Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Gaetano Donizetti: La Favorite
19. März 2006 (Première)
      Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme

Choreographie
Lichtgestaltung
Chorein
studierung

Léonor de Guzman
Inez
Fernand
Alphonse
Balthazar
Don Gaspar
Marc Minkowski
Philippe Sireuil
Vincent Lemaire
Jorge Jara
Avi Kai
ser
Has-Rudolf Kunz
Jürg Hämmerli

Ve
sselina Kasarova
Jaël Azzaretti
Fabio Sartori
Rod Gilfry
Carlo Colombara
Eric Huchet

Rezensionen
    Traumdeutungen für Novizen
Französisches aus Italien
Der Liebe erlegen
Unerhörter Donizetti
Traumkonzept und Realität
Unterkühlte Emotionen am Königshof
Verhängnisvolle Flucht in den Traum
Wenn die Ehre wichtiger ist als die Liebe
Hohle Phrasen Belcanto gesungen
Ein Traum von einem Albtraum
   

Aargauer Zeitung

21. 03 . 2006 / Christian Berzins

Traumdeutungen für Novizen

Opernhaus Zürich Nach 100 Jahren Abwesenheit ist Gaetano Donizettis «La Favorite» zu sehen. Die Aufführung überzeugt nur musikalisch.

Aldi-Fahrer und Preisvergleicher aufgepasst: Die neuste Zürcher Opernproduktion ist ein Fest für Sparer, denn zu sehen gibt es kaum etwas, dafür umso mehr zu hören: Kaufen Sie sich also ungeniert einen Hör- oder Säulensitz für 29 Franken (der Parkettplatz kostet 230) und erleben Sie dennoch zwei Opernwunder: die Mezzosopranis-tin Vesselina Kasarova und den Dirigenten Mark Min kowski mit dem Zürcher Orchester. Als Zugabe - oder nennen wir es für einmal Bonusmaterial - gibt es noch einen bravourösen Bass und einen akzeptablen Tenor zu hören. Erspart bleibt der Ärger über hässliche Bühnenbilder, in denen die Handlung nicht vom Fleck kommen will, da der Regisseur blind der Musik vertraut. Die ist aufregend, aber lenkt das Geschehen dramaturgisch etwas ungeschickt.

Gespielt wird Gaetano Donizettis 1840 uraufgeführte Oper «La Favorite». Ein Drama um den Mönch Fernand, der sich in die Adlige Léonor verliebt, aus dem Kloster in ihre Arme flieht und reuig ins Kloster zurückkehrt, nachdem er erkannt hat, dass seine Geliebte die Mätresse des Königs ist. In der italienischen Fassung hat die Oper dank singulären Interpreten und einer berühmten Arie etlichen Bekanntheitsgrad erreicht, die französische Fassung ist ausserhalb Frankreichs erstaunlich unbekannt geblieben. Und damit die Zürcher Aufführung auf dem Blatt schon im Voraus ein Ereignis war, verpflichtete Intendant Alexander Pereira den französischen Barockspezialisten Mark Minkowski, der auch schon mit Offenbach Erfahrung gesammelt hat. Und ganz so weit von Offenbach ist diese französische «Favo- rite»-Fassung nicht entfernt.

Man staunt von der ersten bis zur letzten Minute über die Klangfülle, die Minkowski aus dem Orchester hervorzaubert. Unheimlich die Akzente, die Beredtheit, der Schwung, die tiefe Musikalität und vor allem der Glaube, dass diese Partitur von A bis Z grosse Musik ist - selbst die Ballettmusik. Und sie ist es auch - schade, wird dazu getanzt . . . (Choreografie Avi Kaiser).

Aber leider kann aus dem Sängerensemble nur eine Minkowskis Ideen aufnehmen und stimmlich umsetzen: Vesselina Kasarova in der Titelrolle. Keine Phrase, die in Kasarovas sprechendem Gesang nicht sprachlich wohl ausgestaltet daherkommt und doch voller Emotionen ist! Fabio Sartori als Tenorpartner singt wohl schöne Linien, ja da bebt es innerlich mit, aber beweglich ist seine Stimme nicht - und zu Beginn ist sie gar einförmig. Carlo Colombara (Balthazar), Roberto Servile (Alphonse XI) und Jaël Azzaretti (Inès) vervollständigen die Besetzung.

Keiner der genannten scheint sich in der Inszenierung von Philippe Sireuil - er inszenierte letzte Saison in Zürich «Bohème» - richtig wohl zu fühlen. Er traut der Geschichte nicht ganz, versucht den viel gesehenen Kunstgriff mit der Traummetapher: Doch was bringts, wenn Fernand die Geschichte nur träumt? Das Publikum muss sie ja doch sehen. Als Traumdeuter braucht keiner Studienleistungen in Psychologie erbracht zu haben: Bedeutungsschwangere Farben, etwas Schiffs- und Fischsymbolik da, Spiegelbilder hier (Bühne Vincent Lemaire) - und eine hausbackene Umsetzung von durch die Partitur vorgegebenen Szenen. Gegen Schluss der Aufführung kam bei der Premiere ein Schiff brennend vom Kurs ab und so wurde aus einer durch die Musik stimmungsvoll gezeichneten Szene Momente der Lächerlichkeit, die vom Publikum laut kommentiert wurden. Auf dem Hörplatz wusste wohl man nicht mal, warum plötzlich gelacht wurde, dafür konnte man sich dort sicher auf die Musik konzentrieren.

top

   

Basler Zeitung

21. 03 . 2006 / Verena Naegele

Französisches aus Italien

Opernhaus Zürich: «La Favorite» von Donizetti

Belcanto-Oper mit Erschwernissen: «La Favorite» von Gaëtano Donizetti wurde am Opernhaus Zürich aufgeführt.

Léonore de Gusman ist die Favoritin des Königs, seine Mätresse. Und sie ist die Favoritin des Novizen Fernand, der für sie das Kloster aufgibt, in den Krieg zieht und vom König ihre Hand gewinnt - zu dessen Vorteil, denn sonst ereilt ihn der Kirchenbann. Der Preis für den «armen» Fernand, tollpatschig dargestellt und virtuos gesungen von Fabio Sartori, ist hoch - er verliert die Ehre, das höchste Gut der Männer. Die Folge: Donizettis Pariser Oper von 1840 ist zum Glück keine Favoritin des Repertoires!

Auch Regisseur Philippe Sireuil hat seine Mühe: «Bei jeder Lektüre entgleitet es mir, (...) ein Wust von abgedroschenen Wörtern und verbrauchten Clichés», sagt er. Und die Musik? Donizetti macht Konzessionen an den französischen Geschmack. Neben dem unvermeidlichen Ballett wirkt die Faktur schwerer, über weite Strecken wuchtig und rhythmisch aufgeladen. Um dem Gusto der Pariser Genüge zu tun, sind Anklänge von Fandango und Bolero eingewoben.

