringen und Rampensingen, das aber ausführlich.

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St. Galler Tagblatt

4. 4. 2005 / Tobias Gerosa

Barock-Show aus Ägypten
Händels «Giulio Cesare» mit Cecilia Bartoli als Cleopatra am Opernhaus Zürich

Gute vier Stunden dauert Händels «Giulio Cesare» am Opernhaus. Dirigent Marc Minkowski wollte unbedingt die ungekürzte Fassung - sorgt im Gegenzug aber auch für Hochspannung.
Tobias Gerosa

Solcher Jubel war selten im Opernhaus wie für Marc Minkowski nach dem Finale von Georg Friedrich Händels «Giulio Cesare» (Julius Caesar). Unkonventionell, mittänzelnd und die Musik gestisch formend begleitet, trägt und reisst er Sänger und Instrumentalisten mit. Doch Minkowski geht es nicht um Showgehabe, er lebt die Affekte mit und lebt in dieser farbigen Partitur einen begeisternden Händel-Stil aus.

Natürlich sucht er Extreme: Die raschen Tempi sind wirklich rasend, die ruhigen als grosser Kontrast dazu sehr langsam. Triumphierende Stellen markiert er mit in die Höhe gereckter Faust, einzigartig sind die an die Grenze des technisch Möglichen gehenden Piani, die etwa im Duett von Anna Bonitatibus’ brillantem Sesto und Charlotte Hellekants inniger Cornelia oder der grossen Szene Cleopatras für Gänsehaut sorgen. Doch bei allem risikofreudigen Musizieren wirkt die Musik durchgestaltet und in jedem Moment ausbalanciert.

Die Musik trägt den Zürcher «Giulio Cesare» und treibt ihn vorwärts. Das muss sie auch, denn in den langen Arien steht die Handlung immer wieder still. Regisseur Cesare Lievi hat mit Bühnenbildnerin Margherita Palli ein Mittel gegen den Spannungsabfall gefunden (das zu Unrecht ausgebuht wurde).

Wiederbelebter Barock
Die Bühne bleibt weitgehend leer. Zu Anfang fahren ein paar stilisierte Panzer daher, als dekorative Elemente werden Raketen hereingerollt, später sind es Buchswürfel oder Schilf in Wolkenkratzerform: Alles mit einem Augenzwinkern und in klobig-protziger Showausführung. Die Römer kommen im Schneeweiss von Operettensoldaten daher: Invasoren, ihrer Sache sicher, die bunten Ägypter wirken ihnen gegenüber ziemlich verkleidet (Kostüme: Marina Luxardo). Man könnte Lievi vorwerfen, in seiner Regie keine Interpretation zu liefern, doch er kompensiert das so gelungen auf der Schneide zwischen feiner Ironie und psychologischer Personenzeichnung schwankend, dass das kaum ins Gewicht fällt.

Lievi übersetzt das barocke Maschinen- und Affekttheater in eine heutige unterhaltsame und doppelbödige Form mit showglänzender Oberfläche. Und dabei entstehen lebensechte Figuren, wie man sie in Barockopern selten zu sehen bekommt.

Die Klangfülle der Bartoli
Franco Fagiolis Cesare ist weniger historischer Held als zwischen politischen Repräsentationspflichten und Gefühlen hin- und hergerissener Mann - vokal wie darstellerisch überzeugt der gerade 22-jährige Countertenor mit einer reichen und virtuos gehandhabten Farbpalette. Darin können die andern beiden Counters (Martin Oro als ägyptischer Herrscher Tolomeo und José Lemos als Nireno) vokal nicht ganz mithalten - umso besser aber die drei Frauen.

