Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
Ferruccio Busoni: Doktor Faust
24. September 2006 (Premiere)
   Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Chorein
studierung

Herzogin von Parma
Dr. Faust

Mephistopheles
Wagner/Zeremonienmeister
Herzog von Parma/Soldat
Tenor 1/ Krakau 1/Wittenberg 1
Tenor 2/ Belzebub/Wittenberg 2
Tenor 3/ Leutnant/Wittenberg 4
Tenor 4/ Megaros/ Wittenberg 5
Bariton 1/ Asmodus/ Naturgelehrter
Bariton 2/ Krakau 2/ Wittenberg 3
Bass 1/ Krakau 3
Bass 2/ Theologe/ Gravis
Bass 3/ Jurist/ Levis
Philippe Jordan
Klaus Michael Grüber
Eduardo Arroyo
Eva Dessecker
Jürgen Hoffmann
Jürg Hämmerli

Sandra Trattnigg
Thomas Hampson
Gregory Kunde
Günther Groissböck
Reinaldo Macias
Andreas Winkler
Randall Ball
Martin Zy
sset
Miro
slav Christoff
Gabriel Bermudez
Mathew Leigh
Thilo Dahlmann
Giu
seppe Scorsin
Tomasz Slawinski

Rezensionen
    Zu schwere Kost für einen spätsommerlichen Abend
einer Premieren-Besucherin)
Träumen nach Regieanweisung
Die Kostüme dominieren
Wissenschaftlich spröde
Doktor Faust, der verunglückte Mann
Faust bleibt hier ein Einzelkämpfer
Schöpfertum als Willensakt
Reduktion mit Ausrutschern
Faustisches Ringen zwischen Geister- und Alchimistenwelt
Der Teufel steckt in der Musik
Wanderer zwischen den Welten
Artifizielle Statik im Alchimistenlabor
Sollte dieser Mann verunglückt sein?
Fausts Träume von Parma und Helena
   

Vox spectatricis
25. 9. 2006 / Chantal Steiner

Zu schwere Kost für einen spätsommerlichen Abend

Ich muss gestehen: Ich hatte mich aus Zeitgründen kaum mit dem Werk, das gestern Premiere hatte – Ferrucio Busonis „Dr. Faust“ –, auseinandersetzen können. Ich wusste zwar, dass Busoni aus einem deutsch-italienischen Musikerhaus stammte und seinen „Dr. Faust“ anfangs der 20er Jahre schrieb, dass er den Schluss nicht mehr vollendete, es mittlerweile zwei verschiedene Fassungen gibt (die eine – die in Zürich aufgeführte – von seinem Schüler Philipp Jarnach vollendet, die andere erst von Anthony Beaufort 1985 uraufgeführt). Ich erwartete aber eher etwas Konventionelleres, Italienisches, und so war ich ziemlich perplex, als ich bemerkte, dass auf Deutsch gesungen wird!

Busoni stützte sein selbst geschriebenes Libretto auf das alte Faust-Puppenspiel und nicht auf Goethe ab. So weicht die Handlung ziemlich stark ab: Die Gretchengeschichte erscheint nur als Retrospektive in Valentins (hier „des Mädchens Bruder, Soldat“ genannt) Erzählung. Im ersten Vorspiel erscheinen drei Studenten aus Krakau, die Faust ein lang ersehntes Zauberbuch übergeben, das „Clavis Astartis Magica“. Im zweiten Vorspiel ruft Faust sechs Geister, die ihm ihre Dienste anbieten. Bis auf Mephistopheles verscheucht er sie. Erst nach zähem Ringen (seine Feinde trachten ihm nach dem Leben, Mephistopheles kann ihn davon befreien) akzeptiert Faust den Pakt, nach seinem Ableben seinerseits Mephistopheles zu dienen. Der „Bruder des Mädchens“ schwört in einem Gebet Rache für deren Tod; Faust befiehlt Mephistopheles, ihn zu töten. Dieser sorgt dafür, dass ein Trupp Soldaten dies übernimmt.

Gänzlich anders als bei Goethe ist die Geschichte mit der Herzogin von Parma. Diese wird während der Hochzeitsfeier von Fausts Zauberkünsten derart in den Bann gezogen, dass sie sich ihm noch in der Hochzeitsnacht hingibt. Der Herzog wird von Mephistopheles überzeugt, dass es politisch mehr Sinn macht, die Tochter des Herzogs von Ferrara zu freien, als die Flüchtenden zu verfolgen.

Während Faust in Wittenberg mit Studenten über Philosophie, Religion und Frauen diskutiert, erscheint Mephistopheles und erzählt die Geschichte von Fausts „Liebe“ zur Herzogin, die zu deren Tod führte. Sie übergab ihm ihr gemeinsames Kind, das jedoch auf der Fahrt gestorben ist. Er verwandelt die Leiche in eine Strohpuppe und zündet sie an; aus dem Rauch entwickelt sich das Bild Helenas. Faust gelingt es nicht, Helena zu fassen.

Er entschliesst sich, sein Leben zu ändern, da erscheinen die drei Studenten aus Krakau, die das Buch zurückverlangen. Doch Faust hat es in der Zwischenzeit vernichtet! Sie kündigen an, dass er noch vor Mitternacht sterben werde. Faust irrt daraufhin in Wittenberg herum und will „sein letztes Gut“ einer Bettlerin vermachen. Die entpuppt sich jedoch als Herzogin, die ihm das tote Kind übergibt. In der Kirche versucht Faust zu beten, doch er findet die Worte nicht. Mit den Worten „Ich, Faust, ein ewiger Wille“ überträgt er dem Kind sein Leben.

Eine solche Handlung zu vertonen, ist sicherlich kein einfaches Unterfangen. Busoni tat dies im Geiste der 1920er Jahre: depressiv, dunkel, schwer. Die Partitur ist bisweilen kühn, jedoch immer „hörbar“, nie wirklich atonal. Lyrische Passagen wechseln mit volkstümlichen Elementen, mit Operettenhaftem, mit Unheimlichem – allerdings für mein Empfinden, ohne je eine wirkliche Einheit zu bilden. Dem Werk fehlt die Theatralik; es bleibt bei aller handwerklichen Meisterschaft ein Stück, das - zumindest mich - vollkommen unberührt lässt, das auf mich zu schwer, zu pastos wirkt und dem Ironie gänzlich abgeht. Im Vergleich zu den anderen „Faust“-Vertonungen wie Boitos „Mefistofele“ (für mich die genialste Umsetzung), Berlioz’ „Damnation de Faust“ oder selbst dem Gounod’schen „Faust“ mit all seiner Schwülstigkeit fällt Busonis Vertonung stark ab.

Die Inszenierung von Klaus Michael Grüber in einem Bühnenbild von Eduardo Arroyo und Kostümen von Eva Dessecker sieht die Geschichte als Traumreise. Ausser Faust und Mephisto (offensichtlich sein dunkles Pendant) bleiben alle Gestalten konturlos, agieren in Zeitlupe, sind skurril gezeichnet. Faust „lässt die Puppen tanzen“, ist somit auch der Einzige, der wirklich menschliche – wenn auch sehr unschöne – Züge aufweist. Das Bühnenbild ist schlicht (im Studierzimmer stehen Regale mit Hunderten von farbigen Flaschen). Im zweiten Teil stopfen Requisiten aus dem Theaterfundus sowie zwischenzeitlich die Sängerinnen und Sänger des Opernchores die Regale voll. Der Bildwechsel gelingt nahtlos. Löblich erschien mir vor allem, dass es endlich wieder ein Regisseur wagte, die Ouvertüre sowie das Intermezzo bei geschlossenem Vorhang spielen zu lassen, was dem Orchester die (fast) einhellige Aufmerksamkeit zukommen liess.

Es spielte unter Philippe Jordan, der hiermit seine zweite Premiere in Zürich leitete, hervorragend, engagiert, mit vielen Schattierungen. Leider überdeckte Jordan die Sänger zum Teil etwas häufig. Er erschien mir öfters als zu laut, vermochte aber immer wieder mit Piani und Differenziertheit zu begeistern, speziell im „Symphonischen Intermezzo“.

Dr. Faust dürfte darstellerisch für Thomas Hampson eine Idealpartie sein. Ob dies auch sängerisch zutrifft, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube nicht, dass er seiner lyrischen Stimme damit Gutes tut. Die Tessitura der Partie liegt meines Erachtens für ihn zu tief, so dass er seine – ohnehin nicht sehr ausgeprägte – Mittellage stark abdunkeln muss. Er forciert die tieferen Töne – ohne dass sie dadurch die nötige Durchschlagskraft erreichen –, so dass dann die Höhen eng werden. Zudem klingt seine Stimme oftmals aufgeraut. Allerdings muss trotz dieser Abstriche der Hut vor dieser Leistung gezogen werden; die Partie ist mörderisch und den Schlussmonolog gestaltet er atemberaubend.

Sein Gegenspieler (ausnahmsweise ein Tenor als Satan!) wurde von Gregory Kunde vollendet verkörpert. Es war unglaublich, mit welcher Kraft, Leichtigkeit und Durchschlagsvermögen dieser doch lyrische Tenor die extrem hoch liegende, zum Teil massiv dramatische Partie bewältigte. Ein absoluter Höhepunkt des Abends!

Die Herzogin (Sandra Trattnigg) und der Herzog von Parma/der Bruder des Mädchens (Reinaldo Macias), der Zeremonienmeister/Wagner (Günther Groissböck) sowie der Chor des Opernhauses waren weitere Pluspunkte. Die anderen Protagonisten entsprachen dem üblichen, guten Niveau.