FINESSEN. Dirigent Mark Minkowski setzt ganz auf diese Dramatik. Er schafft es, dank der an barockem Musizieren geschulter Finesse die Durchhörbarkeit zu wahren, was den Abend trotz Donnergetöse erträglich, zuweilen gar beschwingt macht. Trotzdem fehlen über weite Strecken die Kantilenen des Belcanto-Komponisten. Leidtragende ist vor allem die Titelfigur: Vesselina Kasarova. Wie haben wir sie schon bewundert für ihre ausgefeilte Technik, Farbenvielfalt und Verinnerlichung! Als Léonor ist sie zu oft mit «Oh mon Dieux»-Ausrufen beschäftigt, nur in einer Arie kann sie ihre Meisterschaft zeigen.

Sireuils Regie ist eine Wohltat, er erzählt die Geschichte als Traum des Novizen Fernand. Auf der schwarzen Bühne dient ein Schiff in Form eines Wals als Leitbild. Und es darf dank feinen Pointen auch geschmunzelt werden.

FISTELN. So kann Carlo Colombara ungehemmt als Klosterprior seinen kernigen Bass zum Glühen bringen und die Ehrlosigkeit der Menschen verdonnern. Wunderbar auch die Idee, den Don Gaspar mit einem Spieltenor (Eric Huchet) zu besetzen, der mit fisteliger Stimme intrigante Spiele treibt. Solche Brüche machen erträglich, was das Libretto vergeigt. Avi Kaisers Choreografie gehört auch dazu, kein pompöses Fest, sondern ein spukhafter Kampf zwischen Krone und Tiara. Hier und im Zwischenspiel entfaltet Minkowski ein sprühendes Orchesterfeuerwerk.

top

     

Blick

21. 03. 2006 / Hans Uli von Erlach

Der Liebe erlegen

Barockspezialist Marc Minkowski zum ersten Mal als Belcantodirigent, Vesselina Kasarova mit Rollendebüt und eine Regie, die der Musik den Vortritt lässt. «La Favorite» ist ein Donizetti-Erlebnis zum Schwelgen. Premiere war am Sonntag.

Es geht um Männerehre, Moral und Ehebruch: Die schöne Léonor ist «La Favorite» des Königs, seine Mätresse, die sich aber in den Klosternovizen Fernand verliebt. Der verlässt für sie das Kloster. Und der König verzichtet auf sie, weniger aus Grossmut, denn aus Angst vor Exkommunikation. Im Spanien des 14. Jahrhunderts ist die Kirche noch stark. Es gibt kein Happyend, sondern Schuldgefühle auf allen Seiten und darum so anrührende Musik.

Gaetano Donizetti schrieb das Werk 1840 für die Pariser Oper. Gerade das hat Marc Minkowski, weltbekannt als innovativer Barockdirigent, gereizt: Belcanto à la Française. Mit der teilweisen Wuchtigkeit von grosser Oper tat er sich zu Beginn etwas schwer. Da war es oft bombastisch laut, die Koordination zwischen Sängern, Chor und Orchester geriet ins Wanken. Doch wie er dem grossen Orchester später Farbenreichtum und musikalische Finessen entlockte, berauschte wie französisches Parfum.

Mezzosopranistin Vesselina Kasarova ist als Léonor hinreissend. Äusserlich elegante Grande Dame, innerlich gespalten mit tiefen Empfindungen. All dies drückt sie gesanglich ergreifend aus, man glaubt ihr jeden Ton. Was man nicht von all ihren männlichen Kollegen sagen kann. Fabio Sartori (Fernand) und Carlo Colombara (Klosterprior Balthazar) sind in erster Linie aufs exzellente Singen bedacht.

Raffiniert ist das Bühnenbild von Vincent Lemaire: Ein glänzend schwarzes Halbrund, in dessen Wänden sich die Figuren zuweilen verzerrt spiegeln. Philippe Treuils Regie ist zurückhaltend, aber nie nur leere Staffage. Er bereitet vor allem den idealen Boden für brillantes Singen. Das hat heute wohltuenden Seltenheitswert.

top

   

Der Bund

21. 03. 2006 / Tobias Gerosa

Unerhörter Donizetti

«La Favorite» am Opernhaus Zürich: Musikalisch in Frankreich, szenisch im Niemandsland

Unerhört im landläufig negativen Sinne was die Regie, unerhört im positiven wörtlichen Sinn was die musikalische Interpretation betrifft und sängerisch irgendwo dazwischen: Donizettis «La Favorite», interpretiert von Philippe Sireuil und Marc Minkowski.

Der König hält sich eine Mätresse, diese verliebt sich in den angehenden Mönch Fernand und befördert ihn zum Offizier. Als Lohn für seine militärischen Siege erfüllt ihm König Alphonse XI. einen Wunsch. Alle wissen, wer Léonor de Guzman ist, die er sich zur Frau wünscht - ausser Fernand selber. Entehrt zieht sich Fernand ins Kloster zurück, wo ihn die todkranke Léonor gerade noch erreicht, um in seinen Mönchsarmen zu sterben.

Nicht das einer historischen Begebenheit des 14. Jahrhunderts nachgeformte Libretto war neu, sondern wie Gaetano Donizetti in seiner Oper «La Favorite» das italienische Melodrama mit der französischen Grand Opéra verband. Hörbar wird das aber nur in der französischen Urfassung, die man in Zürich nun spielt. Dirigent Marc Minkowski ist bisher nicht nur in Zürich vor allem als Spezialist für Alte Musik aufgetreten. Dass er sich jetzt ausgerechnet Donizetti zuwandte, hat erstaunt. Steckt in dieser Musik unerhörtes Potenzial? Allerdings muss man nach der sonntäglichen Premiere sagen.

Französisch in Klang und Gestus
Minkowskis Feuer überträgt er auch auf diese Musik, treibt das Orchester an, reisst unmittelbar mit. Einige Details gelingen im Überschwang noch nicht, ein paar Einsätze werden verpasst oder kommen zu früh - aber immer mit Energie, manchmal vielleicht etwas gar rasant-sportlich, aber wohltuend aufregend. Auch wenn er aufdreht, wird der Klang nie dröhnend und leise Stellen werden delikat ausgeformt. Aber am überraschendsten ist, wie sehr Minkowski Donizettis Musik im Grundgestus französisch formt und färbt. Vieles wird einen Tick eleganter und duftiger, ohne dabei aber an dramatischer Kraft einzubüssen. In der rhythmischen Verve oder den spitzeren Blechbläsern sind Meyerbeer und Offenbach bereits angelegt und mit italienischer Kantabilität verbunden.