Cecilia Bartoli ist natürlich der Star. Ihre Arien bestechen durch die immense Musikalität und Ausdrucksreichtum - wenn trotzdem Bedenken bleiben, dann, dass sie mit ihrer brodelnden Intensität stilistisch eine ganz andere Note ins schlank singende, darstellerisch absolut überzeugende junge Ensemble einbringt. Aber Minkowski kanns richten. Dieser «Giulio Cesare» ist eine von jenen Aufführungen, die über manche mediokre Show zu trösten vermögen.

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Die Südostschweiz

5. 4. 2005 / Reinmar Wagner

Stimmzauber und allerlei Plunder
Das Opernhaus Zürich inszeniert Georg Friedrich Händels «Giulio Cesare in Eggito»

Vor allem dank Marc Minkowski und einem hervorragenden Sängerensemble, in dem nicht nur Cecilia Bartoli brillierte, wurde Händels «Giulio Cesare» am Samstag im Zürcher Opernhaus zum Ereignis von begeisternder Intensität.

Marc Minkowski vertraut als Dirigent auf ganz grundsätzliche Prinzipien der musikalischen Interpretation. Er hat damit nicht nur Erfolg, sondern er ist auch einer der ganz wenigen Spitzendirigenten, der zum Beispiel ein konsequentes Pianissimo zustande bringt. Ein laues Leisesein ist oftmals das höchste der Gefühle, das andere zustande bringen. Bei Minkowski hingegen wird die Hörschwelle angetastet, und das hat eine Intensität zur Folge, die den Raum zum Vibrieren bringt.

Minkowski ist weder ein Analytiker noch ein Tüftler. Er brütet nicht über den Partituren, sondern bringt die Energie zum Fliessen, er ist ein Instinktmusiker, der aus dem Moment heraus gestaltet - was keineswegs ausschliesst, dass er seine Partituren bis ins Innerste kennt. Aber im Moment der Aufführung haben nicht diejenigen Elemente Gewicht, die vorher ausgetüftelt worden sind, sondern das, was auf dieser erarbeiteten Basis heraus aus dem Augenblick entstehen kann. Und weil jeder Moment mit Energie und Gehalt aufgeladen ist, wird auch eine Händel-Oper von vier Stunden Dauer bei Minkowski keinen Moment langweilig.

Man kann sich Musik vorstellen, in der ein solches Musizieren weniger hergeben würde. Bei der Abfolge von beinahe unzähligen Da-Capo-Arien, ist aber keine Musizierhaltung dieser überlegen. Deswegen vor allem wurde «Giulio Cesare» am Samstag zum Opernereignis.

Nicht der Star-Ruhm einer Bartoli, nicht die ungeahnten sängerischen Qualitäten Anna Bonitatibus als überragendem Sesto, nicht die elektrisierende Stimme des Countertenors Franco Fagioli in der Titelrolle machten es aus: In erster Linie waren es Minkowskis Motivations- und Musikanten-Fähigkeiten, die für diese Sternstunden sorgten, Minkowski an der Spitze der grossbesetzten Barockfraktion des Opernorchesters La Scintilla, die mit Stilbewusstsein und Musizierfreude beste Figur machte.

Bei allen stimmt fast alles
Nichts ist damit gegen die Sänger gesagt. Sie erhielten eine Basis, auf der sie wunderbar aufbauen konnten, wenn denn alles weitere stimmte: Technik, Stimme, Gestaltungskraft, Ausstrahlung. Und bei allen stimmte fast alles davon. Am meisten hätte man sich zum Teil schlicht grösseres Volumen gewünscht, um mit Minkowskis Orchester, das nicht nur die Pia- no-, sondern konsequenterweise auch die Forte-Regionen auskostete, stets Paroli bieten zu können. Die drei Countertenöre und Charlotte Hellekant als Cornelia gingen gelegentlich in den Wogen unter.

Aber nicht für lange: Was gerade die schwedische Mezzosopranistin - auch sie für Zürich eine Neuentedeckung - an berührenden Klagegesängen über die Bühne brachte, war allein schon den Abend wert. Und ihr Duett mit Sesto wurde zum magischen Moment eines an Höhepunkten schon reichen Gesangsfestes. Ein Fest, das natürlich auch der Sängerstar Cecilia Bartoli krönte.