Das Publikum reagierte zuerst etwas zögerlich, steigerte sich jedoch in Applausbezeugungen; auch die Inszenierung fand Zuspruch. Dennoch sei nicht verschwiegen, dass sich erstaunlich viele Premierenbesucher bereits nach der Pause verabschiedeten und andere ganz dezidiert zu verstehen gaben, dass sie dieses Werk „einen Schmarrn“ fanden.

Bei Pahlen heisst es: „Was mag die Ursache sein, dass seinen (Busonis) Opern der wahre Publikumserfolg fehlt? Sie sind stets eine Kunst für Feinschmecker und für Intellektuelle, ja fast müsste man sagen: für eine geistige Elite geblieben.“ Offensichtlich bin ich zuwenig elitär – für mich war’s ein vergeudeter Abend!

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Aargauer Zeitung

26. 9. 2006 / Christian Berzins

Träumen nach Regieanweisung

Opernhaus Zürich Nach 24 Jahren wird endlich wieder Ferruccio Busonis teilweise in Zürich komponierter «Doktor Faust» gespielt.

Es genügt, eine Fotografie von Ferruccio Busoni (1866-1924) anzuschauen, damit man weiss, warum es die Oper «Doktor Faust» gibt: Da ist ein deutscher Italiener zu sehen, dem das Genialische auf die Stirne geschrieben ist: Er verehrt Wagner und wehrt sich gegen ihn, er kniet vor Mozart und Bach, er spielt Klavier wie ein russischer Tastenlöwe und er weiss theoretisch alles über Musik. Dieser Künstler will sein Opus magnum schreiben, naturgemäss eine Oper mit einem kühnen Stoff: Don Juan, da Vinci?

Es wird ein «Faust» daraus. Der Stoff, den J. W. v. Goethe ins Unerreichbare gedichtet hat. Deswegen geht Busoni weiter zurück, lehnt sich in seinem selbst verfassten Libretto an Karl Simrocks Puppenspiel-Fassung an. Ab 1916 schreibt er teilweise im Zürcher Exil eine kühne Musik, die in seinem Kopf wahrscheinlich noch viel kühner getönt hat. 1924 stirbt er und sein Schüler Philipp Jarnach muss die Oper vollenden, die nie ihr grosses Publikum findet. Wird sie heute gespielt, dann unter dem Schlagwort «Spielplan-Rarität».

Das ist auch am Opernhaus Zürich so. Die leeren Plätze selbst an der Premiere zeigen deutlich, dass man hier das gefällige 19. Jahrhundert lieber hat als grüblerische Tondichter und ihre genialischen Werke des 20. Jahrhunderts. Der Intendant hat sein Publikum in den letzten 15 Jahren in diese Richtung gelenkt. Aber er bleibt er auch bei «Doktor Faust» bei seinen guten Tugenden und stellt mit Bilderbuch-Faust Thomas Hampson und Meis-er-Mephistopheles Gregory Kunde ein Top-Sängerduo zusammen.

Diese beiden sehr unterschiedlichen Sängerdarsteller überzeugen vor allem im zweiten Teil. Obwohl Hampson grossen Wert auf sprachliche Details legt, ist seine Verständlichkeit durchschnittlich. Ja mit dem Parlando-Ton kommt der Bariton zu Beginn weniger gut zurecht als Tenor Gregory Kunde. Hampson fehlt es im Gegensatz zu Kunde am getragenen Ton, an Durchschlagskraft. Kunde - der an den grossen Häusern jene Rollen singt, die «niemand» kann - hat zwar eine charakterlose Stimme, aber beeindruckende technische Fähigkeiten: Mühelos bewältigt er die beinahe melodielose Partie. An den zwei Protagonisten, die von beeindruckenden Nebendarstellern wie Günther Groissböck, Reinaldo Macias oder Sandra Trattnigg begleitet werden, liegt es nicht, dass der Abend etwas konturlos erscheint. Denn Dirigat und Regie überzeugen nicht durchs Band.

Dirigent Philippe Jordan - Sohn des letzte Woche verstorbenen Armin Jordan - gelingt es nicht, die Partitur so zu durchleuchten, wie das Kent Nagano 1999 in Salzburg und in der in Lyon eingespielten Aufnahme beispielhaft zeigte. Das Vorspiel zerfällt, weil es weder das Orchester schafft, präzise zu spielen, noch der Dirigent, die queren Klangschichten zu einer einzigen zu verbinden. In der Folge ist mehr Lautstärke als klärende Gestalt zu bemerken, was den Sängern ihre Aufgabe erschwert. Erst im zweiten, lyrischeren Teil findet Jordan seinen hymnisch, überaus feinsinnig gestalteten schwelgerischen Ton; die Mischung von Orchesterklang und Stimmen ist nun geradezu ideal.

Busonis «Doktor Faust» ist eine linear erzählte «Faust»-Geschichte, kann aber auch als träumerische Fantasie einer faustischen Figur gelesen werden. Regisseur Klaus Michael Grüber will den Traum. Dem ersten, den Erwartungen entsprechenden Bild - einem (bereits toten?) Faust am Studiertisch - folgen famose Arrangements. Es sind wahre Tableaux vivantes, die offenbar Fausts Traumwelt entstammen - allerdings einem sehr statischen, einfachen, fast schon linearen Traum. In dieser Bezeichnung liegt naturgemäss bereits ein Widerspruch. Ein Kind mag sich einen Fürstenhof so erträumen, wie ihn Grüber und Bühnenbildner Eduardo Arroyo uns zeigen. Aber ein abgelebter Faust?

Faust träumt brav nach den kursiv gedruckten Regieanweisungen seines Schöpfers Busoni. Spielerische oder fantastische theatrale Mittel spart Nachschöpfer Grüber aus: Eine Wirklichkeit soll offenbar abgebildet werden. Und so rasseln die Säbel, bezaubern opulente Ballbilder, hüpfen Teufelchen über die Bühne und Helena hängt nackt am Kreuz. Alles hübsch vom Bilderbuch-Mephistopheles mit schwarzem Umhang und roten Handschuhen arrangiert.

Nach 200 Minuten fordert der Teufel sein Recht. Faust tritt ab. Ein nackter Jüngling mit einem Zweig in der Hand wandelt anstatt seiner über die Bühne. Ein weiteres Bild aus Fausts Traum? Doch der ist zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeträumt.

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Basler Zeitung

26. 9. 2005 / Sigfried Schibli

Die Kostüme dominieren

Ferruccio Busonis «Doktor Faust» am Opernhaus Zürich

Er war Italiener und fühlte deutsch, feierte Erfolge als Klaviervirtuose und wollte doch lieber Komponist sein. Ferruccio Busoni und sein «Doktor Faust» › ein interessanter Fall.

Das Textbuch liest sich flott, aber die Aufführung zieht sich dann doch über fast drei Stunden hin. Busonis «Doktor Faust» verlangt dem Zuschauer und Zuhörer Geduld ab. Nicht zuletzt, weil der Komponist zwischen die gesungenen Partien seiner um 1920 entstandenen Oper Zwischenmusiken geschoben hat, die zum Besten gehören, was die Musik jener Zeit hervorbrachte. Seine Kombination von sinnlicher Italianità und Gelehrtheit ist unverwechselbar. In der Zürcher Neuproduktion unter dem Dirigenten Philippe Jordan tritt sie einem sehr nah ans Ohr. Das Opernhausorchester musiziert trennscharf und bläserstark und kommt unter dem die Tempi energisch gestaltenden Dirigenten nie in den Verdacht, Busonis Musik allzu sehr ins Weichliche zu biegen.

defizit. Am Regiepult amtierte Klaus Michael Grüber, wie immer im Verbund mit Ellen Hammer. Das an der Berliner Schaubühne berühmt gewordene Duo musste am Ende einige Buhs einstecken. Gewiss, die berühmten Grüber’schen Schleichgänge quer und diagonal über die Bühne gibt es auch hier, und die Geschichte vom Doktor Faust, der seine Seele verkauft, wird schlüssig erzählt. Doch fehlt es der Personenführung am Feinschliff, den man vom Regie-Guru Grüber erwartete.

Der optische Eindruck wird dominiert von Eva Desseckers opulenten Kostümen und Eduardo Arroyos raffinierten Bühnenbauten, die bald ein Alchimisten-Labor, bald eine Kirche und zuletzt einen Studentenkeller voller akademischem Gerümpel zeigen.

don juan. Sängerisch ist der Bariton Thomas Hampson in der Titelpartie der unbestrittene Held der Aufführung. Seine Figurenzeichnung rückt Faust nahe an Don Juan (an den Busoni im - hier gestrichenen - Prolog auch erinnert). Der Tenor Gregory Kunde als Mephistopheles steht ihm sängerisch und schauspielerisch in nichts nach. Sandra Trattnigg singt die einzige weibliche Solistenpartie, die der von Faust verführten Herzogin von Parma, mit stimmlichem Glanz. An ihrer Seite der als schillernder König eines Märchenlandes gezeichnete Herzog von Reinaldo Macias.

Die musikalisch so wichtigen und so suggestiv singenden Chöre werden von der Regie weitgehend ins Off verbannt. Vielleicht rührt der etwas zähe Eindruck dieser Neuproduktion auch von daher.

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Blick

26. 9. 2006 / Roger Cahn

Wissenschaftlich spröde

«Doktor Faust» Premiere im Opernhaus Zürich

Der Komponist tat sich schwer mit seinem «Doktor Faust» und das Premierenpublikum auch. Manchen zog es bereits in der Pause zum Nachtessen. Premiere war am Sonntag.