Italianità auf der Bühne
Nur müsste diese orchestrale Vorlage auf der Bühne aufgenommen werden; auch sängerisch bestehen Stilunterschiede zwischen Italien und Frankreich, das ging im Besetzungsbüro des Opernhauses ausser bei den Comprimari Eric Huchet und Jael Azzaretti offensichtlich vergessen. Mit Vesselina Kasarova hatte man eine hochkarätige szenische Rollendebütantin für die Titelpartie (konzertant hat sie die Rolle schon gesungen), deren Belcanto-Fähigkeiten und Vielseitigkeit bekannt sind, die in dieser Produktion aber seltsam befangen agiert - bis auf ihre grosse Szene des dritten Aktes auch vokal.

Doch um sie herum hat man Sänger engagiert, die sich Donizetti nicht anders als italienisch vorstellen können und Minkowskis Bemühungen kaum aufnehmen. Am blässesten agiert Roberto Servile als Alphonse. Den König, der dem Papst die Stirn bietet, nimmt man ihm nicht ab. Seine Stimme klingt verbraucht und resonanzarm, vom Text versteht man kein Wort, dazu kommt eine Darstellungsweise, die man geradezu konzertant nennen kann. Ein Problem, das auch bei Carlo Colombaras sonorem Abt Balthazar und Fabio Sartoris Fernand stört. Doch auch sie singen höchstens übersetztes Italienisch und es fehlt am französischen Stil, an der Eleganz der Linien und an der Gestaltung aus dem Text. Besonders deutlich hörbar ist dies an Fernands Arie «Ange si pur» mit ihrem komponierten hohen C. Wenn Sartori dynamisch nicht erst hier variabel gestalten würde, wäre er für die italienische Fassung eine gute Wahl, in Zürich spielt man aber die französische.

Ach, und die Regie. Philippe Sireuil hat Ende letzter Saison eine unspektakuläre, aber genaue «Bohème» inszeniert, zur «Favorite» ist ihm gar nichts eingefallen. Als Fernands Traum wolle er die Fabel erzählen, liest man im Programmheft. Ausser einem leitmotivisch immer wieder über die dunkle Bühne ruckelnden Walfisch-Schiff ist davon nichts zu erkennen. Man steht (die Männer) oder irrt (die Kasarova) herum, wie es eben so kommt. Das gelungene Bild der Mächtigen in der Stierkampfarena, begafft vom Volk auf den Rängen im dritten Akt ist zu wenig, um den beliebigen Eindruck, den auch das Ballett hinterlässt, zu korrigieren.

top

   

Der Landbote

21. 03. 2006 / Herbert Büttiker

Traumkonzept und Realität
Ein französischer Donizetti: «La Favorite» war ein Dauerbrenner der Pariser Opéra, und die Musik glüht noch heute. Die Produktion des Zürcher Opernhauses gerät dennoch reichlich kühl.

Einer war gar nicht kühl: Am Dirigentenpult stürzte sich Marc Minkowski geradezu in die Musik. Temporausch und weites Ausholen zur grrossen Emphase gibt es schon in der Ouvertüre, und immer wieder hat der Abend mitreissenden Zug, weil die Musik sich in aller agogischen Freiheit entfaltet, im Eruptiven wie in musikantischer Leichtigkeit immer in den Extremen. In den rasanten Beschleunigungen vergisst Minkowski vielleicht, dass er nicht ein schlankes Barock-Ensemble vor sich hat, sondern einen grossen Opernappart mit Chor, grossen Stimmen und nebenstimmenreicher Orchestration, und auch der Hörer vergisst es zumeist, und kleine Patzer, sich anbahnende Verwacklungen zwischen Bühne und Orchestergraben erinnern dann doch daran, dass der unglaubliche Schwung dieses Musizierens eine Gratwanderung bedeutet.

Zu viel und zu wenig
Eine vergleichbare Unbedingtheit im Umgang mit dem Werk lässt die Inszenierung vermissen. Philippe Sireuil vermeldet im Programmheft seine Mühe mit dem Libretto, und auf der Bühne beschränkt er sich auf die vordergründige Geschichte und plumpe Bildsymbole (Schach, Stier, Fisch). Für die Deutung der Figuren und Konflikte sind die Sänger auf sich gestellt – und da vertut sich auch eine Vesselina Kasarova (Léonor) mit all dem Kapital ihres Mezzosoprans in einem Zuviel an aufgesetzt wirkender Gestik, ein Fabio Sartori (Fernand) kommt mit seinem lyrisch intensiven und deklamatorisch griffigen Tenor gar nie richtig ins Spiel, Roberto Servile (Alphonse XI), der auch mit der Intonation seines Baritons kämpft, ist als Figur wenig greifbar. Am ehesten finden sich Jaël Azzaretti (Inès) mit ihrem brillanten Sopran und Carlo Colombara (Balthazar) mit seinem kernigen Bass in schlüssigen Rollenprofilen wieder.

Was wird eigentlich gespielt? Fernando verlässt das Kloster wegen einer Frau. Die Schöne Leonore empfängt ihn inkognito auf einer paradiesischen Insel, aber statt die Einwilligung ins dauernde Liebesglück erhält er von ihr ein Offizierspatent. Sie liebt ihn, aber sie ist die Favoritin des Königs. Sie leidet unter der Verachtung der Hofgesellschaft: Wir sind im strengen Spanien der Reconquista und der allmächtigen Kirche. Alphonse XI besiegt dank Fernand die Mauren. Dieser wünscht sich dafür die Verbindung mit Leonore. Erst nach vollzogener Trauung wird er über Leonores Vergangenheit aufgeklärt, weil ihn ihre entsprechende Botschaft nicht erreicht hat. Fernand macht dem König, der zerknirscht ist, eine wüste Szene und zieht sich zurück ins Kloster. Leonore, vom Hof verstossen, sucht ihn auf, um sich zu erklären. Die Liebe erwacht aufs Neue, aber Leonore, von den Strapazen gezeichnet, stirbt.