Händel schrieb seine koloraturgespickten Arien schliesslich für Sänger solchen Kalibers: Superstars ihrer Epoche. Und wenn heute eine Bartoli diese virtuosen Höchstschwierigkeiten nicht nur mit begeisternder Stimmakrobatik, sondern auch mit dem ihr eigenen Showtalent über die Bühne bringt, dann ist das schlicht richtig und so gemeint und hat deswegen nichts Oberflächliches.

Sinnlose Ausstattungsorgie
Obwohl er mit Vornamen Cesare heisst, hat Regisseur Lievi offensichtlich keine besondere Affinität zu dieser Oper. Seine Personenführung spottet denn auch auch den minimalsten Anforderungen. Selbst dramatische Schlüsselszenen hat er konsequent verschlafen. Ansonsten veranstaltet er zusammen mit der Bühnenbildnerin Margherita Palli eine Ausstattungsorgie, die geprägt war von unsäglichen, völlig unnötigen Requisiten: Styropor-Raketen, niedliche Pyramidchen oder bunt beleuchtete Meereswellen, so weit das Auge reichte. Dazu zwei seitliche dreistöckige, farbbeleuchtete Bühnentürme, von denen man sich anfangs noch etwas Sinnvolles oder Sinnliches erhofft, die aber im Laufe der Inszenierung durch die Beliebigkeit ihres Einsatzes völlig entwertet werden.

Vermuten könnte man, dass Lievi anknüpfen wollte an die Opulenz barocker Inszenierungen mit ihrer Lust am Überfluss, ihren prächtigen Kulissen und Kostümen, mit Bühnenmaschinerien und Show-Effekten. Möglich wären genau zwei Wege, eine solche Absicht zu realisieren: Entweder man setzt wirklich auf Effekte - bloss müssten die in heutigen optisch überreizten Zeiten eine ganz andere Qualität haben als Lievis betuliche Ägyptenbebilderung. Oder dann müsste man mit diesem Ansatz spielen, eine ironische Ebene hinzufügen oder ihn völlig ad absurdum führen.

Davon allerdings waren Lievis harmlose Spielzeugpanzer weit entfernt. Niemand behauptet, dass es einfach sei, Händel-Opern zu inszenieren, und man mag den Stillstand der Handlung während der wunderschönen Arien gerne nicht nur verzeihen, sondern in Anbetracht ihres musikalischen Gehalts sogar begrüssen. Aber wer in dramaturgischen Schlüsselszenen die Personen so dilettantisch führt, dass das Publikum bloss mitleidig lacht, hat seine Aufgabe schlicht nicht erfüllt.

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Tages-Anzeiger

4. 4. 2005 / Susanne Kübler

Jede Verzierung ist ein Vergnügen
Nicht nur Cecilia Bartoli ist hinreissend in Händels «Giulio Cesare in Egitto» im Zürcher Opernhaus.

Eben noch hat Cecilla Bartoli als Cleopatra kokett und koloraturenreich mit Cesare geschäkert, da singt sie schon von bodenloser Verzweiflung, tonlos und klangstark, wie nur sie es kann. Um dann plötzlich wieder vokale Blitze ins Publikum zu schleudern, wie ebenfalls nur sie es kann.

Es geht schnell mit den Stimmungsumschwüngen in Händels «GiulioCesare in Egitto» von 1724, wie es sich fùr eine Opera Seria gehört, die vor allem aus Da-capo-Arien besteht und nur mit kurzen Überleitungen von einem Seelenzustand in einen anderen führt. Nicht nur Cesare reibt sich immer wieder die Augen in diesem Stück: Kaum hat er die Versöhnung mit Pompeo beschlossen, lässt ihm der Ägypterkönig Tolomeo schon dessen abgehauenen Kopf servieren. Und kaum ist er mit seiner Trauerarie fertig, taucht schon Tolomeos Schwester und Konkurrentin Cleopatra als vermeintliches Dienstmädchen Lidia auf und verdreht ihm den Kopf.