Fast 15 Jahre hat der italienisch-deutsche Komponist Ferruccio Busoni (1866-1924) am «Faust» herumgedoktert. Herausgekommen ist ein unvollendetes Werk mit schwer verständlichem Text und sperriger Musik. Obwohl Busoni bewusst auf das gleichnamige Volksbuch zurückgriff, geistert Goethes Schatten durch die Oper.

Faust, einsam und verzweifelt, strebt nach Erfolg - im Leben wie in der Wissenschaft. Ein Bund mit dem Teufel verwirklicht seinen Traum. Als Preis verkauft Faust dem Teufel seine Seele. Im Gegensatz zum Goethe-Stück verzichtet Busoni weitgehend auf Sinnliches wie die Gretchen-Episode und konzentriert sich auf die Lebensphilosophie des Wissenschaftlers oder Künstlers. Ein Grund, dass die Oper spröde ist.

Diese Konstellation ruft nach einem genialen Regisseur. Klaus-Michael Grüber war es nicht. Glück hatte er aber mit dem ästhetischen Bühnenbild von Eduardo Arroyo und den farbenfrohen Kostümen von Eva Dessecker.

Auch Dirigent Philippe Jordan (32), Sohn des gerade verstorbenen Armin Jordan, bringt die sperrige Musik nicht über die Rampe.

Bleibt noch der Titelheld: Thomas Hampson - zweifellos idealer Interpret dieser anspruchsvollen Partie - gibt den Takt an. Dennoch: der Abend spielt sich klangvoll, aber uninspiriert ab. Dagegen ist selbst Mephisto (Gregory Kunde) machtlos.

Fazit: Nur wer die selten gespielte Oper einmal sehen will oder ein Hampson-Verehrer ist, sollte diesen Abend nicht verpassen.

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Der Landbote

26. 9. 2006 / Herbert Büttiker

Doktor Faust, der verunglückte Mann

Zum Wetterleuchten der beginnenden Moderne hat Ferruccio Busoni Entscheidendes beigetragen. «Doktor Faust», sein Hauptwerk, ist im Opernhaus seit langem wieder zu sehen, mit grossartigen Interpreten auf und vor der Bühne.

Gleich drei Inszenierungen widmet das Opernhaus in dieser Spielzeit der Figur des Faust. Goethes alles überragende Gestaltung stand Pate bei Gounods lyrischem Margarethe-Drama und bei Schu-manns oratorisch konzipierten «Szenen aus Goethes Faust», die in dieser Saison auf dem Spielplan stehen. Ferruccio Busoni dagegen setzte dort an, wo auch Goethe angefangen hatte: beim Puppenspiel. Sein Text ist mit Pakt und Studierstube zwar nahe bei Goethe, aber die «primitive» Form des Puppenspiels scheint hier genau so durch wie in der Fortsetzung, der Szene am Hof des Herzogs von Parma, dessen Frau Faust in der Hochzeitsnacht verführt. In den Studenten-Szenen in Wittenberg und dem Schluss geht Busoni dann eigene Wege. Zu Ende gehen konnte er ihn nicht. Über den Schluss und damit die Gesamtsicht des Dramas gibt es des halb eine Kontroverse. Entspricht der von Philipp Jarnach komponierte Schluss mit Mephistopheles gesprochener Frage «Sollte dieser Mann verunglückt sein?» der Absicht des Autors oder Anthony Beaumonts Neufassung (1985), die wie Busonis Entwurf andeutet, am Ende Fausts «ewigen Willen» preist?

Männliche Arroganz
Die Zürcher Inszenierung folgt musikalisch der Jarnach-Fassung, zeigt aber gerade im Schluss subtiles Abwägen: Der Mann verschwindet im Dunkel, die schöne Helena (wie Busoni es will) am Kreuz, im Hintergrund der Jüngling, den Faust mit letzter Anstrengung aus dem toten Kind herausgezaubert hat – das ergibt ein abgründig zwiespältiges Fazit im Hinblick auf eine europäische Geistesgeschichte, die männliche Schöpferpotenz feiert, und jetzt, im Anblick der Gekreuzigten, den Fokus auf die Frau, das geschundene «Werkzeug» des Mannes, richtet. Und statt der alten Frage «Verdammt?» oder «Gerettet?» jetzt: «Verunglückt?»

Thomas Hampson, schon in Salzburg (1999) Protagonist dieser Faust-Oper, ist die ideale Verkörperung dieses Männerbildes von «Wohlgestalt und Geist und Mannheit»: markiger Bariton, ein wenig stumpf, aber kraftvoll die Höhe, wuchtige Deklamation, schon im Ton und Habitus die Ausstrahlung männlicher Arroganz. Sie überstrahlt ein wenig die in der Figur auch vorhandenen Gegenzüge von Ohnmacht, Zweifel, die sympathischere Register fordert. Aber in der musikalischen Hochspannung von Busonis Musik und der Dauerpräsenz auf der Bühne ist Hampson in dieser Partie ein Ereignis. Er trägt den Abend.

Neben der Zentralfigur gibt es in der Oper fast nur Nebenpartien, aber von der Komplexität der Musik sind auch sie alle stark herausgefordert, so Sandra Trattnigg mit strahlendem Sopran als Herzogin, Reinaldo Maci as mit resolutem Tenor als Herzog (zuvor schon als Soldat in der auf die Gretchen-Tragödie verweisenden Szene). Hinzu kommen ganze Gruppen von Studenten, Juristen, Theologen, Geister, und als Widerpart und Partner Fausts am wichtigsten: Gregory Kunde als Mephistopheles, der mit heldisch-schneidenden hohen Tönen und mit kantigem, aber auch nonchalant-listigem Spiel eine unheimliche Bühnenpräsenz entfaltet.

Prima la musica
Die Wirkung aller Figuren unterstreichen Maske und Kostüm (Eva Dessecker), die auf raffinierte Art immer wieder auf die Welt des Puppentheaters verweisen – und es noch mehr tun würden, wäre nicht die Bühne insgesamt ziemlich dunkel. Eduardo Arroyos Bühne allerdings bezieht gerade aus dem Halbdunkel, aus der Hintergrundbeleuchtung grosse Wirkung. Effektvoll kontrastieren die hohen Glasgestelle von Fausts Laboratorium zu den mit allen möglichen Realien voll gestopften Regalen der Universitäts-Szene, wo allerdings die Helena-Erscheinung samt Tischbein- Goethe, halb im Wust versinkend, nicht voll zur Geltung kommt. Weniger von Magie als steifer Opernfalte geprägt ist das Parma-Bild, das seltsam in die Leere mündet.

Man wundert sich vielleicht über solche Halbherzigkeiten der Regie, die in ihrer Zurückhaltung aber auch klug verfährt und in der ruhigen Personenführung klare Akzente setzt. Klaus Michael Grübers offensichtliches «Prima la musica» kann sich einerseits auf Busonis «Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst» berufen – «die halbe Arbeit am Kunstwerk hat der Empfänger zu verrichten» –, andererseits hat die Inszenierung tatsächlich einen musikalischen Anwalt, der alle Suggestivkraft der fast monströsen Partitur auslotet. Philipp Jordan lenkt das Geschehen konzentriert und knapp, führt es durch geballte Tutti-Steigerungen und präzis ziselierte Bläserpassagen, schafft den Gesangsstimmen Raum, hat die Fernchöre im Griff, die das Klanggeschehen entgrenzen, und führt alles zusammen zu jener dichten «linearen Polyphonie», die Busonis Ideal war.

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Neue Luzerner Zeitung

27. 9. 2006 / Beat Glur

Faust bleibt hier ein Einzelkämpfer

Zwiespältiger Auftakt zum Zürcher «Faust»-Zyklus: Busonis Oper bleibt auch nach der Neuinszenierung am Opernhaus eine Rarität.

Der in Italien geborene Ferruccio Busoni (1866 1924) liess sich als gefeierter Konzertpianist in Berlin nieder. Von 1915 bis 1920 aber lebte er in Zürich, wo er grosse Teile seines «Doktor Faust» schrieb: eine Rarität, mit der auch die Zürcher Neuinszenierung trotz viel Aufwand kaum ein Busoni-Revival bewirken wird.

Das Problem ist das Werk selber, mit dem sich Busoni weder an Goethes «Faust» noch an schon bestehende Faust-Opern anlehnte. Es ist nicht nur sehr aufwändig besetzt, sondern auch sehr sperrig. Die Musik ist ein gewaltiges, vielseitiges und farbiges Konglomerat verschiedenster Einflüsse, ohne dass ein eigenes Ganzes entsteht. Die Musik ist meist düster, gespenstisch und schwer, manchmal gar schwerfällig.

Glanzpunkt Thomas Hampson
Klaus Michael Grüber, der erfahrene deutsche Schauspiel- und Opernregisseur, scheint mit dem gewaltigen Werk überfordert. Er inszeniert getreu dem Libretto entlang, bringt die Abenteuer von Faust und Mephisto mit viel Aufwand auf die Bühne, vermag aber seinen Figuren nicht wirklich Leben einzuhauchen. Eine Augenweide ist das Bühnenbild des spanischen Malers Eduardo Arroyo. Die Szene ist mit Designergestellen eingefasst, auf denen Glasbehälter mit verschiedenen farbigen Flüssigkeiten stehen.