Musikdramatik
Gut, die Geschichte könnte auch nur ein Schmöker aus dem vorletzten Jahrhundert sein, aber sie hat als Opernlibretto grosses dramatisches Potenzial. Zum einen sind die fundamentale Antagonismen im Spiel: Kirche und Staat, rigorose Moral und höfische Libertinage, Krieg und Liebe, der Lärm der Welt und die Stille des Klosters. Zum anderen entwickelt das Libretto psychologisch spannende Konfrontationen in Duett- und Ensembleszenen und innere Konflikte, die sich in Arien spiegeln – herausfordernde Angriffspunkte für den Musikdramatiker und Melodiker Donizetti, der mit diesem Stoff für die Grand Opéra eine seiner reichsten Partituren schrieb: stark in der musikalischen Ensemble-Architektur und grosszügigen Melodik, eindrücklich in den atmosphärischen Gegensätzen von entrücktem Mönchsgesang und aufreizendem Chor der Frauen auf der Lustinsel, von brillanter Ballettmusik und klangmassiver Machtdemonstration der Kirche, wenn der Prior mit dem Bannfluch des Papstes droht – dies alles organisch verbunden. Dass das Werk in grossen Teilen aus gestrandeten Vorgängerprojekten besteht, würde man nicht denken.

Geschlossen und spiegelnd schwarz ist der Bühnenraum (Vincent Lemaire). Aussparungen geben Formen und Farben für Palastprunk frei, am Boden im zweiten Akt ein Schachbrett für das wenig aufregende Ballett (Avi Kaiser): ein atmosphärisch starkes Konzept für das düstere Werk. Auch der barocke Kontrast mit einem fischförmigen Schiff und den auf dem Segel vom Bühnenboden herabschwebenden Damen im zweiten Bild integriert sich als surreales Traumgeschehen im ersten Akt noch ins schwerblütige Drama, verkommt dann aber zunehmend zum belanglosen Anhängsel und erntet im vierten Akt unfreiwillig etliche Lacher. Mit dem brennenden Segelschiffchen strandet das Traumkonzept.

Vesselina Kasarova
Dirigentische Abenteuer, szenisch mässige Orientierung, dazu Kostüme (Jorge Jara) von heterogener Qualität: das sind nicht die Voraussetzung zu sängerischen Bestleistungen. Vesselina Kasarova, der diese Produktion ja gleichsam gewidmet ist – sie hat die Partie zwar schon auf CD, aber jetzt zum ersten Mal szenisch interpretiert, – machte an dieser ersten Aufführung einen noch eher unausgeglichenen, im letzten Akt auch ermüdeten Eindruck. Aber neben forcierter Höhe, verflatternden Linien, abgedunkeltem Timbre gab es die Momente von gefasstem Temperament und gelöster Klangentfaltung wie in der Arie «O mon Fernand» – vieles, was ihr als Publikumsliebling am Ende auch gedankt wurde.

top

    

Neue Luzerner Zeitung

22. 03. 2006 / Stefan Degen

Unterkühlte Emotionen am Königshof

Marc Minkowski dirigiert «La Favorite» im Opernhaus Zürich musikalisch überaus spritzig. Szenisch überzeugen eindrückliche Bilder.

Arturo Toscanini nannte die Oper «durchwegs schön; der letzte Akt aber: jede Note ein Meisterwerk». Gaetano Donizetti schrieb «La Favorite» 1840 für die Pariser Opéra. Das Melodram ist ein Konglomerat aus bereits bestehenden Opern («L'ange de Nisida», «Le Duc d'Alba») und Opernfragmenten, weist aber dennoch eine erstaunliche stilistische Geschlossenheit auf. Die Titelheldin, Léonor de Guzman, ist die Mätresse von König Alphonse XI., die wiederum den Novizen Fernand liebt. Die Dreiecks-Liebesgeschichte, in der es in erster Linie um Ehre geht, spielt im Königreich Kastilien des 14. Jahrhunderts. Der Monarch und seine schöne, junge Favoritin sind historisch verbürgte Figuren.

Stimmige Atmosphäre
Donizetti gelang mit diesem Werk (in französischer Sprache) eine glückliche Verbindung zwischen italienischem und französischem Opernstil. Der belgische Regisseur Philippe Sireuil erzählt die Geschichte als «Traumvision» des Mönchs Fernand. Zwei Symbole prägen die Szenerie: ein Schiff in Form eines Walfischs und ein riesiges Schiffssegel. Bühnenbildner Vincent Lemaire schuf einen sakral-düsteren, rundlichen Einheitsraum mit dunkel verspiegelten Wänden. Die Lichtgestaltung (Hans-Rudolf Kunz) verleiht den Schauplätzen immer wieder eine stimmige Atmosphäre. Auch die sehr geschmackvollen Kostüme von Jorge Jara nehmen das spanische Kolorit dezent auf.

Kühl und berechnend
Der Regisseur versucht, die reichlich verworrene Geschichte ohne Pathos zu erzählen und «die Sänger als Emotionsträger zu stärken». Doch gerade hier hat die Inszenierung ihre Schwächen. Die Titelrolle vermag als Figur kaum zu überzeugen. Die Gefühle der Favoritin bleiben kühl. Das liegt teilweise auch an der Darstellerin. Vesselina Kasarova bleibt den ganzen Abend über seltsam distanziert, ihr Gesang vermag die Herzen nicht wirklich zu berühren. Vieles an ihrer Léonor ist manieriert. Ihre Mezzostimme führt die Kasarova ziemlich breit, und sie muss sich die Soprantöne erkämpfen. In der Mittellage überzeugt die Bulgarin dafür mit sattem, rundem Ton und differenzierten Klangfarben.

Die Männer gefallen mit stilsicherem Belcanto-Gesang. Der italienische Tenor Fabio Sartori gibt die zerrissene Figur des Fernand glaubhaft und singt dabei mit wunderbarem Schmelz. Ein Höhepunkt ist die berühmte Arie im vierten Akt, «Ange si pur». Roberto Servile als Alphonse verströmt mit seinem sicher geführten Bariton puren Wohllaut. Carlo Colombara verleiht dem Prior Balthazar Autorität und Bassschwärze.

Vom Barock zum Belcanto
Der Dirigent Marc Minkowski, der als Barockspezialist höchstes Ansehen geniesst, studierte in Zürich erstmals eine Belcanto-Oper ein. Und der Erfolg stellte sich nicht unerwartet ein: Der Franzose musiziert mit dem Orchester der Oper Zürich ungemein spannungsreich und mit schillernden Farben. Die Bläser (in grosser Besetzung) konnten mächtig auftrumpfen und intonierten lupenrein. Überaus präsent ist auch der Chor.

Für Paris durfte eine üppige Ballettmusik nicht fehlen: Minkowski verlegt einen Teil davon an den Anfang des zweiten Akts, brillant gespielt notabene, der Rest erklingt als Tanz-Divertissement. Die schräge Choreografie von Avi Kaiser stellt sich jedoch völlig quer zu Donizettis Melos: ein Ärgernis.