Da ist die Stimmung des Werks längst vorgegeben: Zwar ist der Stoff historisch, man befindet sich im Krieg, und zum Happyend gibt es einen toten Tolomeo und die Krönung Cleopatras zur ägyptischen Königin. Aber eigentlich geht es (wie immer) um Liebe und Macht, um Verzweiflung und Hoffnung. Und natürlich darum, dass die Protagonisten ihre stimmlichen Möglichkeiten zur Geltung bringen können.

Hinhören...
Für Letzteres war Händel ein Spezialist, Marc Minkowski ist es ebenfalls. Die ausgreifenden Bewegungen des Dirigenten gehören zum optisch Attraktivsten in dieser Aufführung, und was er mit ihnen aus dem Opern-Ensemble La Scintilla herausholt, ist grossartig. Denn Minkowski ist genauso flink wie Händel, wenn es um Tonfallwechsel geht: In den schnellen Arien entladen kräftige Bässe jene physische Energie, die seinen Interpretationen eigen ist, in den sanfteren werden sie (oft in reduzierter Besetzung) ganz zart. Auf fanfarenartig auftrumpfende Bläser folgen filigrane Ornamente der Blockflöte. Da wird nichts buchstabiert, jeder Ton hat seine Richtung, jede Linie ist eine Geste, jede Verzierung ein Vergnügen, und wenn die Musik in Cleopatras Klagearie für einmal. wirklich stillzustehen scheint, so tut sie das auf bewegte, bewegende Weise.

Minkowski ist ein erfahrener Händelinterpret (sein «Giulio Cesare» ist auch auf CD hörenswert), vor allem aber ist er ein Dirigent von höchst ansteckender Musikalität. Das zeigte der Schlussapplaus, das zeigten auch  die auffallend lockeren Auftritte der Sängerinnen, und Sänger. Dass die Cleopatra eine Paraderolle fùr Cecilia Bartoli ist, war abzusehen. Keck hat sie zu sein in den ersten zwei Akten, und sie ist es mit hingetupften Spitzentönen, wirbligen Koloraturen und komödiantischem Talent. Dass sie später, wenn alles gefährdet scheint, zur ernsthaften Figur wird, die in ihrem «Piangerò» den melancholischen Dur‑Ton von Pompeos so überaus tragisch gestimmter Witwe Cornelia aufnimmt, wirkt zwar nicht wirklich logisch, sondern eben Seria‑mässig. Ergreifend ist es trotzdem.

Weniger vorhersehbar war dagegen der fulminante Auftritt von Franco Fagioli als Cesare: Erst 24 jahre alt, ist der Argentinier, der als erster Countertenor auf dieser Bühne eine Hauptrolle singen darf. Wenn er nicht schon kürzlich als Ottone in der Zürcher «Incoronazione di Poppea» überzeugt hätte, müsste man ihn als Entdeckung preisen: Er gibt den Cesare mit schlanker, beweglicher, strahlkräftiger Stimme ‑ und darstellerisch mit einer ganz eigenen, trockenen Ironie. Wie er sich nach überstandenen Strapazen den Lorbeerkranz wieder aufsetzt, ist jedenfalls elnen Sonderapplaus wert (einen zweiten gibts für das finale Duett mit Cleopatra).

Zur Traumbesetzung gehört auch Anna Bonitatibus als Pompeos Sohn Sesto; sie darf zwar nicht viel anderes als Rache für den Mord am Vater ankündigen, aber das tut sie mit, leichtem, enorm intensivem Sopran. Ihr Duett mit Charlotte Hellekant, die Sestos Mutter Cornelia facettenreich klagen lässt, ist ein Höhepunkt an diesem Abend. Hellekant war schon auf Minkowskis «Giulio‑Cesare»‑CD zu hören, Alan Ewing ist ebenfalls ein willkommenes «Mitbringsel» aus jener Produktion: Mit seinem warmen Bass sorgt er als Tolomeos Vertrauter Achilla für eine würdige Vertretung der tiefen Stimmlage.