Getragen wird die dreistündige Aufführung fast ausschliesslich vom Starbariton Thomas Hampson als Faust, der ein Bild von einem Mann fast immer auf der Bühne präsent ist, und von Gregory Kunde als Mephistopheles. Dirigent Philippe Jordan, der Sohn des verstorbenen Armin Jordan, ist bemüht, den Apparat im Griff zu haben. Der Funke zündet jedoch nicht so richtig, weder aus dem Orchestergraben noch von der Bühne. Immerhin ist das Werk in einen «Faust»-Zyklus eingebaut, zu dem in dieser Spielzeit am Opernhaus Zürich noch Gounods «Faust» und Schumanns «Szenen aus Goethes Faust» gehören.

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Neue Zürcher Zeitung

26. 9. 2006 / Marianne Zelger-Vogt

Schöpfertum als Willensakt

Ferruccio Busonis «Doktor Faust» im Zürcher Opernhaus

Nach dem vergnüglichen, leichtgewichtigen Einakterabend mit Wolf-Ferraris «Segreto di Susanna» und Puccinis «Gianni Schicchi» wird im Zürcher Opernhaus jetzt wieder schwere Kost geboten. Ferruccio Busonis «Doktor Faust», komponiert zu wesentlichen Teilen während seiner Zürcher Jahre (1915 bis 1920), ist ein Werk von hohem intellektuellem Anspruch. In bewusster Abgrenzung vom übermächtigen Goethe hat Busoni seiner «Dichtung für Musik» das aus dem Volksstück entstandene Puppenspiel zugrunde gelegt. Doch einfacher ist der Stoff dabei nicht geworden.

Autobiografische Züge
Busonis Faust weist manche autobiografischen Züge seines Schöpfers auf - der Komponist war auch sein eigener Librettist -, er ist ein «ewiger Wille», ein Suchender, der nach Vollkommenheit strebt, ein Magier, der die Herzogin von Parma an ihrem Hochzeitstag entführt und bald darauf verlässt, ein Schönheitstrunkener, der sein Ideal in der Erscheinung der Helena zu erhaschen glaubt, ein scheiternder Schöpfer, der sein Leben einem Jüngling vermacht, auf dass es fortwirke bis zu den letzten Geschlechtern. Die Musik, die Busoni zu seiner Dichtung geschrieben hat, ist nicht weniger komplex und vielschichtig als die Ideenwelt, für die Faust steht.

Doch die Zürcher Neuinszenierung - die erste seit 1972, wie damals mit dem von Philipp Jarnach nachkomponierten Schluss - erleichtert einem den Zugang, indem sie das Werk betont sinnlich und opernhaft aufbereitet. Die Vorrede wie der Epilog des Dichters sind gestrichen, ebenso die Szene Wagners und der Studenten am Ende. Den optischen Eindruck bestimmen die Bühnenbilder des spanischen Malers Eduardo Arroyo und die Kostüme Eva Desseckers, während sich die Regie von Klaus Michael Grüber auf das konventionelle Arrangieren von Bewegungsabläufen und Gruppenbildern beschränkt.

Üppig hat Arroyo die Bühne dekoriert: im ersten Teil, in Fausts Studierstube, mit Regalen voller bunter Flaschen und Gläser, am Herzogshof von Parma mit prunkvollen Kronleuchtern, in deren Licht Desseckers Kostüme besonders phantastisch wirken, im zweiten Teil mit neuen Regalen, auf denen der gesamte Requisitenfundus des Theaters gestapelt zu sein scheint. Dass zu Beginn die drei gesichtslosen Studenten aus Krakau Faust statt des Zauberbuches totemartige Figuren überreichen und die Flammen sich zu sonderbaren schwebenden Objekten verdinglichen, scheint eine - durchaus werkentsprechende - Brechung und Verfremdung der Bühnenvorgänge anzuzeigen. Doch die banale, illusionistische Beschwörung der alttestamentlichen Liebespaare durch Faust wie später auch die textgetreue Präsentation des toten Kindes, das Faust mit der Herzogin gezeugt hat, enttäuschen solche Erwartungen. Insgesamt bleiben Arroyos Szenerien statisch, spannungslos, mehr Bilder als Räume.

Die Titelfigur und ihr Schatten
So fokussiert sich die Aufmerksamkeit immer mehr auf die Titelfigur und deren Alter Ego Mephistopheles. Busonis Faust scheint Thomas Hampson auf den Leib geschnitten zu sein, auch wenn ihn die Spitzentöne hörbare Anstrengung kosten. Das kraftvoll virile Timbre seines Baritons, die natürliche Autorität seiner Erscheinung, die im Liedgesang geschulte Sprachkultur, sie vereinen sich hier, um aus den gegensätzlichen Wesenszügen Fausts - er ist Suchender und Wissender, Intellektueller und lebenshungriger Ästhet, schuldbewusst und arrogant zugleich - eine grosse, faszinierende Bühnengestalt zu formen. Doch auch Gregory Kunde in der extrem hoch liegenden Partie des Mephistopheles ist ein Glücksfall für die Zürcher Aufführung. Sein schlanker, scharf deklamierender, bei aller Durchschlagskraft gleichsam schwereloser Tenor macht ihn in all seinen Vermummungen zum perfekten Schatten Fausts.

Anspruchsvoll, doch wenig dankbar sind die Aufgaben der zahlreichen übrigen Solisten und der einzigen Solistin - Sandra Trattnigg in der Rolle der Herzogin - sowie des Chores. Auch da erbringt das Opernhaus einen eindrücklichen Leistungsbeweis. Vor allem aber ist es der junge Dirigent Philippe Jordan, der Busonis oft als spröde etikettierte Musik zum Leben erweckt. Mit dem spürbar engagierten Orchester entfaltet er ihr reiches Klang- und Farbspektrum, legt er die linearen wie die polyphonen Strukturen frei, schärft er den Rhythmus, verleiht er den stilistisch vielfältigen Formeinheiten Kontur. Die rein instrumentalen Teile - Symphonia, Intermezzo, Sarabande - erhalten so ganz eigenes Gewicht.

Auch wenn die Inszenierung mehr Bebilderung als Interpretation der Handlung ist: Die Wiederaufführung von Busonis Faust-Oper verdient Respekt, nicht zuletzt, weil sie eine bedeutende Epoche der Zürcher Musikgeschichte in Erinnerung ruft.

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St. Galler Tagblatt

26. 9. 2005 / Tobias Gerosa

Reduktion mit Ausrutschern

Busonis «Doktor Faust»: Sperriges Schwergewicht am Opernhaus Zürich

Nach dem Leichtgewicht der beiden italienischen Einakter vor zwei Wochen bleibt das Opernhaus Zürich ziemlich genau in der selben Zeit, stemmt aber einen veritablen Brocken: Ferruccio Busonis «Doktor Faust».

Busonis «Doktor Faust» von 1924 gilt in der Literatur zwar als zentrales Werk des 20. Jahrhunderts, wird aber nur sehr selten gespielt. Die äusseren Anforderungen werden von den inhaltlichen Fragen noch übertroffen. Das beginnt mit der Versionsfrage: Busoni hat das Stück nicht vollendet, fast der ganze Schluss fehlt. Ein Schluss, dessen Text so vage bleibt, dass die Musik über Verklärung und Erlösung oder Verdammnis entscheiden muss: Faust übergibt sein Leben seinem Kind und geht ab, «stirbt», heisst es im Libretto.

Philipp Jarnach hat schon für die Uraufführung 1925 die verheissungsvollere Version nachkomponiert. Mit spätromantischem Überschwang und einer Opernhaftigkeit, die nicht recht zum Vorhergehenden passen will – aber sehr schön ist und dem Orchester nochmals Gelegenheit gibt, sich in ganzer Farbigkeit zur Geltung zu bringen. Der junge Philippe Jordan, der seine zweite Zürcher Premiere leitet, nutzt diese Chance, nachdem er schon zuvor eindrücklich und mit Nachdruck für die schillernde, sperrige, sich auch organischem Fluss entziehende Partitur einsetzte.

Fragwürdige Dramaturgie
Immer wieder fragt man sich bei Busoni, wie sich dieser Strang der Moderne weiterentwickelt hätte, wäre er durch die Nazis nicht unterbrochen worden. Ganz neue Wege ging Busoni in der Dramaturgie. Für seine Version des Faust-Stoffes hat Busoni vorwiegend auf ältere Quellen zurückgegriffen – im Bühnenbild Eduardo Arroyos, das vor der Pause mit dem die ganze Bühne umlaufenden Industriegestell voller farbiger Flaschen mehr überzeugt als mit der aufgereihten Requisitenkammer danach, ist Goethe bei der Erscheinung Helenas als Bild präsent.

Ähnliche Inkonsequenz prägt auch Klaus Michael Grübers Regie. Beeindruckt sie am Anfang noch durch ihre Ruhe und Konzentration, die ganz auf die Musik und den (glücklicherweise auch projizierten) Text hinleitet und der radikal individualistischen, vorbildlosen Dramaturgie Raum zur Entfaltung gibt, irritieren die naturalistischen Teufelchen und Erscheinungen. Spätestens, wenn sich in der Schlussszene der gekreuzigte Jesus in Helena verwandelt, wird sichtbar, wie problematisch der Ansatz auch ist.

Bestechende Hauptdarsteller
Aber die zwei Hauptdarsteller machen vieles, das von der Regie wenig ausgearbeitet wirkt, wieder gut. Thomas Hampson als Faust und Gregory Kunde als Mephistopheles – sie lassen viel von ihrem Rollenverständnis einfliessen, während die Nebenfiguren auch musikalisch nicht immer genau genug agieren.