Das Premierenpublikum feierte Sänger und Dirigent ausgiebig, während das Regieteam nur mässigen Beifall erhielt. Dennoch: eine Belcanto-Rarität, die zu entdecken sich lohnt.

top

   

Neue Zürcher Zeitung

21. 03. 2006 / Marianne Zelger-Vogt

Verhängnisvolle Flucht in den Traum

«La Favorite» von Gaetano Donizetti im Zürcher Opernhaus

Es hat durchaus gute Gründe gegeben, «La Favorite» in den Spielplan des Opernhauses aufzunehmen: Das einst erfolgreiche Werk ist in Zürich seit 1904/05 nicht mehr aufgeführt worden, es zeigt als erste original französische Oper des italienischen Belcanto-Komponisten einen anderen Donizetti als den der populären Repertoire-Stücke «Lucia di Lammermoor», «L'Elisir d'amore» oder «Don Pasquale» und vor allem: Für die Titelrolle steht Vesselina Kasarova zur Verfügung. Doch all dies scheint nicht genügt zu haben, auch den Regisseur Philippe Sireuil von «La Favorite» zu überzeugen.

Handlung mit Fallstricken
Zugegeben: Die Handlung ist auch nach Opern- Massstäben gemessen reichlich abstrus. Der Novize Fernand verliebt sich in eine unbekannte Schönheit, die er berührt hat, als er ihr das Weihwasser reichte. Er verlässt das Kloster und wird von der Unbekannten täglich mit verbundenen Augen auf eine Liebesinsel gebracht. Doch seinen Heiratsantrag lehnt sie ab, stattdessen soll er als Krieger Ehre und Ruhm erwerben. Tatsächlich verhilft er dem kastilischen König Alphonse zum Sieg über die Mauren und wird dafür mit der Hand der Geliebten belohnt. Doch was er zunächst als höchstes Glück empfindet, erweist sich als schändlicher Hohn. Die Geliebte ist die Favoritin des Königs, der sich mit der verordneten Eheschliessung nicht nur für ihre Untreue rächt, sondern auch das Gebot der Kirche erfüllt. Und da Léonor - so heisst die königliche Mätresse - den Geliebten nicht rechtzeitig über ihre Identität aufklären kann, steht sie als Verräterin da. Fernand kehrt ins Kloster zurück, wo ihn die Verlassene aufsucht, um in seinen Armen zu sterben.

Sireuil versucht sich aus der Affäre zu ziehen, indem er das Geschehen als Traum Fernands anlegt - ein längst abgenutzter, nur selten tauglicher Trick. Sinnvoll erscheint diese Lesart einzig in der wirklich traumhaft surrealen Szene auf der Liebesinsel, einem wonnevoll klingenden Kythera. Doch für den Rest bleibt die Traum-Dramaturgie eine Hilfskonstruktion, errichtet auf einem Darsteller, der zwar die schwierige Partie des Fernand technisch sicher, ja elegant meistert und mit viel tenoralem Schmelz ausstattet, die Figur aber keine Sekunde lang zum Leben erweckt: Fabio Sartori.

Fehlende Kohärenz
So gelingt der Inszenierung, was die komplexe Entstehungsgeschichte der aus drei verschiedenen Werken («L'Ange de Nisida», «Adelaide» und «Le Duc d'Alba») entstandenen «Favorite» nicht vermocht hat, die Handlung in lauter Fragmente zerfallen zu lassen. Mitverantwortlich ist dafür der Bühnenbildner Vincent Lemaire, der eigentlich keine Bilder, sondern nur einen Raum mit spiegelnden schwarzen, runden Wänden entworfen hat. Architekturteile deuten die Schauplätze lediglich an. Ein breiter Spitzbogen steht für die Liebesinsel, wo das Ballett auf quadratischem Schachbrettboden eine vage auf die Handlung bezogene, vor allem aber aus konvulsivischen Bewegungen bestehende Einlage gibt (Choreographie: Avi Kaiser). Die Hochzeit von Fernand und Léonor findet in einer Art Arena statt - bei der Verhöhnung des Helden durch die Höflinge schiesst rings um ihn ein Kranz von Bandarillas aus dem Boden -, und das Kloster wird durch ein Portal markiert. Spanische Akzente setzen Jorge Jaras Kostüme.

Daneben gibt es eine Vielzahl von Requisiten, als auffälligstes - quasi leitmotivisch - ein goldenes Schiff in Walfischform, bald gross, bald spielzeughaft klein, das einen wenig sinnfälligen Bezug zur Jonas-Sage herstellen soll. Dazu passend schweben die von Jaël Azzarettis stimmschöner Inès angeführten Hofdamen zu Beginn des zweiten Bildes Blätter streuend auf einem Segel vom Bühnenhimmel. Als das allein über die Bühne gleitende Schiffchen zum Zeichen der verlorenen Hoffnung schliesslich verbrennt, kommt es wenigstens zu einem nachhaltigen Lacherfolg.

Da hilft auch alle Energie des Dirigenten Mark Minkowski nichts, der «La Favorite» ganz zur Grand Opéra macht, mit Betonung einerseits des düster-weihevollen Charakters der Rahmenakte, anderseits der Brillanz der Szenen am Hof. Zu Höchstleistungen bringt er das Orchester in dem mit raffinierten Instrumentaleffekten aufwartenden Zwischenspiel zwischen dem ersten und dem zweiten Akt. Insgesamt verleitet ihn sein Temperament jedoch oft zu klanglicher Massierung, und die Feinabstimmung zwischen Orchester und Bühne lässt manchmal zu wünschen übrig. Davon ist vor allem Roberto Servile betroffen, der mit seinem verquollenen, ungenügend fokussierten Bariton für die Liebe und den Zorn des betrogenen, vom Prior Balthazar (dem stimmlich imposanten, makellosen Carlo Colombara) mit dem Kirchenbann belegten Königs Alphonse nur eine Klangfarbe einzusetzen hat.

Brillante Protagonistin
So steht denn Vesselina Kasarovas Léonor zunehmend isoliert in einem Geschehen, das sich eigentlich in einer klassischen Dreieckskonstellation entwickeln müsste. Aber was sie stimmlich und darstellerisch leistet, reicht aus, die Aufführung über alle Längen und szenischen Peinlichkeiten hinwegzutragen. Da ist die dunkle, geheimnisvolle Tiefe, welche die tragischen Züge der in ihrer Hoffnung auf die Hand des Königs Getäuschten offenbart. Die Höhe dagegen erstrahlt in verführerischem Glanz und üppiger Fülle. Und dazwischen gibt es all die subtilen Zwischentöne, Farbschattierungen und zart schwebenden Piani, welche für den schillernden Charakter der edlen Mätresse wie für die immer neu faszinierende Kunst dieser Sängerin stehen. - Von allen Argumenten zugunsten einer Wiederaufführung von Donizettis «Favorite» hat letztlich nur eines Bestand, dieses jedoch unanfechtbar: Vesselina Kasarova.

top

   

Tages-Anzeiger

21. 03. 2006 / Susanne Kübler

Wenn die Ehre wichtiger ist als die Liebe

Die Musik ist schön, die Geschichte barer Nonsens: Gaetano Donizettis «La Favorite» hatte am Zürcher Opernhaus Premiere.