Dem Tolomeo schliesslich leiht der Countertenor Martín Oro eine weiche, nicht gerade fiese Stimme. Dadurch (und durch die schauspielerische Zurückhaltung) wirkt er weniger überzeichnet als andere Sänger in dieser Rolle, damit auch anonymer: Tolomoe, der libidinös übersteuerte Machtmensch, singt seine unschönen Äusserungen hier für einmal ausgesprochen schön.

… und wegsehen
Auf die Inszenierung von Cesare Lievi hat all diese emotionale Vielfalt und musikalische Schönheit leider kaum abgefärbt. Margherita Palli hat die perspektivische Anlage der barocken Bühne mit zeitgenössisch hässlichen, schwarzglänzenden Fliesen und kalter Pop-Art‑Beleuchtung nachgebaut; in Anlehnung an die damalige Begeisterung für Bühnenmaschinerien fahren immer mal wieder ein paar Panzerchen durch den Hintergrund.

Kaum einleuchtender sind die Kostüme von Marina Luxardo (immerhin mit Ausnahme der sechs fantasievollen Roben für Cleopatra): Die Römer (weisser Stoff, schwarzer Lack) sehen aus wie italienische Carabinieri, die Ägypter tragen ägyptischen Kopfschmuck, Pyjama-artig gestreifte Gewänder und die üblichen Accessoires der Mafiosi, als welche die Bösen wieder einmal gezeigt werden. Dass der Ort der Handlung Las Vegas ist, hätte man nie vermutet, wenn es nicht in der Ankündigung gestanden hätte, und Lievis Personenführung zeigt vor allem, wie unterschiedlich die Akustik an verschiedenen Stellen an der Rampe ist. Für einmal muss sich nicht grämen, wer nur einen Säulenplatz erwischt. Der allerdings lohnt sich wirklich.

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Zürcher Oberländer

4. 4. 2005 / Tobias Gerosa

Hochspannung im Plastik-Ägypten
Packende Premiere von Händels «Giulio Cesare» unter Dirigent Marc Minkowski im Opernhaus Zürich

Gute vier Stunden dauert Händels «Giulio Cesare» am Opernhaus. Der Dirigent Marc Minkowski wollte unbedingt die ungekürzte Fassung mit sämtlichen Arien und sorgt mit seinem Gestaltungswillen, dramatischen Sinn und seiner unerschöpflichen Energie dafür, dass in jedem Moment Hochspannung herrscht. Die Regie Cesare Lievis schafft dazu mit jungem Ensemble um Cecilia Bartoli augenzwinkerndes Understatement.
Solcher Jubel war selten im Opernhaus, wie für Marc Minkowski nach dem Finale der samstäglichen Premiere von Georg Friedrich Händels «Giulio Cesare» (Julius Caesar). Seine Geste, wie er ihn ans brillant spielende Orchestra La Scintilla - das Originalklangensemble des Opernhausorchesters - weitergab, wirkte so ehrlich, wie sein körperliches Mitgehen die drei Akte zuvor. Unkonventionell, mittänzelnd und die Musik gestisch formend begleitend, trägt und reisst er Sänger und Instrumentalisten mit. Glücklich, wer einen Platz hat, der auch Sicht auf den Dirigenten bietet.