Kundes Mephistopheles wirkt angelehnt an Gründgens' berühmte Interpretation, stimmlich bringt er Belcanto-geschult einen verführerischen Ton in seinen Teufel. Hampson seinerseits macht den zunächst fast zu starken Faust zum düstern Grübler. Auch wenn die Stimme spröder geworden ist und mit Spitzentönen Mühe bekundet – dank seiner Intensität bleibt er eine Idealbesetzung.

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Die Südostschweiz

26. 9. 2006 / Reinmar Wagner

Faustisches Ringen zwischen Geister- und Alchimistenwelt

Drei Fassungen des Faust-Stoffs bietet das Zürcher Opernhaus in dieser Saison: von Schumann, Gounod und Bosoni. Klaus Michael Grüber machte am Sonntag mit Busoni den Anfang - und blieb dessen Oper «Doktor Faust» einiges schuldig.

Nicht an Goethes «Faust» orientierte sich Ferrucio Busoni (1866-1924) bei seiner grösstenteils in Zürich komponierten Oper «Doktor Faust», sondern ging zu den Wurzeln des Mythos, zum Volksbuch und vor allem zum Puppenspiel zurück. Die Gretchen-Episode liegt bereits in der Vergangenheit, die verführte Unglückliche ist hier die Herzogin von Parma, die Faust mit Mephistos Hilfe am Tag ihrer Hochzeit bezirzt und entführt - und mit dem gemeinsamen Kind sitzen lässt. Vor allem interessierte sich Busoni jedoch für die übernatürlichen Kräfte und fand dafür klanglich reizvolle orchestrale Gestaltungsmittel.

Wer an die hitzige Glut veristischer Opern gewöhnt ist oder an das klassizistische Pathos bei Richard Strauss, dem muss Busonis Musik fast eisig, also gefühllos vorkommen. Halbwegs hat er sogar Recht damit: Sie verzichtet auf jede Sentimentalität und hält sich - für jene geschmacksgefährdete Epoche besonders bemerkenswert - strikte von Kitsch fern. Das bleibt Philipp Jarnach vorbehalten, Busonis Schüler, welcher die Oper nach Busonis Tod vollendete und den Schluss in spätromantischer Üppigkeit, aber nicht ohne wagnerianernden Reiz verklingen lässt.

Schwierige Probensituation
Die Partitur von Busonis Oper ist sehr dicht gewoben. Wer als Dirigent die Farben nicht sensibel auseinander hält und die verschiedenen Melodielinien aus den Augen verliert, droht in einem wenig aussagekräftigen Klangsumpf zu versinken. Genau das ist Dirigent Philippe Jordan während der Premiere am Sonntag teilweise passiert. Zwar hielt er Orchester, Chöre und die oft weit hinten platzierten Solisten souverän zusammen, aber an Durchsichtigkeit der Orchestersprache müsste er noch gewinnen, vor allem auch, um die Sänger weniger zuzudecken. Allerdings muss man ihm auch zugute halten, dass nach dem plötzlichen Tod seines Vaters, Armin Jordan, die letzte Probenwoche für ihn unter denkbar schwierigen Vorzeichen stand. Chapeau, dass er sich da durchgekämpft hat!

Faust grandios Profil verliehen
Busonis «Faust» lebt wesentlich auch von der Titelfigur: Thomas Hampson sang sie, und er tat es am Anfang mit irritierender Zurückhaltung. Unvermögen oder bewusste Konzentration auf die zweite Hälfte? Denn dort ist die Ausdruckskraft einer grossen Sängerpersönlichkeit gefordert, und Hampson enttäuschte nicht: Mit allen Mitteln der Stimme und der Sprache gab er diesem Faust grandios Profil. Ihm zur Seite stand mit Gregory Kunde ein nicht minder beeindruckender Mephisto. Auffallend im diesmal mittelmässigen Zürcher Ensemble sang Sandra Trattnigg die Herzogin, eher enttäuschend Reinaldo Macias den Soldaten.

Mit riesigen Gestellen voller Glasflaschen in allen Formen und gefüllt mit Flüssigkeiten in hellen, giftigen Farbschattierungen ist dem Maler Eduardo Arroyo ein grandioses Bühnenbild geglückt. Leider hält er das Niveau nicht: Rumpelkammer-Fundstücke und die nackte Helena am Kreuz wirken allzu verniedlichend.

Mit zeitweise minimen Mitteln
Busonis Faustfigur ist «ein ewiger Wille», und er erringt als solcher die übermenschliche, nämlich teuflische Fähigkeit, seine Ideen und Wünsche alle in die Tat umzusetzen. In dem Masse, wie er damit die Grenzen des Menschenmöglichen sprengt, offenbart diese Fähigkeit ihre tödliche Kraft, die sich zum Schluss gegen Faust selber wendet. Kurz bevor er stirbt, gelingt es ihm zwar, diesen «ewigen Willen» seinem Sohn zu übertragen. Ob das nun eine glückliche finale Wendung darstellt oder aber eine fatale, das muss offen bleiben. Und bleibt auch offen bei Klaus Michael Grüber. Der gelernte Schauspielregisseur, der in Zürich schon «Makropoulos», «Idomeneo», «Ulisse» und «Katerina Ismailova» inszenierte, beschränkte sich darauf, das Libretto nachzustellen. Zeitweise in einem Minimalismus an Personenführung, die an Verweigerung grenzt.

Wenn man diese Statik zu Beginn noch als Regiekonzept verstehen konnte, so wurde sie dann doch aufgebrochen durch wuselnde Teufelchen und pittoresk drapierte Geistererscheinungen. Kein Meisterstück und leider eine verpasste Gelegenheit, diesem gewiss nicht einfach zu realisierenden Werk auf adäquate Weise szenisch gerecht zu werden.

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Tages-Anzeiger

26. 9. 2006 / Susanne Kübler

Der Teufel steckt in der Musik

Viel Applaus für ein schwieriges Stück: Ferruccio Busonis «Doktor Faust» erlebte am Zürcher Opernhaus eine vor allem musikalisch packende Premiere.

Wer ist Mephistopheles? Bei Ferruccio Busoni (1866-1924) ist er zunächst eine rein musikalische Figur, das klingende Ergebnis von immer rascheren, in immer höhere Lagen führenden Variationen, in denen die höllischen Geister dem Gelehrten Faust ihre Dienste anbieten. Als Letzter dieser Geister kann Mephistopheles nichts anderes sein als ein extrem hoher, in seinen wirbligen Motiven unfassbar bleibender Tenor: Sein Auftritt ist die Geburt des Teufels aus der Musik.

Schon hier zeigt sich, wie hoch hinaus Busoni mit seinem Fragment gebliebenen «Haupt- und Monumentalwerk» wollte. Eine neue, eigenständige Rolle sollte die Musik darin spielen, und der Stoff musste entsprechend gross sein. Über Dante, Leonardo da Vinci oder Don Juan hatte er zunächst nachgedacht, schliesslich kam er auf Faust - nicht auf Goethes Version, dessen Konkurrenz machte ihm eher zu schaffen, sondern auf das Puppenspiel von Karl Simrock, aus dem er sein eigenes Libretto entwickelte.

Was ihm vorschwebte, formulierte er in einem Prolog, der in Zürich leider nur im Programmheft vorkommt: Da kündigt der Dichter sozusagen einen Gegenentwurf zum damals noch aktuellen Verismo an, einen vorbrechtschen Versuch, die Kunst als «reines Spiel» zu begreifen. «Die Bühne zeigt vom Leben die Gebärde», heisst es da etwa, und: Das «Wunder» sei das «Heimatland» der Musik.

Diesem «Wunder» ist nun in der Zürcher Aufführung des während Busonis Zürcher Exil entstandenen Werks ein gebürtiger Zürcher auf der Spur: Philippe Jordan, Jahrgang 1974, geht die Partitur mit Sorgfalt und stimmigen Tempi an. Spröde und klangsinnlich, abweisend und packend, abstrakt und theatralisch ist die Musik gedacht, und über weite Strecken klingt sie auch so. Insbesondere in den leisen Passagen schaffen Jordan und das Orchester der Oper jene schwebende, unentschiedene Ausstrahlung, die den Reiz und die Schwierigkeit des Werks ausmachen. In den lauten Momenten vor allem im ersten Teil allerdings zeigt sich, dass der Teufel auch rein technisch in der Musik steckt: Da braucht es nicht viel, bis der Orchesterklang die Stimmen überdeckt.

Weder gut noch böse
Gesungen (und eben nicht gebrüllt) wird auf hohem Niveau. Insbesondere Thomas Hampson als Faust ist eine Idealbesetzung, dank seiner Bühnenpräsenz und weil er seinen eher weichen Bariton durchaus auch ruppig wirken lassen kann. Er ist keine Identifikationsfigur (die gibt es nicht in diesem Stück), keiner, der als gut oder böse oder sonst wie zu fassen wäre. Wie offen seine Figur angelegt ist, zeigen schon die verschiedenen Schlüsse, mit denen das Fragment ergänzt wurde: In düsterem es-Moll endet die Oper in der hier gespielten Fassung des Busoni-Schülers Philipp Jarnach, während Antony Beaumont 1985 einen nicht weniger stimmigen C-Dur-Schluss fand.

Hampson also verabschiedet sich in Moll - eine grosse Figur, die in der Partitur wie auf der Bühne als Magnet funktioniert und alle anderen Personen gleichermassen anzieht und abstösst. Die Herzogin von Parma etwa, die Busoni aus Opernklischees zusammengefügt hat (absolut ist die Liebe, mit der sie Faust folgt, absolut auch die Verzweiflung, mit der sie ihm nach ihrem eigenen Tod ihr totes Kind übergibt); Sandra Trattnigg verkörpert die einzige belcantistische Partie des Stücks mit vollem, lyrischem Sopran.