Nie sind Opern antiquierter, als wenn von Ehre die Rede ist. In Donizettis «La Favorite», 1840 mit grossem Erfolg in Paris uraufgeführt, geht es um nichts anderes. Léonor verliert ihre Ehre, weil sie einem König folgt, der ihr die Ehe verspricht und sie dann doch nur zur Mätresse macht; die Kirche verdammt sie, weil sie ja in Sünde lebt (dass sie sich die Situation nicht ausgesucht hat, ändert nichts daran). Fernand schliesslich, der Mönch, der für sie das Kloster verlassen hat, verstösst sie gleich nach der Hochzeit, als er von ihrem Vorleben erfährt. Die Ehre ist allemal wichtiger als die Liebe, so lautet die Botschaft dieser Oper, und dass Fernand der sterbenden Léonor am Ende grossmütig verzeiht, macht die unsägliche Geschichte nicht besser.

«Verbrauchte Klischees»
Auch Philippe Sireuil, der belgische Regisseur, der sein Zürcher Debüt bei den letzten Festspielen mit Puccinis «Bohème» gegeben hat, sieht das nicht anders. Was tun mit einem Libretto, so fragt er im Programmheft, in dem gleich drei Autoren einen «Wust von abgedroschenen Wörtern und verbrauchten Klischees» zusammengeschrieben haben? Das Rezept formuliert er ebenfalls: Misstrauen gegenüber vermeintlichen «guten Ideen», Verzicht auf übertriebene Dramatik, Interpretation des Ganzen als Traum.

Das Resultat ist eine Regie, die die Handlung weder erklärt noch kommentiert, die in düster-opulenten Bildern nachstellt, was der Text vorgibt. Die optischen Ingredienzien dieser Aufführung sind damit schnell aufgezählt: Es gibt einen gerundeten, schwarz spiegelnden Raum (Vincent Lemaire). Konventionelle, leicht spanisch angehauchte Kostüme (Jorge Jara). Ein Schiff in Form eines Walfischs, das an die Bibel, Jonas und das existenziell Unbekannte gemahnen soll (diese Metapher erschliesst sich auf der Bühne allerdings ebenso wenig wie die Traumidee; das Publikum jedenfalls hat gelacht, als der brennende Walfisch über die Bühne gefahren wurde). Weiter gibt es eine geschmeidige, von Avi Kaiser choreografierte Balletteinlage, in der Themen wie Machtmissbrauch zumindest angetönt werden. Und ansonsten eine genaue, aber ziemlich statische Personenführung, die ihre einzige Auffälligkeit darin hat, dass Léonor am Ende im Stehen stirbt (Vesselina Kasarova kann selbst das).

Man könnte das Stück vergessen, wenn die Musik nicht wäre. Und wenn Marc Minkowski nicht wäre, der diese Musik mit einer Wucht, einer Präzision und einer vibrierenden Lebhaftigkeit inszeniert, die immer aufs Neue verblüfft. «La Favorite» ist sein erster Donizetti, seine erste Belcanto-Oper überhaupt - und die Entdeckerfreude ist der Aufführung anzuhören. Fugen und Fanfaren, Tänzerisches, Sentimentalisches und ein Leiden, das sich oft in geradezu lüpfigen punktierten Rhythmen äussert: Zusammen mit dem brillanten Opernhaus-Orchester lässt sich der Dirigent ganz auf die Klangwelten des Werks ein. Dass Donizetti zu Recht als fantasievoller Instrumentator gilt, zeigt sich hier Takt für Takt; auch deshalb hört man weit mehr als nur schöne Melodien (die allerdings hört man auch). Wirkungsvoller hätte sich Minkowski nicht gegen das ungeliebte Etikett eines Barockspezialisten wehren können.

Starke Frau, schwächere Männer
Es ist dieser musikalischen Inspiriertheit zu verdanken, dass die Sängerinnen und Sänger zwar nicht zu lebendigen Figuren werden - das liegt in diesem Stück nicht drin -, aber immerhin zu «Emotionsträgern» (Sireuil). Allen voran die grossartige Vesselina Kasarova als Léonor, die von allen Seiten bedrängt und unterdrückt wird, sich aber stimmlich keineswegs unterkriegen lässt. Stark und expressiv ist ihr Mezzosopran, metallisch, wenn sie es will, oder auch ganz zart. Nichts Mädchenhaftes liegt in dieser Figur (für das Helle, Leichtherzige ist Jaël Azzaretti als Dienerin zuständig); Kasarova zeigt eine Frau, die weiss, warum sie leidet. Eine kluge, intensive Darstellung, die ohne grosse Gesten auskommt; das Drama spielt sich in Tönen ab, und im Gegensatz zur Handlung, die es auslöst, berührt es.

Die Männer in der Geschichte haben ihr wenig entgegenzusetzen. Carlo Colombara als Prior vertritt die kirchliche Moral mit substanziellem, aber etwas eintönigem Bass. Roberto Servile gerät als König Alphonse XI. bereits im Mezzoforte ins Röhren (man darf vermuten, dass der ursprünglich für diese Rolle vorgesehene Rodney Gilfry der Léonor mehr zu bieten gehabt hätte). Der Tenor Fabio Sartori schliesslich gewinnt dem Ex-Mönch Fernand in intimen Momenten einige Facetten ab; aber je heftiger die Gefühle wallen, desto demonstrativer wird seine Interpretation.

Die historische Léonor übrigens starb nicht an gebrochenem Herzen, sondern wurde 1350 nach dem Tod ihres königlichen Geliebten auf Befehl seiner rechtmässigen Gattin hingerichtet. Vielleicht aus verletzter Ehre, ganz bestimmt aber aus Rach- und Eifersucht - aus richtig guten Operngefühlen also. Aber für die haben sich Donizettis Librettisten nicht interessiert.

top

   

Zürcher Oberländer

21. 03. 2006 / Sibylle Ehrismann

Hohle Phrasen Belcanto gesungen

Mit Gaetano Donizettis «La Favorite» zeigt das Zürcher Opernhaus eine Belcanto-Rarität. Das Premierenpublikum war nicht allzu begeistert.