Suche nach Extremen
Doch Minkowski geht es nicht um Showgehabe, er lebt die Affekte mit und prägt so einen äusserst farbigen und mitreissenden Händel-Stil. Natürlich sucht er Extreme: Die raschen Tempi sind wirklich rasend, die ruhigen als grosser Kontrast dazu sehr langsam. Triumphierende Stellen markiert er mit der Sportlergeste der in die Höhe gereckten Faust, einzigartig sind die an die Grenze des technisch möglichen gehenden Piani, die etwa im Duett von Anna Bonitatibus' brillantem Sesto und Charlotte Hellekants inniger Cornelia oder in der grossen Szene Cleopatras für Gänsehaut sorgen.
Doch bei aller Energie, Sinnlichkeit und allem risikofreudigen Musizieren wirkt die Musik in ihrer enormen Farbigkeit bewusst durchgestaltet und in jedem Moment ausbalanciert. Es ist ganz stark dieses musikalische Fundament, das den neuen Zürcher «Giulio Cesare» trägt und vorwärts treibt. Das muss es auch sein, denn nur es sorgt für dramatische Fallhöhe. Zwar sind die Rezitative - an ihrer Spannung erkennt man die Qualität jeder Barockoper - musikalisch und szenisch sehr überzeugend gestaltet, doch in den langen Arien steht die Handlung immer wieder still. Cesare Lievi hat zusammen mit Bühnenbildnerin Margherita Palli dafür einen zu Unrecht ausgebuhten Weg gefunden.

Auf der Schneide von Ironie
Die Bühne bleibt weitgehend leer. Zu Anfang fahren ein paar stilisierte Panzer daher, als dekorative Elemente werden Raketen hereingerollt, später sind es Kissen, Buchswürfel oder Schilf in Wolkenkratzerform: Alles mit einem Augenzwinkern und in klobig-protziger Ausführung, wie man sie von grossen Shows kennt. Die Römer kommen im Schneeweiss von Operettensoldaten daher: Invasoren, ihrer Sache sicher, die bunten Ägypter wirken ihnen gegenüber ziemlich verkleidet (Kostüme: Marina Luxardo).
Man könnte Lievi vorwerfen, in seiner Regie keine eigentliche Interpretation zu liefern, doch er kompensiert das so gelungen auf der Schneide von feiner Ironie und einer psychologischen Personenzeichnung, dass das kaum ins Gewicht fällt. Lievi übersetzt das barocke Maschinen- und Affekttheater in eine heutige unterhaltsame und doppelbödige Form mit showglänzender Oberfläche. Und doch entstehen dabei lebensechte Figuren, wie man sie in Barockopern selten zu sehen bekommt.

Überzeugender Cesare
Franco Fagiolis Cesare ist weniger historischer Held als zwischen politischen Repräsentationspflichten und Gefühlen hin- und hergerissener Mann - vokal wie darstellerisch überzeugt der gerade 22-jährige Countertenor mit einer reichen und virtuos gehandhabten Farbpalette. Darin können die andern beiden Counters (Martin Oro als ägyptischer Herrscher Tolomeo und José Lemos als Nireno) vokal nicht ganz mithalten - umso besser aber die drei Frauen. Cecilia Bartoli, der einzige übrig gebliebene Star, fügt sich als Cleopatra sehr gut ins Ensemble ein.
Ihre Arien bestechen durch die immense Musikalität und durch Ausdrucksreichtum - wenn trotzdem etwas Bedenken bleiben, dann, dass sie mit ihrer brodelnden Intensität stilistisch eine ganz andere Note ins schlank singende, auch darstellerisch absolut überzeugende Ensemble einbringt: Aber glücklich, wer solche Probleme und einen Marc Minkowski hat. Dies sind die Aufführungen, die über manche mediokre Aufführung zu trösten vermögen.

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Zürichsee-Zeitung

4. 4. 2005 / Werner Pfister

Halbszenisch - ganz musikalisch
Georg Friedrich Händels «Giulio Gesare in Egitto» neu am Opernhaus

Politische Intrige, erotische Verführung, exotischer Orient, Wut und Trauer, Hass und Rührung: Händels «Cesare» verfügt über sämtliche Ingredienzien eines «breitleinwandformatigen» Antiken-Knüllers. Szenisch zu spüren ist in dieser Neuinszenierung allerdings kaum etwas, was zu geballten Buhs für den Regisseur führte.