Auch die übrigen Figuren treffen den Ton: die drei Studenten aus Krakau (Martin Zysset, Andreas Winkler, Matthew Leigh) einen mechanisch kühlen, der Herzog von Parma (Reinaldo Macias) einen schwächlichen, der von Jürg Hämmerli hervorragend vorbereitete Chor einen je nach Bedarf entrückten oder aggressiven. Gregory Kunde als Fausts Mit- und Gegenspieler Mephistopheles schliesslich einen hellen, giftigen, fast quäkenden: Ein irrlichternder Teufel ist er, der seiner Stimme jede Bodenständigkeit auszutreiben weiss (aber am Ende, wenn er zum Nachtwächter wird, die Stadt fast fürsorglich vor Feuergefahr warnt). Kalt ist sein Charme, flackernd seine Häme, ungreifbar seine ganze Erscheinung, da muss er schauspielerisch fast nichts tun dazu.

Dieser Meinung ist auch Regisseur Klaus Michael Grüber, der mit Philippe Jordan in der letzten Saison Janáeks «Die Sache Makropulos» herausgebracht hat und nun Busonis Figuren eher inneren als äusseren Spannungen aussetzt. Wie in Zeitlupe wird geschritten und gelitten, und wie oft bei Grüber ersetzen kleine Gesten grosse Bewegung: Die Art, wie Mephistopheles die Füsse auf Fausts Tisch legt, sagt alles über seinen Machtanspruch.

Röcke wie Hochzeitstorten
Grüber hat Busonis Vorstellungen überaus ernst genommen. Die Bühnenumbauten bei offenem Vorhang betonen die Künstlichkeit, die der Komponist wollte, und es gibt keinerlei Versuche, die disparate Geschichte in einen logischen Ablauf zu zwingen. Das Ganze spiele nur in Fausts Kopf, liest man im Opernhaus-Magazin, aber das hat eigentlich keine Bedeutung; fest steht, dass es in keinem Moment um Realismus geht an diesem Abend.

Daran halten sich auch das Bühnenbild von Eduardo Arroyo und Eva Desseckers Kostüme. Flaschen voller bunter Flüssigkeiten stehen in den Plexiglasvitrinen von Fausts Studierzimmer, er selbst trägt eine Renaissance-Frisur; die Studenten aus Krakau treten in Geheimdienstmänteln auf, die Reifröcke am Hof zu Parma erinnern an Hochzeitstorten und Weihnachtsbäume zugleich (man hat wieder einmal keinen Aufwand gescheut für die Kostüme). Dekorativ ist das, allzu dekorativ vielleicht für ein Stück, das durchaus nicht nur das Schöne sucht. Und zuletzt, wenn das tote Kind Fausts Leben erbt und als weisslicher Jüngling durch den Hintergrund schreitet, wirkt das eher lächerlich als berührend.

Die Musik allerdings, die im zweiten Teil auch ihre ausufernden Momente hat, strömt hier wieder prägnant aus dem Graben: als eigentliche Protagonistin des Stücks, ganz in Busonis Sinn.

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Zürcher Oberländer

26. 9. 2006 / Sibylle Ehrismann

Wanderer zwischen den Welten

Premiere am Opernhaus Zürich mit Busonis «Doktor Faust». Das schwer zugängliche Stück wird dirigiert von Philipp Jordan. Das Publikum spendete ihm warmherzigen Applaus.

Im Opernhaus Zürich offenbart sich zurzeit der Generationenwechsel. Eben feierte noch Nello Santi mit seiner Tochter Adriana Marfisi auf der Bühne seinen 75. Geburtstag. Am Sonntag nun stand der junge Maestro Philipp Jordan im Orchestergraben, um Ferrucio Busonis aufwändige Oper «Doktor Faust» zu dirigieren. Und dies kurz nachdem sein Vater, der hochgeschätzte Schweizer Dirigent Armin Jordan, während einer Aufführung in Basel zusammengebrochen und verstorben ist. Der warmherzige Applaus, mit dem Philipp Jordan in Zürich vom Premierenpublikum empfangen wurde, galt auch diesem traurigen Umstand.

Musikalische Impotenz
Der Komponist und Theoretiker Ferrucio Busoni ist eine schillernde Figur. Er machte sich vor allem als origineller Publizist einen Namen. Seine «Neue Ästhetik der Tonkunst», in der er sich radikal für die Moderne in der Musik ausspricht, rief zu Beginn des 20. Jahrhunderts Hans Pfitzner auf den Plan. Dieser warf Busoni und der Moderne mit flammender Feder «Musikalische Impotenz» vor. Busoni setzte sich insofern durch, als er eine neue Verbindung von alten Formen und neuen Tönen forderte. Damit wurde er zum Begründer des «Neoklassizismus», dem dann Igor Strawinsky mit seinen Ballettmusiken zum Durchbruch verhalf.

Busonis Oper «Doktor Faust» sollte sein kompositorisches Vermächtnis werden, er wollte die Gattung neu definieren: die Oper als «traumartige» oder symbolische Gegenwelt zur Realität. Der szenische Aufwand dafür ist enorm: ein grosser Chor singt hinter der Bühne die Stimme aus dem Jenseits und entgrenzt so den Bühnenraum. Eine Orgel sorgt für die sakrale Dimension - nur hat kein Opernhaus eine Orgel. In Zürich werden diese Orgelpartien deshalb ab CD elektronisch zugespielt.

Doch Busoni konnte sein kompositorisches Testament nicht mehr realisieren; er verstarb 1924, ohne die Partitur vollendet zu haben. Sein Schüler Philipp Jernach, selber ein interessanter Komponist, schrieb den Schlussmonolog des Faust. Obwohl es mittlerweile eine wissenschaftlich fundiertere zweite Fassung gibt, die auf Skizzen von Busoni zurückgeht, hat sich Philipp Jordan für Jernachs Version entschieden. Diese Entscheidung hat sich am Premierenabend durchaus als überzeugend erwiesen, bringt deutlich hörbar anders instrumentierte Musik von Jernach doch tatsächlich eine neue Dimension ins Geschehen, wie das im Libretto zum Schluss ja auch der Fall ist.

«Puppenspiel»-Atmosphäre
In dieser Zürcher Produktion des «Faust» wird zudem der sehr bewussten Entscheidung von Busoni Rechnung getragen, sein Faust-Libretto nicht von Goethes «Faust» abzuleiten, sondern vom ursprünglichen mittelalterlichen Puppenspiel. Regisseur Klaus Michael Grüber sorgt mit seinem Bühnenbildner Eduardo Arroyo und mit den Kostümen von Eva Dessecker dafür, dass diese «Puppenspiel»-Atmosphäre immer wieder durchschimmert. Zum Beispiel in der pompös ausstaffierten «Traum»-Szene im herzoglichen Palast von Parma, in der die Herzogin, die von Faust verführt wird, wie eine Marionette agiert - und auch so singt.

Womit wir bei der Musik von Busoni wären. Ihr hängt der Ruf spröder Intellektualität und stilistischer Heterogenität an. Um so mehr hat sie an der Premiere vom Sonntag unter der bezwingenden Stabführung von Philipp Jordan überrascht: Die expressive Kraft von Busonis harmonischen Schichtungen, von seiner originellen Art, gleichzeitig Verschiedenes aufklingen zu lassen, ist enorm. Dazu kommt eine musikalische Fantasie, die jede innerliche Regung des viel monologisierenden Faust vielschichtig und einfallsreich zum Ausdruck bringt.

Philipp Jordan hat diese orchestrale Präsenz und Dominanz nicht überstrapaziert. Er offenbarte sie mit engagierter Leidenschaft und gleichzeitig liess er den Sängern Entfaltungsspielraum. Wie es ihm gelang, die Polyphonie der dominanten tiefen Bläser und der höchst agilen Melodiestimmen zu einem vibrierenden Klang zu vereinen, ist grosse Klasse.

Auch die Regie von Grüber setzt subtile Akzente, ohne die an sich undramatische Handlung künstlich anzutreiben. Anfangs monologisiert Faust in seinem Studienlabor - hohe Plexiglas-Gestelle mit farbigen Gläschen und Tinkturen prägen den sonst offenen, ja fast leeren Raum. Und im zweiten Bild sind es Holzgestelle, gefüllt mit «Gerümpel» von der Dachkammer - man wird an Herbert Wernickes Bilder zu Bachs Passionen in Basel erinnert. Und da sitzt Faust, einsam verzweifelnd, und singt mit einer Hingabe, einer stimmlichen Grösse und farblichen Nuanciertheit, die einen über die drei Stunden hinweg in Bann schlägt. Thomas Hampson ist fast ununterbrochen präsent und hat dabei eine physisch und stimmlich höchst anspruchsvolle Partie zu bewältigen. Er macht daraus eine umwerfende Bravourleistung, auch mit seiner schlichten, untheatralischen Figurenzeichnung.

Zu diesem heldischen Bariton hat Busoni einen «teuflisch» scharfen Tenor in Beziehung gesetzt. Die «surrealen» Sprünge in der Stimmführung sind sehr anspruchsvoll. Gregory Kunde spielte musikalisch frei und technisch ungehindert mit seiner Partie und gab damit dem einschmeichelnd Bösen des Teufels ein plastisches Profil.