Gaetano Donizettis «La Favorite», eine eigenartige Mischung aus italienischem Belcanto und französischer Grande Opéra, hat nicht nur ein reichlich abstruses Libretto, auch die Musik wirkt zwitterhaft. Das Star-Ensemble unter der energischen Leitung von Marc Minkowski hat das Beste daraus gemacht. Trotzdem verliessen einige der Premierengäste am Sonntagabend schon vor dem Applaus demonstrativ den Raum.

Klischiert und stereotyp
Vesselina Kasarova hat mit dem verstorbenen Marcello Viotti «La Favorite» in einer Studioproduktion auf CD eingespielt - nun singt sie die Partie erstmals in einer szenischen Produktion in Zürich. Doch wie kommt eine Persönlichkeit wie Kasarova dazu, ein derart klischiert stereotypes Werk von musikalisch zwiespältiger Qualität zu portieren? Die feinen Zwischenstufen, die man von Donizetti sonst kennt, die fehlen hier jedenfalls, und seine Anbiederung an den französischen Stil wirkt befremdend.

Léonor ist die «Favorite», sie ist die Maîtresse des Königs. Und der König selbst will in seiner ersten Arie all seine Macht und seinen Ruhm opfern, um sie zu heiraten. Das derart aufgebauschte Liebesgefühl schwindet aber schnell; beim erstbesten Widerstand lässt er sie fallen. Da ist aber noch der Mönch Fernand, der sich in sie verliebt und sein Zölibat und damit das Klosterleben aufgeben will. Er heiratet sie, ohne zu wissen, dass sie die Maîtresse des Königs war. Als er es erfährt, ist sein Ehrgefühl tief verletzt. Auch da schwindet die Liebe sehr schnell, und die Frau, um die sich alles dreht, ist nichts als ein Spielball dieser Hahnenkämpfe und männlichen Moralverdrehungen.

Hochstilisierte hohle Phrasen
Und diese werden in sehr langatmigen, zum Teil auch schönen Arien breitgewalzt, hohle Libretto-Phrasen werden pathetisch zu Ehrgefühl hochstilisiert. Marc Minkowski geht dieses Werk zum Glück in der für ihn typischen energischen Gangart an, fordert vom Orchester höchste rhythmische Virtuosität und übertreibt gerne etwas in der scharfen Artikulation und Dynamik. Denn laut wird's beim sonst an Barock-Besetzungen gewöhnten Minkowski an diesem Abend sehr schnell und unerbittlich. Das bedrängt die Belcanto-Sänger stellenweise bis zum Forcieren.

Dabei kommt es aber auch zu brillanten Orchestereinlagen, zum Beispiel im Vorspiel zum zweiten Akt, in welchem die Flöten ein elegantes und vifes Ständchen geben. Überhaupt kommt den Bläsern eine wichtige Funktion zu: man hört gut die Mischung von Ventil- und archaischeren Natur-Trompeten, und anstelle der Tuba kommt ein leichter und eleganter klingendes «Ophikleide» als Bassinstrument zum Einsatz. Das ergibt reizvolle Klangfarben, die Minkowski ebenso auskostet wie das Überspitzen von Tempo und Artikulation.

Mit leicht ironischer Distanz
Für die Inszenierung dieses «unmöglichen» Stücks hat Philippe Sireuil mit seinem Ausstattungsteam (Vincent Lemaire, Bühnenbild; Jorge Jara, Kostüme) eine geschickte Lösung gefunden. Auch wenn nicht wirklich durchkommt, dass er die Geschichte als Traum von Fernand umsetzt, er vermag trotz eleganter Ausstattung mit präzisen Details das Geschehen zu brechen und so eine leicht ironische Distanz herzustellen. Beim Auftritt der Grazien zum Beispiel, welche «entzückend» die Liebe besingen. Sireuil lässt sie in einer Art geschwungenem Segeltuch von oben herabgleiten, so richtig kitschig und doch auch komisch.

Oder dann die Choreografie der Balletteinlage von Avi Kaiser. Sie ist alles andere als französisches Grande-Opéra-Ballett; es ist ein moderner, die Rolle der Frau als Spielball deutlich machender Ausdruckstanz. Oder dann der Moment, als Fernand um seine verlorene Ehre ringt: da schiessen plötzlich Torero-Spiesse rund um ihn herum aus dem Boden - eine köstliche Brechung des für einen Mönch unmöglichen und erst noch pseudospanisch kolorierten Heldengesangs.

Kasarovas herrliche Stimme
Doch natürlich lassen sich an diesem Abend auch herrliche Stimmen geniessen. Vesselina Kasarova wirkte anfangs zwar noch recht statisch, steigerte sich jedoch im zweiten Teil in ihren Arien, in welchen sie bei den Herren, und dabei vor allem beim ins Kloster zurückgekehrten Fernand, um Vergebung bettelt. Und sie stirbt sogar, um zu vermeiden, dass Fernand, der plötzlich wieder für sie aufflammt, einen Frevel gegen Gott begeht. Hier kann man Kasarovas herrlich kraftvolle und farbenreiche Stimme geniessen - aber nur, wenn man den Text nicht mitliest.

Szenisch etwas unbeholfen wirkt Fabio Sartori als Mönch und als Kriegsheld Fernand. Sein Auftritt wirkt immer etwas trottelig, doch er verfügt über ein echt betörendes, warmes Timbre in seiner weitatmigen Stimme. Daneben hat es Roberto Servile als König Alphons XI. schwerer, es fehlte ihm gegenüber dem schmetternden Orchesterklang etwas die Kraft, und die Artikulation wirkt undeutlich, ja mulmig. Carlo Colombara jedoch konnte in der Rolle des Klosterabts all seine Qualitäten als tiefgründiger Bass ausspielen, mit enormer Strahlkraft auch in den tiefsten Tiefen. Zudem gelang es den beiden Nebenfiguren Don Gaspar (Eric Huchet) und Inès (Jaël Azzaretti), eine agile stimmliche Vitalität einzubringen.

top

Impressum
Kontakt
Spenden

Zürichsee-Zeitung

21. 03. 2006 / Werner Pfister

Ein Traum von einem Albtraum

«La Favorite», Gaetano Donizettis Dauerbrenner von einst, wird revitalisiert - diesmal aber in der französischen Originalfassung unter der impulsiven Leitung von Marc Minkowski.

Einig sind sich wohl alle: Die Handlung von Gaetano Donizettis Oper «La Favorite», an der drei Librettisten mitgebastelt haben, ist ein Albtraum. Ein Klosternovize liebt eine Grande Dame, nämlich die Mätresse des Königs (was er aber nicht weiss). Sie liebt ihn auch, weist ihn dann doch zurück, was er mit Standesunterschieden erklärt, und so zieht er in den Krieg, um sich auf dem Feld die nötigen männlichen Ehren zu holen.

