Gaetano Donizetti:
La Sonnambula

 

Aufführung


19. 1. 2002
(Première)

Musikalische Leitung: Marcello Viotti
Inszenierung: Grischa Asagaroff
Ausstattung: Reinhard von der Tannen
*
Amina: Edita Gruberova
Elvino: Piotr Beczala
Conte Rodolfo: Roberto Scandiuzzi
Lisa: Elizabeth Rae Magnusons

Rezensionen


21. 1. 2002

Zur Schau gestellt
Vincenzo Bellinis «Sonnambula» im Zürcher Opernhaus

Das Gedränge und der Lärmpegel im Eingangsfoyer sind verlässliche Indikatoren, wenn im Opernhaus einer der «grossen» Abende bevorsteht. So auch bei der Premiere von Vincenzo Bellinis «Sonnambula», mit der Edita Gruberova ihren Zürcher Belcanto-Zyklus fortsetzt. Anders als bei «La Fille du Régiment», «Semiramide», «Linda di Chamounix», «Roberto Devereux», «I Puritani», «Anna Bolena» oder «Beatrice di Tenda» handelt es sich diesmal nicht um eine Rarität, sondern um ein Repertoirestück. Und Amina ist keine tragische historische Figur, sondern ein unschuldiges junges Mädchen aus einem Schweizer Bergdorf, das sich schlafwandelnd im Bett eines attraktiven Fremden kompromittiert und deshalb von seinem Bräutigam verstossen wird, bis eine zweite Schlafwandelszene den Unschuldsbeweis erbringt. Amina war einst Edita Gruberovas erste Bellini-Partie und zugleich eine ihrer ersten im Belcanto-Fach, in welchem sie heute als die Primadonna assoluta gilt.

Alpen- und Dorfidyll, Naivität im Verein mit höchster Artistik, ein sehr spezielles, historisch zeittypisches Sujet - keine leichte Aufgabe für den Regisseur. Doch Grischa Asagaroff hat sie gemeinsam mit dem Ausstatter Reinhard von der Thannen souverän gelöst. Die Inszenierung betont einerseits die Abgeschlossenheit und Enge des Dorfes, anderseits die Öffentlichkeit aller Vorgänge. Hauptelement der Bühnenarchitektur ist eine durch kleine Nischen gegliederte konvexe Wand. Manchmal öffnet sie sich in der Mitte, dann sieht man das schwindelerregende Hochgebirge, häufiger aber öffnen sich die Fensternischen, um den dahinter stehenden Dorfbewohnern Einblick in das Geschehen zu geben. Es ist keine realistische Szenerie, trotz der festlich gedeckten langen Hochzeitstafel, die in der ersten Schlafwandelszene zur Traumprojektion Aminas wird. Die glatt polierten Steine, das von allen Seiten einsehbare Gasthofzimmer - eine zweite Bühne auf der Bühne -, die Dorfbewohner im schwarzen Sonntagsstaat, der alte Mann mit seinem primitiven Flugapparat: Allem haftet eine Spur von Phantastik an, und manchmal erlaubt sich Asagaroff auch eine ironische Brechung.

Doch die Inszenierung stellt nicht nur die Figur der Amina mit all ihren gelebten und geheimen Gefühlen vor der Dorfgemeinschaft zur Schau, sie versteht sich auch als Plattform für die Darstellerin dieser Figur, die Diva. Wobei zwischen den Zuschauern auf der Bühne und dem Publikum im Saal denn doch ein Unterschied besteht. Während jene als «öffentliche Meinung» Amina bald preisen, bald verdammen, gibt sich dieses von der schlichten Auftrittskavatine bis zum vokalen Feuerwerk der Schlussszene vorbehaltlos der Bewunderung hin. Da ist es wieder, dieses schwere- und stufenlose Gleiten über die Skalen, dieses raffinierte Wechselspiel von ziselierter Ornamentik und langen Legato-Phrasen, vor allem aber dieses ganz besondere Messa di Voce, das An- und Abschwellenlassen des Tones aus dem Pianissimo, das diese Virtuosin zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Edita Gruberova versucht nicht, eine mädchenhaft spontane Amina zu sein, bei ihr ist alles Kunst, jeder Ton, jede Geste bewusst gestaltet. Was ihre Amina heute kennzeichnet, ist die Fähigkeit, das Somnambule Klang werden zu lassen, mit schwebend zarten, geradezu jenseitigen Tönen, die nicht einfach nur leiser sind als die «im Wachzustand» gesungenen, sondern einen anderen, gleichsam immateriellen Charakter haben.

Doch es gibt in dieser Aufführung noch einen zweiten Fixpunkt, den Tenor Piotr Beczala - er war bereits in «Beatrice di Tenda» Edita Gruberovas Partner - in der Partie des Elvino. Seine schlanke Stimmführung, seine Phrasierungskunst, seine brillanten Hochtöne bilden ein optimales Rüstzeug für das schwierige Belcanto-Fach, und wenn Beczalas Stimme zunächst auch nicht ganz den gewohnten Glanz verströmte, so entfaltete sie sich im zweiten Akt zunehmend freier. Ein bemerkenswertes Rollendébut! Prominent besetzt ist auch die Basspartie des Conte Rodolfo. Roberto Scandiuzzi versteht es, die im Stück enthaltene Ambivalenz von Edelmann und Schürzenjäger in Balance zu halten, indem er seiner sonoren, etwas schweren Stimme wechselnde Facetten verleiht. Die Gastwirtin Lisa dagegen, die den Grafen zu umgarnen und Amina den Bräutigam auszuspannen versucht, bleibt auf das Negativbild der eifersüchtigen, frustrierten Intrigantin festgelegt, das durch Elizabeth Rae Magnusons koloraturgewandten, doch zur Schärfe neigenden Sopran akzentuiert wird.

Wie bei der letzten Bellini-Premiere des Opernhauses, «Beatrice di Tenda», steht Marcello Viotti am Pult, ein erfahrener, hellhöriger Begleiter, der das Orchester, den Chor (Leitung Jürg Hämmerli) und das ganze Ensemble - in kleineren Partien: Gabriele Reinholz, Valeriy Murga und Kenneth Robertson - auf einen transparenten, leichten Klang verpflichtet und die Piano- Kultur pflegt, aber darüber hinaus wenig gestalterische Kreativität entwickelt. Erst im temporeicheren zweiten Akt spielten sich die Musikerinnen und Musiker ganz frei. So trugen sie schliesslich mit dazu bei, dass Bellinis elegisches Opernpastorale Beifallsstürme auslöste.

Marianne Zelger-Vogt


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