Zu diesen beiden hochkarätigen Männerstimmen, die den ganzen Abend dominieren, setzten Günther Groissböck als Wagner und Zeremonienmeister, Reinaldo Macias als Herzog von Parma und Sandra Trattnigg als Herzogin von Parma (und einzige Frau) geistreiche und musikalisch profilierte Akzente. Eindrücklich auch der grosse, von Jürg Hämmerli in der harmonischen Schärfung bestens vorbereitete Chor.

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Zürichsee-Zeitung

26. 9. 2006 / Reinmar Wagner

Artifizielle Statik im Alchimistenlabor

Drei Vertonungen des «Faust»-Stoffs bietet das Opernhaus Zürich in dieser Saison, von Busoni, Gounod und Schumann. Philippe Jordan und Klaus Michael Grüber machten am Sonntag mit Ferruccio Busonis «Doktor Faust» den Anfang.

Am Zürichberg, in der Scheuchzerstrasse, hängt ein unscheinbares Relief am Haus Nummer 36: Hier wohnte Busoni zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Als deutsch-italienischer Doppelbürger - zwei Nationen, die miteinander im Krieg lagen - war er weder hier noch dort willkommen und wählte Zürich zum Exil. Hier entstanden grosse Teile seiner Oper «Doktor Faust», die ihn schon seit 1910 beschäftigte. Aber wohl fühlte sich der gefeierte Klaviervirtuose und Kosmopolit nicht in Zürich. Zu eng und provinziell erschien ihm die Stadt, «von Langeweile umflort», «eine Art Sanatorium». Künstlerfreunde wie Zweig, Wolf-Ferrari, Schoeck, Klemperer oder Rilke scharte er um sich, schrieb nach eigenem Zeugnis drei Briefe am Tag, kämpfte dauernd mit wirtschaftlichen Problemen. Alles keine idealen Voraussetzungen für die Komposition einer Oper, entsprechend schleppend ging die Arbeit voran. Als Busoni 1920 nach Berlin berufen wurde, waren noch immer grosse Teile des «Faust» unvollendet. Nur vier Jahre später war Busoni tot, vom «Faust» blieben die Erscheinung der Helena und der Schluss unvertont. Philipp Jarnach, einer seiner Schüler, vollendete Busonis letztes Werk.

Verzicht auf Sentimentalität
Nicht an Goethes «Faust» orientierte sich Busoni, sondern ging zu den Wurzeln des Mythos, zum Volksbuch und vor allem zum Puppenspiel zurück. Die Gretchen-Episode liegt bereits in der Vergangenheit, die verführte Unglückliche ist hier die Herzogin von Parma, die Faust mit Mephistos Hilfe am Tag ihrer Hochzeit bezirzt und entführt - und mit dem gemeinsamen Kind sitzen lässt. Vor allem interessierte sich Busoni jedoch für die übernatürlichen, geheimnisvollen Passagen im Faust-Stoff, für Geister-Erscheinungen und Dämonen-Beschwörungen, und fand dafür klanglich reizvolle orchestrale Gestaltungsmittel. Wer an die hitzige Glut veristischer Opern gewöhnt ist oder an das klassizistische Pathos bei Richard Strauss, dem muss Busonis Musik fast eisig, also gefühllos, vorkommen. Halbwegs hat er sogar Recht damit: Sie verzichtet auf jede Sentimentalität und hält sich, in dieser geschmacksgefährdeten Epoche besonders bemerkenswert, strikte von Kitsch fern. Das bleibt dem Vollender Philipp Jarnach vorbehalten, der den Schluss in spätromantischer Üppigkeit, aber nicht ohne wagnerianernden Reiz verklingen lässt. Mit Busoni ist das Ende der klassisch-traditionellen thematisch-motivischen Opernkomposition gekommen: Neu sollen sich alle Stimmen im Sinne einer linearen Polyphonie organisieren.

Dichte Partitur
Das hat für einen Dirigenten durchaus Schattenseiten, denn die Partitur ist sehr dicht gewoben. Wer die Farben nicht sensibel auseinanderhält und die verschiedenen Melodielinien aus den Augen verliert, droht in einem wenig aussagekräftigen Klangsumpf zu versinken. Genau das ist Philippe Jordan an der Premiere teilweise passiert. Zwar hielt er Orchester, Chöre und die oft weit hinten platzierten Solisten souverän zusammen, aber an Durchsichtigkeit der Orchestersprache müsste er noch gewinnen, vor allem auch, um die Sänger weniger zuzudecken. Allerdings muss man ihm auch zugute halten, dass nach dem Tod seines Vaters Armin am Mittwoch die letzte Probenwoche für Philippe Jordan unter denkbar schwierigen Vorzeichen stand. Chapeau, dass er sich da durchgekämpft hat!

Busonis «Faust» lebt wesentlich auch von der Titelfigur: Thomas Hampson sang sie, und er tat es am Anfang mit irritierender Zurückhaltung. Unvermögen oder bewusste Konzentration auf die zweite Hälfte? Denn dort ist die Ausdruckskraft einer grossen Sängerpersönlichkeit gefordert, und Hampson enttäuschte nicht: Mit allen Mitteln der Stimme und der Sprache gab er diesem Faust grandios Profil. Ihm zur Seite stand mit Gregory Kunde ein nicht minder beeindruckender Mephisto. Auffallend im diesmal mittelmässigen Zürcher Ensemble sang Sandra Trattnigg die Herzogin, eher enttäuschend Reinaldo Macias den Soldaten.

Farbige Giftküche
Mit riesigen Gestellen voller Glasflaschen in allen Formen und gefüllt mit Flüssigkeiten in hellen giftigen Farbschattierungen ist dem Maler Eduardo Arroyo ein grandioses Bühnenbild geglückt. Die Hofgesellschaft zu Parma hat in ihrer artifiziellen Statik ebenfalls noch ihren Reiz (Kostüme: Eva Dessecker). Für die zweite Hälfte dann hat Arroyo wenig inspiriert die Rumpelkammer geplündert und die Fundstücke auf seinen Gestellen drapiert. Irgendwo darf hinter einer Plastikpuppe auch Helena dann erscheinen, die am Schluss auch noch nackt ans Kreuz gefesselt wird. Das entspricht zwar Busonis Regie-Anweisung, wirkt aber allzu verniedlichend. Busonis Faust ist «ein ewiger Wille», und er erringt als solcher die übermenschliche, nämlich teuflische Fähigkeit, seine Ideen und Wünsche alle in Tat umzusetzen. In dem Masse, wie er damit die Grenzen des Menschenmöglichen sprengt, offenbart diese Fähigkeit ihre tödliche Kraft, die sich zum Schluss gegen Faust selber wendet. Kurz, bevor er stirbt, gelingt es ihm zwar, diesen «ewigen Willen» seinem Sohn zu übertragen. Ob das nun eine glückliche finale Wendung darstellt oder aber eine fatale, das muss offen bleiben.

Und bleibt auch offen bei Klaus Michael Grüber. Der gelernte Schauspielregisseur, der in Zürich schon «Makropoulos», «Idomeneo», «Ulisse» und «Katerina Ismailova» inszenierte, beschränkte sich darauf, das Libretto nachzustellen. Zeitweise in einem Minimalismus an Personenführung, die an Verweigerung grenzt. Wenn man diese Statik zu Beginn noch als Regiekonzept verstehen konnte, so wurde sie dann doch aufgebrochen durch wuselnde Teufelchen und pittoresk drapierte Geister-Erscheinungen. Kein Meisterstück, und leider eine verpasste Gelegenheit, diesem gewiss nicht einfach zu realisierenden Werk auf adäquate Weise szenisch gerecht zu werden.

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Stuttgarter Zeitung

26. 9. 2006 / Götz Thieme

Sollte dieser Mann verunglückt sein?

Michael Grüber inszeniert in Zürich Ferruccio Busonis Oper "Doktor Faust" mit Thomas Hampson in der Titelrolle
 
Nahe am Zürichsee steht ein Opernhaus, das innen wie außen Glanz, gediegenen Bürgergeist, Kunstwillen signalisiert: Rot und golden prunkt der festliche Saal aus der emsigen Werkstatt der Wiener Architekten Fellner und Helmer; um die Jahrhundertwende waren sie Marktführer im Theaterbau, entwarfen fast fünfzig Gebäude. Der Zürcher Opernbetrieb gleicht ihrem Schaffen: der rasenden Eile, mit der hier die Premieren herauskommen; dem dekorativen Glanz der meisten Inszenierungen, der austauschbar wie der Zürcher Zuschauerraum ist (genauso sieht es auch im Grazer Opernhaus aus und in Hamburger Schauspielhaus); dem Reichtum der Mittel, in dem sich der Wohlstand der Bürger von Stadt und Kanton spiegelt - im deutschsprachigen Raum ist man wohl führend im Einwerben von Drittmitteln bei Sponsoren; schließlich das gediegene Schimmern des Orchesterklangs, der von herrlich altertümlich falber Farbe ist.

Alles zum Besten also für Erfolge, für eine Aufführung von Ferruccio Busonis aufwendiger Oper "Doktor Faust", die der Komponist bei seinem Tod 1924 unvollendet hinterließ. Ergänzt vom Busonischüler Philipp Jarnach, uraufgeführt 1925 von Fritz Busch in Dresden, wurde das Stück zu einer Ikone der musikalischen Moderne. Aufgespannt zwischen Choralintonation und schweifendem Melos öffnet sich ein polystilistisches Reich von Formen und Tonfällen, dazu der irrsinnige, ausufernde Text vom Komponisten selbst, den von Goethe bearbeiteten alten Stoff noch weiter ins Mystische treibend, andererseits der theatralisch wirksame Faltenwurf der Mephisto-Gestalt - es ist des machtvollen Feuerstoffs genug, an dem sich Bühnenfantasie entzündet.