Siegreich kehrt er zurück, und als er vom König und dessen Mätresse empfangen wird, darf er einen Wunsch äussern. Richtig - er wünscht sich seine Geliebte zur Gattin. Der König erfüllt ihm den Wunsch, weil er sich mittlerweile von seiner Mätresse verraten fühlt und sich trennen will; gleichzeitig kann er damit seinen jungen Nebenbuhler gleichsam entehren. Denn unmittelbar nach gesprochenem Jawort erfährt der Novize, auf wen er sich da eingelassen hat. Am Boden zerstört wirft er das Handtuch respektive die Flinte ins Korn und zieht sich wieder in die Einsamkeit des Klosters zurück, wo ihn dann seine Geliebte besucht. In einem Duett klärt sich alles auf, man liebt sich noch immer, will jetzt gemeinsam fliehen - doch die Geliebte sinkt entseelt zu Boden.

Walfisch
Das alles strotzt vor Klischees und Unwahrscheinlichkeiten; ein komprimiertes Wechselbad der Gefühle als Vorwand für die Entfaltung möglichst gegensätzlicher musikalischer Szenen, für wirkungsvolle Auf- und Abtritte, für Koloraturen und anderlei virtuoses Primadonnenfutter. Kein Zweifel, Donizetti hatte damals, 1840, seine Chance genutzt. Das Werk, von insgesamt 71 Opern die Nummer 63, zählt - erst recht im französischen Original - zu seinen homogensten Schöpfungen, was umso mehr überrascht, als es zu einem nicht unbedeutenden Teil aus anderen Opern Donizettis zusammengekleistert wurde.

Stellt sich also die Frage, wie man diese Geschichte heute erzählt, wie man sie auf die Bühne bringt, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Regisseur Philippe Sireuil entschied sich, das Ganze als einen Traum von Fernand, dem tenoralen Liebhaber, zu inszenieren. Als Symbol für diese Traumsituation lässt Bühnenbildner Vincent Lemaire immer wieder leitmotivartig ein Schiff in Form eines Walfisches über die Bühne geistern. Damit soll auf die biblische Geschichte von Jonas angespielt werden, der bekanntlich von einem Walfisch verschlungen wurde - Sinnbild für Fernands Eintritt in die Traumwelt, uns Unbekannte.

Sandmännchen
Doch irgendwie steckt da der Wurm drin. Bereits während der Ouvertüre geht der Vorhang hoch. Léonor träufelt über den schlafenden Geliebten ein Sedativum (respektive streut ihm fein Sand in die Augen), auf dass er nun schön träume. Die Szene wiederholt sich für diejenigen, die es noch nicht gemerkt haben, zu Beginn des zweiten Bildes, und spätestens jetzt sieht es arg nach der Sandmännchen-Szene in «Hänsel und Gretel» aus. Spielt Léonor mit ihrem Geliebten ein abgekartetes Spiel, um das nur sie alleine weiss? Wir jedenfalls wissen es nicht und vergessen es auch bald, zumal Philippe Sireuil die Geschichte nun ganz unpathetisch und schön am Schnürchen weitererzählt. Fast könnte sie in der Gegenwart spielen. Jedenfalls haben Jorge Jaras Kostüme nichts Historisierendes an sich, sondern wirken zeitlos farbensymbolisch. Der streng und schlicht konzipierte Bühnenraum - ein Rundbau mit weit hochgezogenen, schwarz-spiegelnden Wänden - verdeutlicht den symbolischen Aspekt; mit Mobiliar und Requisiten wird entsprechend sparsam, nämlich wiederum sinnbildhaft, umgegangen.

Spontan sprechend
Letztlich also ziemlich konventionelles Musiktheater. Dass darin die von Avi Kaiser mit Ausdrucksmitteln des zeit-genössischen Tanztheaters choreografierte Balletteinlage fremd wirken musste und beim Publikum auf Ablehnung stiess, versteht sich. Umgekehrt hat sich Kaiser redlich um eine symbolische Bewegungssprache bemüht und sich nicht mit herkömmlichem Ibero-Folklore-Kitsch begnügt.

In musikalischer Hinsicht ist «La Favorite» eine Entdeckung. In Frankreich blieb die Oper Dauerbrenner bis Anfang des 20. Jahrhunderts; wirklich etabliert aber hat sie sich (auch auf Schallplatte) in ihrer italienischen Version, gleichsam als Belcanto-Oper. Am Zürcher Opernhaus wird nun die französische Originalfassung gespielt, unter Einbezug der Ballettmusiken - und das ist in vielem eine andere musikalische Welt als reiner Belcanto. Viel wuchtiger, auch düsterer, schwerer.

Es ist Marc Minkowskis erste Aus-einandersetzung mit Donizetti - und sie gerät vorbildlich. Mit scharfen Akzenten und pulsierender Attacke unterstreicht er die federnde Brillanz, aber auch die dunklen Abgründe dieser Musik. Artikulation und Dynamik sind minutiös ausgefeilt - ein überschwäng-liches Musizieren voller kontrastierender Gegensätze, expressiv in seiner dramatischen Dichte, spontan sprechend.

Kasarova at her best
Die Sängerbesetzung war nur in einem einzigen Fall ideal: Vesselina Kasarovas Rollendebüt als Léonor. Unglaublich die stimmliche Eloquenz, mit der sie die Gemütsverfassungen dieser Figur in immer wieder neue Farben und Schattierungen tauchte. Jeder Ton wurde mit subtiler Sorgfalt gesetzt, jede Phrase auf ihren Sinnzusammenhang ausgehorcht. Dagegen hatte Fabio Sar-tori als Fernand keinen leichten Stand. Zwar meisterte er die Partie (das hohe Cis schenken wir ihm gerne), aber er sang relativ gleichförmig und wirkte (vielleicht war's so gedacht) sowohl sängerisch als auch schauspielerisch eher wie ein etwas unbeteiligter Träumer.

Roberto Servile hatte als König Alphonse zu Beginn einige intonatorische Probleme; da war viel Kraft im Gesang und auch viel Druck auf der Stimme, was teilweise eine verquollene Tongebung zur Folge hatte. Besser kam Carlo Colombara zu Rande; sein Balthazar hatte jederzeit Autorität, und stimmlich erfüllte er die Partie mit sonorer Flexibilität. Sehr prägnant auch die kurz bemessenen Auftritte von Eric Huchet als Don Gaspar und Jaël Azzaretti als Inès sowie die Auftritte des Opernhaus-Chores, einstudiert von Jürg Hämmerli. Das fügte sich, aufs Ganze gesehen, zu einer respektablen Leistung.

top