Heute schreiben sie ihre Memoiren selber, all die Grossen der Geschichte, die glauben, in der Welt etwas bewegt zu haben. Und die Regenbogenpresse doppelt nach mit freizügigen Einblicken ins private life, klittert facts und fantasy zusammen und befriedigt damit den Voyeurismus des kleinen Mannes. In früheren Zeiten, als es noch keine Klatschspalten gab und die Bilder noch lange nicht laufen gelernt hatten, liess man sich so etwas auf jenen Brettern vorspielen, welche die Welt bedeuten, im Theater oder in der Oper.

Cäsar und Cleopatra gaben dafür einen besonders ergiebigen Stoff ab. Man stelle sich vor: römischer Feldherr und Politiker (verheiratet) geht Liaison mit ägyptischer Halbweltdame ein, die sich später als ägyptische
Halbkönigin outet. Und damit diese ganz Königin wird, muss er erst noch deren Bruder morden lassen. Ein Stoff, der noch vor einem halben Jahrhundert und neuerdings («Cleopatra», 1999) die Filmemacher wieder zu episch ausgebreiteten Sandalenfilmen animierte, wo kämpferische Muskelpakete als Männer-Oberweiten-Wunder in schweissperlender Action zu bestaunen sind.

Exotische Lustfantasien
In der Tat: Die Lust am Staunen über die antiken Griechen und Römer ist uns auch im 21. Jahrhundert noch nicht abhanden gekommen. Somit ist es durchaus trendy, wenn das Opernhaus Zürich - zwanzig Jahre nach der letzten Inszenierung - Georg Friedrich Händels Oper «Giulio Cesare in Egitto» in einer Neuproduktion auf die Bühne bringt. Zumal das üppig ausladende Werk, 1724 in London uraufgeführt, zu einem von Händels grössten Opernerfolgen wurde.

Niedliche Nullnummer
Alles kommt hier zusammen, was das sensationslüsterne, voyeuristische Herz begehrt. Das Leiden an Liebe und Leidenschaft, das Seufzen unter Tränen, heroische und erotische Eroberungen, die staatsbürgerliche, stoische Tugend Roms sowie ein antiker Orient der Intrigen und des schmählichen Verrats. Ein Orient mit Serail und Haremsdamen und einer gefährlich verführerischen Cleopatra, die in der europäisch normierten Männerwelt seither zum Inbegriff exotischer Lustfantasien geworden ist.

Viel auf einmal, sehr viel. Doch davon ist in der Neuinszenierung von Cesare Lievi am Zürcher Opernhaus nichts, fast nichts zu sehen. Allein schon die Idee, sich den orientalischen Schauplatz Ägypten von der Bühnenbildnerin Margherita Palli als kohlrabenschwarzen, gähnend leeren Innenraum aufrnauern zu lassen, der dann mit betriebsamer Lichtregie «farbsymbolisch» illuminiert wird, will nicht überzeugen.

Noch prekärer wird es, wenn be-hufs der vielen Szenenwechsel die Sängerinnen und Sänger nach vorn an die Rampe geschickt, dann durch eine schwarze Wand (oder einen schwarzen Vorhang) vom Bühnenhinterraum abgetrennt werden. Wäh-rend dort, dem Besucherauge entrückt, die neue Szene aufgebaut wird, nimmt  sich das, was auf der schmalen Vorderbühnee an Opern-theater abläuft (oder auch nur herumsteht), bestenfalls als halbszeni-sche Aufführung aus: Händel konzertant, angereichert mit vielen Ges-ten und wenigen Slapsticks aus dem operndramaturgischen Fundus.