Wenn ein "Faust" auf die Bretter zu stemmen ist, dann mit dem Regisseur Michael Grüber, mag sich der Zürcher Intendant Alexander Pereira gedacht haben. 1982 hat Grüber an der Volksbühne Berlin Goethes Bühnenstück eingekocht auf drei Personen, mit dem gloriosen Bernhard Minetti als Faust - von der Aufführung, die Theatergeschichte geschrieben hat, gibt es eine schöne Fernsehaufzeichnung. Grüber, merklich ausgezehrt vom Theaterleben, hat nicht anknüpfen können an die fahle Magie der Goetheaufführung. Die Auftritte sind flüssig gestellt, die Posen sicher ausgeleuchtet: aber Figuren treten nicht auf und uns nah, aus der Haltung gerinnt kein Verhalten. In den Chorszenen spürt man keine lenkende Hand.

Diaphan wie das Spiel bleibt die räumliche Setzung. Eduardo Arroyo hat zwei Bilder entworfen, einmal im Rechteck stehende portalhohe Glasregale mit Phiolen, Kolben, Ballongläsern, in ihnen Flüssigkeiten: uringelb, curaçaoblau, chatreusegrün, gerberaorange. Dann von gleicher Größe roh gezimmerte Holzstellagen mit allerlei Trödel vom gesplitterten Karussellpferdchen bis zum oxidierten Grammofontrichter. Im Parma-Bild spiegelt sich kalter Lüsterglanz, unter dem der omnipotente Faust als Zauberkünstler wirkt und den König Salomo, die Königin von Saba, Samson und Dalila, in präraffaelitischer Manier staffiert, aus der Unterbühne heraufgleiten lässt. Das zunehmend erkältende Nachbuchstabieren der Szenenanweisungen wird lediglich unterboten vom selbstverliebten Gewese des Faust-Sängers Thomas Hampson.

Langmähnig greift er sich schmerzerfüllt an die rechte Gesichtshälfte, als sei er das Phantom der Oper, schüttelt die Haarmatte, verzückt die Augen gen Bühnenhimmel verdrehend, tänzelt, macht alberne Reverenzen. Ein ziemlich gesund-ungefährdeter Zwei-Seelen-in-der-Brust-Gelehrter. Stimmlich dagegen war Hampson ziemlich angegriffen, dünn und rau wurde es in hoher Lage, dann rettete sich der Star in gespucktes Pathos. Gregory Kunde als höhensicherer Mephisto und Sandra Trattnig als solide Herzogin von Parma verschonten einen damit .

Wer vor gut einem Jahr den Stuttgarter "Doktor Faust" von Wieler/Morabito gesehen und gehört hat, erfuhr, warum Busonis Oper als Meisterwerk gilt. Denn ungreifbar, ohne eigenen Ton auch blieb in Zürich die orchestrale Realisierung. Kapellmeisterlich brav und sicher lenkte Philippe Jordan die Abläufe - das Visionäre der Partitur, die räumlichen Wirkungen verschenkte er, trotz der großartigen Leistung des Orchesters, besonders von Streichern und Schlagzeug.

"Mein Traum vom Theater ist wahrhaftig die Ergriffenheit - im Theater müssen Tränen vergossen werden - wir brauchen diese Hingabe", hat Grüber einmal bekannt. Eine altmodische Vision vielleicht. In Zürich blieb sie Traum. Unerfüllt. Ungerettet.

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DrehPunktKultur

25. 9. 2006 / Oliver Schneider

Fausts Träume von Parma und Helena

Während Klaus Michael Grübers szenische Umsetzung von Busonis "Doktor Faust" nur bedingt die Erwartungen erfüllte, leistet das Opernhaus-Orchester unter der Leitung von Philippe Jordan einmal mehr Beachtliches.

Derweil man sich andernorts im September mit zwei Wiederaufnahmen begnügt, trumpft das Zürcher Opernhaus mit vier Premieren auf. Nach einem Mozart-Ballettabend, "La finta semplice" in Winterthur und einem Doppelabend "Il segreto di Susanna"/"Gianni Schicchi" ging am Sonntagabend (24.9) Busonis schwer zugängliches Werk über die Bühne. Erste Skizzen entstanden 1910, die Uraufführung fand 1925 nach Busonis Tod statt.

Busoni, der sowohl für die Komposition als auch das Libretto die Verantwortung trägt, orientierte sich dabei weniger an Goethe als vielmehr am Puppenspiel. Als Sohn einer deutschstämmigen Mutter und eines italienischen Vaters war Busoni während des Ersten Weltkriegs zum unfreiwilligen Exil in Zürich gezwungen. Seine Heimatlosigkeit und Isolation spiegeln sich im "Doktor Faust", denn Busoni nutzte die Oper für ein Selbstporträt.

Dem gesellschaftlich isolierten Menschen bleibt nur die Flucht in eine Traumwelt. Hier setzen Regisseur Klaus Michael Grüber und seine Mitarbeiterin Ellen Hammer an und lassen die Oper als Traumreise in Fausts Kopf ablaufen. Die ersten beiden Szenen des Vorspiels spielen in seiner Studierstube, die von überhohen Regalen begrenzt wird. Flasche an Flasche stehen dort allerlei chemische Flüssigkeiten, denen schon ob ihrer Farbenvielfalt etwas Fantastisches anhaftet. Die drei Studenten aus Krakau, die Faust statt des ersehnten Buchs Clavis Astartis Magica eine Figur für die Teufelsbeschwörung überreichen, wirken mit ihren maskenhaften Gesichtern und ihren steifen Bewegungen wie Puppen. Und dies gilt nicht nur für sie, sondern auch für die Hofgesellschaft im Hauptspiel in Parma. So stellen Grüber und Hammer immer wieder den Bezug zum Puppenspiel her.

Auch die Kostüme von Eva Dessecker knüpfen an das Puppenspiel an: hier die einfachen dunklen Kostüme von Faust und Mephistopheles mit roten Handschuhen als teuflischem Attribut, da die prachtvollen, glitzernden Kostüme der italienischen Hofgesellschaft. Die düstere Studierstube weicht im Parma-Bild einem mit gewaltigen Kronleuchtern erleuchteten Saal (Bühnenbild: Eduardo Arroyo). Die halbdunkle Schenke mit den prall gefüllten Regalen, als ob man sich in einer Abstellkammer befände, und die nächtliche Strasse in Wittenberg bilden wieder den Gegenpol zum lichten Italien.

Die gelungene Szenerie böte den passenden Rahmen für eine überzeugende Regie. Doch daran hapert es. Und das liegt nicht daran, dass sich die Krakauer Studenten, die Herzogin und der Herzog von Parma sowie ihr Hofstaat wie Puppen bewegen. Etwas wie Personenführung ist über weite Strecken in dieser Produktion inexistent. Zum Glück gibt es Übertitel, so dass sich das Geschehen erschließt. Fausts Träumereien (Thomas Hampson) beschränken sich auf gewohntes Rampensingen. Lediglich in der Schlussszene, in der ihm die Herzogin sein totes Kind übergibt und er zu dessen Gunsten aus dem Leben scheidet, verleiht Thomas Hampson dem Faust ein gewisses Profil. Zu spät, zumal er auch stimmlich am Premierenabend nicht so souverän wie gewohnt wirkte.

Zum Glück haben Grüber und Hammer nicht auch den Mephistopheles (Gregory Kunde) zur vollkommenen Statik verurteilt. Quirlig spielend sorgt er dafür, dass der Abend nicht gar so zähflüssig abläuft. Zudem bewältigte er am Sonntag die extrem hohe Lage und die enormen Intervallsprünge ohne einen Anflug von Mühe, so dass seine Auftritte zu vokalen Höhepunkten wurden. Aus dem rollendeckend besetzten Ensemble ragte noch Sandra Trattnigg als Herzogin mit ihrer Arie trotz einiger Schärfen hervor. Die von Jürg Hämmerli einstudierten Chöre sangen auf unterschiedlichem Niveau: tadellos die doppelchörige Auseinandersetzung der Katholiken und Protestanten in Wittenberg, dürftig vor allem die Damen am Hof von Parma.

Rundherum überzeugend war jedoch die Leistung des Orchesters unter der Leitung von Philippe Jordan, was nach dem unerwarteten Tod seines Vaters keine Selbstverständlichkeit ist. Jordan waltet mit Sinn für den grossen Bogen und wurde so der Vielfalt des Werks gerecht. Die mangelnde Spannung auf der Bühne wird durch den farbenreichen Klang aus dem Graben wettgemacht. Warum Jordan sich aber entschied, das Fragment mit dem spätromantischen Schluss von Philipp Jarnach, einem Schüler Busonis, zu beenden, bleibt ein Rätsel. Anthony Beaumont hat in den achtziger Jahren aus Skizzen von Busoni einen neuen Schluss komponiert. Dieser wirkt zwar spröder, korrespondiert aber besser mit dem Wiedergeburt-Gedanken als der retrospektive Jarnach-Schluss. Pro von letzterem: er ist effektvoller.

"Doktor Faust" bleibt schon allein wegen des altertümlichen Texts und des starken Bezugs auf die Biographie des Komponisten ein Werk abseits des gängigen Repertoires. Ein anderes Werk, dessen Uraufführung auch 1925 stattfand, hat es in diesen Kanon geschafft: Alban Bergs Wozzeck. Warum wohl?

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