Sinnlichkeit und Drive
Was so spannend sein könnte, und in der musikalischen Realisierung auch so spannend ist ‑, erschöpft sich auf der Bühne in einer harmlosen Mischung aus Requisiten‑Dekor und Design, in halbherziger Anspielung statt wirklichem Spiel. Manchmal fühlt man sich an Kindertheater erinnert: wenn putzige Panzer mit aufgesteckten Raketen über die Bühne rollen, werm himmelhoch ragende Wolkenkratzer eher an die Skyline von New York oder Las Vegas erinnern. Szenisch insgesamt eine niedliche Nullnummer.

Zum Glück gibt es Händels Musik ‑ eine seiner besten Partituren. Eine Arie folgt auf die andere (und ab und zu ein Duett), allein Cleopatra und Cesare haben je acht zu singen, vierzig sind es insgesamt, aufgereiht zu einer wunderbar schillernden, glitzernden Perlenschnur. Eine Sänger-Oper par excellence, meint man, doch in der Neuinszenierung wird sie, Marc Minkowski sei Dank, heimlich zu einer Dirigenten‑Oper.

Allein seine Kunst, den jeweiligen Charakter einer Arie, einer musikalischen Szene, auf Anhieb zu erfassen und in Klang umzusetzen, fasziniert: schnell, feinfühlig, spritzig und hoch spannend. Aus dem mit Oboen, Quer-flöte, Blockflöten, geteilten Fagotten, und vier Hörnern gross besetzten Or-chester zaubert er eine Leichtigkeit der Artikulation und der musikalischen Rede hervor, die ihresgleichen sucht. Weder die kriegerisch dramati-schen noch die leidenschaftlich beseelten Töne kommen zu kurz; hier verbindet sich ein historisch akkura-ter Originalklang auf ideale Weise mit Temperament und feinsinnigem Esprit. Alle musizieren in Hochform, einzelne Instrumentalisten zum Teil sogar auf der Bühne: eine Wucht an Sinnlichkeit und Drive.

Auch sängerisch steht diese Neuproduktion auf Respekt heischendem Niveau. Der gerade mal 24‑jährige Countertenor Franco Fagioli gibt als Cesare sein Rollendebüt: souverän gesungen vor allem in den kontemplativen Passagen und im halsbrecherischen Koloraturwerk, wogegen es seiner Stimme an herrscherischer, an kriegerischer Attitüde (noch) etwas mangelt.

Cecilia Bartoli zieht als Cleopatra alle Register weiblicher (und sängerischer) Verführungskunst, girrt und trällert als kokette «Lydia», wartet in ihrer berühmten Arie «Piangeró» mit weltentrückten Tönen der Trauer auf und zündet in ihrer letzten Bravourarie «Da tempeste» ein virtuoses  Feuerwerk an Läufen und Trillern, an staccati und acuti, dass einem Hören und Sehen vergehen könnte.

Etwas sehr grande dame
Charlotte Hellekant gestaltet die leidende Cornelia mit vornehmer, aber gleichzeitig einnehmender Zurückhaltung: ganz grande dame, vielleicht ein bisschen zu sehr. Umso feuriger, aber stimmlich jederzeit kontrolliert, gebärdet sich ihr Sohn Sesto: ein rundum eindrückliches Rollendebüt von Anna Bonitatibus. Gabriel Bermúdez rundet als sympathischer Curio die Römer Belegschaft stimmig ab.

Auf ägyptischer Seite führt Martín Oro als Tolomeo nicht nur einen hervorragend fokussierten Countertenor ins Feld, sondern auch komödiantische Spiellust: im Harem in Shorts und entbIösster haariger Brust ‑ und das, in Anführungszeichen, mit einer «Frauenstimme». Man darf schmunzeln. Alan Ewing (Achilla) und José Lemos (Nireno) fügen sich nahtlos ins Ensemble ein. Wie gesagt: musikalisch eine reine und lang anhaltende Freude: Über vier Stunden dauert die Aufführung.

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